BGH Beschluss v. - 4 StR 40/14

Versuchter Totschlag: Freiwilliger Rücktritt vom fehlgeschlagenen Versuch

Gesetze: § 22 StGB, § 23 StGB, § 24 Abs 1 StGB, § 212 StGB

Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 10 Ks 446 Js 100/13 - 8/13

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision, mit der der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.

I.

2Nach den Feststellungen stach der Angeklagte der Geschädigten, die im Wohnzimmer unmittelbar vor der geschlossenen Terrassentür stand, mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz mit einem Messer mit einer ca. 20 cm langen Klinge etwa mittig links in den Rücken. Die Geschädigte, bei der durch den Stich lediglich ihre Daunenjacke in einem Bereich von einem halben Zentimeter bis zur Innenseite beschädigt wurde, bemerkte von dem Auftreffen des Messers zunächst nichts. Nachdem sie sich umgedreht hatte, versuchte der Angeklagte, mit dem Messer den Oberkörper der Geschädigten von vorn zu treffen, wobei er weiterhin zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte. Die Geschädigte ergriff mit ihrer linken Hand die nach vorn spitz zulaufende und glatt geschliffene Messerklinge und konnte so das Eindringen des Messers in ihren Körper verhindern. Durch die Stoßbewegungen auf den linken Bauchbereich wurde sie jedoch mit Wucht rückwärts sitzend auf die Schreibtischplatte gedrängt, wobei der Angeklagte weiter versuchte, sie mit der Klinge in den Bauch zu stechen, was ihm jedoch ebenfalls nicht gelang. Die Geschädigte hielt mit äußerstem Kraftaufwand die Messerschneide gegen die von ihm durchgeführten kraftvollen, auf ihren Körper gerichteten Bewegungen und stellte dadurch ein Kräftegleichgewicht her. Durch die Hilfeschreie der Geschädigten alarmiert, erschien deren Tochter im Wohnzimmer und erkannte, dass der Angeklagte und ihre Mutter einen von ihr nicht näher identifizierbaren Gegenstand in den Händen hielten. Von der Geschädigten dazu aufgefordert, wählte sie den Notruf und forderte die Polizei auf, zur Wohnung zu kommen, da ihre Mutter von deren Lebensgefährten angegriffen werde. Während dieses Telefonats ließ der Angeklagte das Messer los und trat von der Geschädigten ein Stück zurück. Diese nutzte die Gelegenheit, um vom Schreibtisch aufzustehen, ihren Sohn zu nehmen und durch die Terrassentür und den Garten zu einer Nachbarin zu laufen. Da ihr bewusst wurde, dass ihre Tochter sich noch in der Wohnung aufhielt, kehrte sie zurück und forderte diese auf, mitzukommen, woraufhin die Tochter ihr nach draußen folgte. Während dieser Zeit telefonierte die Tochter der Geschädigten immer noch mit der Polizei.

II.

3Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Totschlagsversuch (§ 24 Abs. 1 StGB) abgelehnt hat, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

41. Das Landgericht hat angenommen, der Versuch sei fehlgeschlagen. Der Angeklagte habe sich zwar dahin eingelassen, das Messer erst wahrgenommen zu haben, als er es zum Rücken der Geschädigten geführt habe. Er habe Angst gehabt, ansonsten aber an nichts gedacht. Nachdem die Geschädigte in das Messer gegriffen habe, habe er es ihr vergeblich aus der Hand ziehen wollen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe aber objektiv fest, dass der Angeklagte, nachdem er die Geschädigte auf die Schreibtischplatte gedrängt hatte, wiederholt versucht habe, mit der Klinge in ihren Bauch zu stechen, was ihm aber auf Grund der erheblichen Gegenwehr der Geschädigten nicht gelungen sei. Seine erfolglosen Bemühungen habe er erst aufgegeben, nachdem die zu Hilfe gerufene Tochter der Geschädigten das Telefon ergriffen und die Notrufnummer gewählt habe. Da die Geschädigte zu diesem Zeitpunkt das Wohnzimmer mit ihrem Sohn über die Terrasse verlassen habe, habe der Angeklagte nach der objektiven Sachlage aus seiner Sicht die Tötung der Geschädigten nicht mehr mit dem bereits eingesetzten Mittel erreichen können, weil die Tochter die Tat durch Erscheinen im Wohnzimmer entdeckt habe und auf Grund des abgesetzten Notrufs mit dem baldigen Erscheinen der Polizei zu rechnen gewesen sei.

52. Diese Begründung trägt den Ausschluss eines strafbefreienden Rücktritts nicht.

6a) Ausgehend von diesen Feststellungen des Landgerichts war der Versuch des Totschlags unbeendet. Der Angeklagte konnte daher Strafbefreiung grundsätzlich durch bloßes Aufgeben der begonnenen Tathandlung erlangen. Ein strafbarer fehlgeschlagener Versuch hätte nur dann vorgelegen, wenn der Angeklagte die versuchte Tat als endgültig gescheitert angesehen hätte, weil er sie, wie er wusste, mit dem bereits eingesetzten oder anderen ihm zur Hand liegenden Mitteln nicht vollenden konnte. Dabei kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (sogenannter Rücktrittshorizont; vgl. nur Senatsurteil vom - 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263, 264; Senatsbeschlüsse vom - 4 StR 233/08, NStZ 2009, 628, und vom - 4 StR 541/11, NStZ-RR 2012, 239, 240). Dazu, ob der Angeklagte den Tötungsversuch als endgültig gescheitert ansah, als er die Schneide des Messers nach seiner letztmaligen Stichbewegung gegen den Körper der Geschädigten losließ, verhält sich das Urteil nicht. Danach bleibt offen, ob es ihm objektiv oder zumindest aus seiner Sicht möglich gewesen wäre, das Messer wiederzuerlangen und den angestrebten Taterfolg ohne zeitliche Zäsur doch noch herbeizuführen oder ob er die weitere Tatausführung angesichts der kraftvollen Abwehr der Geschädigten als endgültig aussichtslos ansah.

7b) Ebenso wenig lässt sich den bisher getroffenen Feststellungen entnehmen, dass der Angeklagte unfreiwillig von weiteren Tötungshandlungen abließ. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn er sich auf Grund äußerer Zwänge oder psychischer Hemmungen (zum Maßstab vgl. SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, 2. Aufl., § 24 Rn. 63 ff. m. Nachw. z. Rspr.) nicht mehr in der Lage gesehen hätte, weitere Stiche zu setzen. Die Erwägung des Landgerichts, nach der objektiven Sachlage habe der Angeklagte aus seiner Sicht die Tötung der Geschädigten nicht mehr mit dem bereits eingesetzten Mittel erreichen können, weil deren Tochter die Tat entdeckt hatte und auf Grund des von ihr abgesetzten Notrufs mit dem baldigen Eintreffen der Polizei zu rechnen gewesen sei, trägt die Annahme der Unfreiwilligkeit für sich genommen nicht. Dass der Angeklagte gerade deshalb von weiteren Einwirkungen auf die Geschädigte absah, war im vorliegenden Fall schon deshalb näher zu erörtern, weil sich der Angeklagte nach den Feststellungen in Kenntnis der in Kürze eintreffenden Polizei zunächst weiter in der Wohnung aufhielt und sodann das Haus verließ, um telefonischen Kontakt zu seiner Rechtsanwältin aufzunehmen, die die Polizei von seinem Aufenthaltsort in Kenntnis setzte.

Sost-Scheible                          Roggenbuck                          Franke

                       Mutzbauer                              Quentin

Fundstelle(n):
QAAAE-62919