BGH Beschluss v. - VII ZB 19/14

Wiedereinsetzung bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Verlust des Schriftsatzes auf dem Postweg; Fehler bei der Einholung einer Eingangsbestätigung beim Berufungsgericht

Leitsatz

1. Eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle bei rechtzeitiger postalischer Versendung fristgebundener Schriftsätze setzt nicht generell die Einholung einer Eingangsbestätigung vor Streichung der Frist voraus.

2. Ordnet ein Rechtsanwalt die Einholung einer Eingangsbestätigung an, obwohl er hierzu nicht verpflichtet gewesen wäre, können Fehler, die ihm hierbei unterlaufen, die Versagung der Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen.

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 S 1 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Instanzenzug: Az: 57 S 230/13vorgehend Az: 234 C 223/12

Gründe

I.

1Der Kläger hat gegen die Beklagte Klage auf Zahlung von Vergütung für Vermessungsarbeiten in Höhe von 4.033,98 € erhoben und S. J. den Streit verkündet, der dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beigetreten ist. Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom abgewiesen. Eine Ausfertigung des Urteils ist dem Kläger am zugestellt worden. Gegen das Urteil hat der Nebenintervenient des Klägers für diesen Berufung eingelegt. Auf Antrag hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bis zum verlängert. Nach Erteilung eines am zugestellten gerichtlichen Hinweises, dass mangels Eingangs einer Berufungsbegründung die Verwerfung der Berufung als unzulässig beabsichtigt sei, hat der Nebenintervenient des Klägers am die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.

2Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er im Wesentlichen Folgendes ausgeführt und hierzu eine anwaltliche Versicherung seiner Prozessbevollmächtigten sowie eine eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten F. vorgelegt: Seine Prozessbevollmächtigte habe am nach Vorlage der Akte anlässlich der eingegangenen Fristverlängerung die Berufungsbegründung diktiert und nach Fertigung am nächsten Tag unterzeichnet. Angesichts des verbleibenden Zeitraums bis zum Fristablauf am habe sie mit ihrer Mitarbeiterin F. besprochen, dass es ausreiche, die Berufungsbegründung per Post zu verschicken. Dementsprechend habe F. die am unterzeichnete Berufungsbegründung noch am gleichen Tag in einen Umschlag gesteckt, frankiert und in den Postausgang gelegt. Am Abend habe sie die im Postausgang liegende Post in den Briefkasten geworfen. Da die Berufungsbegründung nicht vorab auch per Fax habe verschickt werden sollen, habe die Prozessbevollmächtigte ihre Mitarbeiterin F. weiter angewiesen, den Posteingang zum Fristablauf vorsichtshalber bei dem Berufungsgericht zu verifizieren. Die Frist sei deshalb am im Kalender noch nicht gestrichen worden. Am Tag des Fristablaufs habe F. dann entsprechend der Anweisung den Posteingang verifizieren wollen. Dabei habe sie versehentlich die falsche Akte gezogen, da es zwei Akten mit der hiesigen Parteibezeichnung gebe, in denen ein Berufungsverfahren des Nebenintervenienten anhängig sei. Da F. in der für jenes Verfahren zuständigen Geschäftsstelle des Kammergerichts niemanden telefonisch erreicht habe, sei der Berufungsschriftsatz [gemeint wohl: Berufungsbegründungsschriftsatz] in jener Akte nochmals ausgedruckt, unterzeichnet und zum Kammergericht gefaxt worden. Nach Vorlage des Faxprotokolls sei die Frist im hiesigen Verfahren mit Einverständnis der Prozessbevollmächtigten gestrichen worden. Der Nebenintervenient ist der Auffassung, ihn treffe bereits deshalb kein gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden, weil seine Prozessbevollmächtigte auf die Zuverlässigkeit der Postzustellung habe vertrauen dürfen. Etwaige Fehler bei der Überprüfung des Eingangs der Berufungsbegründung könnten ihm nicht angelastet werden, weil es sich um eine überobligatorische Maßnahme gehandelt habe. Im Übrigen habe seine Prozessbevollmächtigte auch darauf vertrauen dürfen, dass ihre langjährige und zuverlässige Mitarbeiterin F. die Akten nicht verwechsele.

3Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Nebenintervenienten des Klägers zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen.

4Dagegen wendet sich der Nebenintervenient mit der Rechtsbeschwerde.

II.

5Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

61. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat dem Nebenintervenienten zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verwehrt. Die auf der unzutreffenden Annahme der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhende Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Nebenintervenienten in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG, NJW 1989, 1147; NJW-RR 2002, 1004).

72. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

8a) Der Nebenintervenient des Klägers hat zwar die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Ihm war jedoch antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist für die Berufungsbegründung gehindert war (§ 233 ZPO).

9Das Berufungsgericht hat ein dem Nebenintervenienten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten bejaht, weil diese sich nicht darauf habe verlassen dürfen, dass ihre Mitarbeiterin F. die Berufungsbegründung noch am auf den Postweg bringen werde. Sie habe vielmehr eine Ausgangskontrolle schaffen müssen, die gewährleiste, dass eine Frist erst nach Durchführung der fristwahrenden Maßnahme gestrichen werde, wobei entweder eine Eingangsbestätigung eingeholt oder ein Fax-Sendebericht ausgedruckt werden müsse. Außerdem müsse durch geeignete organisatorische Maßnahmen eine Verwechslung der Verfahren ausgeschlossen werden.

10Mit diesen Erwägungen kann dem Nebenintervenienten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht versagt werden.

11Ist - wie hier - ein fristgebundener Schriftsatz verloren gegangen, ist eine Glaubhaftmachung, wo und auf welche Weise es zum Verlust des Schriftstückes gekommen ist, nicht erforderlich; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist vielmehr bereits dann zu gewähren, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Verlust mit großer Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist (, BGHZ 23, 291, 293; Beschluss vom - VI ZB 40/91, VersR 1992, 899). Das ist hier zu bejahen.

12Der Nebenintervenient hat glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründung bereits am von seiner Prozessbevollmächtigten unterzeichnet wurde und angesichts des bis zum Fristablauf am verbleibenden Zeitraums per Post verschickt werden sollte. Er hat durch eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten F. weiter glaubhaft gemacht, dass diese noch am gleichen Tag entsprechend der Anweisung der Prozessbevollmächtigten die Berufungsbegründung in einen Umschlag gesteckt, frankiert und in den Postausgang gelegt sowie abends die in dem Postausgangsfach gesammelte Post in den Briefkasten geworfen hat. Die unterbliebene Streichung der Frist am trotz Erledigung beruhte danach auf der weiteren Anweisung der Prozessbevollmächtigten, zum Fristablauf vorsorglich den Eingang der nur per Post versandten Berufungsbegründung bei dem Berufungsgericht zu verifizieren. Der Senat hat keine Bedenken gegen die Glaubhaftmachung dieser Vorgänge.

13Da die Berufungsbegründung danach entsprechend der Anweisung der Prozessbevollmächtigten des Nebenintervenienten am auf den Postweg gebracht worden ist, kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht darauf an, ob diese sich auf die Befolgung ihrer Anweisung, die Berufungsbegründung per Post zu versenden, verlassen durfte oder weitergehende Sicherheitsvorkehrungen hätte treffen müssen. Etwaige Mängel bei der Ausgangskontrolle sind insoweit jedenfalls nicht kausal geworden.

14Soweit die Prozessbevollmächtigte des Nebenintervenienten aufgrund der nur postalischen Versendung der Berufungsbegründung tatsächlich eine weitergehende Sicherheitsvorkehrung veranlasst und die Rechtsanwaltsfachangestellte F. mit der Verifizierung des Eingangs der Berufungsbegründung zum Fristablauf beauftragt hat, stehen die hierbei erfolgten Fehler aufgrund der Verwechslung der Akten, ungeachtet der Frage, ob sie auf einer unzureichenden Büroorganisation beruhen, einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegen. Da glaubhaft gemacht worden ist, dass die Berufungsbegründung rechtzeitig auf den Postweg gebracht wurde, war die Prozessbevollmächtigte des Nebenintervenienten nicht verpflichtet, sich darüber zu vergewissern, ob sie innerhalb der Frist beim Berufungsgericht eingegangen war ( IVa ZB 7/89, NJW 1990, 188, 189; Beschluss vom - XII ZB 34/92, NJW-RR 1992, 1020, 1021). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setzt eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle bei postalischer Versendung fristgebundener Schriftsätze auch nicht generell die Einholung einer Eingangsbestätigung vor Streichung der Frist voraus. Vielmehr darf sich der Absender grundsätzlich auf die Zuverlässigkeit der Postdienste verlassen und muss nicht den Eingang bei Gericht überwachen (, NJW 2008, 587 Rn. 7; BVerfG, NJW 1979, 641; NJW 1992, 38). Die Anweisung der Prozessbevollmächtigten des Nebenintervenienten an ihre Mitarbeiterin F., den Eingang der Berufungsbegründung zum Fristablauf zu verifizieren, war mithin überobligatorisch. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die in diesem Zusammenhang erfolgten Fehler und damit die Fristversäumnis durch andere organisatorische Maßnahmen noch hätten vermieden werden können ( IVa ZB 7/89, NJW 1990, 188, 189; Beschluss vom - XII ZB 34/92, NJW-RR 1992, 1020, 1021). Denn selbst wenn dies der Fall wäre, könnte der Prozessbevollmächtigten des Nebenintervenienten ein Versehen nicht angelastet werden. Es gibt nämlich keinen Grund, sie schlechter zu stellen, als wenn sie sich - erlaubtermaßen, weil die Berufungsbegründung rechtzeitig auf den Postweg gebracht wurde - um den rechtzeitigen Eingang überhaupt nicht mehr gekümmert hätte.

15b) Der Nebenintervenient des Klägers hat auch rechtzeitig um Wiedereinsetzung nachgesucht. Die Frist des § 234 ZPO begann erst in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem seine Prozessbevollmächtigte aufgrund des ihr am zugegangenen Hinweises des Berufungsgerichts erfahren hat, dass die Berufungsbegründung nicht bei dem Berufungsgericht eingegangen war. Die Frist war danach bei Eingang des Wiedereinsetzungsgesuchs nebst Berufungsbegründung am noch nicht abgelaufen.

Eick                       Kartzke                       Graßnack

             Sacher                       Wimmer

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2015 S. 2266 Nr. 31
NJW 2015 S. 8 Nr. 26
AAAAE-92375