BFH Urteil v. - VI R 17/12 BStBl 2014 II S. 340

1 %-Regelung bei Überlassung mehrerer Kfz

Leitsatz

1. Überlässt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mehr als ein Kfz auch zur privaten Nutzung, so ist der in der Überlassung des Fahrzeugs zur privaten Nutzung liegende geldwerte Vorteil für jedes Fahrzeug nach der 1 %-Regelung zu berechnen.

2. Die Inhaftungnahme des Arbeitgebers nach § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG ist regelmäßig ermessensfehlerhaft, wenn der Arbeitgeber entsprechend einer Billigkeitsregelung der Finanzbehörden Lohnsteuer materiell unzutreffend einbehält.

Gesetze: EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1EStG § 8 Abs. 2 Satz 2 i.V.m.§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2§ 42d Abs. 3 Satz 2

Instanzenzug: ,

Gründe

I.

1 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt ein Gebäudereinigungsunternehmen. Gesellschafter-Geschäftsführer sind die Eheleute A und B.

2 Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung für die Jahre 2004 bis 2006 wurde festgestellt, dass die Klägerin A zwei Kfz zur uneingeschränkten Nutzung überlassen habe. Dabei handelt es sich um eine BMW-Limousine und eine BMW-Geländelimousine X5. Der Prüfer erfasste wegen der unterschiedlichen Nutzungseigenschaften die Nutzung beider Fahrzeuge als Sachbezug und setzte für die BMW-Geländelimousine X5 auf der Grundlage der sog. 1 %-Regelung einen weiteren Sachbezug in Höhe von 8.484 € jährlich an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) schloss sich der Auffassung des Prüfers an und erließ einen auf § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) gestützten Haftungsbescheid für Lohnsteuer 2004 bis 2006. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 2104 veröffentlichten Gründen als unbegründet ab.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

3 Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das und den Haftungsbescheid vom i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

4 Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

5 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Die Feststellungen des FG erlauben keine abschließende Beurteilung, ob für die BMW-Geländelimousine X5 über den bereits für die BMW-Limousine erfassten geldwerten Vorteil hinaus ein weiterer geldwerter Vorteil als Lohn zu erfassen und ob die Inanspruchnahme der Klägerin durch Haftungsbescheid ermessensgerecht war.

6 1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn —auch soweit er durch einen Dritten gewährt wird— für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat.

7 2. a) Überlässt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung, führt das nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zu einem als Lohnzufluss nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu erfassenden steuerbaren Nutzungsvorteil des Arbeitnehmers (Senatsurteil vom VI R 31/10, BFHE 241, 167, m.w.N.). Der Arbeitnehmer ist um den Betrag bereichert, den er für eine vergleichbare Nutzung aufwenden müsste und den er sich durch die Überlassung des Fahrzeugs durch den Arbeitgeber erspart. Die Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung führt damit unabhängig von den tatsächlichen Nutzungsverhältnissen zu einer Bereicherung des Arbeitnehmers. Denn der Vorteil aus der Nutzungsüberlassung umfasst das Zurverfügungstellen des Fahrzeugs selbst sowie die Übernahme sämtlicher damit verbundener Kosten wie Steuern, Versicherungsprämien, Reparatur-, Wartungs- und Treibstoffkosten und damit nutzungsabhängige wie -unabhängige Kosten (zuletzt Senatsurteil in BFHE 241, 167, m.w.N.). Der geldwerte Vorteil aus der unentgeltlichen bzw. verbilligten Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung fließt dem Arbeitnehmer mit der Inbesitznahme des Dienstwagens und nicht (erst) mit der tatsächlichen privaten Nutzung des PKW zu (Senatsurteil in BFHE 241, 167, m.w.N.).

8 b) Der als Lohnzufluss zu erfassende geldwerte Vorteil aus der unentgeltlichen oder verbilligten Überlassung eines Kfz zu privaten Zwecken ist grundsätzlich nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG zu bewerten. Der tatsächliche Umfang der Privatnutzung wird nur berücksichtigt, wenn der Steuerpflichtige diesen durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachweist. Ist dies der Fall, ist der für die Überlassung eines dienstlichen Kfz zur privaten Nutzung anzusetzende geldwerte Vorteil entsprechend dem Anteil der Privatnutzung an den insgesamt für das Kfz angefallenen Aufwendungen zu berechnen (§ 8 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG). Werden dem Arbeitnehmer zwei Fahrzeuge zur privaten Nutzung überlassen und fehlt es an ordnungsgemäßen Fahrtenbüchern, so ist der in der Überlassung des Fahrzeugs zur privaten Nutzung liegende geldwerte Vorteil für jedes Fahrzeug nach der 1 %-Regelung zu berechnen (§ 8 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG).

9 Der Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG bietet keinen Anhalt für die Annahme, dass in Fällen, in denen der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich mehr als ein Fahrzeug unentgeltlich oder verbilligt privat nutzen darf, die 1 %-Regelung nur für ein Fahrzeug gelten soll. Es besteht auch kein Grund, die Vorschrift einschränkend auszulegen. Denn werden dem Arbeitnehmer arbeitsvertraglich zwei Fahrzeuge zur privaten Nutzung überlassen, wird ihm ein doppelter Nutzungsvorteil zugewandt. Er kann nach Belieben auf beide Fahrzeuge zugreifen und diese entweder selbst nutzen oder —soweit arbeitsvertraglich erlaubt— einem Dritten überlassen. Hierdurch erspart er sich den Betrag, den er für die Nutzungsmöglichkeit vergleichbarer Fahrzeuge am Markt aufwenden müsste (vgl. Senatsurteil in BFHE 241, 167). Der Arbeitnehmer hat es überdies selbst in der Hand, durch Führung eines Fahrtenbuchs eine Besteuerung anhand der tatsächlich für die Privatfahrten angefallenen Kosten zu erreichen oder, falls er auf die Nutzungsmöglichkeit zweier PKW keinen Wert legt, eine abweichende entsprechende arbeitsvertragliche Regelung zu treffen.

10 3. Die Feststellungen in der Vorentscheidung tragen die Folgerung des FG nicht, aufgrund der Überlassung der BMW-Geländelimousine X5 sei Lohnsteuer abzuführen gewesen. In der Vorentscheidung ist lediglich ausgeführt, anlässlich einer Betriebsprüfung sei festgestellt worden, dass die Klägerin A zwei Fahrzeuge auch zur privaten Nutzung überlassen habe. Festgestellt ist hingegen nicht, ob auch das zweite Fahrzeug arbeitsvertraglich überlassen wurde. Fehlt es hieran, kann eine vertragswidrige Nutzung vorliegen, die im Falle der Überlassung eines PKW an einen Gesellschafter-Geschäftsführer zu einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) führen kann. Eine vertragswidrige Nutzung in diesem Sinne liegt auch vor, wenn die Nutzung ohne eine fremdübliche Vereinbarung erfolgt oder darüber hinausgeht (, BFHE 220, 276, BStBl II 2012, 260; Senatsurteil vom VI R 81/06, BFHE 225, 33, BStBl II 2012, 262). Sollte das FG im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis kommen, dass hinsichtlich der Überlassung des zweiten Fahrzeugs eine vGA vorliegt, kann der hierauf entfallende Betrag im angefochtenen Lohnsteuer-Haftungsbescheid nicht angesetzt werden.

11 4. Kommt das FG hingegen zu dem Ergebnis, dass die Kfz-Überlassung als lohnsteuerbarer geldwerter Vorteil anzusetzen ist, wird es zu beachten haben, dass die Erfüllung des Haftungstatbestands nicht ohne weiteres die Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftungsschuldner zu rechtfertigen vermag. Über dessen Inanspruchnahme hat das FA vielmehr aufgrund pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden (§ 42d Abs. 3 Satz 2 EStG). Die Ermessensausübung hat das FG im Rahmen des § 102 FGO zu überprüfen und dabei vorliegend Tz. I.2 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom IV B 6 -S 2334- 173/96 (BStBl I 1996, 654) in den Blick zu nehmen. Danach kann bei Überlassung mehrerer Fahrzeuge der Listenpreis des überwiegend genutzten Fahrzeugs zugrunde gelegt werden, wenn die Nutzung der Fahrzeuge durch andere zur Privatsphäre des Arbeitnehmers gehörende Personen so gut wie ausgeschlossen ist. Das vom FG genannte (BStBl I 2002, 148, Tz. 9 Satz 2) —ersetzt durch das (BStBl I 2009, 1326, vgl. Tz. 36)— betrifft Nutzungsentnahmen und ist daher im Streitfall nicht einschlägig. Das FG hat die Anwendungsvoraussetzungen dieser Verwaltungsvorschrift zu Unrecht offengelassen, weil —unterstellt, es handle sich um eine Billigkeitsvorschrift— eine Steuerfestsetzung im Billigkeitswege in einem gesonderten Verfahren gemäß § 163 Satz 1 der Abgabenordnung angestrebt werden müsse. Denn diese für das Steuerfestsetzungsverfahren zutreffenden Ausführungen (vgl. , BFHE 228, 499, BStBl II 2010, 903) gelten für einen Haftungsbescheid nicht. Liegen die Voraussetzungen der Tz. 2 des BMF-Schreibens in BStBl I 1996, 654 nach den vom FG noch zu treffenden Feststellungen vor, hat die Klägerin unter Berücksichtigung dieser Billigkeitsregelung die Lohnsteuer korrekt abgeführt: sie hat die 1 %-Regelung entsprechend den Vorgaben in § 8 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG auf das teurere der beiden Fahrzeuge angewandt, die Lohnsteuer hierfür angemeldet und abgeführt. Die Inanspruchnahme der Klägerin im Wege des Haftungsbescheids wäre dann ermessensfehlerhaft.

Anm. d. Red.: Dieses Urteil wurde im BStBl 2014 II S. 340 veröffentlicht. In einer Fußnote weist die Finanzverwaltung jedoch darauf hin, dass das (BStBl 1996 I S. 654 Tz. 2) unberührt bleibt. Nach Ansicht der Finanzverwaltung scheint es daher weiterhin zulässig zu sein, einen geldwerten Vorteil für nur eines der Fahrzeuge anzusetzen, sofern die Nutzung der Fahrzeuge durch andere zur Privatsphäre des Arbeitnehmers gehörende Personen so gut wie ausgeschlossen ist. Dem privaten Nutzungswert sei dann der Listenpreis des überwiegend genutzten Kraftfahrzeugs zugrunde zu legen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:


Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
BStBl 2014 II Seite 340
BB 2013 S. 2645 Nr. 44
BB 2013 S. 3105 Nr. 51
BFH/NV 2013 S. 1965 Nr. 12
BFH/PR 2014 S. 2 Nr. 1
BStBl II 2014 S. 340 Nr. 7
DB 2013 S. 2427 Nr. 43
DB 2013 S. 6 Nr. 43
DStR 2013 S. 2267 Nr. 43
DStRE 2013 S. 1400 Nr. 22
DStZ 2013 S. 840 Nr. 23
FR 2014 S. 30 Nr. 1
GStB 2013 S. 406 Nr. 12
GStB 2014 S. 5 Nr. 2
GmbH-StB 2013 S. 365 Nr. 12
GmbHR 2013 S. 343 Nr. 22
KÖSDI 2013 S. 18597 Nr. 11
NJW-RR 2014 S. 107 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 44/2013 S. 3436
NWB-Eilnachricht Nr. 46/2013 S. 3592
StBW 2013 S. 1001 Nr. 22
StBW 2013 S. 1057 Nr. 23
StC 2014 S. 7 Nr. 1
StuB-Bilanzreport Nr. 21/2013 S. 829
Ubg 2013 S. 713 Nr. 11
TAAAE-47233