BAG Urteil v. - 1 AZR 43/12

Gleichbehandlungsgrundsatz - Rechtsfolgen eines Verstoßes

Gesetze: § 75 Abs 1 BetrVG, § 106 GewO

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 12 Ca 10064/09 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 11 Sa 154/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung.

2Der am geborene Kläger ist seit dem bei der Beklagten am Standort F als Flugbegleiter beschäftigt. Bei der Beklagten sind nach § 117 Abs. 2 BetrVG aufgrund des Tarifvertrags Personalvertretung für das Bordpersonal vom (TV PV) Personalvertretungen gebildet.

3Der Kläger war seit dem Jahre 2001 in der sog. gemischten Gruppe tätig und wurde dabei auf Langstrecken- und Kurzstreckenflügen eingesetzt. Daneben gab es noch die sog. IK-Gruppe, die nur Langstrecken- bzw. Interkontinentalflüge durchführte. Im Jahre 2009 führte die Beklagte eine neue Einsatzstruktur ein. Hierdurch wurde die IK-Gruppe aufgelöst. Alle Flugbegleiter werden nunmehr auf Interkontinental-, Lang- und Kurzstreckenflügen eingesetzt. Ziel der Änderung ist, die Einteilung der Flugbegleiter zu optimieren und die Vorteile sowie Belastungen von Einsätzen auf Interkontinental- und Kurzstrecken gerecht zu verteilen.

4Am schloss die Beklagte mit der Gesamtvertretung für das fliegende Personal einen freiwilligen „Sozialplan zur Umsetzung der Kabinen-Einsatzstruktur ‚we face the future’“ (SP). Darin ist bestimmt:

5Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans beschäftigte die Beklagte an ihrem Standort in F ca. 8.000 Flugbegleiter. Von diesen fielen rund 1.350 Flugbegleiter unter die Regelung zu Nr. 2.

6Der Kläger hat geltend gemacht, Nr. 2 SP sei altersdiskriminierend. Auch werde er ohne sachlichen Grund gegenüber gleichaltrigen Flugbegleitern der früheren IK-Gruppe benachteiligt. Die Regelung führe ihm gegenüber dazu, dass er nunmehr häufiger Kurzstrecken fliegen müsse, was belastender sei. Die Beklagte habe deshalb bei der Einsatzplanung die Regelung in Nr. 2 SP auch zu seinen Gunsten anzuwenden.

7Der Kläger hat, soweit für die Revision von Bedeutung, beantragt,

8Die Beklagte hat zur Begründung ihres Abweisungsantrags geltend gemacht, die unterschiedliche Behandlung sei sachlich gerechtfertigt, weil es älteren Beschäftigten des früheren IK-Bereichs erfahrungsgemäß schwerer falle, sich kurzfristig an die häufigeren Starts und Landungen bei Kontinentalflügen zu gewöhnen und auf die damit einhergehende Änderung ihrer Arbeitsbedingungen einzustellen.

9Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

10Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

11I. Die Anträge des Klägers sind zulässig.

121. Der auf die Gewährung eines Zusatzrequest Kont gerichtete Antrag zu 1. ist nach § 259 ZPO zulässig. Hierbei handelt es sich um eine monatlich wiederkehrende Leistung. Da die Beklagte den Zusatzrequest bisher nicht gewährt hat, besteht die Besorgnis nicht rechtzeitiger Leistung.

132. Der Feststellungsantrag zu 2. ist nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Gegenstand einer Feststellungsklage kann auch das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Verpflichtungen aus einem Arbeitsverhältnis sein ( - Rn. 13). Hier geht es um die Feststellung, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, mehr als fünf Einsatztage Kont im Quartal zu fliegen, also die Bestimmung des Umfangs der Arbeitspflicht. Hierfür besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Der Vorrang der Leistungs- bzw. Unterlassungsklage steht dem nicht entgegen, denn das angestrebte Feststellungsurteil ist geeignet, den Konflikt der Parteien endgültig beizulegen und weitere Prozesse zwischen ihnen zu vermeiden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte einem gegen sie ergehenden Feststellungsurteil nicht nachkommen wird.

14II. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen Zusatzrequest Kont. Er kann auch nicht verlangen, nicht mehr als fünf Einsatztage Kont im Quartal zu fliegen.

151. Die erhobenen Ansprüche ergeben sich nicht aus Nr. 2 SP. Der Kläger fällt nicht in den persönlichen Geltungsbereich dieser Vorschrift. Er war zum maßgeblichen Stichtag des nicht der IK-Gruppe zugeordnet.

162. Ein Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus § 68 Abs. 1 TV PV iVm. § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AGG. Nach dieser Bestimmung haben Arbeitgeber und Personalvertreter darüber zu wachen, dass alle Angehörigen des Bordpersonals nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden. Hierzu gehört das aus § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AGG folgende Verbot der Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Der Kläger wird jedoch nicht wegen seines Alters benachteiligt. Er übersieht, dass er zum Stichtag bereits das 43. Lebensjahr vollendet hatte, mehr als 15 Dienstjahre bei der Beklagten beschäftigt war und somit diese unmittelbaren und mittelbaren altersbezogenen Anforderungen der Nr. 2 SP erfüllte.

173. Ein Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus § 68 TV PV. Zwar verstößt die in Nr. 2 SP vorgenommene Gruppenbildung gegen das dem § 75 BetrVG nachgebildete personalvertretungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot des § 68 TV PV. Daraus folgt aber kein Anspruch auf Anwendung der gleichbehandlungswidrigen Begünstigung auf den Kläger. Vielmehr ist die Beklagte verpflichtet, die gesetzwidrige Begünstigung für ältere Flugbegleiter der IK-Gruppe bei der künftigen Dienstplangestaltung für Flugbegleiter insgesamt unangewendet zu lassen.

18a) Bei dem „Sozialplan zur Umsetzung der Kabinen-Einsatzstruktur ‚we face the future’“ handelt es sich nach Annahme des Landesarbeitsgerichts um einen freiwilligen Sozialplan. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die in dieser Vereinbarung getroffenen Regelungen dem Ausgleich oder Milderung wirtschaftlicher Nachteile aus Anlass einer Änderung des Flugbetriebs iSd. § 94 TV PV dienen. Unabhängig davon, ob es sich um einen Sozialplan iSd. § 95 Abs. 1 Satz 2 TV PV oder um eine freiwillige Betriebsvereinbarung iSd. § 88 BetrVG nachgebildeten § 78 TV PV handelt, sind Personalvertretung und Arbeitgeberin an § 68 TV PV gebunden. Danach haben Personalvertretung und Arbeitgeberin bei Betriebsvereinbarungen wie bei Sozialplänen den personalvertretungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 68 TV PV zu beachten. Dieser auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Eine Gruppenbildung kann auch dadurch erfolgen, dass für eine Arbeitnehmergruppe eine Regelung getroffen wird und für eine andere unterbleibt ( - zu 3 a der Gründe, BAGE 114, 179). Sind für verschiedene Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Rechtsfolgen - insbesondere unterschiedliche Leistungen - vorgesehen, verlangt der Gleichheitssatz, dass diese Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist. Maßgeblich hierfür ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck ( - Rn. 15). Dabei ist bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung der Gleichheitssatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten ( - zu 3 a der Gründe, aaO). Diese Grundsätze gelten gleichermaßen, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt (vgl. ua. - Rn. 150, BVerfGE 121, 317).

19b) Nach diesen Grundsätzen ist die in Nr. 2 SP vorgenommene Gruppenbildung sachlich nicht gerechtfertigt. Sie bewirkt jedenfalls mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen, die einer Überprüfung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit nicht standhält.

20aa) Nr. 2 SP verfolgt das Ziel, die Umstellungsschwierigkeiten älterer Flugbegleiter der bisherigen IK-Gruppe zu mildern, die für diese Personengruppe durch die Anwendung der neuen Einsatzstruktur auf die Dienstplangestaltung entstehen. Arbeitgeber und Personalvertreter haben damit berücksichtigt, dass bei Interkontinentalflügen die Belastung der Flugbegleiter in den durch die Zeitverschiebung bedingten sog. „Jetlags“ besteht, während die spezifische Belastung im Kont-Bereich in der Häufung von mehreren Starts und Landungen pro Tag liegt.

21bb) Die Regelung in Nr. 2 SP ist allerdings nicht geeignet, das vorgegebene Ziel zu erreichen. Sie gewährleistet nicht, dass nur die Flugbegleiter erfasst werden, die infolge ihres langjährigen Einsatzes im Langstreckenbereich nach Einschätzung der Betriebsparteien überhaupt Umstellungsschwierigkeiten haben können. Sie ist vielmehr auch auf Mitarbeiter anwendbar, die viele Jahre in der gemischten Gruppe geflogen und erst kurze Zeit dem IK-Bereich zugeordnet sind. Für diese ist die neue Einsatzplanung aufgrund der noch nicht eingetretenen Gewöhnung an die Einsatzbedingungen im IK-Bereich nicht mit besonderen Schwierigkeiten verbunden, so dass sie sich in einer vergleichbaren Ausgangssituation befinden wie die Flugbegleiter, die zum Stichtag der gemischten Gruppe angehören, jedoch keinen Anspruch auf die Vergünstigungen in Nr. 2 SP haben. Es ist weder vorgetragen noch offenkundig, dass die Betriebsparteien im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative davon ausgehen konnten, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der Flugbegleiter der IK-Gruppe langjährig ausschließlich auf Langstreckenflügen eingesetzt worden ist.

22cc) Die in Nr. 2 SP vorgenommene Gruppenbildung ist darüber hinaus auch nicht zur Erreichung des vorgegebenen Ziels erforderlich. Die Regelung führt zu einer dauerhaften Begünstigung der von ihr erfassten Flugbegleiter. Hierfür ist kein sachlicher Grund erkennbar. Die Beklagte selbst geht vielmehr davon aus, dass die Angehörigen der IK-Gruppe nur eine „längere Eingewöhnungsphase“ benötigen. Die Notwendigkeit einer dauerhaften unterschiedlichen Behandlung hat sie weder dargelegt noch ist diese offenkundig.

234. Rechtsfolge des Verstoßes von Nr. 2 SP gegen den Gleichheitssatz aus § 68 Abs. 1 TV PV ist die Unwirksamkeit der Sozialplanregelung. Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf die in Nr. 2 SP vereinbarten Leistungen.

24a) Nach der Senatsrechtsprechung führt ein gegen § 75 Abs. 1 BetrVG/§ 68 TV PV verstoßender Ausschluss eines Arbeitnehmers aus dem Geltungsbereich einer begünstigenden Regelung zwar dazu, dass dieser die ihm durch die gleichheitswidrige Gruppenbildung vorenthaltene Leistung beanspruchen kann. Dies beruht indes darauf, dass der gleichheitswidrige Ausschlusstatbestand nicht angewandt wird und so die Gleichstellung mit den übrigen Arbeitnehmern erreicht wird (vgl.  - Rn. 41 f., BAGE 125, 366). Hier hingegen fordert der Kläger die Anwendung der gleichheitswidrigen Norm auf die von ihr nicht erfassten Arbeitnehmer. Dies hätte zur Folge, dass alle rund 8.000 Flugbegleiter am Standort F ein Zusatzrequest Kont beanspruchen könnten und nicht verpflichtet wären, mehr als fünf Einsatztage Kont im Quartal zu fliegen. Damit wäre die Beklagte unstreitig außerstande, ihren Flugbetrieb aufrechtzuerhalten und die Arbeitsleistung des Klägers in Anspruch zu nehmen. Daher kann der Kläger nur verlangen, dass der Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz in anderer Weise, nämlich durch Nichtanwendung der Regelung der Nr. 2 SP beseitigt wird. Hierfür spricht zudem, dass die Anwendung der Nr. 2 SP auf alle Flugbegleiter den Regelungszweck dieser Bestimmung, Milderung vorübergehender Umstellungsschwierigkeiten, die den Angehörigen der IK-Gruppe durch die neue Einsatzstruktur entstehen, verfehlen und der Begünstigung einen gänzlich anderen Sinn geben würde.

25b) Gleichwohl muss der Kläger eine gleichheitswidrige Behandlung nicht hinnehmen. Vor einer weiteren Anwendung der Nr. 2 SP ist er individualrechtlich geschützt. Wenn die Beklagte künftig die Dienstpläne unter Beachtung von Nr. 2 SP erstellen sollte, wären diese unwirksam. Einer hierauf beruhenden Weisung müsste der Kläger nicht nachkommen. Eine solche Anweisung wäre nicht nur unbillig iSv. § 106 GewO, § 315 BGB, sondern nichtig, weil sie auf einer unwirksamen Regelung beruht (hierzu  - Rn. 24). Im Falle der Leistungsverweigerung könnte die Beklagte in Annahmeverzug geraten.

26c) Entgegen der Auffassung der Revision steht diesem Ergebnis Unionsrecht nicht entgegen. Dieses ist im Fall des Klägers nicht betroffen, da er nicht wegen seines Alters benachteiligt wird, sondern wegen seiner fehlenden Zugehörigkeit zur IK-Gruppe.

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 2356 Nr. 39
HAAAE-44525