BGH Beschluss v. - V ZB 71/13

Zurückschiebungshaftsache: Erfordernis der Aushändigung des Haftantrages in vollständiger Abschrift an den Betroffenen oder dessen Verfahrenspfleger vor der Anhörung

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 419 FamFG, § 420 FamFG

Instanzenzug: LG Lübeck Az: 7 T 787/12vorgehend AG Oldenburg (Holstein) Az: 20b XIV 130/12 B

Gründe

I.

1Die Betroffene, eine somalische Staatsangehörige, wurde am aus Dänemark kommend von Beamten der Bundespolizei aufgegriffen. Sie führte lediglich eine maltesische Identitätskarte mit sich. In Malta hatte sie im Jahr 2012 einen Asylantrag gestellt.

2Auf Antrag der beteiligten Behörde vom hat das Amtsgericht nach Anhörung der Betroffenen mit Beschluss vom gleichen Tag Sicherungshaft bis längstens angeordnet.

3Am stellte die Betroffene einen Asylantrag. Auf ein Schreiben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom hin wurde die Betroffene noch am gleichen Tag aus der Haft entlassen.

4Das Landgericht hat festgestellt, dass der amtsgerichtliche Beschluss die Beteiligte für die Zeit des Vollzugs der Sicherungshaft ab dem in ihren Rechten verletzt hat. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die Betroffene die Feststellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts sie bereits ab dem in ihren Rechten verletzt hat.

II.

5Das Beschwerdegericht meint, es sei nicht zu beanstanden, dass der Betroffenen der Haftantrag nicht in schriftlich übersetzter Form bei ihrer Anhörung vorgelegen habe. Ihr rechtliches Gehör sei dadurch gewahrt worden, dass ihr ein Verfahrenspfleger beigeordnet worden sei, der an der Anhörung teilgenommen habe. Die Anordnung der Haft zur Zurückschiebung sei erst ab dem rechtswidrig gewesen.

III.

6Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG ohne Zulassung statthafte (vgl. zur Erledigung bereits in der Beschwerdeinstanz Senat, Beschluss vom - V ZB 96/10, juris Rn. 10 f.) und nach § 71 FamFG auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

71. Die Betroffene ist durch den die Haft anordnenden Beschluss des Amtsgerichts auch in dem Zeitraum vom bis zum in ihren Rechten verletzt worden, weil ihr der Haftantrag nicht zu Beginn der Anhörung ausgehändigt worden ist. Zwar kann der Antrag einem Betroffenen erst zu Beginn der Anhörung eröffnet werden, wenn er einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu welchem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunftsfähig ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass sich der Haftrichter in einem solchen Fall darauf beschränken darf, den Inhalt des Haftantrags mündlich vorzutragen. Vielmehr muss dem Betroffenen in jedem Fall eine Ablichtung des Antrags ausgehändigt, erforderlichenfalls (mündlich) übersetzt und dies in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle schriftlich dokumentiert werden (Senat, Beschluss vom - V ZB 284/11, InfAuslR 2012, 369 Rn. 9; Beschluss vom - V ZB 142/12, InfAuslR 2013, 157 Rn. 5). Da es an einer solchen Dokumentation fehlt, ist davon auszugehen, dass der Betroffenen keine Ablichtung des Haftantrages ausgehändigt worden ist.

82. Soweit das Beschwerdegericht darauf verweist, dass der Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt wurde, führt dies zu keiner anderen Beurteilung.

9a) Die Aufgabe eines Verfahrenspflegers - die Voraussetzungen für seine Bestellung lagen hier allerdings nicht vor (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 212/12, juris Rn. 8 ff.) - besteht zwar darin, die verfahrensmäßigen Rechte des Betroffenen zur Geltung zu bringen. Dazu gehört insbesondere der Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs (, BGHZ 182, 116 Rn. 45). Ihm soll eine Person zur Seite gestellt werden, die aus der objektiven Sicht eines Dritten dafür Sorge trägt, dass seine Vorstellungen und Interessen in dem Verfahren sachgerecht zum Ausdruck gebracht werden können (vgl. Keidel/Budde, FamFG, 17. Aufl., § 419 Rn. 2). Dies rechtfertigt es, von einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betroffenen auszugehen, wenn jedenfalls dem Verfahrenspfleger der Haftantrag übermittelt wird und er an der persönlichen Anhörung des Betroffenen teilnimmt. Damit ist die sachgerechte Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs durch den Betroffenen gewährleistet (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 212/12, juris Rn. 11).

10b) Eine Übermittlung des Haftantrages an den Verfahrenspfleger vor der Anhörung des Betroffenen ist aber weder dem Anhörungsprotokoll zu entnehmen noch an anderer Stelle in der Gerichtsakte dokumentiert. Das Erfordernis der Aushändigung des Haftantrages in vollständiger Abschrift soll gewährleisten, dass der Betroffene in der Lage ist, zu sämtlichen Angaben der Behörde Stellung zu nehmen. Bei einer fehlenden Aushändigung des Haftbefehls vor der Anhörung kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Ziel verfehlt wird, was zur Folge hat, dass in dem Rechtsbeschwerdeverfahren von einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG ausgegangen werden muss (, FGPrax 2013, 40 Rn. 6 mwN). Dies ist im gleichen Maße der Fall, wenn für den Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt ist und diesem der Haftbefehl nicht vor der Anhörung ausgehändigt wird.

IV.

11Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Stresemann                         Czub                        Brückner

                     Weinland                    Kazele

Fundstelle(n):
KAAAE-54338