Online-Nachricht - Mittwoch, 18.06.2014

Verfahrensrecht | Rechtsmittelfrist bei fehlerhafter Ausführung eines Zustellungsauftrags (BFH)

Wird ein Urteil durch die Post amtlich zugestellt und in den Briefkasten des Empfängers eingeworfen, vergisst der Zusteller aber, auf dem Brief das Datum des Einwurfs in den Briefkasten zu vermerken, ist die Zustellung erst an dem Tag wirksam ausgeführt, an dem der Empfänger das Schriftstück nachweislich in die Hand bekommen hat. Dies entschied aktuell der Große Senat des Bundesfinanzhofs (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach § 104 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ist ein aufgrund mündlicher Verhandlung verkündetes Urteil den Beteiligten zuzustellen. Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 53 Abs. 2 FGO). Zustellungsmängel werden unter den Voraussetzungen des § 189 ZPO geheilt. Die Vorschrift lautet: "Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist."
Sachverhalt: Im zu entscheidenden Fall hatte der Zusteller den Brief mit dem Finanzgerichtsurteil am Vormittag des 24. Dezember, einem Mittwoch, in den Briefkasten einer Rechtsanwaltskanzlei geworfen. Den Datumsvermerk auf dem Briefumschlag hatte er allerdings vergessen. Bei Öffnung der Rechtsanwaltskanzlei nach den Feiertagen am Montag, den 29. Dezember, wurde der undatierte Brief vorgefunden. Der Anwalt ging von einer Zustellung an jenem Montag aus und legte ein Rechtsmittel erst am 27. Januar beim BFH ein. Das hielt der zuständige VIII. Senat des BFH für verspätet, denn die Monatsfrist habe schon am 24. Dezember begonnen. Am Heiligabend sei ebenso wie an Silvester davon auszugehen, dass von bis mittags eingeworfenen Postsendungen Kenntnis genommen werden könne. Dies reiche für einen tatsächlichen Zugang aus. 
Hierzu führte der BFH weiter aus:

  • Der Tag der Zustellung eines Urteils ist maßgebend dafür, wann die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels beginnt. Deshalb muss der Tag sowohl von dem Zustellenden als auch vom Zustellungsempfänger genau bestimmt werden können.

  • Wird ein Schriftstück dadurch zugestellt, dass einem Postunternehmen ein Zustellungsauftrag erteilt wird, kann der Zusteller den Brief in den Briefkasten werfen, falls er den Empfänger nicht antrifft (§ 180 Satz 1 ZPO). Dies und den Tag der Zustellung vermerkt er in einem Vordruck, den der Zustellende zurück erhält. Der Zustellungsempfänger erfährt vom Datum des Briefeinwurfs durch einen Datumsvermerk auf dem Briefumschlag (§ 180 Satz 3 ZPO).

  • Wird eine dieser Förmlichkeiten vergessen, gilt das Schriftstück in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem Empfänger "tatsächlich zugegangen ist" (§ 53 Abs. 2 FGO i.V. mit § 189 ZPO).

Anmerkung: Der angerufene Große Senat des BFH teilte damit nicht die strenge Sichtweise des vorlegenden Senats. Wenn der Gesetzgeber die für eine Zustellung im Grundsatz notwendige Übergabe des Schriftstücks durch den Einwurf in den Briefkasten ersetze, müssten alle Förmlichkeiten dieses Verfahrens beachtet werden, damit die Rechtsmittelfrist zuverlässig berechnet werden könne. Werde ein Datumsvermerk vergessen, komme es für den Fristbeginn darauf an, wann der Empfänger das Schriftstück tatsächlich in die Hand bekommen habe. Im zu entscheidenden Fall führt das dazu, dass die Rechtsmittelfrist gewahrt ist. Deshalb wird der zuständige Senat jetzt in der Sache über das Rechtsmittel zu entscheiden haben.
Quellen: NWB Datenbank und BFH, Pressemitteilung Nr. 45/2014
 

Fundstelle(n):
NWB DAAAF-11532