BFH Beschluss v. - VI B 94/13

Vorliegen eines Verfahrensmangels durch unrichtige Beurteilung der Sachurteilsvoraussetzungen

Gesetze: FGO § 40 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 6, GG Art. 20 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Die Beteiligten stritten im finanzgerichtlichen Verfahren um den Anspruch der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) auf Kindergeld für ihren 1983 geborenen Sohn X, für den durch das zuständige Versorgungsamt der Grad der Behinderung mit 30 festgestellt worden war.

2 Die Beklagte und Beschwerdeführerin, die Bundesagentur für Arbeit - Familienkasse . (Familienkasse), lehnte den Antrag der Klägerin, Kindergeld für ihren Sohn X zu gewähren, ab. Die Familienkasse begründete das im Wesentlichen damit, dass der Sohn der Klägerin aufgrund einer Rente befähigt sei, seinen Lebensunterhalt trotz gesundheitlicher Einschränkungen selbst bestreiten zu können. Die Klägerin brachte dagegen vor, dass die von ihrem Sohn bezogene Rente nicht ausreiche, um dessen Bedarf zu decken. Sie beantragte daher im finanzgerichtlichen Verfahren, die Familienkasse unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom und unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom zu verpflichten, Kindergeld für die Zeiten von September 2008 bis Mai 2009 sowie ab Oktober 2009 festzusetzen. Die Familienkasse beantragte, die Klage abzuweisen.

3 Das Finanzgericht (FG) entsprach der Klage und verurteilte die Familienkasse antragsgemäß, Kindergeld gegenüber der Klägerin in der jeweiligen gesetzlichen Höhe für die Monate September 2008 bis einschließlich Mai 2009 und für die Zeit ab Oktober 2009 festzusetzen. Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Familienkasse mit der Nichtzulassungsbeschwerde und macht einen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend. Das FG habe verfahrensfehlerhaft die Familienkasse zur Kindergeldfestsetzung ab Oktober 2009 ohne weitere zeitliche Begrenzung verurteilt, obwohl für Zeiträume ab Dezember 2009 die Klage als unzulässig hätte abgewiesen werden müssen.

4 II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Das angefochtene finanzgerichtliche Urteil wird gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

5 1. Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind nur Verstöße gegen das Gerichtsverfahrensrecht, die das FG bei der Handhabung seines Verfahrens begeht und die zur Folge haben, dass eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung im Urteil fehlt (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom I B 68/11, BFH/NV 2012, 612; vom X S 5/06 (PKH), BFH/NV 2007, 94; vom XI B 25/05, BFH/NV 2006, 1106; vgl. auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 76; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichts-ordnung, § 115 FGO Rz 87, 108; Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 115 FGO Rz 221; jeweils m.w.N.). Insbesondere die unrichtige Beurteilung von Sachentscheidungsvoraussetzungen stellt einen solchen Verfahrensfehler dar (, BFHE 218, 20, BStBl II 2007, 833).

6 a) Ein solcher Verfahrensfehler liegt im Streitfall hier vor. Das Finanzgericht ist zu Unrecht von der Klagebefugnis der Klägerin ausgegangen, soweit es die Familienkasse verpflichtete, Kindergeld für die Zeit nach dem Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, nämlich über den Monat November 2009 hinaus, festzusetzen. Denn in diesem Umfang war die Klage unzulässig; das FG hat gegen § 40 Abs. 2 FGO verstoßen. Danach ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts oder einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein.

7 b) Der im finanzgerichtlichen Verfahren streitige Ablehnungs-bescheid vom und die dazu ergangene Ein-spruchsentscheidung vom enthalten keine das Kindergeld ab Dezember 2009 ablehnende Regelung. Denn die Familienkasse kann im Falle eines zulässigen, in der Sache aber unbegründeten Einspruchs gegen einen Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des BFH längstens eine Regelung des Kindergeldanspruchs bis zu dem Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung treffen. Dieser zeitliche Regelungsumfang wird durch eine Klageerhebung nicht verändert. Insbesondere ist das gerichtliche Verfahren keine Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens. Im Hinblick auf die von der Verfassung vorgegebene Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes) ist es die Aufgabe der Gerichte, das bisher Geschehene bzw. das Unterlassen auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, nicht jedoch, grundsätzlich der Verwaltung zustehende Funktionen auszuüben (vgl. , BFH/NV 2011, 1858; vom III R 71/10, BFHE 235, 203, BStBl II 2013, 380; vom III R 70/09, BFH/NV 2012, 1446; vom XI R 24/12, juris). Dieser Auffassung stehen nach der Rechtsprechung des BFH (in BFH/NV 2012, 1446; vom XI R 24/12, juris), der sich der erkennende Senat anschließt, auch prozessökonomische Gründe nicht entgegen.

8 2. Der Senat hält es für sachgerecht, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 176 Nr. 2
JAAAE-51233