BGH Beschluss v. - XII ZB 368/14

Familiensache: Zulässigkeit der Beschwerde bei fehlerhafter Bezeichnung des Verkündungstermins der angefochtenen Entscheidung

Leitsatz

Eine Beschwerde ist formgerecht eingelegt, wenn trotz fehlerhafter Bezeichnung des Verkündungstermins für das Beschwerdegericht und den Beschwerdegegner zweifelsfrei erkennbar ist, welcher Beschluss angefochten wird (im Anschluss an Senatsbeschluss vom , XII ZB 325/12, FamRZ 2013, 371).

Gesetze: § 64 Abs 2 S 3 FamFG

Instanzenzug: OLG Bamberg Az: 2 UF 343/13vorgehend AG Aschaffenburg Az: 5 F 603/12

Gründe

I.

1Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit der Beschwerde gegen eine im Scheidungsverbund ergangene Entscheidung zum Zugewinnausgleich.

2Das Amtsgericht hat im schriftlichen Verfahren mit einem am verkündeten Beschluss die Ehe der Beteiligten geschieden, den Versorgungsausgleich geregelt und den Antragsgegner zur Zahlung von Zugewinnausgleich verpflichtet. Die am von der Geschäftsstelle des Amtsgerichts veranlasste Zustellung der Entscheidung an den Antragsgegner ist erst am erfolgt.

3Nachdem am das Empfangsbekenntnis der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners noch nicht zurückgesendet war, hat ein Mitarbeiter der Geschäftsstelle des Amtsgerichts erneut die Zustellung von zwei Ausfertigungen der amtsgerichtlichen Entscheidung veranlasst, weil er Zweifel daran hatte, ob die bereits vorgenommene Zustellung des Beschlusses erfolgreich war. Hierfür hat er einen auf den datierten Beschlussentwurf, der in der Datenverarbeitungsanlage des Amtsgerichts gespeichert war, ausgedruckt und als Ausfertigung an die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners zum Zwecke der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis übersandt. Das Empfangsbekenntnis hat die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners ebenfalls am unterzeichnet.

4Mit einem beim Amtsgericht am eingegangenen Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten, in dem als anzufechtende Entscheidung die "Entscheidung vom " genannt ist, hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt. Der Beschwerdeschrift war die auf den datierte Beschlussausfertigung beigefügt. Nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum hat der Antragsgegner mit einem am beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz die Beschwerde begründet. Nachdem das Oberlandesgericht den Antragsgegner mit Verfügung vom auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der Beschwerde hingewiesen hatte, hat dieser am erneut Beschwerde eingelegt, die er mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbunden hat, in der nunmehr als angefochtene Entscheidung der Beschluss vom , "zugestellt am " genannt wird. Dieser Beschwerdeschrift hat der Antragsgegner eine Ausfertigung des am ergangenen Beschlusses in Kopie beigefügt. Am gleichen Tag ist beim Beschwerdegericht die Beschwerdebegründung und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Beschwerdebegründung eingegangen.

5Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht festgestellt, dass eine Scheidungsverbundentscheidung am nicht ergangen ist, eine Entscheidung gleichen Datums nicht existiert und die weitere Zustellung vom an den Antragsgegner einen Entscheidungsentwurf zum Gegenstand hatte.

6Nach entsprechendem Hinweis, dass eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht komme, hat das Beschwerdegericht die Beschwerden des Antragsgegners gegen die Beschlüsse vom und verworfen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Rechtsbeschwerde.

II.

7Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

81. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsgegner in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip), welcher es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom - XII ZB 167/11 - FamRZ 2013, 1117 Rn. 4 mwN).

92. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

10a) Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung folgendes ausgeführt:

11Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschlussentwurf vom sei als unzulässig zu verwerfen. Zwar sei ein durch die Geschäftsstelle ausgefertigter und zugestellter Beschlussentwurf, durch den der äußere Anschein einer gerichtlichen Entscheidung bewirkt werde, grundsätzlich rechtsmittelfähig. Durch den sei der durch die Zustellung zweier Ausfertigungen an den Antragsgegner hervorgerufene Rechtsschein der Existenz einer auf den datierten Scheidungsverbundentscheidung jedoch endgültig beseitigt und daher die bis zu diesem Zeitpunkt zu bejahende Rechtsmittelfähigkeit entfallen. Eine Erledigung des Rechtsmittels sei nicht erklärt worden.

12Die Beschwerde gegen den Beschluss vom sei unzulässig, da die Beschwerdefrist nicht gewahrt sei und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einlegungsfrist nicht vorlägen.

13Durch die am beim Amtsgericht eingelegte Beschwerde sei die Beschwerdefrist hinsichtlich des Beschlusses vom nicht gewahrt, weil diese sich gegen den "Scheinbeschluss" vom gerichtet habe. Eine Auslegung oder Umdeutung dieser Beschwerde in eine Beschwerde gegen den Beschluss vom sei nicht möglich, da die Beschwerdeschrift ausdrücklich den "Scheinbeschluss" vom als angefochtene Entscheidung i.S. von § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG bezeichnet habe und dem Schriftsatz die entsprechende Beschlussausfertigung beigefügt gewesen sei. Die in der Beschwerdeschrift verwendeten Identitätskriterien der angefochtenen Entscheidung seien derart zwingend, dass der Schriftsatz einer Auslegung nicht zugänglich sei.

14Auch die Identität des Entscheidungsausspruchs und der Entscheidungsgründe führe zu keinem anderen Ergebnis. Werde der Rechtsschein gesetzt, dass (zeitversetzt) zwei identische Entscheidungen im selben Verfahren ergangen seien, rechtfertige dies nicht, ein Rechtsmittel, das gegen die Schein-Entscheidung eingelegt worden sei, grundsätzlich auch als Rechtsmittel gegen die andere Entscheidung zu werten. Werde nämlich - wie hier - der Rechtsschein gesetzt, die Ehe der Beteiligten sei durch mehrere Verbundbeschlüsse geschieden, der Versorgungsausgleich mehrfach geregelt und ein Beteiligter mehrfach zur Zahlung von Zugewinnausgleich verpflichtet worden, sei es ein nachvollziehbares Ziel und Bedürfnis eines Rechtsmittelführers, diesen Anschein durch Anfechtung einer der beiden Entscheidungen, nämlich der Schein-Entscheidung zu beseitigen, um den Schein einer mehrfachen Titulierung und Rechtsgestaltung zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu verhindern und Rechtsklarheit herzustellen. Wolle hingegen in einer derartigen Fallkonstellation der Rechtsmittelführer nicht nur den Rechtsschein beseitigen, sondern auch den inhaltsidentischen Entscheidungsausspruch angreifen, dann müsse er beide ihm bekannt gegebenen Entscheidungen in der Beschwerdeschrift bezeichnen und dies unmissverständlich zum Ausdruck bringen. Dieses ihm zumutbare Postulat folge bereits aus § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG bzw. aus § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

15Dem Beschwerdeführer sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen.

16b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts hat der Antragsgegner bereits mit dem am beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom form- und fristgerecht Beschwerde gegen den eingelegt.

17aa) Nach § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG muss die Beschwerdeschrift die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Wie bei der für das zivilprozessuale Berufungsverfahren maßgeblichen Regelung in § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, an die § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG angelehnt ist (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 64 Rn. 24), ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift allerdings nicht, auf welche Weise die angefochtene Entscheidung bezeichnet werden muss. Da § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG dem Zweck dient, dem Beschwerdegericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten Klarheit über den Gegenstand und die Beteiligten des Rechtsmittelverfahrens zu verschaffen (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 371, 375 = FamRZ 2006, 543 zu § 519 Abs. 3 ZPO; vgl. auch Schulte-Bunert/Weinreich/Unger FamFG 4. Aufl. § 64 Rn. 14), ist in der Beschwerdeschrift die angegriffene Entscheidung in der Regel durch eine vollständige Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten, des Gerichts, das den angefochtenen Beschluss erlassen hat, des Verkündungsdatums und des Aktenzeichens zu bezeichnen (Prütting/Helms/Abramenko FamFG 3. Aufl. § 64 Rn. 15; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 34. Aufl. § 64 FamFG Rn. 15; vgl. auch - FamRZ 2007, 553 mwN zu § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

18Dabei ist jedoch zu beachten, dass verfahrensrechtliche Formvorschriften kein Selbstzweck sind (Senatsbeschluss BGHZ 165, 371, 375 = FamRZ 2006, 543). Daher dürfen keine übermäßigen Anforderungen an die Beachtung der Förmlichkeiten der Beschwerdeschrift gestellt werden (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 64 Rn. 25). Ausreichend ist, wenn aufgrund der Angaben in der Beschwerdeschrift und den sonstigen aus den Verfahrensakten erkennbaren Umständen vor Ablauf der Beschwerdefrist für das Gericht nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird, und es anhand der im übrigen richtigen und vollständigen Angaben in der Rechtsmittelschrift nicht daran gehindert ist, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 165, 371, 373 = FamRZ 2006, 543 mwN und vom - XII ZB 325/12 - FamRZ 2013, 371 Rn. 15; - FamRZ 2007, 553, 554; Zöller/Feskorn ZPO 30. Aufl. § 64 FamFG Rn. 7; Prütting/Helms/Abramenko FamFG 3. Aufl. § 64 Rn. 15; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 35. Aufl. § 64 FamFG Rn. 7; MünchKommFamFG/Ansgar Fischer 2. Aufl. § 64 Rn. 7).

19bb) Gemessen hieran hat der Antragsgegner durch die am beim Amtsgericht eingegangene Rechtsmittelschrift rechtzeitig Beschwerde gegen den am zugestellten eingelegt. Zwar ist in diesem Schriftsatz als Verkündungstermin der Entscheidung, gegen die sich das Rechtsmittel richtet, der angegeben und eine Kopie der fehlerhaft von der Geschäftsstelle des Amtsgerichts übermittelten und auf diesen Tag datierten Beschlussausfertigung beigefügt. Aus den weiteren in diesem Schriftsatz zum Aktenzeichen und zu den Verfahrensbeteiligten enthaltenen Angaben war für das Beschwerdegericht jedoch erkennbar, dass sich der Antragsgegner gegen die in diesem Verfahren ergangene Verbundentscheidung wenden will. Aus dem Inhalt der Verfahrensakten, die dem Beschwerdegericht ab dem und damit noch vor Ablauf der Beschwerdefrist vorlagen, war ersichtlich, dass die vom Antragsgegner beigefügte Beschlusskopie bis auf das Verkündungsdatum vollständig inhaltsgleich mit der am verkündeten Entscheidung des Amtsgerichts war und in diesem Verfahren am keine weitere Entscheidung ergangen ist. Trotz der unzutreffenden Angabe des Verkündungstermins in der Beschwerdeschrift konnte daher bei Ablauf der Beschwerdefrist nicht zweifelhaft sein, dass sich der Antragsgegner mit seinem Rechtsmittel gegen die am verkündete Verbundentscheidung wenden wollte.

20Das Beschwerdegericht war auch trotz der fehlerhaften Angabe zum Verkündungstermin in der Beschwerdeschrift seit Beginn seiner Befassung mit der Sache nicht gehindert, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 371, 374 = FamRZ 2006, 543). Denn es hat das eingelegte Rechtsmittel von Beginn an als Beschwerde gegen den Beschluss vom verstanden und entsprechend behandelt, wie sich aus der Eingangsverfügung des Senatsvorsitzenden des Beschwerdegerichts vom ergibt.

21Auch die Antragstellerin ist von Beginn an davon ausgegangen, dass sich das Rechtsmittel des Antragsgegners gegen den am verkündeten Beschluss des Amtsgerichts richtet. Sie geht in ihrer Beschwerdeerwiderung vom nämlich erkennbar von einer Beschwerde gegen diesen Beschluss aus. Sie rügt in diesem Schriftsatz nur, dass die Beschwerde verfristet sei, weil der Beschluss vom dem Antragsgegner spätestens am zugestellt worden sein müsse.

22Im Übrigen müssen etwaige Zweifel des Verfahrensgegners daran, gegen welche gerichtliche Entscheidung sich ein Rechtsmittel richtet, nicht schon bis zum Ablauf der Beschwerdefrist behoben sein; es genügt, wenn die Klarstellung ihm gegenüber erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, sofern dadurch seine Rechtsverteidigung nicht beeinträchtigt wird (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 371, 373 = FamRZ 2006, 543).

23cc) Soweit das Beschwerdegericht eine solche Auslegung der Beschwerdeschrift für nicht möglich gehalten hat, ist der Senat hieran nicht gebunden. Die Auslegung von Verfahrenshandlungen unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs freier rechtlicher Nachprüfung. Sie orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht (vgl. - FamRZ 2004, 697, 698 mwN).

24Die Auslegung der am fristgerecht beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerdeschrift ergibt nach alldem, dass der Antragsgegner bereits hierdurch Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom eingelegt hat. Auf die weiteren Erwägungen des Beschwerdegerichts zu der verspäteten Einlegung eines Rechtsmittels mit Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners vom und den Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist kommt es daher nicht mehr an.

Dose                                Schilling                                Günter

              Nedden-Boeger                              Botur

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2015 S. 8 Nr. 35
OAAAE-93205