BGH Beschluss v. - 2 StR 495/12

(Anfragebeschluss nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG: Zulässigkeit der Rechtsfigur der ungleichartigen Wahlfeststellung)

Gesetze: Art 103 Abs 2 GG, § 132 Abs 3 S 1 GVG, § 243 Abs 1 StGB, § 260 Abs 1 StGB

Instanzenzug: LG Meiningen Az: 110 Js 19545/12 - 1 KLsnachgehend Az: 5 ARs 39/14 Beschlussnachgehend Az: 1 ARs 14/14 Beschlussnachgehend Az: 2 StR 495/12 Vorlagebeschlussnachgehend Az: 2 StR 495/12 Vorlagebeschlussnachgehend Az: 2 StR 495/12 Urteilnachgehend Az: GSSt 1/17 Beschluss

Gründe

I.

1Das Landgericht hat den Angeklagten L.     wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei in neunzehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren, den Angeklagten E.       wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei in achtzehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Im Übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen. Gegen die Verurteilung richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Sachbeschwerde.

2Bei den Angeklagten wurden im Rahmen von Durchsuchungen jeweils Gegenstände sichergestellt, die nach Überzeugung der Strafkammer entweder von den Angeklagten als Mittäter - möglicherweise neben anderen Tätern - in dem (für die Einzeltaten näher konkretisierten) Tatzeitraum zwischen dem und dem gestohlen worden waren, oder die sie vor Beginn der Durchsuchung am durch Hehlerei erlangt hatten. Die Strafkammer hat die Angeklagten insoweit wegen Diebstahls gemäß §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB  o d e r  gewerbsmäßiger Hehlerei im Sinne der §§ 259 Abs. 1, 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilt. Die Voraussetzungen einer sogenannten Postpendenzfeststellung gewerbsmäßiger Hehlerei hat es verneint, weil die Gewahrsamserlangung durch Mittäterschaft bei der Wegnahme der Sachen im Rahmen der Diebstähle nicht ausgeschlossen werden konnte. Weil der Strafrahmen für gewerbsmäßige Hehlerei gemäß § 260 Abs. 1 StGB eine höhere als die in § 243 Abs. 1 StGB angedrohte Mindeststrafe vorsieht, ist die Strafkammer von dem Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB ausgegangen.

II.

3Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Auch die Ablehnung einer eindeutigen Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Hehlerei aufgrund einer Postpendenzfeststellung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Deshalb stünde die Verurteilung im Weg der Wahlfeststellung zwischen Diebstahl oder gewerbsmäßiger Hehlerei im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Der Senat beabsichtigt jedoch, diese Rechtsprechung aufzugeben.

4Die dem Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu entnehmende Möglichkeit der Verurteilung eines Angeklagten wegen Diebstahls  o d e r  gewerbsmäßiger Hehlerei beruht auf Richterrecht (unten III.). Dies verstößt gegen den aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Grundsatz (unten IV.1.), dass keine Straftat vorliegt (unten IV.2.) und keine Bestrafung erfolgen darf (unten IV.3.), soweit dies nicht auf dem Gesetz beruht.

III.

5Die Rechtsfigur der gesetzesalternativen Wahlfeststellung beruht auf Richterrecht, das vom Reichsgericht zuerst für die Alternative von Diebstahl oder Hehlerei entwickelt wurde. Eine gesetzliche Regelung in § 2b RStGB, die eine gesetzesalternative Wahlfeststellung in unbegrenzter Weise vorsah, wurde vom Alliierten Kontrollrat aufgehoben. Seither fehlt eine Gesetzesbestimmung, die eine gesetzesalternative Wahlfeststellung, unter anderem zwischen (gewerbsmäßigem) Diebstahl oder gewerbsmäßiger Hehlerei, gestatten könnte.

61. Nach der anfänglichen Rechtsprechung des Reichsgerichts wurde eine alternative Sachverhaltsfeststellung nur dann nicht beanstandet, wenn es sich bei den Alternativen um unterschiedliche Ausführungsarten desselben Delikts handelte (RG, Urteil vom - II 476/20, RGSt 55, 44). Das im Schuldspruch genannte Delikt musste eindeutig nachgewiesen sein (RG, Urteil vom 29. September 1884 - Rep. 1763/84, RGSt 11, 103, 104). Mit Blick auf den Grundsatz "nullum crimen sine lege" durfte eine Strafe nur ausgesprochen werden, wenn die zugrunde liegende Handlung einen bestimmten Straftatbestand erfüllte (RG, Urteil vom 9. November 1891 - Rep. 2638/91, RGSt 22, 213, 216). Eine Ausnahme hiervon kam nur in Frage, wenn der Straftatbestand selbst verschiedene Umstände als Modalitäten desselben Delikts und dafür auch dieselbe Strafe vorsah (RG, Urteil vom 8. April 1892 - Rep. 822/92, RGSt 23, 47, 48; Urteil vom - II 899/20, RGSt 55, 228, 229; Urteil vom - IV 483/21, RGSt 56, 35 f.; Urteil vom - II 538/22, RGSt 57, 174 f.).

7Davon wurde der Fall unterschieden, dass die vom Gericht in Betracht gezogenen Sachverhaltsalternativen unterschiedliche Straftatbestände erfüllten. In diesem Fall war weder eine eindeutige noch eine alternative Verurteilung möglich. Das galt auch dann, wenn alternativ Diebstahl oder Hehlerei in Betracht kamen (RG, Urteil vom - III 156/19, RGSt 53, 231, 232).

82. Von dieser Rechtsprechung rückten die Vereinigten Strafsenate des Reichsgerichts durch Beschluss vom - 1 D 1096/33 (RGSt 68, 257, 259 ff. mit Anm. Oetker GS 106 [1935], 401, 408 ff.) ab, soweit es die Variante von Diebstahl oder Hehlerei betraf. Sie führten aus, der Gesetzgeber habe zwar bewusst davon abgesehen, eine Regelung dieser Frage zu treffen. Die Rechtsprechung sei an den Willen des Gesetzgebers gebunden. Die zu beurteilende Fragestellung führe aus dem Aufgabenkreis der reinen Gesetzesanwendung hinaus. Die Rechtsprechung sei aber dazu berechtigt, zur Ergänzung einer im Verfahrensrecht vorhandenen Gesetzeslücke rechtsschöpferisch tätig zu werden, wobei sie "gleich dem Gesetzgeber arbeiten" müsse (RGSt 68, 257, 259). Die Zulassung einer Wahlfeststellung zwischen Diebstahl oder Hehlerei trage dem allgemeinen Rechtsempfinden Rechnung, weil es der Tat des Hehlers dieselbe sittliche Missbilligung angedeihen lasse, wie derjenigen des Diebes (RGSt 68, 257, 262). Für andere Tatbestandsalternativen wurde eine Wahlfeststellung weiter abgelehnt (RGSt 68, 257, 260 f.).

93. Durch Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom (RGBl. 1935 I, S. 839) wurde eine Regelung über die unbeschränkte Möglichkeit der gesetzesalternativen Verurteilung als § 2b RStGB eingeführt:

10"Steht fest, dass jemand gegen eines von mehreren Strafgesetzen verstoßen hat, ist aber eine Tatfeststellung nur wahlweise möglich, so ist der Täter nach dem mildesten Gesetz zu bestrafen."

11Im Tenor des Strafurteils war danach beim Schuldspruch nur das mildeste Gesetz anzuführen (§ 267b Abs. 1 RStPO). Bei der Strafzumessung wurde geprüft, welche Strafe für die alternativ in Frage kommenden Taten jeweils angemessen wäre, worauf die mildeste dieser Strafen verhängt wurde (vgl. RG, Urteil vom - 1 D 671/35, RGSt 69, 369, 374).

12§ 2b RStGB wurde durch Gesetz des Alliierten Kontrollrats für Deutschland Nr. 11 vom (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland S. 55) aufgehoben (vgl. dazu Etzel, Die Aufhebung von nationalsozialistischen Gesetzen durch den Alliierten Kontrollrat [1945 - 1948], 1992, S. 83 ff.).

134. Der Bundesgerichtshof knüpfte ab 1951, wie vor ihm unter anderem schon der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone (OGH BrZ, Urteil vom - StS 198/49, OGHSt 2, 89, 93), wieder an den Beschluss der Vereinigten Strafsenate des Reichsgerichts an. Er führte aus, durch Aufhebung des § 2b RStGB sei die Möglichkeit für Wahlfeststellungen nicht generell unzulässig geworden (, BGHSt 1, 127, 128; Urteil vom - 4 StR 26/51, BGHSt 1, 275, 276). Zunächst wurden Wahlfeststellungen, deren Sachverhaltsalternativen dasselbe Strafgesetz erfüllen - sogenannte unechte Wahlfeststellungen - als zulässig angesehen (), (echte) gesetzesalternative Wahlfeststellungen dagegen aus rechtsstaatlichen Gründen im Allgemeinen nicht. Davon wurden unter Bezugnahme auf den Beschluss des Reichsgerichts wiederum Ausnahmen zugelassen.

14Auch der Große Senat des Bundesgerichtshofs für Strafsachen knüpfte an den Beschluss der Vereinigten Strafsenate des Reichsgerichts an (, BGHSt 9, 390, 392 ff. mit Anm. Dreher MDR 1957, 179 f. und Heinitz JR 1957, 126 ff.). Er betonte, daraus habe sich die Lehre von der Notwendigkeit einer rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit der alternativ in Frage kommenden Vorwürfe entwickelt (krit. Zeiler ZStW 72 [1960], 4, 15).

15Die Annahme der Zulässigkeit einer gesetzesalternativen Wahlfeststellung wegen rechtsethischer und psychologischer Vergleichbarkeit betraf zunächst erneut nur die Alternative zwischen Diebstahl oder Hehlerei (, BGHSt 1, 302, 304; Urteil vom - 1 StR 353/51, BGHSt 1, 327, 328; Urteil vom - 4 StR 377/52, BGHSt 4, 128, 129; Urteil vom - 4 StR 411/58, BGHSt 12, 386, 388; Urteil vom - 4 StR 411/58, BGHSt 12, 386, 388), im Folgenden aber auch weitere Konstellationen, wie etwa die Alternative zwischen Raub oder räuberischer Erpressung (, BGHSt 5, 280, 281), Diebstahl oder Begünstigung (Senat, Urteil vom - 2 StR 316/70, BGHSt 23, 360 f.), Betrug oder Hehlerei (, NJW 1974, 804, 805; krit. , NJW 1989, 1867).

16Erweiterungen der richterrechtlichen Zulassung von gesetzesalternativen Verurteilungen haben bei der Möglichkeit mehrerer Sachverhalts- und Tatbestandsvarianten stattgefunden, so bei den Varianten des Diebstahls oder der Unterschlagung oder der Hehlerei (Senat, Urteil vom - 2 StR 190/61, BGHSt 16, 184, 186 f.), oder bei den Varianten des Diebstahls oder der Hehlerei oder der Beihilfe zum Diebstahl in Tateinheit mit Hehlerei (Senat, Urteil vom - 2 StR 275/60, BGHSt 15, 63, 64 ff.). Ferner wurde in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angenommen, dass Erschwerungsgründe bei einer der Alternativen einer gesetzesalternativen Wahlfeststellung nicht entgegenstehen, wenn die Grundgestaltung rechtsethisch und psychologisch vergleichbare Tatbestände betrifft (, BGHSt 11, 26, 28). In einem solchen Fall muss sich die Verurteilung auf das Vergleichbare beschränken, so etwa bei den Alternativen von schwerem Raub oder Unterschlagung, wobei auf Diebstahl oder Unterschlagung erkannt wird (, BGHSt 25, 182, 183 f. mit Anm. Hruschka NJW 1973, 1804 ff.; anders für Raub oder Hehlerei , BGHSt 21, 152, 153 f.).

175. Der Bundesgesetzgeber hat darauf hingewiesen, bei der aufgehobenen Regelung des § 2b RStGB habe es sich nicht um typisch nationalsozialistisches Recht gehandelt. Die obersten Gerichte hätten sich wieder der Rechtsprechung des Reichsgerichts angeschlossen. Der Bundesgerichtshof sei zum Teil darüber hinausgegangen. Unter diesen Umständen könne die Frage, wie die Grenzen für die Zulässigkeit von wahlweisen Schuldfeststellungen zu ziehen sind, "der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen" werden (BT-Drucks. I/3713 S. 19).

IV.

181. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat insgesamt am Ansatz des Reichsgerichts festgehalten, dessen richterrechtliche Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit von gesetzesalternativen Verurteilungen aber so ausgedehnt, dass von einer grundsätzlichen Anerkennung der Wahlfeststellung gesprochen wird. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Rechtsfigur der echten Wahlfeststellung hat das Regel- und Ausnahmeverhältnis verschoben, jedoch ihren Rechtscharakter als richterrechtliche Ausnahme von den Grundsätzen "nullum crimen sine lege" und "nulla poena sine lege" nicht verändert. Es wurden auch keine neuen Gründe für ihre Legitimation genannt. Die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 103 Abs. 2 GG ist nicht gestellt worden. Auch Richterrecht ist aber an Art. 103 Abs. 2 GG zu messen, soweit es materiellrechtlicher Natur ist (vgl. , BGHSt 42, 235, 241). Die Nachprüfung ergibt, dass eine gesetzesalternative Verurteilung, auch in den Fällen der Alternative von Diebstahl oder Hehlerei, mit dem Gesetzesvorbehalt für das Strafrecht gemäß Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar ist.

192. Es handelt sich bei der gesetzesalternativen Wahlfeststellung nicht nur um richterrechtliche Rechtsfortbildung im Bereich des Strafverfahrensrechts, für die Art. 103 Abs. 2 GG nicht gelten würde. Vielmehr wirkt die Rechtsfigur strafbegründend; sie verletzt daher das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG.

20a) Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

21Daraus folgt ein strenger Gesetzesvorbehalt für das Strafrecht, der die Strafgerichte auf bloße Rechtsanwendung beschränkt (vgl. u.a., BVerfGE 92, 1, 12) und richterrechtliche Rechtsfortbildung mit strafbegründender Wirkung ausschließt (vgl. Kunig in: von Münch/Kunig, GG, 6. Aufl., Art. 103 Rn. 26). Der Gesetzgeber hat durch Festlegung der tatbestandlichen Voraussetzungen zu entscheiden, ob und in welchem Umfang ein bestimmtes Rechtsgut mit den Mitteln des Strafrechts verteidigt werden muss. Den Strafgerichten ist es verwehrt, die gesetzgeberischen Entscheidungen in strafausdehnender Weise zu korrigieren ( u.a., BVerfGE 130, 1, 43). Dies gilt auch, wenn durch die Gesetzesbindung Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines Strafgesetzes herausfallen, obwohl sie ähnlich strafwürdig erscheinen wie das vom Strafgesetz erfasste Verhalten. Aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit der Strafbarkeit folgt ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Ausgeschlossen ist jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer Sanktionsnorm hinausgeht (, BVerfGE 85, 69, 78). Auch dürfen einzelne Tatbestandsmerkmale nicht so ausgelegt werden, dass sie in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen; es besteht ein Verbot der "Entgrenzung" oder "Verschleifung" von Tatbestandsmerkmalen ( u.a., BVerfGE 127, 170, 198).

22An diesem Maßstab gemessen ist die gesetzesalternative Verurteilung mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar.

23b) Art. 103 Abs. 2 GG bezieht sich nur auf die materiellen Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Strafandrohung, nicht auf Regeln des Strafverfahrensrechts (vgl. Kudlich in: Kudlich/Montiel/Schuhr [Hrsg.], Gesetzlichkeit und Strafrecht, 2012, S. 233, 239 ff. mwN). Von Befürwortern der gesetzesalternativen Wahlfeststellung wird zu deren Legitimation angenommen, es handele sich um eine prozessuale Gestaltung (vgl. Nüse GA 1953, 33, 38; Wolter GA 2013, 271, 273), weil die alternativ in Frage kommenden Straftatbestände gesetzlich bestimmt seien und die Entscheidung nur von der Anwendung des Zweifelssatzes abhängig sei. Diese Argumentation greift indes zu kurz. Die gesetzesalternative Wahlfeststellung wirkt vielmehr auch im materiellrechtlichen Sinn straf-barkeitsbegründend.

24aa) Materielles Strafrecht umfasst die Gesamtheit der Rechtsnormen, die bestimmte, für das gesellschaftliche Zusammenleben als schädlich angesehene Handlungen definieren und unter Strafe stellen sowie die Art und Höhe der jeweiligen Strafe bestimmen (, BVerfGE 109, 190, 212). Strafverfahrensrecht betrifft dagegen die verfahrensmäßigen Voraussetzungen der Verfolgung von Straftaten sowie die Art und Weise ihrer Durchführung. Das Strafverfahrensrecht hat im Verurteilungsfall die Findung eines bestimmten Schuldspruchs zum Ziel und entspricht insoweit dem materiellen Strafrecht, das nur scharf voneinander abgegrenzte Straftatbestände kennt (vgl. , BGHSt 21, 152). Das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG und der Schuldgrundsatz verlangen, dass der Richter die tatsächlichen Voraussetzungen des Straftatbestands feststellt (vgl. Alwart GA 1992, 545, 561).

25bb) Die gesetzesalternative Wahlfeststellung ist nicht nur, wie etwa der Zweifelssatz, eine Entscheidungsregel; denn die Rechtsfigur beeinflusst die Entscheidung durch die Vorgabe, dass bei einer exklusiven Sachverhaltsalter-nativität nicht nur eine bestimmte Verurteilung oder ein Freispruch in Frage kommen, sondern auch eine dritte Entscheidungsvariante. Insoweit steht die Rechtsfigur der gesetzesalternativen Wahlfeststellung im Spannungsverhältnis zum Zweifelssatz.

26Wenn die Voraussetzungen der alternativ in Frage kommenden Strafnormen jeweils nicht sämtlich zur Überzeugung des Tatgerichts feststellbar sind, führt die gesetzesalternative Verurteilung, die keinen eindeutigen Schuldspruch anhand des mildesten Gesetzes zulässt (vgl. , BGHSt 25, 182, 186), nicht zur Anwendung einer der in Frage kommenden Strafnormen (vgl. , BGHSt 12, 386, 389), sondern zur Aburteilung nur aufgrund eines gemeinsamen Unrechtskerns; denn aus der exklusiven Alternativität von zwei Verdachtsfällen ergibt sich eine die Aburteilung tragende Sachverhaltsge-wissheit nur in Bezug auf einen solchen Unrechtskern; sie lassen sich dagegen nicht zu einer einheitlichen Schuldfeststellung verbinden (vgl. Alwart GA 1992, 545, 565). Schließen sich die in Betracht kommenden Tatbestände gegenseitig aus, fehlt in der Wahlfeststellungssituation jeweils der Nachweis eines Tatbestandsmerkmals bei beiden Strafnormen. Die wahldeutige Verurteilung erfolgt nur aufgrund eines "Rumpftatbestands" (vgl. Günther, Verurteilungen im Strafprozess trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel, 1976, S. 262 ff.). Dies läuft auf eine "Entgrenzung" von Tatbeständen oder auf "Verschleifung" zweier Straftatbestände durch alternative Vereinigung der Einzelvoraussetzungen hinaus, die über die Verschleifung von verschiedenen Tatbestandsmerkmalen einer einzigen Strafnorm (vgl. , 105, 491/09, BVerfGE 126, 170, 198) noch weit hinausgeht. Die Verurteilung beruht nämlich praktisch auf einer ungeschriebenen dritten Norm (vgl. Endruweit, Die Wahlfeststellung und die Problematik der Überzeugungsbildung, der Identitätsbestimmung, der Urteilssyllogistik sowie der sozialen und personalen Gleichwertigkeit von Straftaten, 1973, S. 270; Freund in: Festschrift für Wolter, 2013, S. 35, 49; AnwK/Gaede, StGB, § 1 Rn. 51; Köhler, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 1997, S. 96; Lobe GS 104 [1934], S. 161, 166; H. Mayer, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 1953, S. 417), die - angeblich - übereinstimmende Unrechtselemente der beiden gerade nicht zur Anwendung gelangenden Normen in sich vereinigen soll. Da es an einem gemeinsamen Tatbestandsmerkmal fehlt, wird dies in Gestalt einer - angeblichen - rechtsethischen "Vergleichbarkeit" fiktiv ergänzt (hierzu im Folgenden).

27Die materiellrechtliche Einordnung der Rechtsfigur der echten Wahlfeststellung wird durch ihre Erweiterung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestätigt. Sie hat das Kriterium der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit der in Frage kommenden Straftatbestände als Voraussetzung für die Zulassung einer gesetzesalternativen Aburteilung entwickelt. Dabei handelt es sich zweifelsohne um ein materiell-rechtliches Element (vgl. Montenbruck, Wahlfeststellung und Werttypus in Strafrecht und Strafprozessrecht, 1976, S. 219), anhand dessen über das Vorliegen von Schuld und das Erfordernis von Strafe entschieden wird.

28Eine rechtsethische Gleichwertigkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann gegeben, wenn bei Berücksichtigung aller Umstände, die den Unrechtscharakter der Straftatbestände ausmachen, den möglichen Taten im Rechtsempfinden der Allgemeinheit eine ähnliche sittliche Bewertung zuteil wird; psychologische Gleichwertigkeit liegt nur bei einer einigermaßen gleichgearteten seelischen Beziehung des Täters zu den alternativ in Frage kommenden Verhaltensweisen vor (, NStZ 1985, 123). Damit füllt das Kriterium die Lücke zwischen den alternativ in Frage kommenden Tatbeständen und erfüllt die Funktion eines Tatbestandsmerkmals der ungeschriebenen dritten Strafnorm.

29Wäre die gesetzesalternative Wahlfeststellung dagegen nur ein verfahrensrechtliches Institut, so bedürfte es des Abgrenzungskriteriums nicht. Dann wäre jedoch die unbegrenzte Möglichkeit zur gesetzesalternativen Wahlfeststellung eröffnet (dafür etwa Dreher MDR 1957, 179, 180; von Hippel NJW 1963, 1533 ff.; Zeiler ZStW 72 [1960], 4, 20), die durch Aufhebung von § 2b RStGB gerade entfallen ist.

30Besitzt die Konstruktion der gesetzesalternativen Wahlfeststellung aber einen materiellrechtlichen Regelungsgehalt, so ist ihre Zulässigkeit insgesamt am Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG zu messen (vgl. NK/Frister, StGB Nach § 2 Rn. 81).

31c) Das grundrechtsgleiche Recht des Angeklagten aus Art. 103 Abs. 2 GG enthält keine Schranke, die eine richterrechtliche Ausnahme gestatten könnte. Auf Abwägungen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der nur eine "Schranken-Schranke" bilden würde, kommt es daher ebenfalls nicht an; denn der Verfassungsgeber selbst hat die Abwägung der gegenläufigen rechtsstaatlichen Gesichtspunkte mit Art. 103 Abs. 2 GG bereits zugunsten eines uneingeschränkten Gesetzesvorbehalts für das Strafrecht getroffen. Daher ist es nicht zulässig, das Gesetzlichkeitsprinzip mit Hinweis auf Gebote materieller Strafgerechtigkeit durch Richterrecht zu beschränken. Die zur Legitimation der gesetzesalternativen Wahlfeststellung angeführten Gründe, die ausschließlich auf einer Abwägung von Gerechtigkeitsüberlegungen und kriminalpolitischen Erwägungen beruhen (vgl. RG, Beschluss vom - 1 D 1096/33, RGSt 68, 257, 260), halten einer Überprüfung anhand der Verfassungsnorm nicht stand.

32Der vom Reichsgericht angenommene Missstand im Fall der Nichtfeststellbarkeit von Diebstahl oder Hehlerei als Ursache für den festgestellten Gewahrsam eines Angeklagten an gestohlenen Gegenständen (RG aaO, RGSt 68, 257, 262) ist auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, welche die gesetzesalternative Wahlfeststellung zur "Vermeidung lebensfremder und der Gerechtigkeit widersprechender Ergebnisse" fordert (, BGHSt 12, 386, 388), als tragender Grund für die Rechtsfigur angeführt worden. Soweit sie in der Literatur befürwortet wird, werden ebenfalls nur die Einzelfallgerechtigkeit und kriminalpolitische Bedürfnisse zur Begründung genannt (LK/Dannecker, 12. Aufl., Anh. § 1 Rn. 8; Maurach/Zipf, Strafrecht. Allgemeiner Teil, Teilband 1, 8. Aufl., § 10 III Rn. 26; SSW/Satzger, StGB, 2. Aufl., § 1 Rn. 71). Das allgemeine Rechtsempfinden und die bloße Behauptung eines Strafbedürfnisses können aber keine Aufweichung des Gesetzlichkeitsprinzips rechtfertigen.

33d) Die gesetzesalternative Verurteilung kann sich schließlich nicht auf eine gesetzgeberische Entscheidung außerhalb der alternativ in Frage kommenden Straftatbestände stützen. Daher kann ein bewusstes Offenlassen der Frage durch den Gesetzgeber der Reichsjustizgesetze (Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Bd. 3, S. 223) und durch den Bundesgesetzgeber (BT-Drucks. I/3713 S. 19) die richterrechtliche Wahlfeststellung nicht legitimieren.

34Der Gesetzgeber des 3. Strafrechtsänderungsgesetzes (Strafrechtsbereinigungsgesetz), hat sich nach einer anfänglichen Regelungsankündigung (Nüse GA 1953, 33, 40) "wohlweislich gehütet", eine dem § 2b RStGB entsprechende Regelung wiedereinzuführen (vgl. Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, Bd. II, 1957, § 244 Rn. 16). Er hat zwar mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bewusst auch von einer begrenzten Regelung abgesehen (BT-Drucks. I/3713 S. 19). Der Gesetzgeber kann sich indes der Aufgabe, die Voraussetzungen der Strafbarkeit selbst zu bestimmen, nicht durch Verweis auf mögliches Richterrecht entziehen.

353. Im Übrigen müssen nach Art. 103 Abs. 2 GG auch die Grundlagen der Strafbemessung eindeutig sein ("nulla poena sine lege"). Dem Gesetz muss nicht nur entnommen werden, wann Strafen einer bestimmten Art zu verhängen sind und welcher Strafrahmen dafür gilt, sondern auch nach welchen Leitgesichtspunkten innerhalb dieses Rahmens die Zumessung der Strafe zu erfolgen hat (vgl. , BVerfGE 105, 135, 164). Zur Herbeiführung einer der Schuld des Täters angemessenen Strafe reicht nicht nur ein quantitativer Strafrahmenvergleich der alternativ in Frage kommenden Normen aus, sondern es muss auch die Qualität der Strafe mit Blick auf eine bestimmte strafbare Handlung und diesbezügliche Schuld bewertet werden. Der Strafgrund liegt in der konkret begangenen Tat, die auch deshalb nicht durch gesetzesalternative Verurteilung offen gelassen werden darf.

36Bleibt für den Strafrichter unklar, welche Unrechtshandlung überhaupt begangen wurde und welche Strafnorm einschlägig ist, so kann seine Strafzumessung aufgrund einer nur per Saldo festgestellten Schuld des Angeklagten nicht im Einklang mit der gesetzlichen Vorwertung erfolgen (vgl. Alwart GA 1992, 545, 562 ff.). Lässt der Strafrichter offen, welcher Straftatbestand anzuwenden ist und greift er nur auf den geringsten Strafrahmen aus den Alternativen zurück, begleiten zwangsläufig Ungenauigkeiten den Strafzumessungsvorgang; diese sind mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar (vgl. BVerfG aaO, BVerfGE 105, 135, 159 für die Vermögensstrafe). Die Umwertung der Verhaltensnormverletzung in ein Strafquantum gelingt bei der gesetzesalternativen Wahlfeststellung nicht im Einklang mit einem bestimmten Gesetz (vgl. Jakobs GA 1971, 257, 268 f.). Das macht der vorliegende Fall deutlich: Geht es entweder um Einbruchsdiebstähle durch Mittäter mit großem Sachschaden und mit umfangreicher Diebesbeute oder um eine später - auch als andere Tat im prozessualen Sinn - begangene Hehlerei durch Alleintäter in Bezug auf einzelne Beutestücke, so sind die Tatbilder derart verschieden, dass sie bei der Strafbemessung nicht alternativ als Grundlage einer gesetzeskonformen Strafzumessung dienen können. Weder besteht Gleichartigkeit des besonderen Unrechtscharakters der alternativ in Frage kommenden Sachverhalte und Tatbestände (vgl. Zeiler ZStW 72 [1960], 4, 16), noch dieselbe seelische Beziehung des Täters zur Tat (vgl. Dreher MDR 1970, 369; Montenbruck GA 1988, 531, 537; J. Schulz in: Bemmann/Zweihoff [Hrsg.], Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft, 2007, 1, 7).

374. Die Anfrage des Senats beschränkt sich auf die richterrechtliche Rechtsfigur der gesetzesalternativen Wahlfeststellung. Die oben dargelegten Einwände gelten nicht, wenn unter Beachtung des Art. 103 Abs. 2 GG ein eindeutiger Schuldspruch möglich ist.

Fischer                   Schmitt                      Eschelbach

                Ott                         Zeng

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
wistra 2014 S. 345 Nr. 9
wistra 2014 S. 475 Nr. 12
QAAAE-67264