BGH Beschluss v. - V ZB 137/14

Ab- und Zurückschiebungshaftanordnung: Rechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen die EG-Richtlinie über die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger bei Unterbringung des Betroffenen auf dem Gelände einer Justizvollzugsanstalt

Leitsatz

1. Im Hinblick auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Rechts der Union (effet utile) muss der Haftrichter die Anordnung von Sicherungshaft ablehnen, wenn absehbar ist, dass der Betroffene entgegen den Vorgaben des Unionsrechts untergebracht werden wird (Umsetzung von und C-514/13 - Bero und  Bouzalmate, ECLI:EU:C:2014:2095 Rn. 30 f.).

2. In Deutschland darf Ab- und Zurückschiebungshaft nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG nur in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen werden (Umsetzung von und C-514/13 - Bero und  Bouzalmate, ECLI:EU:C:2014:2095 Rn. 30 f.).

3. Die Unterbringung der von Ab- oder Zurückschiebung Betroffenen in einem besonderen Gebäude auf dem Gelände einer gewöhnlichen Haftanstalt ist keine Unterbringung in einer speziellen Hafteinrichtung im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG (Umsetzung von und C-514/13 - Bero und Bouzalmate, ECLI:EU:C:2014:2095 Rn. 30 f.).

Gesetze: § 62a AufenthG, Art 16 Abs 1 S 1 EGRL 115/2008

Instanzenzug: Az: 39 T 119/14vorgehend Az: 507a XIV (B) 39/14

Gründe

I.

1Der Betroffene ist türkischer Staatsbürger und reiste am ohne Ausweis- oder Aufenthaltspapiere mit Hilfe eines Schleppers nach Deutschland ein. Am wurde er in Köln bei dem Versuch festgenommen, sich unter Vorlage einer gefälschten bulgarischen Identitätskarte anzumelden. Mit Verfügung vom gleichen Tag drohte ihm die beteiligte Behörde die Abschiebung an. Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht am gegen den Betroffenen Haft bis zum angeordnet. Die Haft wird in einem gesonderten Gebäude auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Büren vollzogen. Am hat der Betroffene aus der Haft heraus einen Asylantrag gestellt. Auf die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das die Rechtswidrigkeit der Haft für den Zeitraum vom bis zum festgestellt und die weitergehende Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt.

2Einen ersten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angeordneten Haft hat der Senat mit Beschluss vom zurückgewiesen. Mit dem vorliegenden zweiten Aussetzungsantrag macht der Betroffene geltend, der Vollzug der Haft in der Justizvollzugsanstalt Büren widerspreche dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (Rs. 473/13 und 514/13 - Bero und Bouzalmate, ECLI:EU:C:2014:2095).

II.

3Der Aussetzungsantrag hat Erfolg.

41. Er ist in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (Senat, Beschluss vom - V ZB 14/10, FGPrax 2010, 97 Rn. 3). Seiner Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Senat den ersten Aussetzungsantrag des Betroffenen abgelehnt hat. Der Zurückweisungsbeschluss erwächst nicht in Rechtskraft. Deshalb kann eine Aussetzung bei Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen auch angeordnet werden, wenn ein vorausgegangener Aussetzungsantrag zurückgewiesen worden ist (vgl. auch AnwZ (B) 78/08, juris Rn. 3). Ein Rechtsschutzbedürfnis für den erneuten Antrag besteht jedenfalls deshalb, weil der Betroffene unter Hinweis auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union nunmehr erstmals die rechtswidrige Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt Büren rügt.

52. Der Antrag ist auch begründet, weil die Rechtsbeschwerde des Betroffenen nach der gebotenen summarischen Prüfung erfolgreich sein wird. Im Hinblick auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Rechts der Union (effet utile) muss der Haftrichter die Anordnung von Sicherungshaft ablehnen, wenn absehbar ist, dass der Betroffene entgegen den Vorgaben des Unionsrechts untergebracht werden wird (Senat, Vorlagebeschluss vom - V ZB 40/11, NVwZ 2014, 166, Rn. 20). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

6a) Die Unterbringung des Betroffenen in der Justizvollzugsanstalt Büren widerspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.

7aa) Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG erfolgt die Inhaftierung von Betroffenen zur Sicherung der Ab- oder Zurückschiebung grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Zwar dürfen Betroffene nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie in „gewöhnlichen Haftanstalten“ untergebracht werden, wenn in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden sind. Diese Ausnahme trifft aber nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union für Deutschland nicht zu, weil in mehreren deutschen Bundesländern spezielle Einrichtungen vorhanden sind ( und C 514/13 - Bero und Bouzalmate, ECLI:EU:C:2014: 2095 Rn. 30 f.).

8§ 62a Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist in diesem Sinne richtlinienkonform einschränkend auszulegen. Dem steht nicht entgegen, dass die Vorschrift nach ihrem Wortlaut auf die Verhältnisse in dem betroffenen Bundesland und nicht auf die Verhältnisse in Deutschland insgesamt abstellt. Der Gesetzgeber hat mit der Vorschrift ausweislich der Entwurfsbegründung Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie ohne Abstriche umsetzen wollen (BT-Drucks. 17/5470 S. 25). Er hat dabei ein - wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergibt - fehlerhaftes Verständnis der Richtlinie zugrunde gelegt, was aber an dem Willen zur richtlinienkonformen Anpassung des nationalen deutschen Rechts nichts ändert. Einem solchen Versehen ist mit einer richtlinienkonformen - hier einschränkenden - Auslegung Rechnung zu tragen (vgl. , BGHZ 192, 148 Rn. 26; Senat, Beschluss vom - V ZB 137/12, InfAuslR 2014, 148 Rn. 9-11).

9bb) Nach dem erwähnten Urteil des Gerichtshofs kann die Unterbringung eines Betroffenen in einem gesonderten Gebäude auf dem Gelände einer Justizvollzugsanstalt, anders als die beteiligte Behörde meint, auch nicht als Unterbringung in einer speziellen Hafteinrichtung angesehen werden, wie sie von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie verlangt wird. Wenn Betroffene in einem Mitgliedstaat überhaupt in gewöhnlichen Haftanstalten untergebracht werden dürfen, dürfte dies nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG nur „gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen“ geschehen. In einem weiteren Urteil vom hat der Gerichtshof der Europäischen Union ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich aus dem Wortlaut dieser Norm die unbedingte Verpflichtung ergibt, die illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen von den gewöhnlichen Strafgefangenen zu trennen, wenn ein Mitgliedstaat sie nicht in speziellen Hafteinrichtungen unterbringen kann (Rs. C-474/13 - Pham, ECLI:EU:C:2014:2096 Rn. 17, 21). Daraus folgt, dass eine solche gesonderte Unterbringung von Betroffenen auf dem Gelände einer gewöhnlichen Haftanstalt keine Unterbringung in einer speziellen Hafteinrichtung sein kann. Sie ist - unabhängig von ihrer Ausgestaltung im Einzelnen - eine Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt, die in Deutschland, wie ausgeführt, generell nicht zulässig ist.

10cc) Die Justizvollzugsanstalt Büren dient nach Teil 4 des geltenden Vollstreckungsplans für das Land Nordrhein-Westfalen (Allgemeinverfügung des Justizministeriums vom - 4431 - IV B. 28) dem Vollzug der Abschiebungshaft, der Freiheitsstrafe von bis zu drei Monaten und der Ersatzfreiheitsstrafe. Es handelt sich deshalb um eine gewöhnliche Haftanstalt, in der auch von einer Ab- oder Zurückschiebung Betroffene untergebracht sind. Diese Art der Unterbringung widerspricht dem Unionsrecht.

11b) Daran gemessen ist jedenfalls der weitere Vollzug der Haft rechtswidrig, weil der Betroffene derzeit unter Verstoß gegen die Vorgaben des Unionsrechts untergebracht ist und die Behörde eine Änderung der Unterbringung abgelehnt hat.

Schmidt-Räntsch                      Roth                    Brückner

                          Weinland                 Kazele

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Fundstelle(n):
EAAAE-71820