BSG Beschluss v. - B 1 KR 26/15 B

Instanzenzug: S 2 KR 811/13

Gründe:

I

1Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Erstattung von 1545,75 Euro - Kosten der Implantatversorgung im atrophierten Unterkiefer als einzige Möglichkeit zur Versorgung mit einer Unterkieferprothese - bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung unter Bezugnahme auf den Gerichtsbescheid des SG ua ausgeführt, die Voraussetzungen einer Ausnahmeindikation für die grundsätzlich ausgeschlossene Implantatversorgung (§ 28 Abs 2 S 9 SGB V) seien nicht erfüllt. So sei die betroffene zahnmedizinische Versorgung nicht in eine medizinische Gesamtbehandlung eingebettet (Urteil vom ).

2Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

3Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Die Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

41. Die Klägerin legt die für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).

5Die Klägerin formuliert folgende Fragen:

a) Ist § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V mit dem Demokratieprinzip vereinbar, soweit dadurch die Festlegung der Fälle, in denen implantologische Leistungen vom Anspruch auf Krankenbehandlung umfasst werden, der Regelung durch Richtlinien des G-BA überlassen wird?

b) Ist § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar, soweit er Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung zum Erlass von Richtlinien des G-BA lediglich dahingehend vorgibt, dass dadurch "Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle" festgelegt werden sollen, "in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt"?

c) Ist § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Widerspruchsfreiheit von Rechtsvorschriften vereinbar, obwohl einerseits zwar nach § 2 Satz 3, § 12 Abs 1 Satz 1, § 27 Abs 1 Satz 1, § 28 Abs 2 Satz 1 SGB V die zur Behandlung einer Krankheit medizinisch notwendigen und insoweit alternativlosen Leistungen zu gewähren sind, andererseits aber durch § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V auch in Fällen medizinischer Notwendigkeit und Alternativlosigkeit implantologische Leistungen grundsätzlich vom Leistungsanspruch ausgeschlossen werden?

d) Ist § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V in Verbindung mit Teil B Abschnitt VII Nr 2 der Behandlungsrichtlinie des G-BA im Hinblick auf die erforderliche Verhältnismäßigkeit zwischen Beitrag und Leistung in der gesetzlichen Krankenversicherung mit Art 2 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip vereinbar?

e) Ist § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V in Verbindung mit Teil B Abschnitt VII Nr 2 der Behandlungsrichtlinie des G-BA mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar?

f) Verstößt Teil B Abschnitt VII Nr 2 der Behandlungsrichtlinie des G-BA gegen die gesetzliche Ermächtigung in § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V?

6Die Klägerin legt die Entscheidungserheblichkeit der Fragen a), b) und d) bis f) nicht in der gebotenen Weise dar. Es ist nicht ersichtlich, wieso der erkennende Senat diese Fragen in einem Revisionsverfahren beantworten müsste, obwohl die betroffene zahnmedizinische Versorgung nach den maßgeblichen Feststellungen des LSG nicht in eine medizinische Gesamtbehandlung eingebettet und schon deshalb kraft Gesetzes aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist.

7Die Klägerin legt zudem auch die Klärungsbedürftigkeit der Fragen c), d) und e) nicht in der gebotenen Weise dar. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist (vgl zB - RdNr 7 mwN). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann dennoch klärungsbedürftig sein, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch - Juris RdNr 7; - Juris RdNr 6 mwN). Daran fehlt es.

8Die Klägerin setzt sich nicht damit auseinander, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG die KKn von Verfassungs wegen nicht gehalten sind, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (stRspr, vgl zB - NJW 1997, 3085; BVerfGE 115, 25, 46 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 28 f mwN - D-Ribose; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 46 - "Lorenzos Öl"; BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr 20, RdNr 36 mwN). Ebenso nimmt sie für die Klärungsbedürftigkeit nicht in den Blick, dass nach der Rechtsprechung des BSG hinreichende sachliche Gründe wie die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots genügen, um eine unterschiedliche Behandlung Betroffener zu rechtfertigen, wenn ein gesetzliches Regelungskonzept verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 27). Die Klägerin geht nicht darauf ein, dass nach dem gesetzlichen Regelungskonzept nicht die Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Gesamtkonzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel der Behandlung ihr Gepräge geben muss (vgl ausführlich BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 6 RdNr 9 ff mwN). Die Klägerin setzt sich auch nicht damit auseinander, dass eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts zwar nicht nur bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21 mwN - Tomudex), sondern auch bei wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankungen wie einer drohenden Erblindung in Betracht kommt (stRspr, vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 - D-Ribose; BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 13 mwN). Drohende Zahnlosigkeit erreicht aber selbst bei contergangeschädigten Menschen keinen vergleichbaren Schweregrad (BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 7 RdNr 16; vgl auch - Juris RdNr 21). Die Klägerin legt nicht dar, dass dieser Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden.

92. Die Klägerin bezeichnet den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) ebenfalls nicht in einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG entsprechenden Weise. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in dem herangezogenen höchstrichterlichen Urteil andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB - RdNr 4; - RdNr 4; - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). An der Darlegung eines vom LSG bewusst abweichend von höchstrichterlicher Rechtsprechung aufgestellten Rechtssatzes fehlt es indes. Die Klägerin behauptet nur, dass die Entscheidung des LSG einen vermeintlich unzutreffenden Prüfungsmaßstab zugrunde lege, ohne zu verdeutlichen, dass das LSG bewusst einen abstrakten Rechtssatz abweichend von der Rechtsprechung des BVerfG aufgestellt haben soll. Sie legt damit keinen Fall der Divergenz dar, sondern kritisiert nur die Entscheidung des LSG als unzutreffend.

103. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Daran fehlt es.

11Die Klägerin rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention). Die Klägerin macht geltend, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei dadurch verletzt, dass das LSG zwar erwähnt, aber sich in den Entscheidungsgründen nicht hinreichend damit auseinandergesetzt habe, dass § 28 Abs 2 S 9 SGB V in Verbindung mit Teil B Abschnitt VII Nr 2 der Behandlungsrichtlinie des G-BA nach Auffassung der Klägerin das Sozialstaatsprinzip verletze.

12Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das entscheidende Gericht indes lediglich dazu, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl BVerfGE 21, 191, 194; BVerfGE 96, 205, 216; stRspr). Grundsätzlich ist das Gericht nicht gehalten, jedes Vorbringen in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (vgl BVerfGE 25, 137, 140; BVerfGE 134, 106, 117, RdNr 32; stRspr). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von entscheidender Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl BVerfGE 47, 182, 187 ff; BVerfGE 86, 133, 146; stRspr). Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt allerdings keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (vgl BVerfGE 21, 191, 194; BVerfGE 96, 205, 216; stRspr; vgl zum Ganzen - Juris RdNr 15 mwN). Entsprechendes gilt erst recht für die Würdigung von Rechtsansichten. Die Klägerin legt nach diesem Maßstab nicht schlüssig dar, wieso sich das LSG nicht auf die Begründung beschränken durfte, dass die betroffene zahnmedizinische Versorgung nicht in eine medizinische Gesamtbehandlung eingebettet war, wie es § 28 Abs 2 S 9 SGB V - nach der vom LSG zitierten Rechtsprechung des BSG verfassungskonform - voraussetzt.

134. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

145. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Fundstelle(n):
GAAAE-93640