BGH Beschluss v. - 5 StR 355/15

Strafverfahren wegen versuchten Mordes: Fehlerhafte Strafzumessung durch Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot; strafschärfende Berücksichtigung der Grund- bzw. Anlasslosigkeit der Tat

Gesetze: § 46 Abs 3 StGB, § 211 StGB, § 212 StGB

Instanzenzug: Az: (532) 234 Js 171/14 Ks (7/14)

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen sexueller Nötigung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Mit seiner gegen dieses Urteil eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Der Strafausspruch hält in den Fällen II.3 bis II.6, in denen der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist, rechtlicher Überprüfung nicht stand.

3a) Insoweit hat das Landgericht bei der Strafzumessung jeweils strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt hat. Diese Erwägung verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Der Tatbestand des Totschlags setzt vorsätzliche Tatbegehung voraus, deren normativer Regelfall die Tötung mit direktem Vorsatz ist. Der Umstand, dass der Angeklagte mit direktem Vorsatz gehandelt hat, darf daher als solcher nicht straferschwerend berücksichtigt werden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 555/89, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 3 mwN; vom - 3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4; vom - 4 StR 53/09, NStZ 2009, 564, und vom - 1 StR 3/15).

4Außerdem hat das Landgericht in den vier Fällen des versuchten Mordes rechtsfehlerhaft (§ 46 Abs. 3 StGB) jeweils die Tatausführung straferschwerend gewertet, wonach der Angeklagte bei der Tat II.3 dem Geschädigten T.   „nach dem ersten Messerstich sogar noch nachsetzte und ihm einen zweiten Messerstich in den Rücken beibrachte, um seine Tat zu vollenden" (UA S. 44), bei der Tat II.4 „sofort einen gezielten Messerstich gegen den Hals des Geschädigten und somit gegen eine besonders empfindliche Körperregion" und „mit Wucht" führte (UA S. 45), bei der Tat II.5 „seinen ersten Stich sofort in Richtung des Kopfes des Geschädigten M.     und somit gegen eine besonders empfindliche Körperregion" führte (UA S. 47) und er bei der Tat II.6 „den Geschädigten durch den Halsschnitt in potentielle Lebensgefahr versetzte" (UA S. 48). Es kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden, dass der Angeklagte das Maß an Gewalt überschritten hat, das zur Verwirklichung seines jeweiligen Entschlusses, die von ihm angegriffene Person zu töten, erforderlich war. Die Anwendung der zur Tötung erforderlichen Gewalt darf indes grundsätzlich nicht straferschwerend gewertet werden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 657/87, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 2; vom - 4 StR 561/95, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 6; vom - 4 StR 34/98, StV 1998, 657 und vom - 4 StR 226/08, StV 2009, 464).

5b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet weiter die jeweils straferschwerende Wertung des Landgerichts, dass die Messerangriffe des Angeklagten jeweils „völlig grundlos" erfolgt seien. Die Schwurgerichtskammer hat sich - wie sie selbst ausdrücklich festhält (UA S. 6) - von einem Motiv für diese vom Angeklagten pauschal bestrittenen Taten keine sichere Überzeugung bilden können. Bei dieser Sachlage verbietet es sich, eine Grund- bzw. Anlasslosigkeit der Taten zu berücksichtigen (vgl. auch ). Soweit die Schwurgerichtskammer die Grundlosigkeit der Taten beispielhaft im Fall II.4 mit der weiteren Erwägung charakterisiert, dass auch eine Provokation durch den Geschädigten als Motiv für die Tat nicht erfolgt sei, hat sie verkannt, dass ein solcher Umstand in der Regel zugunsten eines Täters wirkt. Das Fehlen eines solchen möglichen Strafmilderungsgrundes darf nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden.

62. Ungeachtet der Angemessenheit der verhängten Strafen kann der Senat nicht gänzlich ausschließen, dass sich die aufgezeigten Rechtsfehler im Fall II.4 bei der Wahl des Strafrahmens des § 211 Abs. 1 StGB ohne die fakultative Versuchsmilderung gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB und in den drei übrigen Fällen bei der konkreten Strafzumessung ausgewirkt haben. Die Aufhebung der betreffenden Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.

7Die getroffenen Feststellungen werden durch die Wertungsfehler nicht berührt und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Rahmen der neuen Strafzumessung sind ergänzende Feststellungen möglich, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

Sander                     Schneider                      Berger

               Bellay                          Feilcke

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Fundstelle(n):
BAAAF-17671