Verfahrensrecht | Änderung bei schwer verständlicher amtlicher Anleitung (FG)
Ein bereits bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid kann geändert werden, sofern die amtliche Anleitung (hier: die Erläuterungen zur Zeile 11 der Anleitung zur Anlage AV (Riester-Rente) i.R. der Einkommensteuererklärung 2011 und 2012) missverständlich formuliert ist und der Steuerpflichtigen nicht durch einen Steuerberater vertreten wurde ().
Hintergrund: Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat.
Sachverhalt: Streitig war, ob eine Änderungsmöglichkeit für die bereits bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 2011 und 2012 besteht, wenn auf der Anlage AV ("Riester-Rente") einer Elster-Einkommensteuererklärung von den Klägern zur Art der Begünstigung falsche Eingaben gemacht wurden ("mittelbar" anstatt "unmittelbar" begünstigt).
Hierzu führte das Finanzgericht weiter aus:
Das Finanzamt ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Kläger am nachträglichen Bekanntwerden der unmittelbaren Zulagenberechtigung der Klägerin im Rahmen der Riesterrente (Anlage AV) ein grobes Verschulden i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO trifft. Die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen für 2011 und für 2012 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind im Streitfall erfüllt.
Im Streitfall sind mit der unmittelbaren Zulagenberechtigung der Klägerin Tatsachen dem Finanzamt erst nachträglich bekannt geworden, die zu einem höheren Sonderausgabenabzug und mithin zu einer niedrigeren Steuer führen.
Ein schwerer Pflichtverstoß als Ausdruck grober Fahrlässigkeit ist nicht darin zu sehen, dass die Kläger die Erläuterungen zur Zeile 11 der Anleitung zur Anlage AV der Einkommensteuererklärung 2011 nicht gelesen haben, in der ausdrücklich erklärt wird, dass geringfügig beschäftigte Personen zum unmittelbar begünstigten Personenkreis zählen, wenn sie auf die Versicherungsfreiheit verzichtet haben.
Diese Ausführungen erfolgen erst unter der Überschrift "Berechnungsgrundlagen" - Zeile 11 der Anleitung zur Anlage AV. Der Steuerpflichtige muss allerdings bereits bei Zeile 10 der Anlage AV für sich selbst (Kennziffer 106) und seinen Ehegatten (Kennziffer 306) durch Eintragung einer "1" angeben, ob für das Jahr 2011 eine unmittelbare Begünstigung besteht.
Richtiger und vor allem verständlicher Weise hätte der Hinweis auf die unmittelbare Begünstigung von sog. Aufstockern bei den Erläuterungen zu den "unmittelbar begünstigten Personen" - Zeile 10 bis 19 in der Anleitung AV kommen müssen, da dieser nicht nur zur Berechnungsgrundlage gilt, sondern im Kern die Grundsatzfrage der unmittelbaren oder mittelbaren Begünstigung betrifft. Mit einer solchen Information muss der Steuerpflichtige berechtigter Weise nicht erst bei der Berechnungsgrundlage rechnen.
Es stellt keinen groben Pflichtverstoß dar, die Anleitung zur Anlage AV nicht vollständig zu Ende zu lesen, da Eintragungen zur Berechnungsgrundlage (Zeile 11ff.) bei einer mittelbaren Begünstigung nach dem Klammerzusatz zur Zeile 10 nicht vorzunehmen sind.
Hinweis: Die Anleitung zur Anlage AV ist ab dem Veranlagungszeitraum 2013 geändert worden. Die Ausführungen unter der Überschrift "Unmittelbar begünstigte Personen" - Zeile 10 bis 19 wurde um folgenden Klammerzusatz ergänzt "(hierzu zählen auch geringfügig Beschäftigte, die nicht von der Versicherungspflicht befreit wurden)".
Quelle: NWB Datenbank
Fundstelle(n):
JAAAF-12742