Abrechnungsbetrug des Betreibers eines ambulanten Pflegedienstes gegenüber der Kranken- und Pflegekasse
Leitsatz
Zum Abrechnungsbetrug der Betreiberin eines ambulanten Pflegedienstes, deren Mitarbeiter nicht über die mit der Kranken- und Pflegekasse vertraglich vereinbarte Qualifikation verfügen.
Gesetze: § 263 Abs 1 StGB, § 36 SGB 5, § 37 SGB 5
Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 46 KLs 38/12 - 300 Js 1873/10
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betrugs in 96 Fällen, davon in 91 Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, unter Einbeziehung der durch das Urteil des Amtsgerichts Velbert vom verhängten Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, die auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützt ist.
A.
2Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils betrieb die Angeklagte, eine ausgebildete Krankenschwester, seit 2003 verschiedene Pflegedienste.
3Herr O. befand sich seit dem Frühjahr 2007 infolge einer schweren Erkrankung im Wachkoma; es entwickelte sich ein apallisches Syndrom. Ihm wurden ein Tracheostoma, eine Magensonde und ein Dauerkatheter gelegt. Ab September 2007 wurde er zu Hause gepflegt. Zu ihrer Unterstützung stellte seine Ehefrau jeweils für einen Zeitraum von etwa drei Monaten wechselnde Hilfskräfte aus Polen ein. Als sich der Gesundheitszustand ihres Ehemannes verschlechterte, entschloss sie sich, den Pflegedienst der Angeklagten zu beauftragen.
4Die zuständige Kranken- und Pflegekasse, die B. , genehmigte für die Zeit vom 10. August bis zum eine 24-stündige häusliche Krankenpflege, wobei vier Stunden auf die Grundpflege (Pflegeversicherung) und 20 Stunden auf die häusliche Krankenpflege (Krankenversicherung) entfielen. Ab dem wurden zwölf Stunden häusliche Krankenpflege und zwei Stunden Grundpflege bewilligt.
5Der Pflegedienst der Angeklagten war Mitglied des Landesverbandes N. e.V., der mit verschiedenen Krankenkassen einen Vertrag zur Durchführung der häuslichen Krankenpflege, der häuslichen Pflege und der Haushaltshilfe geschlossen hatte. Die B. war nicht Partei dieses Vertrages, ließ aber seinen Inhalt gegen sich gelten. Da der Vertrag aber keine detaillierte Regelung über die häusliche Krankenpflege enthielt, waren Ergänzungsvereinbarungen zwischen der B. und den jeweiligen Pflegediensten erforderlich. Zwischen der B. und der Angeklagten auf Seiten des Pflegedienstes wurde deshalb im September 2008 eine „Ergänzungsvereinbarung zum Vertrag über die Durchführung häuslicher Krankenpflege gemäß § 37 SGB V sowie der Pflegesachleistung nach § 36 SGB XI für beatmungspflichtige Versicherte“ geschlossen, die unter anderem eine Vergütung für die „Behandlungspflege“ von 32 € pro Stunde bis zum und von 29 € pro Stunde seit dem vorsah.
6Weiter heißt es in der Vereinbarung u.a.:
„§ 1 – Gegenstand der Zusatzvereinbarung:
(1) Diese Zusatzvereinbarung soll die Versorgung von Herrn O. nach § 37 SGB V sowie mit Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI sicherstellen, der einer besonders aufwändigen Behandlungspflege bedarf. Bei Herrn O. handelt es sich um einen Wachkomapatienten, der über mehrere Stunden am Tag bis rund um die Uhr unter Krankenbeobachtung stehen muss.
§ 2 – Besondere Anforderungen an die Qualifikation der Pflegekräfte und an die Leistungserbringung:
(1) Der Pflegedienst stellt sicher, dass er die … Vertragsleistungen nur von dazu fachlich qualifizierten und berufsrechtlich legitimierten Pflegekräften durchführen lässt. Dazu gehört, dass er genügend fachlich weitergebildete Fachgesundheits- und Krankenpfleger/-innen für Intensivpflege und Anästhesie bzw. genügend Krankenpfleger/-innen und Kinderkrankenpfleger/-innen für pädiatrische Intensivpflege beschäftigt. …
(3) Der Pflegedienst hat dafür zu sorgen, dass die Pflege auch bei Abwesenheit von Pflegekräften wegen Verhinderung, Krankheit oder Urlaub durch leistungsfähige, gleich qualifizierte Vertretungen gewährleistet ist.“
7Der den Vertrag auf Seiten der B. abschließende Leiter der Leistungsabteilung und die Angeklagte verstanden diese Vereinbarung übereinstimmend dahin, dass Herr O. ausschließlich durch Personal mit der angegebenen Zusatzqualifikation gepflegt werden oder zumindest das eingesetzte Personal engmaschig durch bei der Angeklagten beschäftigte Personen, die über diese Zusatzqualifikation verfügen, eingearbeitet, unterstützt und überwacht werden musste.
8In der Folgezeit setzte die Angeklagte zu keinem Zeitpunkt Personal ein, das über die in § 2 Abs. 1 Satz 2 der Zusatzvereinbarung beschriebene Qualifikation verfügte, sondern vielmehr examinierte Krankenschwestern, Altenpfleger/-innen, Altenpflegehelfer/-innen und Auszubildende zur Krankenschwester. Auch wurde das Personal nicht durch entsprechend qualifizierte Fachkräfte, die im Pflegedienst der Angeklagten auch nur kurzzeitig beschäftigt waren, eingearbeitet oder überwacht. Die Angeklagte selbst wies die eingesetzten Kräfte in die routinemäßig anfallenden Arbeiten ein und hielt sie an, sich im Übrigen an die anwesenden polnischen Frauen zu halten oder den Notarzt zu rufen. Die Pflege des Herrn O. erfolgte auch nicht über 24 Stunden bzw. 14 Stunden täglich, sondern lediglich in dem Zeitraum, in dem die Ehefrau des Patienten ihrem Beruf nachging, nämlich zwischen ca. 8.00 Uhr und ca. 14.00 Uhr im Umfang von 5,5 bis 7,5 Stunden täglich.
9Der Pflegezustand des Herrn O. war während des gesamten Tatzeitraums gut; es konnte nicht festgestellt werden, dass Krisen oder Krankenhausaufenthalte während dieser Zeit durch eine unzureichende Pflege seitens des von der Angeklagten eingesetzten Personals verursacht wurden.
10Die Vereinbarungen zwischen dem Pflegedienst und der B. sahen ferner vor, dass den über Pflegeleistungen erstellten Rechnungen Leistungsnachweise beizufügen waren, die im Falle der Pflegeversicherungsleistungen / Grundleistungen die einzelnen erbrachten Leistungen und im Falle der Krankenversicherungsleistungen / Behandlungspflege die zeitliche Dauer der Leistungen an den jeweiligen Tagen dokumentieren sollten.
11Im Zeitraum zwischen dem und dem reichte die Angeklagte unter dem Namen verschiedener von ihr betriebener Pflegedienste an 96 Tagen insgesamt 123 Rechnungen samt Leistungsnachweisen bei der B. ein, an 93 Tagen Rechnungen an die Krankenkasse – zum Teil zusammen mit Rechnungen an die Pflegeversicherung –, an drei Tagen lediglich Rechnungen an die Pflegeversicherung. Die Rechnungen über Krankenversicherungsleistungen waren hinsichtlich der geleisteten Arbeitsstunden überhöht. Die Unterschriften unter den beigefügten Leistungsnachweisen waren in 91 Fällen gefälscht.
12Die zuständigen Mitarbeiter der B. gingen bei der Prüfung der Rechnungen davon aus, dass die Leistungen entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen und in dem abgerechneten Umfang erbracht worden waren. Hätten sie von der tatsächlichen Qualifikation und der tatsächlichen Art und Weise der Einarbeitung und Überwachung des eingesetzten Personals oder der Fälschung der Unterschriften auf den Leistungsnachweisen erfahren, hätten sie die Bezahlung der Rechnungen vollständig verweigert.
13Insgesamt erlangte die Angeklagte aus den an 96 Tagen eingereichten Rechnungen einen Betrag in Höhe von 247.154,51 € von der B. , wobei 35.213,51 € auf die Pflegeversicherung und 211.941 € auf die Krankenversicherung entfielen.
B.
14Der Angeklagten war gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie nach den Ausführungen ihres Verteidigers an der Fristversäumung kein Verschulden trifft (§ 44 StPO).
C.
15Das Rechtsmittel der Angeklagten ist unbegründet.
I.
16Die Verfahrensrüge greift aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom nicht durch.
II.
17Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge deckt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Hinsichtlich des Tatbestands der Urkundenfälschung bedarf dies keiner näheren Darlegung. Aber auch den Tatbestand des Betrugs hat das Landgericht zu Recht als erfüllt angesehen.
181. Die Angeklagte täuschte die zuständigen Mitarbeiter der B. durch die Einreichung der Rechnungen nebst Leistungsnachweisen konkludent über das Vorliegen der den Zahlungsanspruch begründenden Tatsachen. Soweit die Angeklagte Rechnungen mit überhöhter Stundenzahl eingereicht hat, liegt dies auf der Hand. Darüber hinaus gab die Angeklagte aber auch konkludent wahrheitswidrig vor, Pflegepersonal eingesetzt und beschäftigt zu haben, das die vertraglich vereinbarte Qualifikation aufwies. Im Einzelnen:
19a) Zwar fordert das SGB V bezüglich der häuslichen Krankenpflege keine besondere Qualifikation der von den Leistungserbringern eingesetzten Personen. Die Krankenkassen sind jedoch berechtigt, den Abschluss eines Vertrages über die Leistung häuslicher Krankenpflege von einer bestimmten formalen Qualifikation des Pflegepersonals abhängig zu machen (BSGE 90, 150, 154 ff.; BSGE 98, 12, 17, 19). Wird eine solche Vereinbarung getroffen, bildet sie neben den gesetzlichen Bestimmungen die Grundlage der Leistungsbeziehung und soll sicherstellen, dass sich die Pflege nach den gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollzieht (vgl. , Rn. 5, juris; BSGE 94, 213, 220 Rn. 26; , Rn. 32, juris). Eine solche Bestimmung haben die Vertragsparteien hier in § 2 der am unterzeichneten „Ergänzungsvereinbarung“ getroffen, und zwar ausdrücklich für die häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V und die Pflegesachleistung nach § 36 SGB XI. Die Leistungserbringung gegenüber der Krankenversicherung und gegenüber der Pflegeversicherung richtete sich daher nach denselben Maßstäben.
20b) Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass nach der getroffenen Vereinbarung jegliche pflegerische Versorgung des Patienten O. durch besonders qualifiziertes Personal, nämlich durch Fachgesundheits- und Krankenpfleger/-innen und Kinderkrankenpfleger/-innen für pädiatrische Intensivpflege durchgeführt werden, zumindest aber das Personal durch derart ausgebildete Personen eingearbeitet, angeleitet, unterstützt und überwacht werden sollte. Die Bestimmung in § 2 Abs. 1 Satz 2 der Vereinbarung, dass der Pflegedienst genügend Fachgesundheits- und Krankenpfleger/-innen für Intensivpflege und Anästhesie bzw. Krankenpfleger/-innen und Kinderkrankenpfleger/-innen für pädiatrische Intensivpflege beschäftigen müsse, hat das Landgericht – ebenso wie die Vertragsparteien - als Konkretisierung der Anforderungen im Satz 1 der Regelung verstanden. Danach waren die Herrn O. verordneten Vertragsleistungen nur von dazu fachlich besonders qualifizierten Pflegekräften durchzuführen. Gegen diese Auslegung des Vertrags, die dem Tatrichter obliegt (vgl. , StraFo 2013, 123, 125; Urteil vom – 5 StR 73/03, NJW 2004, 2248, 2250), ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.
21c) Hiervon ausgehend hat das Landgericht rechtsfehlerfrei auch insoweit in den Abrechnungen der Angeklagten eine Täuschung der Mitarbeiter der B. erblickt; denn tatsächlich setzte die Angeklagte – obwohl sie dies in den eingereichten Rechnungen zumindest konkludent (mit-)erklärt hat – zur Pflege des Herrn O. zu keinem Zeitpunkt Mitarbeiter mit der vereinbarten Zusatzqualifikation ein und veranlasste auch keine Einweisung und Überwachung des vor Ort tätigen Personals durch solche Mitarbeiter. Auch hatte sie nur kurzzeitig Personal beschäftigt, das diese Qualifikation aufwies.
222. Ausweislich der rechtsfehlerfreien Feststellungen gingen die Mitarbeiter der B. deshalb davon aus, dass die Angeklagte die Leistungen wie vereinbart erbracht habe und bezahlten die Rechnungen. Hätten sie von der fehlenden Qualifikation des Personals gewusst, hätten sie dies nicht getan.
233. Der B. ist durch die irrtumsbedingte Bezahlung der Rechnungen ein Vermögensschaden entstanden.
24Ein solcher tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt (Gesamtsaldierung, vgl. , BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 77; Beschlüsse vom – 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95 Rn. 75; vom – 3 StR 444/10, jeweils mwN). Aus dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG folgt dabei, dass die gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht durch eine normative Auslegung des Merkmals des Vermögensnachteils bzw. -schadens überlagert werden darf (vgl. BVerfG, NStZ 2010, 626, 629; NJW 2012, 907, 916 f.).
25a) Nach diesem Maßstab liegt zunächst ein Vermögensschaden der B. vor, soweit die Angeklagte in sämtlichen Abrechnungen gegenüber der Krankenkasse mehr Dienststunden angegeben hat als tatsächlich geleistet wurden (vgl. , BGHSt 36, 320, 321; Volk, NJW 2000, 3385, 3386; SSW-StGB/Satzger, 2. Aufl., § 263 Rn. 255).
26b) Aber auch soweit durch die Mitarbeiter der Angeklagten die Pflegeleistungen tatsächlich erbracht wurden, tragen die Feststellungen die Annahme eines Vermögensschadens und damit die Verurteilung wegen Betrugs.
27aa) Denn die B. war im Tatzeitraum nicht zur Zahlung der in Rechnung gestellten Beträge verpflichtet, da die von der Angeklagten eingesetzten und beschäftigten Pflegekräfte nicht über die in der Vereinbarung zwischen der Angeklagten und der B. vorausgesetzte Qualifikation verfügten.
28Das Unterschreiten der nach dem Vertrag vereinbarten Qualifikation führt nach den insoweit maßgeblichen Grundsätzen des Sozialrechts auch dann zum vollständigen Entfallen des Vergütungsanspruchs, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurden („streng formale Betrachtungsweise“, vgl. , BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 62 m. Anm. Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315, 316; Beschluss vom – 4 StR 280/94, NStZ 1995, 85 f.; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom – L 1 KR 89/06, Rn. 36, juris). Dies ergibt sich aus Folgendem:
29Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts können die Krankenkassen auf formalen Ausbildungs- und Weiterbildungsqualifikationen bestehen, weil sonst eine den praktischen Erfordernissen entsprechende Qualitätskontrolle der Leistungserbringung nicht möglich ist (BSGE 98, 12 Rn. 32 mwN). Die Abrechenbarkeit von Leistungen knüpft daher streng an die formale Qualifikation des Personals an, wobei die vertragliche Vereinbarung mit dem Leistungserbringer maßgeblich ist (, juris; SG Dresden, Beschluss vom – S 16 KR 392/03 ER). Dem Leistungserbringer steht daher für Leistungen, die er unter Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften oder vertragliche Vereinbarungen bewirkt, auch dann keine Vergütung zu, wenn diese Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht sind (vgl. , Rn. 5, juris; BSGE 94, 213, 220 Rn. 26; Urteil vom – B 6 KA 14/03 R, Rn. 23, juris, jeweils mwN). Auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung oder Geschäftsführung ohne Auftrag scheiden in diesen Fällen aus (, Rn. 5, juris). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Rechtsauffassung bestehen nicht. Die Regelungen im Sozialrecht dienen in erster Linie der Wirtschaftlichkeit und der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, welche einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang darstellen (vgl. BVerfG, NJW 2014, 2340, 2341 Tz. 34).
30Hatten die Angeklagte und die Pflegedienste mithin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf die geltend gemachten Leistungen, so ist der B. mit den Zahlungen wirtschaftlich – nicht lediglich normativ – ein entsprechender Schaden entstanden.
31bb) Darüber hinaus stellte die Arbeitsleistung als solche keine Gegenleistung für die Zahlungen der Kranken- und Pflegekasse dar. Aufgrund der verletzten vertraglichen Vorgabe war unter den hier gegebenen besonderen Umständen die Qualität der Leistung so gemindert, dass ihr wirtschaftlicher Wert gegen Null ging (vgl. , Rn. 13; Singelnstein, wistra 2012, 417, 422; Schönke-Schröder/Perron, StGB, 29. Aufl., § 263 Rn. 112b; Luig, Vertragsärztlicher Abrechnungsbetrug und Schadensbestimmung, 2009, S. 147; Volk, NJW 2000, 3385, 3387 f.; Dannecker/Bülte, NZWiSt 2012, 81, 84; Dann, NJW 2012, 2001, 2003; Wischnewski/Jahn, GuP 2011, 212, 215; zum Abrechnungsbetrug bei Kassenärzten vgl. auch Lindemann, NZWiSt 2012, 334, 39; Grunst, NStZ 2004, 533, 536 f.; Idler, JuS 2004, 1037, 1041; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl., § 14, Rn. 14/33; Stein, MedR 2001, 124, 127, 130). Denn eine hinreichende Versorgung konnte bei dem tracheotomierten Patienten O. unter Berücksichtigung möglicher Notfallsituationen, die eine Beatmung notwendig machen konnten, entsprechend der Auffassung der B. nur erfolgen, wenn die eingesetzten Mitarbeiter über eine Zusatzausbildung zum Fachgesundheitspfleger oder Krankenpfleger bzw. Kinderkrankenpfleger für pädiatrische Intensivpflege verfügten. Dies sollte durch die vertraglichen Vereinbarungen mit der Angeklagten über die Zusatzqualifikation sichergestellt werden, was dieser auch bekannt war. Die eingesetzten Mitarbeiter der Angeklagten erhielten jedoch nicht einmal nähere Instruktionen darüber, welche Komplikationen bei Herrn O. eintreten könnten und welche Maßnahmen bei einem Notfall, z.B. während der Wartezeit auf den Notarzt zu ergreifen wären. Sie wurden lediglich darauf verwiesen, sich an die vor Ort tätigen, nicht ausgebildeten polnischen Hilfskräfte, die allerdings kaum Deutsch sprachen, zu wenden oder gegebenenfalls den Notarzt zu rufen. Vor diesem Hintergrund stellten die tatsächlich erbrachten Leistungen der Pflegedienste der Angeklagten nicht nur eine Schlechtleistung dar, sondern stehen einer Nichterbringung der vertraglich geschuldeten Leistung gleich. Die von der Angeklagten erbrachten Leistungen waren daher auch unabhängig von dem Entfallen eines sozialversicherungsrechtlichen Vergütungsanspruchs bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise für die B. wertlos.
32Schon aus diesem Grund steht der Annahme eines Vermögensschadens auch das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, das eine Ersetzung der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise durch eine normative Auslegung des Merkmals des Vermögensnachteils bzw. -schadens verbietet (vgl. BVerfG, NStZ 2010, 626, 629; NJW 2012, 907, 916 f.), nicht entgegen.
33cc) Der Annahme eines vollständigen Vermögensverlustes steht auch nicht entgegen, dass die B. die dem Versicherten O. geschuldeten Leistungen im Nachhinein nicht mehr erbringen muss. Dabei kann dahinstehen, ob der Anspruch des Versicherten O. auf häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V durch das Tätigwerden der Angeklagten erloschen ist (vgl. LG Lübeck, GesR 2006, 176, 177; Grunst, NStZ 2004, 533, 535; Gaidzik, wistra 1998, 329, 331 f.; Ellbogen/Wichmann, MedR 2007, 14; Saliger, ZIS 2011, 902, 917; Idler, JuS 2004, 1037, 1041). Insoweit fehlt es jedenfalls bereits an der erforderlichen Unmittelbarkeit des herbeigeführten Vermögenszuwachses. Denn eine Befreiung von der Leistungspflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer stellt keine Gegenleistung für die gezahlte Pflegevergütung dar. Sie würde vielmehr aus einer anderen Leistungsbeziehung als derjenigen zwischen der B. und der Angeklagten herrühren (vgl. , BGHSt 57, 95, 117; MüKoStGB/Hefendehl, 2. Aufl., § 263 Rn. 582; Hellmann, NStZ 1995, 232, 233; Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315, 316).
34Aus demselben Grund entfällt der Vermögensschaden auch nicht dadurch, dass die Krankenkasse keinen anderen Pflegedienst mit der Pflege des Herrn O. beauftragen musste und deshalb Aufwendungen erspart hat (, aaO, 118 f.; Urteil vom – 1 StR 534/11, BGHSt 57, 312 Rn. 52; Urteil vom – 3 StR 161/02, NStZ 2003, 313, 315 mit zust. Anm. Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315, 316; Beschluss vom – 4 StR 280/94, NStZ 1995, 85, 86 mit zust. Anm. Hellmann, NStZ 1995, 232, 233; SSW-StGB/Satzger, 2. Aufl., § 263 Rn. 256; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 263 Rn. 155; aA Wischnewski/Jahn, GuP 2011, 212, 216; Wasserburg, NStZ 2003, 353, 357).
III.
35Auch der Strafausspruch begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
36Da sich die erbrachten Leistungen des Pflegedienstes der Angeklagten aus den vorgenannten Gründen nicht schadensmindernd auswirkten, hat das Landgericht zu Recht einen Vermögensschaden der B. in voller Höhe der bezahlten Rechnungen angenommen. Ob bei der Strafzumessung in Fällen zu Unrecht abgerechneter pflegerischer Leistungen der Umstand tatsächlich erbrachter Leistungen und hierzu entstandener Aufwendungen strafmildernd berücksichtigt werden muss (so für vertragsärztliche Abrechnungen , NJW 2003, 1198, 1200; Beschluss vom – 4 StR 280/94, NStZ 1995, 85 f.; offen gelassen für den Bereich privatärztlicher Liquidation in , NJW 2012, 1377, 1385 Rn. 109), kann letztlich offen bleiben. Das Landgericht hat bei der Strafrahmenwahl und bei der Strafzumessung ausdrücklich berücksichtigt, dass „es sich bei dem entstandenen Vermögensschaden um einen formalen Schaden handelt und die geschädigte Versicherung die ausgezahlten Beträge in Höhe von insgesamt 247.154,51 € auch bei ordnungsgemäßer Leistung hätte zahlen müssen und nicht an einen anderen Dienst nachentrichten, also noch einmal zahlen muss“. Dass dies hinsichtlich der nicht erbrachten Arbeitsstunden nicht zutrifft, beschwert die Angeklagte nicht.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2014 S. 3170 Nr. 43
wistra 2014 S. 478 Nr. 12
NAAAE-73356