BAG Urteil v. - 2 AZR 644/13

Außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung - Konkurrenztätigkeit - Interessenabwägung

Leitsatz

Ein Verstoß gegen das Verbot, während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Konkurrenztätigkeiten zu entfalten, ist "an sich" geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Falls die Wettbewerbstätigkeit erst durch eine frühere - unwirksame - Kündigung ausgelöst worden, der Wettbewerb nicht auf eine dauerhafte Konkurrenz zum bisherigen Arbeitgeber angelegt und dem Arbeitgeber durch die Konkurrenztätigkeit nicht unmittelbar ein Schaden zugefügt worden ist, ist dies bei der erforderlichen Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.

Gesetze: § 626 Abs 1 BGB, § 241 Abs 2 BGB, § 1 Abs 1 KSchG, § 1 Abs 2 S 1 Alt 2 KSchG, § 615 S 2 BGB, § 60 Abs 1 HGB, § 74 HGB

Instanzenzug: ArbG Offenbach Az: 5 Ca 297/11 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 6 Sa 617/12 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigungen.

2Die Beklagte ist tätig auf dem Gebiet der Bahnelektrifizierung und Bahnstromversorgung. Sie ist Marktführerin in Deutschland und beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3Der Kläger war bei ihr und ihrer Rechtsvorgängerin seit Oktober 1975, zuletzt als Bereichsleiter Technologie, beschäftigt. Sein Arbeitsort war seit Anfang 2010 O. Der Kläger ist vom Eisenbahn-Bundesamt als Plan- und Abnahmeprüfer auf dem Gebiet der Oberleitungsanlagen mit Rückstromführung und Bahnerdung einschließlich der Statik anerkannt. Er erstellte für die Beklagte Gutachten über elektrische Anlagen. Diese rechnete die Beklagte gegenüber ihren Auftraggebern ab.

4In einem Rechtsstreit über Vergütungsansprüche des Klägers erklärte dieser vor dem Arbeitsgericht am zu Protokoll:

5Nach Auffassung der Beklagten war diese Aussage falsch. Die Beklagte sah in dem Verhalten des Klägers den Versuch eines Prozessbetrugs und kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom außerordentlich und fristlos sowie mit Schreiben vom hilfsweise ordentlich zum . Sie hatte zuvor sowohl ihren sog. Montagebetriebsrat als auch den Betriebsrat in O zu den beabsichtigten Kündigungen angehört.

6Die außerordentliche Kündigung vom ging dem Kläger am zu. Mit einem weiteren Schreiben vom widerrief die Beklagte die dem Kläger erteilte Prokura und forderte ihn auf, Firmeneigentum herauszugeben. Nach Zugang beider Schreiben bearbeitete der Kläger eine Prüfanfrage der D GmbH (künftig: D) und leitete dieser den Prüfbericht am von seiner Privatadresse aus zu. Er hatte den Bericht mit einem Stempel als Gutachter der Beklagten gekennzeichnet. Die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte der Beklagten mit Schreiben vom zu diesem Vorgang ua. mit:

7Nach Anhörung des Montagebetriebsrats und des Betriebsrats O kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom erneut außerordentlich und fristlos sowie mit Schreiben vom hilfsweise ordentlich zum .

8Ab dem war der Kläger auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom für die S GmbH (künftig: S) als „Technischer Support/Gutachter im Fernverkehr“ tätig. Er nahm für diese Planprüfungen und damit verbundene Aufgaben wahr und beriet und unterstützte sie bei der Planerstellung. Nach erneuter Anhörung beider Betriebsräte kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom ein weiteres Mal außerordentlich und fristlos sowie mit Schreiben vom ordentlich zum .

9Da der Kläger außerdem einen Prüfauftrag der I GmbH (künftig: I) durchgeführt hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien - abermals nach Anhörung beider Betriebsräte - mit Schreiben vom außerordentlich und fristlos sowie mit Schreiben vom ordentlich zum . Bei der I handelt es sich um eine Schwestergesellschaft der Beklagten.

10Gegen sämtliche Kündigungen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat gemeint, es fehle an einem Grund sowohl für die außerordentlichen als auch für die hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen. Der Versuch eines Prozessbetrugs habe nicht vorgelegen. Bei der Tätigkeit für die D habe er nicht auf eigene Rechnung gearbeitet. Es habe sich daher nicht um eine Konkurrenztätigkeit gehandelt. Die anders lautende Erklärung im Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom hat der Kläger mit Schriftsatz vom korrigiert. Er hat vorgetragen, er habe den Auftrag nach Zugang der ersten außerordentlichen Kündigung nur deshalb durchgeführt, weil er sich hierzu gegenüber der D verpflichtet gefühlt habe, insbesondere weil den Auftrag kein anderer Prüfer der Beklagten habe ausführen können. Der Kläger hat weiter vorgebracht, auch mit seiner Tätigkeit für die S sei er nicht in Wettbewerb zu der Beklagten getreten. Zwischen den beiden Unternehmen bestehe keine Konkurrenz im klassischen Sinne. Das Verhältnis zwischen ihnen sei vielmehr in erheblichem Umfang von unternehmerischer Zusammenarbeit geprägt. Die Beklagte selbst habe ihn in Kenntnis seiner Tätigkeit für die S mit Prüfungen beauftragt. Jedenfalls habe er die Interessen der Beklagten durch seine Tätigkeit nicht beeinträchtigt. Außerdem habe es sich, nachdem die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zuvor gekündigt habe, um eine Übergangslösung gehandelt und nicht um eine auf Dauer angelegte Konkurrenztätigkeit. Auch für die I sei er nicht in Konkurrenz zur Beklagten tätig geworden. Die I sei bei dem betreffenden Projekt als Nachunternehmerin der Beklagten beauftragt gewesen. Er habe zudem bei einem Mitarbeiter der Beklagten nachgefragt, ob seine Beauftragung durch die I von der Beklagten freigegeben sei, was dieser bejaht habe. Der Kläger hat hinsichtlich aller außerordentlichen Kündigungen gerügt, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Zu der Kündigung vom sei überdies der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden.

11Der Kläger hat beantragt

12Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die Kündigungen seien jeweils schon als außerordentliche gerechtfertigt. Der Kläger habe für den Dienstgeschäfte in E vorgetäuscht. Die von ihm in dem Vergütungsrechtsstreit zu Protokoll gegebene Erklärung, er habe seinen Vorgesetzten vorab über seinen Aufenthalt in Ol am unterrichtet, sei unwahr. Selbst wenn sie wahr wäre, hätte der Kläger sie, die Beklagte, im Zusammenwirken mit seinem Vorgesetzten doch darüber getäuscht, nicht in E, sondern in Ol gewesen zu sein. Mit Blick auf die Erledigung des Auftrags für die D habe sich aufgrund der Angaben im Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom zumindest im Kündigungszeitpunkt der dringende Verdacht einer Konkurrenztätigkeit ergeben. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Sie habe erst mit Eingang der Stellungnahme des Klägers zu laufen begonnen. Auch mit der Tätigkeit für die S habe sich der Kläger in unerlaubten Wettbewerb zu ihr begeben. Der Umstand, dass sie und die S Aufträge gelegentlich in Arbeitsgemeinschaften oder im Haupt- und Subunternehmerverhältnis erledigten, beseitige nicht ihrer beider Konkurrenzverhältnis. Die Prüftätigkeit für die I habe ebenso einer ihrer Arbeitnehmer erbringen können. Ihre Geschäftsführung sei erst am über den Sachverhalt informiert worden.

13Das Arbeitsgericht hat die außerordentlichen Kündigungen vom und als unwirksam angesehen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers insgesamt stattgegeben und die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt diese ihr Begehren weiter, die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Gründe

14Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Für die außerordentlichen Kündigungen fehlt es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, die hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen sind sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG.

15I. Die außerordentliche Kündigung vom ist nicht gerechtfertigt. In der Protokollerklärung des Klägers in dem vorausgegangenen Rechtsstreit liegt kein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

161. Bewusst wahrheitswidrige Erklärungen, die ein Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber abgibt, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können, können geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen ( - Rn. 17). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Einordnung an; ein Arbeitnehmer, der bewusst falsch vorträgt, um sich einen Vorteil im Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber zu verschaffen, verletzt in erheblicher Weise seine nach § 241 Abs. 2 BGB bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers (vgl.  - aaO).

172. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht angenommen, es gebe keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, der Kläger habe die fragliche Protokollerklärung in dem Bewusstsein abgegeben, sich durch wahrheitswidrige Angaben einen Vorteil gegenüber der Beklagten im Rechtsstreit über seine Vergütungsansprüche zu verschaffen.

18a) Es hat dies daraus abgeleitet, dass die Frage, wo der Kläger den Dienstwagen zum TÜV gebracht und seine Arbeitsleistung für die Beklagte erbracht habe, für seinen Vergütungsanspruch ohne Bedeutung gewesen sei. Aus dem weiteren Vorbringen des Klägers in dem Vorprozess ergebe sich, dass auch er selbst diese Frage in keiner Weise für entscheidungserheblich gehalten habe.

19b) Die Beklagte hat demgegenüber geltend macht, in diesem Fall hätte der Kläger nichts befürchten müssen, wenn er wahrheitsgemäße Angaben gemacht hätte. Ein anderer Grund für seine unzutreffende Erklärung als die Absicht, sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen, sei daher nicht ersichtlich. Damit zeigt die Beklagte keinen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts auf. Ein solcher ist auch objektiv nicht ersichtlich. Die Schlussfolgerungen der Beklagten aus dem Prozessverhalten des Klägers sind nicht zwingend. Sie setzen voraus, dass der Kläger bewusst wahrheitswidrige Angaben gemacht hat. Dies ist weder festgestellt noch gibt es dafür objektiv hinreichende Anhaltspunkte. Selbst wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird, die Erklärung des Klägers habe nicht der Wahrheit entsprochen, muss das diesem nicht bewusst gewesen sein. Ebenso gut kann er sich in seiner Erinnerung darüber, ob er seinen Vorgesetzten vorab über den Aufenthalt in Ol am unterrichtet hatte, getäuscht haben. Die Beklagte trägt die Darlegungslast für den Kündigungsgrund und damit für eine Schädigungsabsicht des Klägers. Dieser ist sie nicht hinreichend nachgekommen. Das Landesarbeitsgericht musste deshalb keinen Beweis darüber erheben, ob die Erklärung des Klägers wahrheitswidrig war.

20II. Ebenso fehlt es an einem wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung vom . Die Voraussetzungen für eine Kündigung wegen des Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung liegen nicht vor.

211. In einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung sind nicht nur die dem Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch bekannten Tatsachen von Bedeutung. Es sind auch solche später bekannt gewordenen Umstände zu berücksichtigen, die den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken ( - Rn. 25; - 2 AZR 206/11 - Rn. 41). Dies gilt zumindest dann, wenn sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen. Der Arbeitgeber kann verdachtserhärtende Tatsachen in den Prozess einführen, die ihm erst nachträglich bekannt geworden sind, der Arbeitnehmer solche, die den Verdacht entkräften. Bei einer Verdachtskündigung muss der Besonderheit Rechnung getragen werden, dass für sie nicht der volle Nachweis einer Pflichtverletzung verlangt wird. Blieben den Arbeitnehmer entlastende Tatsachen, die erst im Prozess zutage getreten sind, außer Betracht, hätte der Arbeitgeber nur nachzuweisen, dass jedenfalls zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein dringender Tatverdacht bestand. Das würde der bei der Verdachtskündigung bestehenden Gefahr, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht gerecht ( - Rn. 42; - 2 AZR 587/08 - Rn. 28). Die Berücksichtigung später bekannt gewordener Umstände steht entgegen der Auffassung der Beklagten nicht im Widerspruch zu dem Grundsatz, dass sich die Wirksamkeit einer Kündigung nach den bei ihrem Zugang gegebenen - objektiven - Tatsachen richtet (vgl. dazu  - Rn. 52, BAGE 134, 349; - 2 AZR 160/96 - zu II 2 c der Gründe, BAGE 85, 194). Diese erschöpfen sich auch im Fall der Verdachtskündigung nicht etwa notwendig in den dem Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt bekannten Verdachtsmomenten.

222. Selbst Umstände, die auch objektiv erst nachträglich eingetreten sind, können für die gerichtliche Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung ausnahmsweise von Bedeutung sein, falls sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen ( - Rn. 53, BAGE 134, 349; - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde ( - aaO mwN). Von Bedeutung kann dies gerade für die Würdigung von verdachtsbegründenden Indiztatsachen sein.

233. Danach hat das Landesarbeitsgericht in dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom zu Recht keine hinreichenden Verdachtsmomente dafür gesehen, dass der Kläger einen der Beklagten erteilten Auftrag der D für eigene Rechnung bearbeitet habe.

24a) Es durfte zum einen berücksichtigen, dass der Kläger die Angaben seiner Prozessbevollmächtigten im Schreiben vom nachträglich korrigiert hat. Damit hat er sich von ihnen distanziert. Sie können nicht mehr uneingeschränkt als sein eigenes Eingeständnis gewertet werden und erscheinen dadurch in einem anderen Licht.

25b) Es durfte zum anderen annehmen, dass weitere Verdachtsmomente gegen den Kläger nicht bestünden. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe bei der D nicht nachgefragt, auf wen die Rechnung für den Auftrag gestellt worden sei. Der Inhalt der Prüfunterlagen spreche dafür, dass der Kläger durch die Verwendung des Stempels der Beklagten deutlich gemacht habe, für diese tätig geworden zu sein. Gegen diese Würdigung bringt die Beklagte keine beachtlichen Einwände vor. Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts sind auch objektiv nicht ersichtlich. Zwar hat es nicht festgestellt, aus welchem Grund es zu den zunächst falschen Angaben der Prozessbevollmächtigten des Klägers gekommen ist. Es hat aber, zumal die Prüfungsunterlagen die Version des Klägers stützten, ersichtlich einen bloßen Abstimmungsfehler für möglich gehalten. Soweit die Beklagte in der Revisionsinstanz geltend gemacht hat, der Kläger habe sehr wohl privat abrechnen wollen und dies nur deshalb nicht getan, weil er über keinen anderen als ihren Stempel verfügt habe, hat sie keine zulässige Verfahrensrüge erhoben. Sie hat nicht dargelegt, dass und an welcher Stelle sie die für diese Annahme sprechenden Umstände in den Vorinstanzen vorgetragen habe. Die Rüge ist zudem unbegründet. Es bliebe auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens dabei, dass es keine hinreichenden Verdachtsmomente dafür gibt, der Kläger sei auf eigene Rechnung tätig geworden.

26III. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Tätigkeit des Klägers für die S ab dem stelle keinen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung vom dar. Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

271. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Konkurrenztätigkeiten entfaltet, verstößt gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2 BGB. Es handelt sich in der Regel um eine erhebliche Pflichtverletzung. Sie ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen ( - Rn. 20; - 2 AZR 190/07 - Rn. 15 mwN).

28a) Während des rechtlichen Bestehens eines Arbeitsverhältnisses ist einem Arbeitnehmer grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit zum Nachteil seines Arbeitgebers untersagt ( - Rn. 14; - 2 AZR 1008/08 - Rn. 22). Die für Handlungsgehilfen geltende Regelung des § 60 Abs. 1 HGB normiert einen allgemeinen Rechtsgedanken. Der Arbeitgeber soll vor Wettbewerbshandlungen seines Arbeitnehmers geschützt werden. Der Arbeitnehmer darf im Marktbereich seines Arbeitgebers Dienste und Leistungen nicht Dritten anbieten. Dem Arbeitgeber soll dieser Bereich uneingeschränkt und ohne die Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung durch den Arbeitnehmer offenstehen ( - aaO; - 2 AZR 852/95 - zu II 1 a der Gründe). Dem Arbeitnehmer ist aufgrund des Wettbewerbsverbots nicht nur eine Konkurrenztätigkeit im eigenen Namen und Interesse untersagt. Ihm ist ebenso wenig gestattet, einen Wettbewerber des Arbeitgebers zu unterstützen ( - aaO; - 2 AZR 852/95 - aaO). Allerdings darf er, wenn ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach § 74 HGB nicht vereinbart ist, schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Zeit nach seinem Ausscheiden die Gründung eines eigenen Unternehmens oder den Wechsel zu einem Konkurrenzunternehmen vorbereiten (vgl.  - Rn. 15). Verboten ist lediglich die Aufnahme einer werbenden Tätigkeit, etwa durch Vermittlung von Konkurrenzgeschäften oder aktives Abwerben von Kunden. Bloße Vorbereitungshandlungen erfüllen diese Voraussetzungen regelmäßig nicht ( - aaO).

29b) Das vertragliche Wettbewerbsverbot gilt während der gesamten rechtlichen Dauer des Arbeitsverhältnisses. Ein Arbeitnehmer darf deshalb grundsätzlich auch nach Zugang einer von ihm gerichtlich angegriffenen fristlosen Kündigung des Arbeitgebers keine Konkurrenztätigkeit ausgeübt haben, falls sich die Kündigung später als unwirksam herausstellt. Er ist in der Regel auch während des - für ihn erfolgreichen - Kündigungsschutzprozesses an das vertragliche Wettbewerbsverbot gebunden ( - Rn. 23; - 2 AZR 624/90 - zu B III 3 a der Gründe). Dies gilt unabhängig davon, ob eine Karenzentschädigung angeboten oder er vorläufig weiterbeschäftigt wird ( - aaO). Seine Obliegenheit aus § 615 Satz 2 BGB, nicht böswillig anderweitigen Erwerb zu unterlassen, rechtfertigt es nicht, eine Konkurrenztätigkeit im Geschäftsbereich des Arbeitgebers aufzunehmen ( - zu B III 3 a bb der Gründe).

302. Bei der Prüfung, ob ein Verstoß gegen das vertragliche Wettbewerbsverbot nach Zugang einer - gerichtlich angegriffenen - außerordentlichen Kündigung die weitere Kündigung des Arbeitsverhältnisses - falls es auf sie noch ankommt - rechtfertigen kann, ist im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung (vgl. auch dazu  - Rn. 26; - 2 AZR 624/90 - zu B III 3 b der Gründe) zu berücksichtigen, dass sich in einer solchen Konstellation beide Parteien objektiv vertragswidrig verhalten.

31a) Eine Fallgestaltung wie die vorliegende ist durch ein in sich widersprüchliches Verhalten beider Vertragsparteien gekennzeichnet. Der Arbeitgeber beruft sich vorrangig auf die Wirksamkeit einer schon zuvor erklärten Kündigung, erwartet aber vom Arbeitnehmer ein Verhalten, das dieser nur bei Unwirksamkeit der Kündigung schuldet. Hätte im Übrigen der Arbeitgeber - entsprechend der objektiven Rechtslage - keine Kündigung erklärt, hätte aller Voraussicht nach der Arbeitnehmer keinen Anlass für die Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit gehabt. Der Arbeitnehmer wiederum erstrebt die Feststellung einer Unwirksamkeit der früheren Kündigung, verstößt aber mit der Aufnahme von Konkurrenztätigkeiten gegen gerade dann bestehende Unterlassungspflichten.

32b) Auf diese Besonderheiten ist bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der Konkurrenztätigkeit des Arbeitnehmers zumutbar ist, Bedacht zu nehmen. Es spricht dabei zugunsten des Arbeitnehmers, wenn die Wettbewerbstätigkeit erst durch die frühere - unwirksame - Kündigung ausgelöst worden ist (vgl. für einen Handelsvertreter  - zu 6 der Gründe). Dann rechtfertigt die objektiv gegebene Pflichtverletzung des Arbeitnehmers für die Zeit nach Prozessende in der Regel keine negative Verhaltensprognose. Auch ist zu berücksichtigen, ob der Wettbewerb auf eine dauerhafte Konkurrenz zum bisherigen Arbeitgeber angelegt ist oder zunächst nur eine Übergangslösung für den Schwebezustand bis zur Klärung der Rechtslage darstellt ( - zu B III 3 b bb der Gründe). Von Bedeutung ist ferner, ob dem Arbeitgeber aufgrund der Art und der Auswirkungen der Konkurrenztätigkeit unmittelbar ein Schaden zugefügt wird oder nur eine abstrakte Gefährdung von dessen geschäftlichen Interessen vorliegt (vgl.  - aaO).

333. Zu Recht hat danach das Landesarbeitsgericht den Interessen des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses den Vorrang gegenüber den Interessen der Beklagten an dessen Beendigung eingeräumt.

34a) Der Kläger hat den Arbeitsvertrag mit der S erst geschlossen und die Tätigkeit für sie erst aufgenommen, nachdem die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zuvor fristlos gekündigt hatte. Da keine Anhaltspunkte für das Gegenteil vorliegen, lässt dies nur den Schluss zu, dass seine Wettbewerbstätigkeit durch die Kündigung ausgelöst worden ist. Das spricht zudem dafür, dass der Kläger sie lediglich als Ersatz für seine bisherige Tätigkeit aufgenommen hat. Es sind keine Umstände festgestellt oder objektiv erkennbar, die die Annahme rechtfertigten, er hätte es auf eine dauerhafte Konkurrenz zur Beklagten angelegt. Der Kläger hat nicht etwa ein eigenes Unternehmen in Konkurrenz zur Beklagten aufgebaut. Aus dem neu eingegangenen Arbeitsverhältnis konnte er sich für den Fall, dass er mit der Kündigungsschutzklage gegen die Beklagte obsiegen würde, jederzeit - etwa durch Kündigung - wieder lösen.

35b) Das Landesarbeitsgericht durfte zugunsten des Klägers berücksichtigen, dass er durch seine Tätigkeit für die S der Beklagten keinen unmittelbaren Schaden zugefügt hat. Soweit die S für die Beklagte tätig geworden ist, hat er dieser sogar die zeitgerechte Auftragserfüllung gesichert. Die Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass ein Wettbewerbsverstoß auch ohne eine konkrete Schädigung vorliegen kann. Darum geht es jedoch nicht. Es geht darum, ob dieser Verstoß eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt.

36c) Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht nicht angenommen, möglicher Gewinn sei im gegebenen Zusammenhang schlechthin kein schützenswertes Interesse. Es hat lediglich gewürdigt, dass der Beklagten ein Gewinn aus den Prüfarbeiten des Klägers nicht deshalb entgangen ist, weil dieser für die S tätig war. Dies sei vielmehr die Folge davon gewesen, dass sie das Arbeitsverhältnis der Parteien zuvor fristlos gekündigt habe, ohne einen Ersatz für den Kläger einzustellen. Das Landesarbeitsgericht hat damit zu Recht eine Kausalität zwischen der Konkurrenztätigkeit des Klägers und einem Gewinnausfall der Beklagten verneint. Auch wenn der Kläger nicht für die S gearbeitet hätte, hätte die Beklagte die von ihm erbrachte Tätigkeit nicht selbst und mit eigenen Arbeitnehmern durchführen können.

37d) Die von der Beklagten vermissten weiteren Gesichtspunkte hat das Landesarbeitsgericht bei der Interessenabwägung nicht unberücksichtigt gelassen. Es hat ihnen nur kein zugunsten der Beklagten ausschlaggebendes Gewicht beigemessen.

38aa) Die mit der Tätigkeit des Klägers verbundene Möglichkeit einer Gewinnerhöhung bei der S hat das Landesarbeitsgericht - wie seine Ausführungen zum Fehlen einer unmittelbaren Schädigung der Beklagten erkennen lassen - zutreffend nicht als einen erschwerenden Umstand erachtet. Ein möglicher wirtschaftlicher Vorteil für das konkurrierende Unternehmen ist einer Konkurrenztätigkeit immanent.

39bb) Das Landesarbeitsgericht hat auch den Grad des Schuldvorwurfs nicht unberücksichtigt gelassen. Es hat vielmehr auf die Besonderheiten einer Konkurrenztätigkeit nach fristloser Kündigung abgestellt. Danach ist dem Arbeitnehmer zwar kein Wettbewerb zu seinem bisherigen Arbeitgeber gestattet, wenn das Arbeitsverhältnis - objektiv - fortbesteht. Die Situation lässt eine gleichwohl aufgenommene Konkurrenztätigkeit aber in der Regel in einem milderen Licht erscheinen. Durch die fristlose Kündigung hatte der Arbeitgeber zu verstehen gegeben, sich seinerseits an vertragliche Pflichten nicht mehr gebunden zu fühlen.

40cc) Auf der Basis der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in vollem Bewusstsein der Tatsache gehandelt hätte, die Beklagte werde seine Konkurrenztätigkeit nicht akzeptieren. Die Beklagte macht zwar geltend, der Kläger habe dies daran erkennen müssen, dass sie schon auf seine Konkurrenztätigkeit für die D mit einer außerordentlichen Kündigung reagiert habe. Aus dem vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen Kündigungsschreiben vom ergibt sich ein solcher Kündigungsgrund aber nicht. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass und ggf. welche sonstigen Umstände die Annahme rechtfertigen sollten, der Kläger habe im Bewusstsein dessen gehandelt, sie werde seine Tätigkeit für die S keinesfalls akzeptieren. Es kann daher dahinstehen, ob dies anderenfalls zu ihren Gunsten zu werten wäre. Dagegen spricht, dass es nicht auf die subjektive Bereitschaft zur Akzeptanz auf Seiten des Arbeitgebers, sondern darauf ankommt, was diesem objektiv zuzumuten ist (vgl.  - Rn. 47, BAGE 134, 349).

41dd) Das Landesarbeitsgericht hat auch berücksichtigt, dass der Kläger nicht nur punktuell, sondern im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, dh. kontinuierlich für die S tätig geworden ist. Es hat diesen Umstand erkennbar deshalb nicht als erschwerend angesehen, weil damit keine unmittelbare Schädigung der Beklagten einhergegangen sei. Diese habe nicht vorgetragen, dass ihre eigenen Arbeitnehmer, die solche Prüftätigkeiten hätten ausführen können, nicht ausgelastet gewesen seien. Sie habe vielmehr nicht über ausreichende eigene Kapazitäten verfügt, um eine zeitnahe Prüfung sicherzustellen. Diese Würdigung lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

42IV. Die außerordentliche Kündigung vom ist mangels wichtigen Grundes ebenfalls unwirksam. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

431. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, auch die auf wettbewerbswidriges Verhalten des Klägers gestützte Kündigung vom sei nach § 626 Abs. 1 BGB nicht gerechtfertigt. Bei der I handele es sich um ein Schwesterunternehmen der Beklagten, das für diese bei dem fraglichen Auftrag als Nachunternehmerin tätig geworden sei. Eine Verletzung der Interessen der Beklagten sei nicht ersichtlich.

442. Die Sachrügen, die die Beklagte gegen diese Würdigung vorbringt, entsprechen denen, die sie gegen die Auffassung des Landesarbeitsgerichts von der Unwirksamkeit der Kündigung vom erhoben hat. Sie greifen aus den dargelegten Gründen nicht durch. Hinzu kommt, dass sich die Tätigkeit des Klägers für die I in der Ausführung eines einzelnen Prüfauftrags erschöpfte, für den die I Nachunternehmerin der Beklagten war. Eine fortdauernde Tätigkeit lag nicht vor. Die Verfahrensrüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe nicht in Erwägung gezogen, dass sie vorgetragen habe, einer ihrer Arbeitnehmer habe den Auftrag erledigen können, ist unzulässig. Aus dem Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ergibt sich lediglich, dass die Beklagte dies erstinstanzlich behauptet hat, nicht aber, was sie dazu im Einzelnen vorgebracht, ob sie für ihr Vorbringen Beweis angetreten und ob sie Vortrag und ggf. Beweisantritt im Berufungsverfahren aufrechterhalten hat. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass im Berufungsverfahren unstreitig wurde, die Beklagte sei an der Durchführung des Auftrags schon aus rechtlichen Gründen gehindert gewesen.

45V. Gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen seien „aus den gleichen Gründen“ nicht sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG, erhebt die Beklagte keine gesonderten Rügen. Ein Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts ist auch objektiv nicht ersichtlich.

461. Das Landesarbeitsgericht hat offenbar angenommen, die ordentlichen Kündigungen seien aus eben den Gründen sozial ungerechtfertigt, aus denen die außerordentlichen Kündigungen unwirksam seien. Bei deren Prüfung hat es die Folgen der (teilweise unterstellten) Pflichtverletzungen und den Grad des Verschuldens des Klägers als nicht so schwerwiegend angesehen, dass der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar gewesen sei.

472. Wenn das Landesarbeitsgericht auf diese Gründe mit Blick auf die ordentlichen Kündigungen Bezug nimmt, bedeutet das, dass es zu dem Ergebnis gelangt ist, der Beklagten sei eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus zuzumuten. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

48VI. Die Kosten ihrer erfolglosen Revision hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

Fundstelle(n):
BB 2015 S. 1088 Nr. 18
BB 2015 S. 691 Nr. 12
BB 2015 S. 761 Nr. 13
DB 2015 S. 7 Nr. 11
DStR 2015 S. 12 Nr. 17
NJW 2015 S. 10 Nr. 12
NJW 2015 S. 1403 Nr. 19
ZIP 2015 S. 1085 Nr. 22
KAAAE-85864