Online-Nachricht - Mittwoch, 15.01.2014

Kindergeld | Abzweigung bei einem teilstationär untergebrachten behinderten Kind (BFH)

Ist ein teilstationär in einer Behindertenwerkstatt untergebrachtes behindertes Kind in den Haushalt des Kindergeldberechtigten aufgenommen, scheidet eine im Rahmen der Entscheidung über die Abzweigung (§ 74 Abs. 1 Sätze 1, 3 und 4 EStG) angestellte tatsächliche Vermutung, wonach die Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten den in § 66 Abs. 1 EStG vorgesehenen Kindergeldsatz bereits dann erreichen bzw. überschreiten, wenn der Kindergeldberechtigte selbst nicht von Sozialleistungen lebt, aus (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Gemäß § 74 Abs. 1 Sätze 1, 3 und 4 EStG kann das für ein Kind festgesetzte Kindergeld u.a. an die Stelle ausgezahlt werden, die dem Kind Unterhalt gewährt, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt, mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrags zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld.
Sachverhalt: Die Klägerin ist die Mutter der schwerbehinderten T. T lebt im Haushalt ihrer Eltern und besucht tagsüber eine Werkstatt für behinderte Menschen. Sie erhält monatliche Grundsicherungsleistungen in Höhe von 71,29 €. Die daneben von T bezogene Erwerbsminderungsrente wird voll, ihr Einkommen aus der Tätigkeit in der Behindertenwerkstatt unter Berücksichtigung von Abzugsbeträgen auf den vom Grundsicherungsträger ermittelten Bedarf angerechnet. Im Streitfall beantrage der Grundsicherungsträger bei der Familienkasse, das gegenüber der Klägerin festgesetzte Kindergeld an ihn abzuzweigen. Die Familienkasse stellte daraufhin die Auszahlung des Kindergeldes an die Klägerin ein.
Hierzu führt der BFH weiter aus:

  • Bei der Ausübung des Ermessens, ob und in welcher Höhe das Kindergeld abzuzweigen ist, sind grds. nur die den Eltern im Zusammenhang mit der Betreuung und dem Umgang mit dem Kind tatsächlich entstandenen und glaubhaft gemachten Aufwendungen anzusetzen (d.h. keine fiktiven Kosten). Sind die Leistungen mindestens so hoch wie das Kindergeld, wird eine Abzweigung nicht als ermessensgerecht angesehen.

  • Eine tatsächliche Vermutung, wonach die Unterhaltsleistungen den Kindergeldsatz bereits dann erreichen bzw. überschreiten, wenn der Kindergeldberechtigte das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat und selbst nicht von Sozialleistungen lebt, scheidet jedenfalls bei behinderten Kindern aus.

  • Die Frage, ob der Kindergeldberechtigte gegenüber seinem behinderten Kind ausreichende Unterhaltsleistungen erbringt, hängt vielmehr von einer Vielzahl von Faktoren ab (z.B.: Höhe der dem Kind gewährten Grundsicherungsleistungen; Höhe der dem Kind gewährten Rentenleistungen; eigene Einkünfte des Kindes; eigenes bedarfsdeckendes Vermögen des Kindes, z.B. Wohnung, PKW etc.).

Anmerkung: Im Streitfall kam nach Ansicht des BFH eine Abzweigung nicht in Betracht. Die Klägerin habe hier tatsächlich Unterhaltsaufwendungen in Höhe des monatlichen Kindergeldbetrages getätigt. Die Unterhaltsgewährung erfolgte zum einen durch die Zurverfügungstellung einer Unterkunft. T war nicht vollstationär untergebracht, sondern befand sich nur tagsüber in der Behindertenwerkstatt. Über Nacht und an den freien Tagen war T in den Haushalt der Klägerin aufgenommen. Darüber hinaus habe die Klägerin einen durch die Grundsicherungsleistungen nicht erfassten behinderungsbedingten Mehrbedarf der T gedeckt. Ein solcher Mehrbedarf ergebe sich daraus, dass für T im Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "H" eingetragen sei, so der BFH in seinen Entscheidungsgründen.
Quelle: NWB Datenbank

Fundstelle(n):
NWB HAAAF-10845