Online-Nachricht - Mittwoch, 27.06.2012

Kindergeld | Erstattung/Abzweigung an Sozialleistungsträger (BFH)

Begehrt ein Sozialleistungsträger die Auszahlung von zugunsten des Berechtigten festgesetztem Kindergeld, ist es im Falle einer behaupteten Unterhaltspflichtverletzung u.a. erforderlich, dass für den konkreten Streitzeitraum die vom Kindergeldberechtigten getätigten Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Grundbedarf und dem behinderungsbedingten Mehrbedarf des Kindes festgestellt und erforderlichenfalls geschätzt werden (; veröffentlicht am ).


Hintergrund: Zurzeit prüfen viele Kommunen, die sog. Grundsicherungsleistungen für behinderte Kinder erbringen, ob sie auf das für diese Kinder gezahlte Kindergeld zugreifen können bzw. müssen. Nach § 74 EStG kann das Kindergeld auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Kind Unterhalt gewährt (§ 74 Abs. 1 Satz 4 EStG). Für Erstattungsansprüche der Träger von Sozialleistungen gegen die Familienkasse gelten die §§ 102 bis 109 und 111 bis 113 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch entsprechend (§ 74 Abs. 2 EStG).

Sachverhalt: T ist seit ihrer Kindheit schwerbehindert und auf Kosten des Klägers, eines Sozialleistungsträgers, in einem Wohnheim und einer Werkstatt für behinderte Menschen untergebracht. Der Kläger begehrte die Auszahlung von Kindergeld nach § 74 EStG wegen unterhaltsrechtlicher Leistungsunfähigkeit der Eltern der T. Dies lehnte die Familienkasse ab. Einspruch und Klage waren erfolglos. Die Revision beim BFH führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG).

Hierzu führte der BFH weiter aus: Begehrt ein Sozialleistungsträger die Auszahlung von zugunsten des Berechtigten festgesetztem Kindergeld und legt er dabei die Anspruchsgrundlage für dieses Begehren nicht eindeutig oder unzutreffend dar, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob Abzweigung nach § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG oder Erstattung nach § 74 Abs. 2 EStG begehrt wird.  Die gerichtliche Prüfung, ob die Familienkasse bei der Entscheidung über die Abzweigung ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, erstreckt sich auch darauf, ob die Familienkasse ihre Entscheidung auf der Grundlage des einwandfrei und erschöpfend ermittelten Sachverhalts getroffen und dabei die Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art berücksichtigt hat, die nach Sinn und Zweck des § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG maßgeblich sind. Insoweit ist bei einer von dem Sozialleistungsträger behaupteten Unterhaltspflichtverletzung des Kindergeldberechtigten gegenüber seinem behinderten Kind u.a. erforderlich, dass für den konkreten Streitzeitraum die von dem Kindergeldberechtigten getätigten Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Grundbedarf und dem behinderungsbedingten Mehrbedarf des Kindes festgestellt und erforderlichenfalls geschätzt werden.

Anmerkung: Im Streitfall hatte das Finanzgericht nur ausgeführt, die Entscheidung der Familienkasse sei nicht ermessensfehlerhaft, da die Eltern mitgeteilt haben, dass sie ihre Tochter praktisch zu 50% der Zeit betreuen, und dies durch Kalendermarkierungen glaubhaft gemacht haben. Insofern hätte das Finanzgericht jedoch weiter feststellen müssen, ob die Familienkasse ihre Entscheidung auf der Grundlage eines einwandfrei und erschöpfend ermittelten Sachverhalts getroffen hat. Hierzu wäre erforderlich gewesen, dass für den konkreten Streitzeitraum die Anzahl der Fahrten der Eltern und die Aufenthaltstage der Tochter bei diesen ermittelt worden wären und festgestellt bzw. erforderlichenfalls geschätzt worden wäre, welche Kosten den Eltern insoweit entstanden sind.

Quelle: BFH online

 

Fundstelle(n):
NWB FAAAF-44206