BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 791/12

Nichtannahmebeschluss: Zum Umfang der Beschwerdebefugnis des Insolvenzverwalters sowie zum Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses nach Erledigung - hier: Insolvenz eines Medizinischen Versorgungszentrums und Entziehung der Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung - Insolvenzverwalter bzgl höchstpersönlicher Rechtspositionen (hier: Kassenzulassung) nicht beschwerdebefugt - Wegfall des Rechtsschutzinteresse bzgl Kassenzulassung aufgrund Betriebseinstellung

Gesetze: § 90 Abs 1 BVerfGG, § 95a SGB 5, § 95 Abs 1 SGB 5, § 95 Abs 6 S 3 SGB 5, § 95 Abs 7 S 2 Alt 2 SGB 5, § 98 Abs 2 Nr 10 SGB 5

Instanzenzug: Az: B 6 KA 22/11 Urteilvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 7 KA 62/10 Urteilvorgehend Az: S 22 KA 605/09 Urteil

Gründe

I.

1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein sozialgerichtliches Verfahren wegen der Entziehung der Zulassung für ein Medizinisches Versorgungszentrum.

2 1. Die ursprüngliche, jetzt insolvente Beschwerdeführerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Unternehmensgegenstand der Betrieb eines Medizinischen Versorgungszentrums ist. Auf Antrag der Kassenärztlichen Vereinigung B… entzog ihr der Zulassungsausschuss mit Beschluss vom die im Jahr zuvor erteilte Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung.

3 Klage und Berufung gegen die Entziehung der Zulassung waren erfolglos. Das Bundessozialgericht wies auch die Revision zurück (Urteil vom ).

4 Mit Beschluss vom wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet. Der zum Insolvenzverwalter bestellte Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom erklärt, er führe das von der ursprünglichen Beschwerdeführerin eingeleitete Verfassungsbeschwerdeverfahren fort.

5 Mit Ablauf des wurde die vertragsärztliche Tätigkeit im Medizinischen Versorgungszentrum eingestellt und die Arbeitsverträge mit den angestellten Ärzten gekündigt. Daraufhin stellte der Zulassungsausschuss für Ärzte mit Beschluss vom die Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit der angestellten Ärzte mit Wirkung zum fest.

6 2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG jeweils in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG.

II.

7 Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die von dem Beschwerdeführer fortgeführte Verfassungsbeschwerde ist mangels Beschwerdebefugnis unzulässig (1.). Darüber hinaus fehlt dem Beschwerdeführer aufgrund der Einstellung der vertragsärztlichen Tätigkeit des Medizinischen Versorgungszentrums zum für das Verfassungsbeschwerdeverfahren das Rechtsschutzbedürfnis (2.).

8 1.a) Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der Beschwerdeführer geltend macht, durch eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt in eigenen Rechten betroffen zu sein. Im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist eine Prozessstandschaft grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfGE 2, 292 <294>; 10, 134 <136>; 11, 30 <35>; 19, 323 <329>; 56, 296 <297>; 77, 263 <268>; 79, 1 <19>). "Parteien kraft Amtes" - wie Insolvenzverwalter - sind jedoch befugt, Verfassungsbeschwerde zu erheben (vgl. BVerfGE 51, 405 <409>; 65, 182 <190>; 95, 267 <299>). Der Beschwerdeführer beruft sich weder auf die Verletzung eigener Prozessgrundrechte (vgl. BVerfGE 82, 286 <295 f.>) noch ist er aufgrund seiner Stellung als Partei kraft Amtes berechtigt, die gerügten Grundrechtsverstöße eigenständig geltend zu machen.

9 b) Soweit die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung betroffen ist, mangelt es dem Beschwerdeführer an der für die prozessuale Handlungsfähigkeit vorausgesetzten materiell-rechtlichen Handlungsfähigkeit (vgl. BVerfGE 51, 405 <409>). Letztere folgt jedenfalls nach Einstellung der vertragsärztlichen Tätigkeit des Medizinischen Versorgungszentrums weder aus den aus der Zulassung abgeleiteten Rechten noch aus der Zulassung selbst.

10 aa) Die kassenärztliche Zulassung unterfällt als höchstpersönliches Recht nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Die Zulassung setzt eine Reihe von Qualifikationen voraus, die in der Person des zulassungswilligen Arztes erfüllt sein müssen (vgl. § 95 Abs. 1 und § 95a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung <SGB V> i.V.m. § 3 Abs. 2 ff. der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte <Ärzte-ZV>; § 98 Abs. 2 Nr. 10 SGB V i.V.m. §§ 18, 20, 21 Ärzte-ZV; vgl. Ramolla, in: Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, § 95 Rn. C 95-15). Die Zulassung als Vertragsarzt ist daher höchstpersönlicher Natur und nicht übertragbar (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2167/93, 1 BvR 2198/93 -, NJW 1998, S. 1776 <1778>). Die einer natürlichen Person erteilte Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung kann als öffentlichrechtliche Berechtigung bei Vermögensverfall nicht in die Insolvenzmasse fallen (vgl. -, BSGE 86, 121 <123>; vorgehend -, MedR 1999, S. 333 <337>; u.a -, juris <Rn. 22>; Henckel, in: Jäger, InsO, § 35 Rn. 14; Ramolla, in: Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, § 95 Rn. C 95-29 ).

11 bb) Bei der Zulassung handelt es sich auch dann um eine höchstpersönliche Rechtsposition, wenn sie einem in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts betriebenen Medizinischen Versorgungszentrum erteilt wird (vgl. -, MedR 2013, S. 66; Dumoulin, Das Medizinische Versorgungszentrum in der Insolvenz, FLF 2012, S. 8 <11>). Auch die an die Trägergesellschaft eines Medizinischen Versorgungszentrums gebundene ärztliche Zulassung ist nicht übertragbar. Dies folgt schon daraus, dass für den vertragsärztlichen Teilnahmestatus des Medizinischen Versorgungszentrums die Qualifikationsvoraussetzungen gleichwohl über die im Medizinischen Versorgungszentrum tätigen Ärzte durchgesetzt werden (vgl. Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 16 Rn. 3). Zudem steht einer Übertragung bei Veräußerung der Trägergesellschaft die Verknüpfung der Zulassung mit der Gründungsgesellschaft entgegen.

12 2. Eine Fortdauer des Rechtsschutzbedürfnisses ist nach Betriebseinstellung zum weder schlüssig vorgetragen noch ersichtlich.

13 Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch ein Bedürfnis für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsakts oder wenigstens für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit besteht (vgl. BVerfGE 33, 247 <253>; 50, 244 <247>; stRspr). Ist das mit der Verfassungsbeschwerde ursprünglich verfolgte Begehren erledigt, so besteht ein Rechtsschutzbedürfnis nur dann, wenn die - vordergründig - erledigte Maßnahme den Beschwerdeführer aufgrund von Folgewirkungen weiterhin beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 99, 129 <138>; 110, 177 <188>), wenn eine Wiederholung des gerügten Verstoßes konkret zu besorgen ist, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 105, 239 <246>) oder wenn anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff gewichtig ist (vgl. BVerfGE 119, 309 <317>).

14 a) Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Begehren hat sich erledigt. Die mit der Zulassungsentziehung verbundene Beschwer ist spätestens mit der Einstellung des Betriebes weggefallen.

15 Die Zulassungsentziehung entfaltet keine rechtlichen Wirkungen mehr. Die Zulassung ist ohne förmliches Entziehungsverfahren durch Auflösung des Medizinischen Versorgungszentrums kraft Gesetzes beendet (§ 95 Abs. 7 Satz 2, Alt. 2 SGB V).

16 Der Beschwerdeführer hat nicht dargetan, dass eine Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit innerhalb einer angemessenen Frist zu erwarten ist, und deshalb ein bloßes Ruhen der Zulassung (§ 95 Abs. 5 SGB V) in Betracht kommt (vgl. Hencke, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand: Januar 2007, § 95 Rn. 33).

17 b) Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis besteht nicht ausnahmsweise deshalb fort, weil anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe (vgl. BVerfGE 119, 309 <317>). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Entziehung einer Vertragsarztzulassung sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Die Entziehung der Vertragsarztzulassung wegen gröblicher Pflichtverletzung schränkt die Berufsfreiheit in einem Maße ein, das in seiner Wirkung der Beschränkung der Berufswahl nahe kommt (vgl. BVerfGE 69, 233 <244>). Solche Eingriffe sind nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. BVerfGE 44, 105 <117 f.>). Darüber hinaus ist weder eine weitere Beeinträchtigung durch die angegriffenen Entscheidungen (vgl. BVerfGE 99, 129 <138>; 110, 177 <188>) noch eine Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 33, 247 <257>; 81, 208 <213>) ersichtlich. Schließlich rechtfertigen auch die geltend gemachten ideellen Interessen nicht ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis.

18 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2013:rk20130322.1bvr079112

Fundstelle(n):
NJW 2013 S. 2739 Nr. 37
NJW-RR 2013 S. 1141 Nr. 18
ZIP 2013 S. 986 Nr. 20
EAAAE-69264