Gehörsverletzung im Architektenhonorarprozess: Nichtbeachtung wesentlichen Parteivorbringens zu nicht erbrachten und mangelhaften Architektenleistungen
Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 649 S 2 BGB, § 15 AIHonO vom , § 64 AIHonO vom , § 73 AIHonO vom
Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 5 U 191/11 Urteilvorgehend LG Magdeburg Az: 11 O 1740/09 Urteil
Gründe
I.
1Die Klägerin verlangt von der Beklagten restliches Honorar aus drei Verträgen über Architekten- und Ingenieurleistungen. Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit Verträgen vom mit Planungsleistungen zum Umbau, zur Sanierung und Erweiterung des Krankenhauses in U./ S-A:
1. Gebäude: § 15 HOAI Leistungsphasen 3 bis 9
2. Tragwerk: § 64 HOAI Leistungsphasen 1 bis 6
3. Technische Ausrüstung: § 73 HOAI Leistungsphasen 1 bis 9.
2Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom die drei Verträge außerordentlich.
3Die Klägerin rechnete mit drei Schlussrechnungen die von ihr erbrachten Leistungen bis einschließlich Leistungsphase 5 und die nicht erbrachten Leistungen ab Leistungsphase 6 abzüglich ersparter Aufwendungen ab.
4Das Landgericht hat die Beklagte mit Urteil vom , berichtigt mit Beschluss vom , zur Zahlung von 185.406,01 € zuzüglich Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen.
5Das Berufungsgericht hat auf Berufung und Anschlussberufung mit Teil-, Vorbehalts- und Schlussurteil das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
...
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 306.703,12 € nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte bis zum mit der Entgegennahme der jeweiligen Planungsleistungen aus der jeweiligen Leistungsphase 5 der drei diesem Rechtsstreit zugrunde liegenden Verträge - soweit sie der Beklagten bis zum noch nicht übergeben wurden - in Annahmeverzug befand.
Der Beklagten bleibt vorbehalten, die Aufrechnung mit ihrem Anspruch auf Erstattung von 67.726,84 € Kosten des Ausschreibungsverfahrens geltend zu machen.
Die weitergehende Berufung und die Anschlussberufung werden zurückgewiesen.
...
6Die Beklagte wendet sich mit der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil mit dem Ziel der vollständigen endgültigen Abweisung der Klage. Sie greift das Urteil u.a. an, soweit das Berufungsgericht der Klägerin für die Leistungen entsprechend Leistungsphase 5 des § 73 HOAI ein Honorar zugesprochen hat und bei Ermittlung des für die nicht erbrachten Leistungen der Technischen Ausrüstung zu beanspruchenden Honorars ersparte Aufwendungen in angeblich zu geringer Höhe in Abzug gebracht hat.
II.
71. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision führt zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, soweit dieses der Klägerin für die erbrachten Leistungen gemäß Leistungsphase 5 des § 73 HOAI ein Honorar und nach Kündigung des Vertrags betreffend die Technische Ausrüstung für nicht erbrachte Leistungen ein 29.975,74 € übersteigendes Honorar zugesprochen hat. In beiden Fällen hat das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt, weil es deren entscheidungserheblichen Vortrag nicht berücksichtigt hat. Es ist daher anzunehmen, dass das Berufungsgericht die Ausführungen der Beklagten nicht zur Kenntnis genommen, jedenfalls nicht in Erwägung gezogen hat, was einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG begründet (vgl. , juris Rn. 12).
8a) Das Berufungsgericht beruht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten, soweit es der Klägerin für Leistungen der Leistungsphase 5 des § 73 HOAI das beantragte Honorar in voller Höhe zugesprochen hat.
9aa) Das Berufungsgericht führt - soweit hier von Interesse - aus, es sei entsprechend dem Vortrag der Klägerin davon auszugehen, dass sie die Leistungen der Leistungsphase 5 vollständig und mangelfrei erbracht habe und die Unterlagen darüber am teilweise und nach Klageerhebung in der mündlichen Verhandlung vom in 19 Ordnern vollständig an die Beklagte übergeben habe. Die Beklagte trage nicht vor, weshalb diese Unterlagen nur zu 25 % vertragsgerecht sein sollen.
10bb) Die Beklagte hat unter Beweisantritt und unter Bezugnahme auf die von ihr eingeholten Privatgutachten B 115, B 116 und B 117 vorgetragen, dass die Klägerin auch unter Berücksichtigung der am übergebenen Unterlagen die Leistungen der Leistungsphase 5 des § 73 HOAI nur unvollständig und teilweise mangelhaft erbracht habe. Insbesondere hat sie ausgeführt, die Leistungen der Technischen Gebäudeausrüstung seien bei den Gewerken HLS, MSR und A in den 400er-Kostengruppen nur zu 50,49 % und den 500er-Kostengruppen zu 33 % erbracht worden. Bei dem Gewerk Elektro seien in den Kostengruppen 440, 450 und 540 bislang 82,82 % erbracht worden; bei dem Gewerk Medizintechnik seien in den Kostengruppen 470-610 bislang 82,5 % der erforderlichen Leistungen erbracht. Auf diesen erstinstanzlichen Vortrag hat die Beklagte im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom verwiesen. Da das Berufungsgericht nur auf den Vortrag der Beklagten eingeht, dass mit den zunächst ausgehändigten Planungsunterlagen allenfalls 25 % der Leistungen der Leistungsphase 5 erfüllt worden seien, hat es das weitere Vorbringen der Beklagten ersichtlich nicht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen.
11cc) Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Sachvortrags und einer gegebenenfalls erfolgenden Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin die Leistungen gemäß Leistungsphase 5 des § 73 HOAI unvollständig und teilweise mangelhaft erbracht hat und ihr deshalb insoweit kein oder nur ein geringeres Honorar zuzusprechen ist.
12b) Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör auch verletzt, soweit es der Klägerin für die nicht erbrachten Leistungen ein 29.975,74 € übersteigendes Honorar zugesprochen hat.
13aa) Das Berufungsgericht führt ohne nähere Begründung aus, der Klägerin stehe für die nicht erbrachten Leistungen ab Leistungsphase 6 ein Honoraranspruch aus § 649 Satz 2 BGB zu, der für den "Vertrag für Technische Ausrüstung gemäß § 73 HOAI" 155.478,44 € betrage.
14bb) Die Klägerin hat den vom Berufungsgericht zuerkannten Honoraranspruch von 155.478,44 € ermittelt, indem sie von einem für die nicht ausgeführten Leistungen zu beanspruchenden Vollhonorar von 267.649,76 € ersparte Aufwendungen von 112.171,32 € abgezogen hat. Die Beklagte hat erstinstanzlich dazu Stellung genommen und unter Beweisantritt ersparte Aufwendungen in Höhe von insgesamt 237.674,02 € (52.920 € + 167.670 € + 17.084,02 €) behauptet. Darauf hat sie im Berufungsverfahren Bezug genommen. Da das Berufungsgericht der Klägerin ohne Weiteres ein Honorar in der von ihr geltend gemachten Höhe zuspricht, hat es den unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe in größerem Umfang Aufwendungen erspart, ersichtlich nicht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen.
15cc) Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Sachvortrags und einer gegebenenfalls erfolgenden Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Klägerin höhere ersparte Aufwendungen, maximal in der von der Beklagten behaupteten Höhe, anrechnen lassen muss.
16c) Das Berufungsurteil war daher teilweise aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 544 Abs. 7 ZPO.
172. Die weitergehende Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg. Von einer näheren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO.
Kniffka Safari Chabestari Halfmeier
Jurgeleit Graßnack
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Fundstelle(n):
GAAAE-64859