BGH Beschluss v. - 4 StR 152/15

Strafverurteilung wegen Erpressung: Erfüllung des Tatbestandsmerkmals "durch Gewalt" durch einschüchterndes Verhalten; Tatbestandserfüllung bei Drohung mit einem empfindlichen Übel; Prüfungsreihenfolge bei der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung

Gesetze: § 56 Abs 1 S 1 StGB, § 56 Abs 2 S 1 StGB, § 253 StGB, § 255 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Magdeburg Az: 25 KLs 55/13

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten C.   wegen Betrugs und Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten, den Angeklagten B.    wegen Erpressung in Tateinheit mit Computerbetrug zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten und die nicht revidierende Mitangeklagte L.   wegen Beihilfe zum Betrug und zur Erpressung zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt. Die Revisionsführer wenden sich gegen ihre Verurteilungen jeweils mit einer Verfahrensrüge und der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel des Angeklagten B.    hat in vollem Umfang, das Rechtsmittel des Angeklagten C.   in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Die weiter gehende Revision des Angeklagten C.   ist offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Verurteilung der Angeklagten wegen einer in Mittäterschaft begangenen Erpressung im Fall II.2 der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil die von der Strafkammer angenommene Gewaltanwendung nicht festgestellt ist.

3a) Nach den Feststellungen nahm der Angeklagte C.   über Internetplattformen, auf denen sexuelle Kontakte zwischen Männern und Frauen verabredet wurden, Verbindung zu Männern auf, um diese bei vereinbarten Treffen um Geld oder Wertgegenstände zu bringen. Dabei fungierte die Mitangeklagte L.   als „Lockvogel“.

4Einige Zeit vor dem lernte der Angeklagte C.   auf diesem Weg den Geschädigten     Ba.  kennen, der Kontakt zu Frauen suchte, um mit ihnen gegen Entgelt den Geschlechtsverkehr auszuüben. Bei einem von     Ba.  zu diesem Zweck in seiner Wohnung vereinbarten Termin erschien der Angeklagte C.   anstelle der erwarteten Partnerin an der Wohnungstür. Dabei verfolgte er die Absicht,     Ba.  einzuschüchtern und gegebenenfalls Geld oder andere Wertgegenstände unter dem Vorwand mitzunehmen, dies als Entschädigung für eine vermeintlich unlautere Verabredung zum Sex im Internet verlangen zu können. Dementsprechend überschüttete er den Geschädigten beim Öffnen der Wohnungstür mit dem Vorwurf: „Was ihm denn einfiele, sich mit Frauen im Internet zum Sex zu verabreden“. Dabei packte er     Ba.  auch am Kragen, schüttelte ihn und sagte ihm, dass er sich nicht noch einmal dabei erwischen lassen solle. In der Folge brachte der Angeklagte C.   das Fahrrad des Geschädigten Ba.  an sich und vermochte ihn bei weiteren Kontakten dazu zu veranlassen, ihm Dieselkraftstoff auszuhändigen, den er zuvor bei seinem Arbeitgeber „abgezweigt“ hatte. Aus Angst vor dem Angeklagten C.   erstattete der Geschädigte Ba.  keine Anzeige.

5Am verabredete der Geschädigte Ba.  über eine einschlägige Internetplattform für 19.00 Uhr ein Treffen mit einer vermeintlichen „D.   “ in seiner Wohnung. Hinter diesem Pseudonym verbargen sich wiederum die Anklagten L.   und C.   . Der Angeklagte C.   sah in dem vereinbarten Treffen die Chance, Ba.  erneut in seiner Wohnung aufzusuchen, ihn einzuschüchtern und Geld oder Wertgegenstände an sich zu bringen. Darüber hinaus kam er mit dem Angeklagten B.    überein, bei dieser Gelegenheit in die Wohnung des Geschädigten Ba.  einzudringen und über dessen Computer mit den Kreditkartendaten des         Bo. , die der Angeklagte B.    zuvor anlässlich des Auffindens von dessen Kreditkarte unbefugt fotografisch gesichert hatte, Bestellungen über das Internet vorzunehmen. Beiden war dabei bewusst, dass Ba.  aufgrund der auch schon in der Vergangenheit gezeigten Angst keine große Gegenwehr leisten würde.

6Entsprechend dem gemeinsamen Tatplan traf sich die Mitangeklagte L.   zu dem vereinbarten Termin mit dem Geschädigten Ba.  und ging mit ihm in dessen Wohnung. Die Angeklagten B.    und C.   stellten sich unterdessen vor der Wohnungstür auf. Als der Geschädigte auf Veranlassung der Mitangeklagten L.   nochmals seine Wohnungstür öffnete, stürmten die Angeklagten B.    und C.   direkt in die Wohnung. Dabei herrschte der Angeklagte C.   den Geschädigten sofort mit den Worten an: „Ach Du schon wieder“ und „warum er das schon wieder mache“, um ihn einzuschüchtern. In der Folge forderte der Angeklagte C.   den Geschädigten auf, sich auf ein Sofa zu setzen, während sich der Angeklagte B.    und die Mitangeklagte L.   in der Wohnung umsahen. Im weiteren Verlauf veranlasste der Angeklagte C.   den Geschädigten dazu, einen Finger auf den Tisch zu legen. Anschließend ließ er sich ein Messer reichen und deutete Schneidebewegungen an, um sich über den bereits eingeschüchterten Geschädigten lustig zu machen.

7Der Angeklagte B.    bestellte über den Computer des Geschädigten, der auf Befragen sein Passwort genannt hatte, bei dem Internethändler A.    eine Regenjacke (Kaufpreis: 229,75 Euro) und ein Alarmsystem (Kaufpreis: 275,95 Euro). Dabei gab er die Kreditkartendaten des         Bo.  an. Nachdem der Angeklagte B.    einen Kontoauszug des Geschädigten gefunden hatte, verließen die Angeklagten C.   und B.    mit dem Geschädigten die Wohnung, um mit dessen EC-Karte das gesamte Geld von seinem Konto abzuheben. Tatsächlich hob der eingeschüchterte Geschädigte in der Folge 500 Euro von seinem Konto ab. 100 Euro erhielt die Angeklagte L.   , die restlichen 400 Euro teilten die Angeklagten B.    und C.   unter sich auf. Außerdem nahm der Angeklagte C.   dem Geschädigten im Verlauf des Abends noch dessen Mobiltelefon ab. Die von dem Angeklagten B.    bestellten Waren wurden an die Adresse des Geschädigten ausgeliefert und von diesem an den Angeklagten C.   (Alarmanlage) und den Angeklagten B.    (Regenjacke) weitergegeben. Der Kaufpreis wurde zunächst bei dem Kreditkarteninhaber         Bo.  abgebucht und nach dessen Protest von der Firma A.    wieder seinem Konto gutgeschrieben.

8Die Strafkammer ist von einer mit Gewalt verübten Erpressung durch alle drei Angeklagten ausgegangen. Das Nötigungsmittel der Gewalt sei in dem überraschenden Eindringen der Angeklagten B.    und C.   in die Wohnung des Geschädigten zu sehen. Dieses Nötigungsmittel sei in der Absicht angewendet worden, unter Ausnutzung der dadurch für den Geschädigten entstehenden Zwangslage dessen Wohnung nach stehlenswerten Gegenständen durchsuchen und von dessen PC aus Bestellungen vornehmen zu können. Dabei seien die Angeklagten davon ausgegangen, dass sich der Geschädigte aus Angst nicht wehren würde und hätten diese Angst ausgenutzt.

9b) Diese Feststellungen tragen die Annahme einer mit Gewalt verübten Erpressung nicht.

10aa) Gewalt setzt auch beim Erpressungstatbestand die Entfaltung von – nicht notwendig erheblicher – Körperkraft durch den Täter voraus, die einen unmittelbar oder mittelbar auf den Körper eines anderen wirkenden Zwang ausübt, der nach der Vorstellung des Täters geeignet ist, einen geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden oder auszuschließen (vgl. , BGHSt 41, 182, 185; Beschluss vom – 1 StR 327/95, NStZ 1995, 592 f. [jeweils zu § 240 StGB]; Sander in: MüKoStGB, 2. Aufl., § 253 Rn. 4; SSW-StGB/Kudlich, 2. Aufl., § 253 Rn. 4).

11bb) Ein von einer Kraftentfaltung der Angeklagten ausgehender unmittelbar oder mittelbar auf den Körper des Geschädigten einwirkender Zwang lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Soweit die Angeklagten C.   und B.    direkt in die Wohnung des Geschädigten gestürmt sind, ist nicht erkennbar, dass es dabei zu einer Zwangswirkung auf dessen Körper gekommen ist. Allein das resolute Auftreten des Angeklagten C.   und seine verbale Bezugnahme („Ach du schon wieder“) auf das frühere Geschehen, bei dem es zu einer Gewaltanwendung gegen den Geschädigten gekommen war, begründen noch nicht die Annahme eines aktuell auf den Körper des Geschädigten einwirkenden Zwangs. Da auch das Nötigungsmittel der Drohung im Sinne des § 253 Abs. 1 StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht nicht hinreichend festgestellt und belegt ist, bedarf die Sache daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

122. Die Aufhebung erfasst auch die an sich rechtsfehlerfreie tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten B.    wegen Computerbetrugs gemäß § 263a StGB. Da der aufgezeigte Rechtsfehler im Fall II.2 der Urteilsgründe auch die Verurteilung der Mitangeklagten L.   wegen Erpressung betrifft, war die Aufhebung nach § 357 Satz 1 StPO insoweit auf sie zu erstrecken. Dadurch verliert sowohl bei dem Angeklagten C.   als auch bei der Angeklagten L.   der Gesamtstrafenausspruch seine Grundlage.

13Das Urteil war hinsichtlich des Angeklagten C.   schließlich auch insoweit aufzuheben, als das Landgericht die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB abgelehnt hat. Denn die Strafkammer hat ihre Entscheidung mit dem Fehlen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem festgestellten Hang und den von ihr angenommenen Taten begründet. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass im zweiten Rechtsgang in Bezug auf die aufgehobene Tat Feststellungen getroffen werden, die eine Unterbringungsanordnung rechtfertigen.

143. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:

15a) Eine Erpressung kann auch durch Drohung mit einem empfindlichen Übel begangen werden (§ 253 Abs. 1 StGB). Dabei kann ein schlüssiges Handeln ausreichend sein, wenn der Täter das angedrohte empfindliche Übel durch ein bestimmtes Verhalten genügend erkennbar macht (vgl. , NStZ 2015, 461). Besteht das konkludent angedrohte empfindliche Übel in unmittelbar drohenden körperlichen Übergriffen und damit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben, kann eine räuberische Erpressung gemäß §§ 253, 255 StGB gegeben sein. Darauf, ob der Täter die Drohung erforderlichenfalls auch verwirklichen will, kommt es nicht an (vgl. , NStZ-RR 2015, 213).

16b) Bei der Entscheidung, ob eine (Gesamt-)Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zur Bewährung ausgesetzt werden kann, muss grundsätzlich zunächst geprüft werden, ob zu erwarten steht, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB). Erst wenn dies bejaht werden kann, darf in die Prüfung der Frage eingetreten werden, ob auch besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB vorliegen. Dabei können dann auch Gesichtspunkte herangezogen werden, die bereits für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB von Bedeutung gewesen sind. Es ist rechtsfehlerhaft, besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB zu verneinen, ohne sich zuvor mit der Frage zu befassen, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB zu stellen ist (vgl. , Rn. 4; Beschluss vom – 3 StR 305/12, StV 2013, 85).

17c) Nach § 246a Satz 2 StPO ist ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und seine Behandlungsaussichten zu vernehmen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Betracht kommt und deshalb eine Anordnung dieser Maßregel konkret zu erwägen ist (vgl. , NStZ 2012, 463, 464 mwN).

Sost-Scheible                      Cierniak                        Franke

                         Bender                      Quentin

Fundstelle(n):
EAAAF-06550