BGH Urteil v. - V ZR 232/10

Internationale Zuständigkeit: Bereicherungsklage des Landes Berlin auf Rückzahlung rechtsgrundlos geleisteter Wiedergutmachungsbeträge an Restitutionsberechtigte aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung; Klage gegen mehrere Personen mit Wohnsitzen in verschiedenen Mitgliedsstaaten; Klage gegen Personen mit Wohnsitz außerhalb der europäischen Union

Gesetze: Art 1 Abs 1 EGV 44/2001, Art 6 Nr 1 EGV 44/2001, § 1 Abs 1 VermG, § 3 Abs 1 VermG, § 1 InVorG, § 16 Abs 1 InVorG, § 812 Abs 1 BGB

Instanzenzug: Az: C-645/11 Urteilvorgehend Az: V ZR 232/10 EuGH-Vorlagevorgehend Az: 11 U 25/06vorgehend Az: 13 O 493/03

Tatbestand

1J.    B.     gehörte ein Grundstück auf der Fischerinsel im heutigen Bezirk Mitte im früheren Ostteil von Berlin, auf dem er einen Uhrengroßhandel betrieb. Er wurde durch das NS-Regime verfolgt und musste deshalb sein Grundstück an einen Dritten verkaufen. Das Grundstück wurde später durch die DDR enteignet, mit anderen staatlichen Grundstücken zusammengelegt und von dem Land Berlin und der Bundesrepublik Deutschland, denen es mit dem Einigungsvertrag zugefallen war, am an einen Investor verkauft, und zwar im Hinblick auf die von den Beklagten zu 1 bis 10 angemeldeten Restitutionsansprüche nach näherer Maßgabe des Investitionsvorranggesetzes. Die Restitutionsbehörde stellte nach dem Verkauf fest, dass die Restitutionsansprüche begründet waren, und wies das Land Berlin, das auch für die Bundesrepublik Deutschland handelte, an, den Beklagten zu 1 bis 10 den Teil des Verkaufserlöses, der dem Anteil des Grundstücks von J.    B.     an dem Gesamtareal entsprach, auszukehren. Bei der Durchführung dieser Auszahlung unterlief dem Land Berlin ein Fehler. Es überwies dem mit der Vertretung der Beklagten zu 1 bis 10 beauftragten Rechtsanwalt, dem Beklagten zu 11, nicht nur diesen Kaufpreisanteil, sondern den gesamten Kaufpreis, den dieser unter die Beklagten zu 1 bis 10 verteilte. Das Land Berlin fordert im vorliegenden Rechtsstreit von dem in Berlin ansässigen Beklagten zu 1 und von den im Ausland ansässigen Beklagten zu 2 bis 10 den überzahlten Betrag, den es auf etwas über 2,5 Mio. € beziffert, zurück. Es hat sie und zusätzlich auch den Beklagten zu 11, dem es im Zusammenhang mit der Weiterleitung des Betrags eine unerlaubte Handlung vorwirft, vor dem Landgericht Berlin als Gesamtschuldner verklagt. Die Beklagten zu 3, 5 bis 7, 9 und 10 wenden unter anderem ein, das Landgericht Berlin sei für sie international nicht zuständig.

2Das Landgericht hat die Klage mit einem Teilurteil gegen die Beklagten zu 3, 5 bis 7, 9 und 10 als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Gründe

I.

3Das Berufungsgericht meint, die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte sei für die Klage gegen die Beklagten zu 3, 5 bis 7, 9 und 10 nicht gegeben. Aus Art. 6 Nr. 1 der VO (EG) Nr. 44/2001 (ABl. EG Nr. L 12 S. 1) folge sie nicht, weil diese Verordnung nicht anwendbar sei. Bei der Streitigkeit handele es sich nämlich nicht um eine zivilrechtliche, sondern um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, für die die Verordnung nach ihrem Art. 1 Abs. 1 nicht gelte. Die Zahlung des Klägers an die Beklagten dürfe nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass sie auf Grund des Bescheids über die Feststellung des Rückgabeanspruchs der Beklagten erfolgt sei. Eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte sei auch nach dem deutschen internationalen Prozessrecht nicht gegeben.

II.

4Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht in allen Punkten stand.

51. Der Senat hat zu den mit dem Berufungsurteil aufgeworfenen Fragen der Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 6 Nr. 1 der VO (EG) Nr. 44/2001 den Gerichtshof der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung ersucht (Beschluss vom - V ZR 232/10, ZOV 2012, 43). Der Gerichtshof hat mit Urteil vom (Rs. C-645/11, NJW 2013, 1661) wie folgt entschieden:

„1. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Zivil- und Handelssache“ eine Klage auf Erstattung einer ohne Rechtsgrund geleisteten Zahlung umfasst, wenn eine öffentliche Stelle durch eine Behörde, die durch ein Gesetz zur Wiedergutmachung von Verfolgungen seitens eines totalitären Regimes geschaffen wurde, angewiesen worden ist, einem Geschädigten zur Wiedergutmachung einen Teil des Erlöses aus einem Grundstückskaufvertrag auszuzahlen, stattdessen aber versehentlich den gesamten Kaufpreis an diese Person überwiesen hat und anschließend die ohne Rechtsgrund geleistete Zahlung gerichtlich zurückfordert.

2. Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass zwischen den Klagen gegen mehrere Beklagte, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten haben, eine enge Beziehung im Sinne dieser Bestimmung besteht, wenn sich diese Beklagten unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens auf weiter gehende Wiedergutmachungsansprüche berufen, über die einheitlich entschieden werden muss.

3. Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass er auf Beklagte, die ihren Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben und die im Rahmen einer gegen mehrere Beklagte, zu denen auch Personen mit Wohnsitz in der Union gehören, gerichteten Klage verklagt werden, nicht anwendbar ist.“

62. Danach ist der Streit der Parteien über den Bereicherungsanspruch des Klägers, anders als das Berufungsgericht meint, eine Zivil- und Handelssache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 VO (EG) Nr. 44/2001. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bestimmt sich deshalb in erster Linie nach den Vorschriften dieser Verordnung und nur, soweit diese einen Gerichtsstand nicht bestimmt, nach autonomem deutschen internationalen Prozessrecht.

73. Für die Beklagten zu 5 und 10 ist der internationale Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 gegeben. Nach dieser Vorschrift kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, auch vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem eine von mehreren zusammen verklagten Personen ihren Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Diesen Zusammenhang hat der Gerichtshof hier daraus abgeleitet, dass die Beklagten gegen den Bereicherungsanspruch weitergehende Wiedergutmachungsansprüche einwenden und darüber nur einheitlich entschieden werden kann (Urteil vom - C-645/11, NJW 2013, 1661, 1663 Rn. 4547).

84. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Klage gegen die Beklagten zu 3, 6, 7 und 9 hat das Berufungsgericht dagegen zu Recht verneint.

9a) Aus Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 folgt sie nicht. Der dafür erforderliche, von dem Gerichtshof bejahte Zusammenhang zu den Klagen gegen die Beklagten mit einem Gerichtsstand in Deutschland besteht zwar in der Sache nicht nur für die Beklagten zu 5 und 10, sondern auch für die Beklagten zu 3, 6, 7 und 9. Diese Beklagten haben aber keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union. Auf solche mitverklagten Personen ist Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 nach dem Urteil des Gerichtshofs nicht anzuwenden (NJW 2013, 1661, 1663 Rn. 52-54).

10b) Für diese Beklagten besteht aber auch nach autonomem deutschen internationalen Prozessrecht kein Gerichtsstand in Deutschland. Auf das interne deutsche Recht kann zwar zurückgegriffen werden, da die Verordnung auf diese Beklagten insgesamt nicht anwendbar ist und den Rückgriff auf das interne Recht der Mitgliedstaaten deshalb nicht sperrt. Nach deutschem internationalen Prozessrecht ist ein internationaler Gerichtstand insoweit aber nicht gegeben.

11aa) Das deutsche Recht kennt den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, wie ihn Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 vorsieht, nicht.

12bb) Auch der internationale Gerichtsstand des Vermögens analog § 23 ZPO scheidet hier aus. Zwar verteidigen sich die Beklagten gegen die Klageforderung mit einem Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen dem Verkaufserlös und dem Verkehrswert nach § 16 Abs. 1 Satz 3 InVorG. Mit diesem Anspruch lässt sich der Gerichtsstand des Vermögens nach § 23 ZPO aber nicht begründen. Dafür muss nicht entschieden werden, ob dieser Anspruch auf Grund der von den Beklagten hilfsweise erklärten Aufrechnung erloschen ist, die entgegen der von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vertretenen Ansicht unter entsprechender (konkludenter) Zerlegung des Anspruchs in Teilforderungen nach § 2042 Abs. 2, § 752 BGB rechtlich möglich wäre. Der Gerichtsstand nach § 23 ZPO scheidet jedenfalls deshalb aus, weil der Kläger diesen Anspruch bestreitet, und zwar nicht in einem anderen Verfahren, sondern in dem vorliegenden, gegen die Beklagten zu 1 und 11 fortgesetzten Rechtsstreit. Nach dem - für die Zulässigkeit der Klage allein maßgeblichen - eigenen Vorbringen des Klägers haben die Beklagten daher insoweit gerade kein Vermögen (vgl. , BGHZ 120, 334, 346). Dass die Beklagten zu 3, 6, 7 und 9 in Deutschland anderes Vermögen hätten, ist weder vorgetragen noch ersichtlich (Senat, Beschluss vom  - V ZR 232/10, ZOV 2012, 43 Rn. 4).

13cc) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Klage gegen die Beklagten zu 3, 6, 7 und 9 lässt sich schließlich auch nicht in entsprechender Anwendung von § 28 ZPO begründen. Der Anspruch auf Auskehrung des Erlöses aus dem Verkauf eines an die früheren Eigentümer zu restituierenden Grundstücks für Investitionszwecke nach § 16 Abs. 1 Satz 3 InVorG ist als originärer sondergesetzlicher Anspruch einem Nachlass schon nicht vergleichbar (ebenso , BGHZ 157, 379, 386 für die entsprechende Anwendung von § 1374 Abs. 2 BGB). Der Gerichtsstand wäre auch dann nicht gegeben, wenn § 28 ZPO auf einen solchen Anspruch entsprechend anwendbar wäre, weil es an den Voraussetzungen der Vorschrift fehlte. Der Anspruch aus § 16 Abs. 1 Satz 3 InVorG auf Auskehrung des Verkaufserlöses, an den bei der entsprechenden Anwendung der Vorschrift anzuknüpfen wäre, ist nach dem insoweit maßgeblichen Vortrag des Klägers erfüllt und damit nicht mehr im Gerichtsbezirk belegen. Auch haften die Beklagten nicht, wie der Kläger meint, als Gesamtschuldner, sondern als Teilschuldner (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 309 mwN; ebenso für § 281 BGB aF = § 285 BGB: Senat, Urteil vom - V ZR 341/97, VIZ 1999, 176, 177), weil jeder nur um den Geldbetrag ungerechtfertigt bereichert sein kann, den er selbst ohne Rechtsgrund erlangt hat.

III.

14Die gegen die Beklagten zu 3, 6, 7 und 9 gerichtete Klage ist damit unzulässig. Insoweit ist der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif und von dem Senat  auch über die aussonderbaren und nach § 97 Abs. 1 ZPO von dem Kläger zu tragenden außergerichtlichen Kosten dieser Beklagten - abschließend zu entscheiden. Im Übrigen ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die übrigen Kosten des Rechtsstreits, zurückzuverweisen. Dieses wird zunächst zu prüfen haben, ob ihm eine isolierte Sachentscheidung gegenüber den Beklagten zu 5 und 10 möglich ist. Andernfalls wird es die Sache hinsichtlich dieser beiden Beklagten an das Landgericht zurückzuverweisen haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NJW 2014 S. 704 Nr. 10
YAAAE-51763