BAG Urteil v. - 9 AZR 821/12

Altersteilzeit - Bonusanspruch - Auslegung von AGB und Betriebsvereinbarung

Gesetze: § 305c Abs 2 BGB, § 310 Abs 4 S 1 BGB, § 77 Abs 4 BetrVG

Instanzenzug: ArbG Essen Az: 6 Ca 2066/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 8 Sa 16/12 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten nach der Beendigung ihres Altersteilzeitarbeitsverhältnisses über die Höhe des dem Kläger im Austrittsjahr zu zahlenden Jahresbonus.

2Der am geborene Kläger war langjährig bei der Beklagten, einem Unternehmen der chemischen Industrie, und deren Rechtsvorgängerinnen als sog. AT-Mitarbeiter beschäftigt.

3Die Gesamtbetriebsparteien schlossen am eine „Vereinbarung über Altersteilzeit für außertarifliche Mitarbeiter und Leitende Angestellte“ (GBV ATZ), die für alle Altersteilzeitarbeitsverhältnisse, die nach dem begonnen haben, galt und auszugsweise wie folgt lautet:

4Am schloss der Kläger mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen von dieser vorformulierten Altersteilzeitarbeitsvertrag (ATZV), der ua. wie folgt lautet:

5Ab dem Jahr 2005 war die Zahlung eines Jahresbonus, der aus einem Konzern- und einem Bereichsbonus besteht, in einer „Rahmenvereinbarung über ein Management Compensation System für außertarifliche und leitende Angestellte“ vom (KBV MCS) zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten, dem Konzernbetriebsrat und dem Konzernsprecherausschuss geregelt. Diese KBV MCS trat rückwirkend zum in Kraft und lautet auszugsweise wie folgt:

6Der Kläger erhielt während der Dauer seiner Vollzeitbeschäftigung vor Eintritt in die Altersteilzeit seine jährlichen Boni auf Basis der KBV MCS ausgezahlt.

7Die Gesamtbetriebsparteien schlossen am eine Änderungs- und Ergänzungsvereinbarung zur GBV ATZ, die allerdings deren § 5 inhaltlich unverändert ließ. Am trafen die Konzernbetriebsparteien eine am selben Tag in Kraft getretene Änderungsvereinbarung zur KBV MCS. Mit dieser wurde ua. § 6.5 KBV MCS um folgende Ziffer ergänzt:

8Wie vertraglich vereinbart, begann ab die Altersteilzeit im Blockmodell. Im Anschluss an die einjährige Freistellungsphase bis zum trat der Kläger in den Ruhestand. Als Konzern- und Bereichsbonus für das Jahr 2010 zahlte die Beklagte dem Kläger in Anwendung von § 6.5 Ziff. 5 KBV MCS, dh. unter Berechnung auf Basis 100 %iger Zielerreichung, 13.662,00 Euro brutto.

9Die tatsächlichen Zielerreichungsgrade für das Jahr 2010 wurden von der Geschäftsführung der Beklagten erst im Frühjahr 2011 für den Konzernbonus auf 150 % von 6 % des Jahresgrundgehalts und für den Bereichsbonus auf 143,8 % von 12 % des Jahresgrundgehalts festgelegt. Bei Zugrundelegung dieser Zielerreichungsgrade stünde dem Kläger ein Jahresbonus für das Jahr 2010 - bestehend aus Konzern- und Bereichsbonus - iHv. 19.928,00 Euro brutto zu. Dieser Betrag steht rechnerisch zwischen den Parteien nicht im Streit.

10Der Kläger hat gemeint, die Beklagte habe ihm aufgrund der tatsächlich festgelegten Zielerreichungsgrade 19.928,00 Euro brutto zahlen müssen. § 4 Ziff. 3 ATZV enthalte eine konstitutive Regelung des Inhalts, dass immer die tatsächlichen Werte des Geschäftsjahres und damit auch die tatsächlichen Zielerreichungsgrade für die Bonusberechnung maßgeblich seien. Kollektivrechtliche Regelungen kämen nach § 11 Ziff. 5 ATZV nur „im Übrigen“ zur Anwendung. Das einschlägige kollektive Regelwerk sei ihm zudem unbekannt gewesen. Es sei Sache der Beklagten gewesen, den durch die Formulierung von § 4 Ziff. 3 ATZV verursachten Transparenzmangel durch eine klare Verweisung auf die jeweils geltenden Betriebs- und Konzernvereinbarungen zu beheben.

11Der Kläger hat zuletzt beantragt,

12Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, sie habe den Bonusanspruch des Klägers für das Jahr 2010 vollumfänglich erfüllt. § 4 Ziff. 3 ATZV besitze ersichtlich rein deklaratorischen Charakter. Maßgeblich für die Bonusberechnung sei allein die KBV MCS.

13Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter.

Gründe

14Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte den Bonusanspruch für das Jahr 2010 erfüllt hat. Der Kläger hat keinen Anspruch, entgegen § 6.5 Ziff. 5 KBV MCS einen Bonus auf der Grundlage der von der Geschäftsführung erst nach dem Ausscheiden des Klägers festgelegten Zielerreichungsgrade zu erhalten.

15I. Ein solcher Anspruch folgt nicht aus § 5 GBV ATZ. Durch § 5 Abs. 2 Satz 2 GBV ATZ soll nur klargestellt werden, dass für die Berechnung des Konzern- und Bereichsbonus - anders als für den „Individuellen Bonus“ - nicht auf die Arbeitsphase abgestellt wird.

161. Die Auslegung von Betriebsvereinbarungen richtet sich wegen ihres normativen Charakters nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt ( - Rn. 14 mwN; - 1 AZR 874/08 - Rn. 31 mwN). Die Vorschriften der §§ 305 ff. BGB über Allgemeine Geschäftsbedingungen und damit auch die Zweifelsfall-Regelung des § 305c Abs. 2 BGB finden auf Betriebsvereinbarungen keine Anwendung (§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB).

172. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass der Wortlaut des § 5 Abs. 2 Satz 2 GBV ATZ bei isolierter Betrachtung nicht eindeutig ist. Vom Wortlaut würde auch ein Verständnis gedeckt, wonach es nicht zulässig wäre, die Berechnung des Konzern- und Bereichsbonus anhand einer festen Prozentzahl anstelle der tatsächlichen Geschäftsentwicklung zu berechnen. Ein solches Verständnis ist jedoch mit den vorangehenden Regelungen nicht zu vereinbaren. Nach § 5 Abs. 1 GBV ATZ sind alle variablen Boni iHv. 60 % derjenigen Beträge zu zahlen, die der Mitarbeiter ohne Eintritt in die Altersteilzeit erhalten hätte. Sie sind nicht in die Aufstockungszahlung einzubeziehen. Soll der Arbeitnehmer in Altersteilzeit jedoch einen solchen „Hätte-Bonus“ erhalten, so ist für die Altersteilzeit im Blockmodell zu klären, anhand welcher Maßstäbe der Bonus für die Zeiten der Freistellung zu berechnen ist. § 5 Abs. 2 Satz 1 beantwortet diese Frage für den „Individuellen Bonus“ dahin gehend, dass er mit dem in der Arbeitsphase im Durchschnitt erzielten Prozentsatz berechnet wird. Damit bedurfte noch die Frage der Klärung, ob die Arbeitsphase auch für die Berechnung des Konzern- und Bereichsbonus als Referenzzeitraum herangezogen werden soll. Hierfür würde sprechen, dass der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase durch seine Arbeitskraft weder unmittelbar noch mittelbar auf das Geschäftsergebnis Einfluss nehmen kann. § 5 Abs. 2 Satz 2 GBV ATZ stellt jedoch klar, dass dennoch für die Berechnung des Konzern- und Bereichsbonus nicht auf die Arbeitsphase zurückgegriffen werden soll. In dieser Klarstellung gegenüber der vorangegangenen Bestimmung erschöpft sich der Regelungsgegenstand der Vorschrift. Über die konkrete Berechnung des Bonus enthält § 5 Abs. 2 Satz 2 GBV ATZ ebenso wenig wie Satz 1 eine eigene Regelung. Die Bestimmungen zur Berechnung des Bonus finden sich vielmehr in der KBV MCS.

18Für dieses enge Verständnis des § 5 Abs. 2 Satz 2 GBV ATZ streitet auch, dass ansonsten eine Regelung fehlen würde, wie der Konzern- und Bereichsbonus im Falle des unterjährigen Ausscheidens während der Freistellungsphase berechnet werden soll. So existiert keine Definition, welche im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aktuellen Werte herangezogen werden sollen. Im Übrigen bedarf es nach § 6.5 Ziff. 3 der KBV MCS zur Bestimmung der Höhe der Bonusauszahlung zunächst einer Festlegung der Zielerreichungsgrade durch den Vorstand bzw. die Geschäftsführung. Dies erfolgt nach der KBV MCS auf der Grundlage der Jahresergebnisse und nicht aufgrund irgendwelcher aktueller Geschäftszahlen im Zeitpunkt des individuellen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis. Vor dem Hintergrund dieses Auslegungsergebnisses bedarf es im Übrigen keiner Erörterung, ob die Festlegung der Höhe der Bonusauszahlung von vornherein allein in die Zuständigkeit des Konzernsprecherausschusses bzw. des Konzernbetriebsrats fiel (vgl. § 18 Abs. 1, § 23 Abs. 1 SprAuG bzw. § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1 BetrVG).

19II. Ein Anspruch auf Berechnung des Konzern- und Bereichsbonus für das Jahr 2010 auf der Grundlage der von der Geschäftsführung der Beklagten im Frühjahr 2011 festgelegten Zielerreichungsgrade ergibt sich auch nicht aus § 4 Ziff. 3 ATZV. Diese Regelung gibt nur wieder, was aufgrund von § 5 GBV ATZ für das Arbeitsverhältnis der Parteien ohnehin gilt (§ 77 Abs. 4 BetrVG, § 28 Abs. 2 SprAuG). § 4 Ziff. 3 ATZV stellt nur einen Hinweis auf die Gesamtbetriebs- und Gesamtsprecherausschussvereinbarung zur Altersteilzeit dar, dem kein abweichender rechtsgeschäftlicher Regelungsgehalt zukommt.

201. Bei den Regelungen des § 4 ATZV handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nochmals klargestellt, dass hierüber kein Streit besteht. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind (st. Rspr., vgl.  - Rn. 59 mwN; - 3 AZR 373/08 - Rn. 50 mwN, BAGE 134, 269). Diese Grundsätze sind auch für die Frage anzuwenden, ob der Verwender nur eine beschreibende Aussage gemacht oder eine Willenserklärung mit Rechtsbindungswillen abgegeben hat (vgl.  - Rn. 53, aaO; vgl. auch MüKoBGB/Busche 6. Aufl. § 133 Rn. 50; Palandt/Ellenberger 73. Aufl. § 133 BGB Rn. 9).

212. Unabhängig von der Frage, ob es sich um einen bloßen Hinweis auf die Geltung der Regelung des § 5 GBV ATZ oder um eine konstitutive Bezugnahme des § 5 GBV ATZ handelt, ergibt sich bereits aus der fast wortgleichen Übernahme der kollektiven Regelung, dass ihr inhaltlich keine andere Bedeutung zukommen sollte. Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer, dem eine Vertragsklausel vorgelegt wird, die den Inhalt einer Betriebsvereinbarung oder einer Vereinbarung des Sprecherausschusses weitgehend wortgleich wiederholt, muss grundsätzlich davon ausgehen, dass der Klausel dieselbe Bedeutung zukommen soll, wie sie die kollektive Regelung hat. Dabei kommt es auf die individuelle Kenntnis einzelner Arbeitnehmer vom Wortlaut der Kollektivvereinbarung nicht an. Da der Arbeitgeber nach § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG Betriebsvereinbarungen an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen hat, ist davon auszugehen, dass der durchschnittliche Arbeitnehmer die einschlägigen Betriebsvereinbarungen zur Kenntnis nimmt, bevor er einen Änderungsvertrag schließt. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie vorliegend - in dem Vertrag ausdrücklich auf die einschlägigen betrieblichen Regelungen Bezug genommen wird.

22Aus der Bezugnahme in § 11 Ziff. 5 ATZV folgt entgegen der Ansicht der Klägers nicht, dass § 5 Abs. 2 GBV ATZ keine Anwendung finden soll. Nach dieser Bestimmung gelten „im Übrigen“ ua. die „mit den Arbeitnehmervertretern vereinbarten betrieblichen Regelungen zur Altersteilzeit“. Der Formulierung „im Übrigen“ kommt nicht die Bedeutung zu, dass die anderen Regelungen des ATZV zwingend inhaltlich von den in § 11 Ziff. 5 ATZV genannten Bestimmungen abweichen. § 11 Ziff. 5 ATZV bringt nur den Willen der Vertragsparteien zum Ausdruck, dass überall dort, wo der ATZV keine ausdrückliche Regelung enthält, der ATZV iVm. den aufgeführten sonstigen Regelungen zur Altersteilzeit gelten sollen. Die damit bezweckte Lückenfüllung schließt es nicht aus, dass auch dort, wo der ATZV eine Regelung enthält, in der Sache das gelten soll, was in einer der in § 11 Ziff. 5 ATZV genannten Kollektivvereinbarungen geregelt ist. Für dieses Verständnis streitet im vorliegenden Fall auch die Überschrift des § 11 ATZV „Vertragsänderungen und Rechtsgrundlagen“. Mit § 11 Ziff. 5 sollte danach zum Ausdruck gebracht werden, welche sonstigen Bestimmungen Rechtsgrundlagen für das Altersteilzeitarbeitsverhältnis sind. Es handelt sich nicht um eine Regelung, durch die die Geltung bestimmter Regelungen für das Altersteilzeitarbeitsverhältnis ausgeschlossen werden sollte. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die von der Beklagten bzw. der Rechtsvorgängerin vorgegebenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen hinsichtlich der Berechnung der Boni ohnehin betriebsvereinbarungsoffen gestaltet waren (vgl. zu dieser Möglichkeit:  - Rn. 60).

23III. Aufgrund einer etwaigen Unwirksamkeit der Änderungsvereinbarung zur KBV MCS vom kann der Klage nicht stattgegeben werden. Ohne revisiblen Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht das Prozessvorbringen des Klägers dahin gehend ausgelegt, dass der Kläger den „Lebenssachverhalt ‚kollektivrechtlicher Anspruch aus der KBV MCS in ihrer bis zum geltenden Fassung wegen Unwirksamkeit der Änderungsvereinbarung vom ‘ nicht“ zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht hat.

24IV. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
HAAAE-69211