BAG Urteil v. - 5 AZR 518/13

Kleine dynamische Bezugnahmeklausel - Umfang der Dynamik - Stufenaufstieg

Gesetze: § 16 Abs 3 TVöD, § 37 TVöD, § 77 Abs 3 S 1 BetrVG, § 305c Abs 2 BGB

Instanzenzug: Az: 3 Ca 1571/10 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 2 Sa 1048/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Tarifentgelterhöhungen, tarifliche Einmalzahlungen sowie Stufenaufstiege zum und .

2Der 1977 geborene Kläger (Geburtsname S) ist seit dem bei der Beklagten, die nicht tarifgebunden und deren Mehrheitsgesellschafterin die Stadt M ist, als Hausmeister und Hallentechniker beschäftigt. Die Beklagte betreibt die Halle M und führt im Interesse der Stadt M und der Gemeinden des M Veranstaltungen aller Art - darunter auch Feste, Märkte, Ausstellungen und Messen - im eigenen und fremden Namen durch.

3Arbeitsvertraglich war zunächst eine „Vergütung nach Lohngruppe IV“ vereinbart und festgehalten, der Stundenlohn betrage „z.Z. 12,07 € - brutto -“. Am schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag, der ua. regelt:

4In einer Betriebsvereinbarung vom (im Folgenden BV) heißt es auszugsweise:

5Bis September 2005 vollzog die Beklagte die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst nach. Im Oktober 2005 erhielten die Beschäftigten Schreiben der Beklagten zur Überleitung in den TVöD. Dem Kläger wurde mitgeteilt, er werde zum in Anlehnung an den TVöD in die Entgeltgruppe 6/Stufe 2 TVöD eingruppiert und einer einem von der Beklagten gebildeten Vergleichsentgelt entsprechenden individuellen Zwischenstufe (2.015,69 Euro) zugeordnet. Der Kläger erhielt im Streitzeitraum einen Bruttostundenlohn von 12,07 Euro. Außerdem gewährte ihm die Beklagte eine jährliche Sonderzahlung in Höhe von 90 % des durchschnittlichen Entgelts der Monate Juli bis September. Die nach der Tarifsukzession erfolgenden Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst der Kommunen gab die Beklagte nicht weiter. Ebenso wenig vollzog sie einen Stufenaufstieg.

6In einem Schreiben vom teilte die Geschäftsführerin der Beklagten den Beschäftigten mit:

7Daraufhin wandte sich der Betriebsrat mit Schreiben vom an die Belegschaft wie folgt:

8Mit der am eingereichten Klage hat der Kläger die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst der Kommunen in den Jahren 2008 bis 2010, die in den Jahren 2007 und 2009 zu leistenden tariflichen Einmalzahlungen, Stufenaufstiege zum und sowie entsprechend höhere Jahressonderzahlungen verlangt. Er hat geltend gemacht, § 3 Arbeitsvertrag enthalte eine dynamische Inbezugnahme der Tarifentgelte, die auch die Stufenaufstiege innerhalb der Entgeltgruppe umfasse. Ausschlussfristen habe er nicht einhalten müssen. Die BV sei nach § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam. Es sei zudem rechtsmissbräuchlich, wenn sich die Beklagte auf eine Ausschlussfrist in einer von ihr selbst für unwirksam gehaltenen Betriebsvereinbarung berufe.

9Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

10Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die vertragliche Vergütungsabrede enthalte keine dynamische Inbezugnahme des TVöD. Zumindest sei ein entsprechendes Entgelt anteilig der Verlängerung der Wochenarbeitszeit im öffentlichen Dienst Nordrhein-Westfalens von 38,5 auf 39 Stunden ab Juli 2008 zu kürzen. Zudem seien mögliche Ansprüche des Klägers nach § 63 BMT-G bzw. § 37 TVöD wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung verfallen. Die entsprechende Regelung der BV gölte trotz deren Unwirksamkeit individualrechtlich fort.

11Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Gründe

12Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Vergütung des Klägers richtet sich zwar dynamisch nach der Entgeltgruppe 6 TVöD, auch sind die geltend gemachten Ansprüche nicht verfallen. Der Kläger muss aber die Differenzvergütung neu berechnen.

13I. Die Parteien haben im Arbeitsvertrag vom eine dynamische Vergütung nach der Entgeltgruppe 6 TVöD vereinbart. Das ergibt die Auslegung des § 3 Satz 1 Arbeitsvertrag.

141. Die Vergütungsabrede ist wie eine Allgemeine Geschäftsbedingung anhand von § 305c Abs. 2, §§ 306, 307 bis 309 BGB zu beurteilen. Die Beklagte hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den Arbeitsvertrag vorformuliert, dem Kläger unstreitig in dieser Form angeboten und damit im Rechtssinne gestellt. Ob es sich dabei um für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung handelte (§ 305 Abs. 1 BGB), bedarf keiner weiteren Aufklärung, denn der Arbeitsvertrag ist ein Verbrauchervertrag iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB (vgl.  - Rn. 20 ff.; - 5 AZR 530/11 - Rn. 14). Auf die vorformulierte Vergütungsregelung konnte der Kläger keinen Einfluss nehmen.

15Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Dabei unterliegt die Auslegung der uneingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht (st. Rspr., vgl. zB  - Rn. 15 mwN).

162. Danach beschränkt sich die Vergütungsabrede nicht auf die Vereinbarung eines festen und statischen Euro-Betrags, sondern enthält zumindest eine Dynamik entsprechend den Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen (TVöD). Das entspricht der Annahme, dass die pauschale Bezugnahme im Arbeitsvertrag auf tarifliche Vergütungsbestimmungen ohne Angabe einer konkret nach Datum festgelegten Fassung des in Bezug genommenen Tarifvertrags regelmäßig dynamisch zu verstehen ist, es sei denn, eindeutige Hinweise sprechen für eine statische Bezugnahme (st. Rspr., vgl. etwa  - Rn. 23 mwN) und wird zudem unterstrichen durch § 3 Satz 2 Arbeitsvertrag. Wenn dort festgehalten ist, der umgerechnete Stundenlohn betrage „z.Z.“ 12,07 Euro. Der durchschnittliche Arbeitnehmer darf die Formulierung „zurzeit“ so verstehen, dass der als Stundenlohn festgehaltene Euro-Betrag nicht für die Dauer des Arbeitsverhältnisses statisch sein, sondern sich entsprechend der in Bezug genommenen Entgeltgruppe entwickeln soll. Ein Arbeitgeber würde - wenn er die von ihm gestellte Klausel nicht so verstanden wissen wollte - den Zusatz „zurzeit“ unterlassen, um klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen (vgl. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB), dass sich das vereinbarte Gehalt nur durch Parteivereinbarung erhöhen wird.

173. Mit der Vergütungsabrede der Parteien wird auch die „Dynamik“ innerhalb der Entgeltgruppe 6 TVöD, die nach verschiedenen Stufen aufgebaut ist, die nach einer bestimmten Stufenlaufzeit erreicht werden, nachvollzogen.

18Dagegen spricht zwar, dass in der Vergütungsabrede neben der Entgeltgruppe 6 des TVöD auch deren Stufe 2 ausdrücklich genannt wird und sich damit die Dynamik auf diese Stufe der Entgeltgruppe beschränken könnte.

19Für die Vereinbarung einer Dynamik auch innerhalb der vereinbarten Entgeltgruppe spricht aber, dass die Beklagte - zumal vor dem Hintergrund ihres Überleitungsschreibens vom - mit der Klauselformulierung insgesamt den Eindruck erweckt hat, „nach Tarif“ zahlen zu wollen (vgl.  - Rn. 22) und die „Eingruppierung“ in Stufe 2 der Entgeltgruppe 6 nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TVöD zutreffend gewesen sein kann, weil der Kläger über eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr verfügte. Zudem kann der Hinweis, der umgerechnete Stundenlohn betrage „zurzeit“ 12,07 Euro, nicht nur auf künftige Tariferhöhungen allgemein, sondern ebenso auf die zeitliche Dynamik innerhalb der vereinbarten Entgeltgruppe bezogen werden.

20Beide Auslegungsmöglichkeiten sind rechtlich vertretbar, keine verdient den eindeutigen Vorzug. Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB führt deshalb zu einer Auslegung zu Lasten der Beklagten (vgl.  - Rn. 23 mwN).

214. Weil die Vergütungsabrede auch die Stufenaufstiege innerhalb der Entgeltgruppe 6 TVöD erfasst, hat der Kläger nach den entsprechenden Stufenlaufzeiten die jeweils nächste Stufe erreicht. Das sind aber nicht die von ihm geltend gemachten, der Berechnung seiner Forderungen zugrunde gelegten Zeitpunkte und .

22Die Stufenlaufzeit in Stufe 2 beträgt zwei Jahre, § 16 Abs. 3 TVöD. Diese waren - bei Abstellen auf das Inkrafttreten der Vergütungsabrede im Arbeitsvertrag vom -, am noch nicht verstrichen. Rechnet man die Zeit ab der „Überleitung“ hinzu, hat der Kläger erst am die Stufe 3 der Entgeltgruppe 6 TVöD erreicht. Der Monat September 2005, in dem der TVöD noch gar nicht galt (§ 39 Abs. 1 TVöD), kann nicht berücksichtigt werden, weil jede Stufenlaufzeit in vollem Umfang nach dem zurückgelegt werden muss ( - Rn. 14 mwN). Dementsprechend erreichte der Kläger bei einer Stufenlaufzeit von drei Jahren (§ 16 Abs. 3 TVöD) die Stufe 4 der Entgeltgruppe 6 TVöD nicht schon zum 1. September, sondern erst zum . Zwar hängt neben dem bloßen Zeitablauf die Stufenlaufzeit von Stufe 3 an auch von der Leistung der Beschäftigten gemäß § 17 Abs. 2 TVöD ab. Dass die Zeit für das Erreichen der Stufen 4 bis 6 wegen erheblich unter dem Durchschnitt liegender Leistungen verlängert worden wäre (§ 17 Abs. 2 Satz 2 TVöD), hat aber die Beklagte nicht geltend gemacht.

235. Die zeitdynamische Verweisung umfasst auch tarifliche „Einmalzahlungen“, die an die Stelle einer prozentualen Erhöhung der Vergütung treten ( - Rn. 26 mwN). Um solche handelt es sich bei den tariflichen Einmalzahlungen 2007 (§ 21 Abs. 1 TVÜ-VKA aF) und 2009 (§ 2 TV über die einmalige Sonderzahlung 2009 vom ). Sie sind pauschalierte Vergütungserhöhungen und keine von einem unmittelbaren Gegenleistungsbezug unabhängige Sonderzahlungen.

24II. Die Vergütung des Klägers im Streitzeitraum ist nicht wegen der zum erfolgten Verlängerung der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst der Kommunen von 38,5 auf 39 Wochenstunden zu reduzieren. Denn die durch die Tarifsukzession im öffentlichen Dienst entstandene nachträgliche Regelungslücke ist zu diesem Zeitpunkt zu schließen. Das danach ermittelte Entgelt mindert sich allein wegen der späteren Verlängerung der Regelarbeitszeit im öffentlichen Dienst nicht. Das hat der Senat in dem Parallelverfahren - 5 AZR 481/13 - entschieden. Auf die Begründung dieses Urteils (Rn. 24 ff.) wird verwiesen.

25III. Die streitgegenständlichen Forderungen sind nicht verfallen. Der Kläger musste weder die Ausschlussfrist des § 37 TVöD noch die des § 63 BMT-G beachten. Auch insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils in dem Parallelverfahren - 5 AZR 481/13 - vom heutigen Tag verwiesen (Rn. 28 ff.).

26IV. In welcher Höhe die Klage begründet ist, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

27Nach einer von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellung des Landesarbeitsgerichts ist zwar „die Höhe der vom Kläger geltend gemachten Zahlungsansprüche jedenfalls seit der Berufungsverhandlung vom unstreitig geworden“. Das ändert aber nichts daran, dass die Berechnung der Differenzvergütung insoweit unschlüssig ist, als der Kläger ihr Stufenaufstiege schon zum und zugrunde gelegt hat. Er muss diesbezüglich seine Forderung neu berechnen. Dazu ist ihm in einem erneuten Berufungsverfahren Gelegenheit zu geben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:250215.U.5AZR518.13.0

Fundstelle(n):
WAAAE-91361