BVerwG Beschluss v. - 9 B 17/15

Gebühr für die Beseitigung des Niederschlagswassers

Leitsatz

Das Äquivalenzprinzip und der Gleichheitssatz fordern in Verbindung miteinander, dass die Benutzungsgebühr nach dem Umfang der Benutzung bemessen wird, also nicht in einem groben Missverhältnis zu der Leistung der Verwaltung steht. Die Gebühren für die Beseitigung des Niederschlagswassers können in Ermangelung eines direkten Zusammenhangs grundsätzlich nur dann nach dem Wasserverbrauch bemessen werden (Frischwassermaßstab), wenn der Anteil der Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung an den gesamten Entwässerungskosten geringfügig ist (im Anschluss an bisherige Rechtsprechung).

Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, EntwGebOG BR 2012

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Az: 1 A 68/13 Urteilvorgehend Az: 2 K 678/12

Gründe

1Die Beschwerde, die sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache stützt, bleibt ohne Erfolg.

2Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Frage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

3Die Beschwerde will geklärt wissen,

ob eine Entwässerungsgebührensatzung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wenn die Festsetzung der Niederschlagswassergebühren ausschließlich von der Größe der versiegelten Fläche des jeweiligen Grundstücks abhängig gemacht wird und ausschließlich die Grundstückseigentümer als Gebührenschuldner herangezogen werden, deren versiegelte Grundstücksfläche den festgelegten Maßstab überschreitet.

4Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision schon deshalb nicht, weil sie sich in dem erstrebten Revisionsverfahren so nicht stellen würde. Die Beschwerde geht von einer unzutreffenden Prämisse aus, indem sie unterstellt, nach der einschlägigen landesrechtlichen Gebührenregelung (Entwässerungsgebührenortsgesetz - EGebOG - i.d.F. vom , Brem.GBl. S. 17) würden Gebühren für Niederschlagswasser nur bei Grundstücken mit einer an das öffentliche Kanalsystem angeschlossenen versiegelten Fläche von 1 000 m² oder mehr erhoben, während für Grundstücke mit einer versiegelten Fläche von weniger als 1 000 m² nur eine Schmutzwassergebühr zu zahlen sei. Damit verkennt sie, dass die Eigentümer kleinerer Grundstücke, auch soweit sie keinen Antrag auf getrennte Veranlagung stellen (§ 4 Abs. 2 EGebOG), nicht die reine Schmutzwassergebühr, sondern die höhere - einen pauschalen Niederschlagswasserkostenanteil enthaltende - Abwassergebühr zu entrichten haben (§ 3 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 EGebOG). Von einer "Doppelbelastung" der Eigentümer größerer Grundstücke kann daher entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht die Rede sein.

5Unabhängig davon zeigt die Beschwerde einen grundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich des Art. 3 Abs. 1 GG nicht auf. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermag die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung von Landesrecht eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft; die angeblichen bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit sowie die Entscheidungserheblichkeit in dem anhängigen Verfahren sind in der Beschwerdebegründung darzulegen (vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom - 6 B 64.07 - Buchholz 421 Kultur- und Schulwesen Nr. 132 Rn. 5 und vom - 9 B 19.08 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 107 Rn. 5 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Der Hinweis der Beschwerde auf eine ersichtlich nicht einschlägige Entscheidung des - NJW 2015, 303 zur Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftssteuer) kann die Formulierung einer konkreten, aber fallübergreifenden Frage und die Darlegung ihrer Klärungsbedürftigkeit und Entscheidungserheblichkeit nicht ersetzen.

6Das Bundesverwaltungsgericht hat zudem bereits eingehend zu den Vorgaben Stellung genommen, die sich aus dem Äquivalenzprinzip und dem Gleichheitssatz für die Ausgestaltung des Maßstabes von Entwässerungsgebühren ergeben. Beide Grundsätze fordern danach in Verbindung miteinander, dass die Benutzungsgebühr nach dem Umfang der Benutzung bemessen wird, also nicht in einem groben Missverhältnis zu der Leistung der Verwaltung steht. In Anbetracht des Gestaltungsspielraums des Normgebers kann nicht verlangt werden, dass der zweckmäßigste, vernünftigste, gerechteste oder wahrscheinlichste Maßstab angewendet wird. Vielmehr sind Durchbrechungen des Gleichheitssatzes durch Typisierungen und Pauschalierungen zulässig, solange die dadurch entstehende Ungleichbehandlung noch in einem angemessenen Verhältnis zu den erhebungstechnischen Vorteilen der Typisierung steht (s. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 11.84 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 53 S. 39, vom - 10 BN 2.05 - juris Rn. 8 und vom - 9 BN 2.07 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 105 Rn. 5, jeweils m.w.N.).

7Auf der anderen Seite ist allerdings auch geklärt, dass der Grundsatz der Typengerechtigkeit nur auf solche Sachbereiche Anwendung findet, in denen eine ausgeprägt an der Benutzungsintensität ausgerichtete Gebührengestaltung unproblematisch möglich ist und die Zahl der Ausnahmen, bei denen eine Differenzierung nach der Benutzungsintensität entfällt, ohne unangemessenen erhebungstechnischen Aufwand gering gehalten werden kann (BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 41.11 - juris Rn. 2 und vom - 9 BN 4.12 - juris Rn. 2). Um eine solche Gebührengestaltung geht es bei der Anwendung des Frischwassermaßstabes auf eine Niederschlagswassergebühr nicht, denn zwischen dem Wasserverbrauch und der Menge des in die Kanalisation eingeleiteten Niederschlagswassers besteht kein direkter Zusammenhang. Daher können die Gebühren für die Beseitigung des Niederschlagswassers im Wesentlichen nur dann wie die Schmutzwassergebühren nach dem Wasserverbrauch bemessen werden, wenn der Anteil der Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung an den gesamten Entwässerungskosten geringfügig ist, d.h. nicht mehr als 12 % beträgt (BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 11.84 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 53 S. 39 und vom - 9 BN 4.12 - juris Rn. 2). Ein Vorbehalt ist allenfalls für solche Fallgestaltungen gerechtfertigt, in denen die Umstellung auf einen flächenbezogenen Maßstab ohne unvertretbaren finanziellen Aufwand nicht möglich oder ein besonderer Ausgleich für Benachteiligungen, insbesondere durch eine Gebührendegression für Wassergroßverbraucher, vorgesehen ist (BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 19.08 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 107 Rn. 7 und vom - 9 BN 4.12 - juris Rn. 2).

8Einen darüber hinausgehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde - unbeschadet der vom Senat geteilten Zweifel, ob das Oberverwaltungsgericht die vorbezeichneten Rechtsgrundsätze zutreffend auf den Streitfall angewendet hat - nicht auf. Soweit zwischen den Beteiligten Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, ob die Anwendung eines uneingeschränkt flächenbezogenen Maßstabes für die Niederschlagswassergebühr unter den hier vorliegenden Umständen zu einem unvertretbaren Mehraufwand führen würde, fehlt es an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts. Rechtsfragen, die sich in einem Revisionsverfahren erst auf der Grundlage weiterer, von der Vorinstanz nicht festgestellter Tatsachen stellen würden, können die Zulassung der Revision regelmäßig - und auch hier - nicht rechtfertigen (stRspr, s. BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 287.99 - BVerwGE 111, 61 <62> und vom - 9 B 58.13 - juris Rn. 11). Das Oberverwaltungsgericht hat zwar angenommen, dass für das umstrittene Gebührenmodell im Hinblick auf die spezifische Siedlungsstruktur in Bremen "gewichtige Gründe der Verwaltungspraktikabilität" sprächen; eine Ermittlung der konkreten Entwässerungsverhältnisse für jedes einzelne auch der kleineren Grundstücke mit einer an die Kanalisation angeschlossenen Fläche von weniger als 1 000 m² hätte einen deutlich höheren Verwaltungsaufwand zur Folge. In diesem Zusammenhang hat sich das Oberverwaltungsgericht aber nicht mit möglichen Typisierungen bei der Ausgestaltung einer durchgehend flächenbezogenen Niederschlagswassergebühr auseinandergesetzt (vgl. etwa 23 B 97.1628 - juris Rn. 38 und Beschluss vom - 20 ZB 14.576 - ZfW 2015, 20 = juris Rn. 4 m.w.N. zum Maßstab eines "Gebietsabflussbeiwertes" im Sinne eines Mittelwertes für den statistisch zu erwartenden Anteil der bebauten und befestigten Flächen an der Gesamtgrundstücksfläche) und dazu keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Soweit auf der Grundlage solcher Feststellungen die Erhebung einer separaten Niederschlagswassergebühr keinen unvertretbaren Mehraufwand verursachen und daher bundesrechtlich geboten sein sollte, stehen die betreffenden Rechtsgrundsätze ersichtlich, ohne dass dies in einem Revisionsverfahren geklärt werden müsste, nicht in der Weise zur Disposition des Einzelnen, dass eine verfassungskonforme Gebührenerhebung je nach Grundstücksgröße von einer besonderen Antragstellung des jeweiligen Gebührenschuldners abhängig gemacht werden könnte (vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom - RN 3 K 08.01610 - juris Rn. 44 zum sog. "Freiburger Modell").

9Soweit die Klägerin als Eigentümerin eines Grundstücks mit mehr als 1 000 m² versiegelter Fläche sinngemäß die Teilnichtigkeit der angegriffenen Regelung im Hinblick auf eine unzureichende Trennung von Schmutzwassergebühr und Niederschlagswassergebühr für kleinere Grundstücke rügt, stehen wiederum diejenigen Grundsätze fest, nach denen die Teilnichtigkeit einer Norm zu deren Gesamtnichtigkeit führt. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung davon abhängig, ob - erstens - die Beschränkung der Nichtigkeit eine mit höherrangigem Recht vereinbare sinnvolle (Rest-) Regelung des Lebenssachverhalts belässt und ob - zweitens - ein entsprechender hypothetischer Wille des Normgebers angenommen werden kann (vgl. u.a. - BVerfGE 88, 203 <333> und vom - 1 BvL 21/12 - NJW 2015, 303 Rn. 97 ff.; s. zu kommunalabgabenrechtlichen Satzungen auch BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 40.08 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 56 Rn. 13 und vom - 9 B 56.11 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 42 Rn. 5, jeweils m.w.N.). Ob das Berufungsgericht aus den anerkannten Rechtsgrundsätzen die richtigen Folgerungen gezogen hat, ist auch in diesem Zusammenhang nicht von allgemeiner Bedeutung.

10Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2015:280715B9B17.15.0

Fundstelle(n):
EAAAF-01145