BAG Urteil v. - 4 AZR 861/11

Tarifliche Sonderzahlung - Stichtagsregelung bezüglich der Gewerkschaftszugehörigkeit

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 5 Ca 2560 a/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Az: 1 Sa 507 e/10 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe von Sonderzahlungen für die Jahre 2007 bis 2009.

2Die Klägerin, die nicht Mitglied einer Gewerkschaft ist, ist seit 1994 bei der Beklagten als Krankenschwester gegen ein monatliches Bruttogehalt von zuletzt durchschnittlich 2.930,00 Euro beschäftigt.

3In § 2 des schriftlichen Arbeitsvertrags der Parteien vom heißt es ua.:

4Die im August 1998 gegründete Konzernobergesellschaft der Beklagten, die Damp Holding AG, schloss am mit Wirkung vom mit der damaligen Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) einen Manteltarifvertrag sowie in den folgenden Jahren mehrere Tarifverträge, in denen Sonderzahlungen geregelt waren. Bis zum Jahre 2006 erhielt die Klägerin Jahressonderzahlungen, zuletzt iHv. 100 % ihres Bruttomonatsgehalts.

5Die Damp Holding AG schloss am mit den Gewerkschaften ver.di und NGG den Tarifvertrag über die Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung (TV-Sonderzahlung Damp 2007), der am in Kraft trat und eine Sonderzahlung vorsah, deren Höhe zum einen von der Entwicklung des Konzernergebnisses im betreffenden Kalenderjahr und der Dauer der Betriebszugehörigkeit sowie zum anderen von der Zugehörigkeit zu einer der Gewerkschaften ver.di oder NGG zu einem bestimmten Stichtag abhängig war. Die Beklagte zahlte der Klägerin hiernach für das Jahr 2007 eine Sonderzahlung iHv. 795,40 Euro.

6Am schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag, in dem ua. geregelt ist:

7Für das Jahr 2008 erhielt die Klägerin eine Sonderzahlung iHv. 466,41 Euro und für das Jahr 2009 keine Sonderzahlung. Gegen die aus ihrer Sicht unzulässige Differenzierung der Sonderzahlung nach Gewerkschaftszugehörigkeit zu einem bestimmten Stichtag erhob die Klägerin Klage auf Nachzahlung von Differenzbeträgen für die Jahre 2007 und 2008, die vom Senat mit Urteil vom (- 4 AZR 491/08 - BAGE 132, 268) abgewiesen wurde, da der TV-Sonderzahlung Damp 2007 mangels wirksamer Vertretung der abhängigen Konzernunternehmen - wie der Beklagten - durch die Konzernobergesellschaft nicht für jene galt.

8Am schlossen die Damp Holding AG und die Konzerngesellschaften - darunter die Beklagte - einerseits und die Gewerkschaften ver.di und NGG andererseits einen neuen Tarifvertrag über die Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung (TV-Sonderzahlung Damp 2010) mit Wirkung ab dem Jahre 2007, dessen Regelungen weitgehend denen im TV-Sonderzahlung Damp 2007 entsprachen.

9Mit ihrer erneuten Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, ihr stünden für die Jahre 2007 bis 2009 weitere Sonderzahlungen nach dem TV-Sonderzahlung Damp 2010 zu. Sie hätte für das Jahr 2007 2.274,58 Euro, für das Jahr 2008 2.332,03 Euro und für das Jahr 2009 2.240,40 Euro, in dem gar keine Sonderzahlung geleistet worden sei, erhalten müssen. Sie habe einen Anspruch auf dieselben Sonderzahlungsbeträge wie vergleichbare Gewerkschaftsmitglieder, da die Differenzierungsklausel und die Stichtagsregelungen unwirksam seien.

10Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

11Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Klägerin habe für die Jahre 2007 bis 2009 die ihr zustehenden Sonderzahlungen nach dem TV-Sonderzahlung Damp 2010 erhalten.

12Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Gründe

13Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Differenzbeträge.

14I. Die von der Klägerin erhobene Klage ist insgesamt - soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung - zulässig. Einem Anspruch auf Leistung der Sonderzahlungen für die Jahre 2007 und 2008 steht nicht die Rechtskraft des Urteils vom - 4 AZR 491/08 - nach § 322 ZPO entgegen. Der TV-Sonderzahlung Damp 2010 ist erst nach dem Urteil des Senats vom und damit nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozess der Parteien abgeschlossen worden (zur Rechtskraft bei veränderten Rechtsgrundlagen:  - zu II 2 b der Gründe; vgl. auch - 5 AZR 400/00 - zu II 1 der Gründe; näher zur Rechtskraftwirkung etwa  - Rn. 23, BGHZ 166, 253; - IX ZR 285/99 - Rn. 9 f. mwN).

15II. Die Klage ist unbegründet. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich eine Anwendung des TV-Sonderzahlung Damp 2010 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der Bezugnahmeklausel in Nr. 5 Abs. 1 und Nr. 8 des Arbeitsvertrags vom für den Zeitraum ab dem und aufgrund von § 2 des schriftlichen Arbeitsvertrags vom für den vorangegangenen Zeitraum ergibt. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin hiervon ausginge, ist die Klage schon deshalb insgesamt unbegründet, weil die Klägerin nicht die Voraussetzungen für die Zahlung einer höheren Sonderzahlung in den Jahren 2007 bis 2009 nach § 5 Ziffern 5, 8 und 12 jeweils iVm. § 5 Ziff. 13 des in Bezug genommenen TV-Sonderzahlung Damp 2010 erfüllt. Sie war zum Zeitpunkt der tariflich geregelten Stichtage nicht Mitglied einer der Gewerkschaften ver.di oder NGG.

161. Der TV-Sonderzahlung Damp 2010 regelt in § 5 für die Wirtschaftsjahre 2007 bis 2009 ua. Folgendes:

172. Der am geschlossene TV-Sonderzahlung Damp 2010 konnte von den Tarifvertragsparteien rückwirkend für das Jahr 2007 in Kraft gesetzt werden. Dieser Neuabschluss diente der Korrektur von Fehlern beim Abschluss des TV-Sonderzahlung Damp 2007 für die abhängigen Unternehmen des Konzerns (zu den Fehlern beim Abschluss dieses Tarifvertrags vgl.  - BAGE 132, 268), sollte aber am Inhalt der Regelungen grundsätzlich nichts ändern, insbesondere nichts an der Möglichkeit der Erfüllung der Voraussetzungen bezogen auf das jeweilige Bezugsjahr der Zahlung (vgl. auch bereits  - Rn. 33).

183. Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Zahlung einer jeweils höheren Sonderzahlung für die Jahre 2007 bis 2009. Sie war nicht an den tariflich geregelten Stichtagen nach § 5 Ziff. 13 TV-Sonderzahlung Damp 2010 Mitglied einer der genannten Gewerkschaften ver.di oder NGG.

19a) Mit den Regelungen in § 5 Ziffern 5, 8 und 12 TV-Sonderzahlung Damp 2010, nach denen Mitglieder der Gewerkschaften ver.di und NGG, die über eine durch Stichtage bestimmte Dauer der Mitgliedschaft verfügen, eine höhere Sonderzahlung erhalten, wiederholen die Tarifnormen nicht nur deklaratorisch die Voraussetzungen der normativen Wirkung des Tarifvertrags nach § 4 Abs. 1 TVG, sondern legen eine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung fest (so schon  - Rn. 28 ff.). Für Gewerkschaftsmitglieder, die zu den geregelten Stichtagen noch nicht einer der genannten Gewerkschaften beigetreten waren, besteht lediglich ein geringerer Sonderzahlungsanspruch für die Jahre 2007 und 2008. Für die Sonderzahlung 2009 ergibt sich zwar durch § 5 Ziff. 9 ein nach EBITDA gleichmäßiger Anspruch unabhängig von einem Stichtag der Gewerkschaftszugehörigkeit. Jedoch bezieht sich auch für dieses Jahr der „Garantiebetrag“ nach § 5 Ziff. 12 ausdrücklich nur auf die Mitglieder der Gewerkschaften ver.di und NGG iSv. Ziff. 13 des § 5 TV-Sonderzahlung Damp 2010.

20b) § 5 TV-Sonderzahlung Damp 2010 differenziert bei den Faktoren für die Sonderzahlungen der Wirtschaftsjahre 2007 bis 2009 in den Ziffern 4, 5, 7 und 8 sowie für eine garantierte Sonderzahlung in der Ziff. 12 jeweils iVm. Ziff. 13 zulässigerweise zwischen zwei Gruppen von Gewerkschaftsmitgliedern, je nachdem, ob sie vor dem jeweiligen Stichtag -  für die Sonderzahlung 2007, bzw. 2009 für die Sonderzahlungen 2008 und 2009 - oder erst danach in einer der beiden Gewerkschaften Mitglied waren oder geworden sind.

21aa) Die tariflichen Regelungen unterscheiden entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zwischen Mitgliedern einer Gewerkschaft einerseits und „Unorganisierten“ oder „anders Organisierten“ andererseits, sondern zwischen verschiedenen Gruppen von Mitgliedern der Gewerkschaften ver.di und NGG (vgl. dazu auch  - Rn. 27, 30) und damit allein zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern, also denen, denen ein Tarifvertrag ohnehin nur einen Anspruch verschaffen kann ( - Rn. 28; - 4 AZR 117/09 - Rn. 23; - 4 AZR 64/08 - Rn. 25, BAGE 130, 43).

22bb) Diese Differenzierung zwischen verschiedenen Gewerkschaftsmitgliedern ist wirksam. Die Tarifvertragsparteien sind innerhalb der Grenzen ihrer Regelungsmacht bei der Bestimmung der Voraussetzungen und der Festlegung der Höhe einer jährlichen Sonderzahlung weitgehend frei ( - Rn. 31; vgl. zur Entgelthöhe ua. - 6 AZR 619/11 - Rn. 34 mwN; - 6 AZR 18/09 - Rn. 25). Sie können deshalb ohne weiteres eine bestimmte vorherige Dauer der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft als Anspruchsvoraussetzung formulieren und als zulässiges Differenzierungskriterium vereinbaren ( - Rn. 31; - 4 AZR 64/08 - Rn. 46 ff., BAGE 130, 43; zur zulässigen Berücksichtigung koalitionsspezifischer Interessen - 4 AZR 563/99 - BAGE 95, 277; - 6 AZR 129/03 - BAGE 111, 8). Tarifvertragliche Ansprüche differenzierend zu regeln, entspricht ihrer Regelungsmacht. Dies gilt umso mehr, wenn ein vereinbarter Stichtag nicht willkürlich gewählt wurde, sondern für ihn - wie im Entscheidungsfall - ein sachlicher Grund besteht, nämlich das Datum des ursprünglich abgeschlossenen TV-Sonderzahlung Damp 2007 für das Jahr 2007 und für die folgenden beiden Jahre jeweils den Jahresbeginn (s. bereits  - Rn. 31). Ob etwas anderes für die Zulässigkeit der weiter gehenden Stichtagsregelung in § 5 Ziff. 13 TV-Sonderzahlung Damp 2010 (Beendigung und/oder Kündigung der Gewerkschaftsmitgliedschaft) gilt, kann hier dahingestellt bleiben. Selbst wenn eine solche tarifliche Regelung unzulässig wäre, wäre der Eintrittsstichtag hiervon nicht betroffen und würde sich daraus auch kein Rechtsanspruch der Klägerin für die von ihr geltend gemachten Forderungen ergeben.

23c) Die Bezugnahmeklauseln in den Arbeitsverträgen der Klägerin können zwar die Anwendbarkeit des TV-Sonderzahlung Damp 2010 bewirken, sie substituieren aber nicht die für eine höhere Sonderzahlung formulierte weitere Anspruchsvoraussetzung einer Mitgliedschaft einer Arbeitnehmerin in einer der genannten Gewerkschaften zu einem bestimmten Stichtag.

24Rechtsfolge solcher Verweisungsklauseln ist allein, die Anwendbarkeit der Tarifnormen im Arbeitsverhältnis herbeizuführen und nicht etwa, dem Arbeitnehmer einen bestimmten Status zu verschaffen oder diesen zu fingieren. Die Beklagte wird, da arbeitsvertraglich nichts anderes festgelegt wird, nicht verpflichtet, die Klägerin so zu behandeln, als wäre sie bereits zu einem bestimmten Stichtag einer Gewerkschaft beigetreten ( - Rn. 27, BAGE 130, 43). Es verbleibt bei der Anwendung der tariflichen Bestimmungen, die auch für diejenigen Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaften gelten, die die besonderen Voraussetzungen nach § 5 Ziff. 13 TV-Sonderzahlung Damp 2010 nicht erfüllen.

25Denn ebenso wie die Klägerin haben nicht alle Mitglieder der Gewerkschaften ver.di und NGG, sondern nur die Mitglieder iSv. Ziff. 13 des § 5 TV-Sonderzahlung Damp 2010, die eine bestimmte Dauer der Mitgliedschaft als zusätzliche Voraussetzung erfüllen, Anspruch auf die jeweils erhöhte Sonderzahlung oder den Garantiebetrag. Den „einfachen“ Gewerkschaftsmitgliedern wird die Klägerin aber „gleichgestellt“. Sie hat aufgrund ihrer arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel Anspruch auf die Höhe der Sonderzahlung, die auch Mitglieder der Gewerkschaften ver.di und NGG erhalten, die nicht die weiteren Voraussetzungen der Ziff. 13 des § 5 TV-Sonderzahlung Damp 2010 erfüllen. Diese sind - mit den Worten der Klägerin - die „vergleichbaren Gewerkschaftsmitglieder“. Über diesen Sonderzahlungsbetrag streiten die Parteien auch nicht, die Klägerin hat ihn erhalten. Weshalb darüber hinaus - mit der zwischen den gewerkschaftlich organisierten Mitarbeitern zulässigen tariflichen Unterscheidung (siehe oben) - eine unzulässige Differenzierung gegenüber „Unorganisierten“ vorliegen soll, erschließt sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht. Mit der differenzierenden Höhe der Sonderzahlung wird entgegen ihrer Auffassung kein „unerträglicher Druck“ zum Gewerkschaftseintritt erzeugt. Ein von solchen tariflichen Regelungen ausgehender bloßer Anreiz zum Beitritt einer Koalition ist unerheblich ( - Rn. 66, BVerfGE 116, 202) und lässt sich auch ohne weiteres durch die Gestaltung der Verweisungsklausel gänzlich minimieren.

264. Die weitere, von der Klägerin im Revisionsverfahren erhobene Rüge, das Landesarbeitsgericht habe seine Hinweispflicht nach § 139 ZPO verletzt, weil es überraschend die begehrte Sonderzahlungsdifferenz mit der Höhe des Gewerkschaftsbeitrags gegenübergestellt habe, um festzustellen, ob ein „unzulässiger Druck“ ausgeübt werde, der ihre negative Koalitionsfreiheit verletze, ist unbeachtlich. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es weder auf die Höhe der Differenz der Sonderzahlungen noch auf eine Gegenüberstellung mit der Höhe von Gewerkschaftsbeiträgen an.

27III. Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten der Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
MAAAE-55305