BAG Urteil v. - 5 AZR 1024/12

Annahmeverzug - Arbeit auf Abruf

Leitsatz

Haben die Arbeitsvertragsparteien eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit nicht festgelegt, berührt das nicht die Wirksamkeit der vereinbarten Arbeit auf Abruf. Es gelten die zum Schutz des Arbeitnehmers gesetzlich fingierten Arbeitszeiten (§ 12 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 TzBfG).

Gesetze: § 293 BGB, § 12 Abs 1 S 3 TzBfG, § 12 Abs 1 S 4 TzBfG, § 12 Abs 1 S 2 TzBfG

Instanzenzug: Az: 10 Ca 378/10 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 14 Sa 68/11 Urteilnachgehend Az: 1 BvR 696/15 Beschluss

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs.

2Der 1981 geborene Kläger war seit dem bei der Beklagten in deren Hotel-Restaurant K als Koch beschäftigt. Er erhielt einen Bruttostundenlohn von zunächst 10,50 Euro, ab Juli 2009 von 11,50 Euro.

3Dem Arbeitsverhältnis lag ein schriftlicher Arbeitsvertrag zugrunde, der auszugsweise lautet:

4Im Anschluss an den Arbeitsvertrag heißt es:

5Während der Kläger in den Monaten Mai und Juni 2009 länger als die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte von 39 Stunden, aber unter der tariflichen monatlichen Höchstarbeitszeit von 198 Stunden arbeitete, setzte ihn die Beklagte in der Folgezeit - in unterschiedlichem Umfang - nur kürzer ein. Der Kläger erhielt den vereinbarten Stundenlohn für die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten nebst Sonn- und Feiertagszuschlägen. Außerdem zahlte die Beklagte gemäß den Lohnabrechnungen für „Krankstunden“ in den Monaten September und Dezember 2009 sowie Februar, Mai und Juni 2010 insgesamt 1.369,84 Euro brutto. Ferner bezog der Kläger im Februar und März 2010 jeweils ein „Urlaubsentgelt“, mit dem insgesamt sechs Urlaubstage „abgerechnet“ sein sollten.

6Ab dem war der Kläger arbeitsunfähig krank und kündigte mit Schreiben vom das Arbeitsverhältnis fristlos zum .

7Mit eigenem Schreiben vom und Anwaltsschreiben vom machte der Kläger - unter Fristsetzung bis zum bzw.  - Entgeltdifferenzen auf der Basis einer 48-Stunden-Woche geltend. Die Beklagte wies die Forderung mit Schreiben vom zurück.

8Am ging beim Arbeitsgericht ein auf den datierter Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung ein, dem als Anlagen eine - zunächst nicht unterschriebene - Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie ein als Klageentwurf überschriebener, nicht eigenhändig unterzeichneter Schriftsatz vom beigefügt waren. In dem Prozesskostenhilfegesuch heißt es abschließend und fettgedruckt: „Die Klage soll erst nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe zugestellt werden.“

9Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurde dem nachmaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten am zur Stellungnahme zugestellt. Die Beklagte trat mit Schriftsatz vom der Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Sach- und Rechtsausführungen entgegen.

10Das Arbeitsgericht bewilligte dem Kläger mit Beschluss vom Prozesskostenhilfe und ordnete ihm Rechtsanwalt N bei. Daraufhin hat der Kläger am eine Leistungsklage eingereicht, die der Beklagten am zugestellt worden ist.

11Er hat geltend gemacht, arbeitsvertraglich sei eine Vollzeitbeschäftigung vereinbart. Die Beklagte hätte ihm zumindest im Umfange der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit Arbeit zuweisen müssen. Durch den Nichtabruf der vollen Arbeitszeit sei sie in Annahmeverzug geraten.

12Der Kläger hat zuletzt beantragt,

13Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger habe ohne Vereinbarung einer bestimmten Dauer der Arbeitszeit auf Abruf gearbeitet und sei entsprechend dem Arbeitsanfall eingesetzt worden. Dieser Handhabung habe der Kläger nicht widersprochen und eine über den tatsächlichen Einsatz hinausgehende Arbeitsleistung weder tatsächlich noch wörtlich angeboten. Jedenfalls sei der erhobene Anspruch nach § 23 Buchst. c des allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrags für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Baden-Württemberg vom verfallen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe habe die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung nicht wahren können.

14Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - der Klage überwiegend stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

15Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht teilweise stattgegeben. Die Klage ist unbegründet. Der erhobene Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs steht dem Kläger nicht zu.

16I. Gemäß § 293 BGB kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung (vgl.  - Rn. 22 mwN) nicht annimmt.

17In welchem zeitlichen Umfang dabei der Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten kann, richtet sich nach der arbeitsvertraglich vereinbarten oder - falls diese regelmäßig überschritten wird - nach der tatsächlich praktizierten Arbeitszeit. Denn die für das Arbeitsverhältnis maßgebliche Arbeitszeit bestimmt den zeitlichen Umfang, in welchem der Arbeitnehmer berechtigt ist, Arbeitsleistung zu erbringen und der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Arbeitsleistung anzunehmen ( - Rn. 13).

18II. Danach befand sich die Beklagte im Streitzeitraum nicht im Annahmeverzug. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger seine Arbeitsleistung in einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang - zumindest wörtlich - hätte anbieten müssen (vgl.  - Rn. 19; - 9 AZR 554/11 - Rn. 18 mwN) oder - wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat - § 296 Satz 1 BGB eingreift (vgl.  - Rn. 24; - 5 AZR 819/09 - Rn. 19, BAGE 137, 38). Die Parteien haben kein Vollzeitarbeitsverhältnis, sondern ein Teilzeitarbeitsverhältnis in der Form der Arbeit auf Abruf (§ 12 TzBfG) vereinbart. Das ergibt die Auslegung des § 2 Satz 1 Arbeitsvertrag.

191. Bei dieser Klausel handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB). Dafür begründet bereits das äußere Erscheinungsbild eine tatsächliche Vermutung (vgl.  - Rn. 17; - 5 AZR 406/10 - Rn. 11, BAGE 139, 44), der keine der Parteien entgegengetreten ist. Auch bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klausel vom Kläger in den Arbeitsvertrag eingeführt worden wäre (§ 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB). Für die Auslegung kommt es deshalb darauf an, wie die Klausel - ausgehend vom Vertragswortlaut - nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden wird, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Dabei unterliegt die Auslegung der uneingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht (st. Rspr., vgl. zB  - Rn. 15 mwN).

202. Ausgehend vom Wortlaut der Klausel haben die Parteien ausdrücklich keine Vollzeitbeschäftigung, sondern eine Festbeschäftigung mit flexibler Arbeitszeit nach den betrieblichen Erfordernissen vereinbart. Die Bezeichnung der Beschäftigung als „fest“ dokumentiert zwar den Willen verständiger und redlicher Vertragspartner, dass innerhalb der zuvor in § 1 Satz 1 Arbeitsvertrag fixierten Dauer des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer nicht nur gelegentlich zur Aushilfe, sondern stetig zur Arbeitsleistung herangezogen wird. Der Umfang der dabei zu leistenden Arbeitszeit ist aber offengelassen worden. Sie soll flexibel - also veränderlich - sein und sich nach den betrieblichen Erfordernissen - also dem Arbeitsanfall und dem Beschäftigungsbedarf - richten. Verbunden mit dem Fehlen jeglichen Hinweises auf eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit darf bei einer derartigen Klausel ein verständiger Arbeitnehmer redlicherweise nicht annehmen, es solle ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet werden. Er muss vielmehr davon ausgehen, dass nicht nur die Lage, sondern auch die Dauer der Arbeitszeit variabel ist und die regelmäßige Arbeitszeit im Durchschnitt des vereinbarten Beschäftigungsjahres unter der eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers bleibt, er also teilzeitbeschäftigt (§ 2 Abs. 1 Satz 2 TzBfG) ist.

21In diesem Verständnis der Klausel haben die Parteien das Arbeitsverhältnis auch gelebt. Der von der Beklagten gepflegten Heranziehung zur Arbeitsleistung hat der Kläger nach den für den Senat bindenden (§ 559 Abs. 2 ZPO) tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht widersprochen. Soweit der Kläger erstmals im Schriftsatz vom vorbringt, anlässlich der Aushändigung von Lohnabrechnungen habe er den Hoteldirektor D mehrfach „seine Arbeitsleistungen“ angeboten und gefragt, „wann die Lohndifferenzen ausgeglichen werden“, handelt es sich um vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellten neuen Sachvortrag in der Revisionsinstanz, der nach § 559 ZPO unbeachtlich ist. Zudem ist der neue Sachvortrag wegen der vereinbarten Arbeit auf Abruf ungeeignet, Annahmeverzug der Beklagten zu begründen.

22Für die vom Landesarbeitsgericht angewendete Regel, wonach bei Fehlen einer Teilzeitvereinbarung im Zweifel ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet werde (vgl.  - Rn. 19; - 10 AZR 325/12 - Rn. 19) ist danach kein Raum.

233. Der Auslegung von § 2 Satz 1 Arbeitsvertrag als Arbeit auf Abruf im Teilzeitarbeitsverhältnis stehen weder § 12 Abs. 1 TzBfG noch der für allgemeinverbindlich erklärte Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Baden-Württemberg vom (im Folgenden: MTV) entgegen.

24a) Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG muss die Vereinbarung einer Arbeit auf Abruf eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen. Das bedeutet aber nicht, Arbeit auf Abruf sei nur unter dieser Voraussetzung zulässig (vgl.  - Rn. 31, BAGE 116, 267). Die Nichtvereinbarung einer bestimmten Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit bedingt nicht die Unwirksamkeit der Abrede, sondern führt dazu, dass nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine wöchentliche Arbeitszeit von zehn Stunden als vereinbart gilt und der Arbeitgeber nach § 12 Abs. 1 Satz 4 TzBfG die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers jeweils für mindestens drei aufeinander folgende Stunden in Anspruch nehmen muss (vgl. nur ErfK/Preis 14. Aufl. § 12 TzBfG Rn. 15, 21; HWK/Schmalenberg 6. Aufl. § 12 TzBfG Rn. 12). Für ein Unterschreiten dieser zum Schutze des Arbeitnehmers gesetzlich fingierten Mindestgrenzen bietet das Vorbringen des Klägers keinen Anhalt.

25b) Die Festlegung einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden in § 6 A MTV betrifft nur vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer und steht einer Teilzeitbeschäftigung nicht entgegen. Das bestätigt § 11 Nr. 2 MTV, der in einem Klammerzusatz Teilzeitbeschäftigte definiert als Arbeitnehmer, mit denen eine geringere als die regelmäßige Arbeitszeit vereinbart ist. Der MTV enthält auch keine Regelungen, die die für Teilzeitbeschäftigte in § 12 TzBfG zugelassene Arbeit auf Abruf verbieten oder modifizieren würden.

26III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2014 S. 2739 Nr. 45
DB 2014 S. 2720 Nr. 47
DB 2014 S. 7 Nr. 44
DStR 2014 S. 14 Nr. 48
NJW 2014 S. 3471 Nr. 47
NWB-Eilnachricht Nr. 3/2015 S. 90
VAAAE-77072