BAG Urteil v. - 4 AZR 770/11

Bewährungsaufstieg aufgrund tariflicher Besitzstandsregelung

Gesetze: § 8 Abs 3 S 1 TVÜ-Bund, § 8 Abs 1 S 1 TVÜ-Bund, § 17 Abs 5 S 1 TVöD, Art 3 Abs 1 GG, VergGr 5c Fallgr 1a BAT

Instanzenzug: ArbG Wiesbaden Az: 6 Ca 1431/10 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 13 Sa 325/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin und in diesem Zusammenhang über die Auslegung von tariflichen Übergangsregelungen.

2Die Klägerin ist seit dem Jahre 1995 bei der Beklagten beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom wurde ua. vereinbart:

3Die Klägerin bewarb sich im Jahr 2003 erfolgreich auf einen Arbeitsplatz als Daktyloskopin. Mit Schreiben vom teilte ihr die Beklagte ua. mit:

4Die Klägerin absolvierte vom bis zum die „Einweisung für Sachbearbeiter - Fachgebiet Daktyloskopie -“ sowie die „fachspezifische Einweisung zur Erfassung und Recherche daktyloskopischer Abbilder im AFIS“. Am schlossen die Parteien einen Änderungsvertrag zum Arbeitsvertrag, nach dem dessen § 2 wie folgt ersetzt wurde:

5Mit „Vertrag zur Änderung des Arbeitsvertrages vom in der Fassung vom “ vom vereinbarten die Parteien ua.:

6Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom machte die Klägerin eine Eingruppierung nach der Entgeltgruppe 9 TVöD ab dem bei der Beklagten erfolglos geltend. In dem Schreiben heißt es ua.:

7Mit ihrer Klage hat die Klägerin, die im Referat „Daktyloskopie“ tätig ist, ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat - soweit für die Revision noch von Bedeutung - in der Berufungsinstanz die Auffassung vertreten, die beanspruchte Entgeltgruppe 9 TVöD folge aus einer Anwendung von § 8 Abs. 3 TVÜ-Bund. Es sei nicht erforderlich, dass eine etwaige Bewährungszeit in der VergGr. Vc, Fallgr. 1a BAT vor Inkrafttreten des TVöD am begonnen habe. Anderenfalls würde die tarifliche Regelung in unzulässiger Weise zwischen zwei Gruppen von Beschäftigten unterscheiden, die zwar identische Tätigkeiten ausübten, aber unterschiedlich eingruppiert seien.

8Die Klägerin hat zuletzt beantragt

9Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. § 8 Abs. 3 TVÜ-Bund sei nicht anwendbar. Die Klägerin übe erst seit März 2007 eine Tätigkeit iSd. VergGr. Vc, Fallgr. 1a BAT aus. Eine Ungleichbehandlung mit anderen Beschäftigten, die mittlerweile nach der Entgeltgruppe 9 TVöD-Bund vergütet würden, liege nicht vor. Diese Beschäftigten hätten bei Inkrafttreten des TVöD bereits mindestens die Hälfte der erforderlichen Zeit der Bewährung und damit die Voraussetzungen der Besitzstandsregelung des § 8 Abs. 1 TVÜ-Bund erfüllt.

10Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Gründe

11Die zulässige Revision der Klägerin, die ihr Begehren in der Revisionsinstanz allein auf die Übergangsvorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Bund stützt, ist unbegründet. Die als sog. Eingruppierungsfeststellungsklage zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht für die Zeit ab dem keine Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 TVöD zu. Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Bund liegen nicht vor.

12I. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien sind nach den vertraglichen Vereinbarungen die nachstehenden tariflichen Bestimmungen maßgebend:

131. Für die Überleitung der Beschäftigen in das Entgeltsystem des TVöD bestimmt § 4 Abs. 1 iVm. der Anlage 2 TVÜ-Bund ua. Folgendes:

142. § 8 TVÜ-Bund (idF des Änderungstarifvertrages Nr. 3 vom zum Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten des Bundes in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Bund) vom ) lautet:

153. Die vorliegend einschlägigen Tätigkeitsmerkmale des Teils I (Allgemeiner Teil) der Anlage 1a zum BAT haben folgenden Inhalt:

16II. Die Voraussetzungen für eine Höhergruppierung der Klägerin nach § 8 Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Bund in die Entgeltgruppe 9 TVöD sind nicht gegeben.

171. Für eine Höhergruppierung in Anwendung der Besitzstandsregelung des TVÜ-Bund fehlt es bereits an dem nach § 8 Abs. 3 Satz 1 TVöD erforderlichen schriftlichen Antrag der Klägerin. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat kann ein solcher Antrag dem Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom nicht entnommen werden.

18a) Nach § 8 Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Bund ist für eine Höhergruppierung in Anwendung der Besitzstandsregelung ein schriftlicher Antrag der Beschäftigten erforderlich. Aus dem Antragserfordernis ergibt sich zugleich, dass die Besitzstandsregelung nach Abs. 3 keine Höhergruppierung im Wege der Tarifautomatik ermöglicht (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Stand März 2013 TVÜ-Bund/TVÜ-VKA Rn. 96c), sondern es sich um einen individualrechtlichen Anspruch handelt, der zum individuellen Höhergruppierungszeitpunkt schriftlich geltend gemacht werden muss (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVÜ-Bund/TVÜ-VKA Rn. 105d f.; Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Stand März 2013 TVÜ-Bund § 8 Rn. 35).

19b) Einen solchen Antrag enthält das Schreiben der Klägerin vom nicht. Sie stützt ihr Höhergruppierungsbegehren ausschließlich auf die nach ihrer Auffassung „eindeutige vertragliche Abrede“, die sie dem Schreiben der Beklagten vom entnimmt. Darüber hinaus führt sie selbst an, dass die „Regeln der Besitzstandswahrung … vorliegend nicht einschlägig“ sind.

202. Der Anspruch nach § 8 Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Bund scheidet darüber hinaus auch deshalb aus, weil die Klägerin zum Überleitungszeitpunkt am nicht die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmales der VergGr. Vc, Fallgr. 1a BAT erfüllt hatte, das einen Bewährungsaufstieg ermöglicht.

21a) Für eine Höhergruppierung nach § 8 Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Bund ist erforderlich, dass die vom Beschäftigten auszuübende Tätigkeit zum Überleitungszeitpunkt am die Anforderungen desjenigen Tätigkeitsmerkmales nach der Anlage 1a zum BAT erfüllt, das eine Höhergruppierung durch Bewährungsaufstieg ermöglicht.

22aa) Die Besitzstandsregelung des § 8 Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Bund, die ua. die vorliegend einschlägige entsprechende Geltung von § 8 Abs. 1 TVÜ-Bund voraussetzt, enthält lediglich eine Ausnahme von der sog. Hälftigkeitsregelung des § 8 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Bund (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVÜ-Bund/TVÜ-VKA Rn. 105c; Sponer/Steinherr TVöD Stand März 2013 § 8 TVÜ-Bund Nr. 2.1.1). Eine entsprechende Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Bund erfordert weiterhin, dass die Beschäftigten, die in eine der genannten Entgeltgruppen des TVöD übergeleitet worden sind, „bei Fortgeltung des bisherigen Tarifrechts“ zu einem individuellen Aufstiegszeitpunkt „höhergruppiert wären“. Das setzt voraus, dass die Beschäftigten zum Überleitungszeitpunkt das Tätigkeitsmerkmal derjenigen Vergütungsgruppe erfüllt hatten, welches den Bewährungsaufstieg ermöglicht (so auch Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVÜ-Bund § 8 Rn. 35: „im früheren Recht begonnenen Aufstiegen“, Rn. 42). Von diesem Erfordernis sieht § 8 Abs. 3 TVÜ-Bund keine Ausnahme vor.

23bb) Diese Voraussetzung entspricht dem Sinn und Zweck des § 8 TVÜ-Bund, der im 3. Abschnitt „Besitzstandsregelungen“ des TVÜ-Bund steht. Die Tarifvertragsparteien wollten als Ausnahme zu § 17 Abs. 5 Satz 1 TVöD, nach dem auch die übergangsweise weitergeltenden Eingruppierungsregelungen keinen Aufstieg mehr ermöglichen, für die Beschäftigten, deren Höhergruppierungen nach dem anstanden, eine Besitzstandsregelung schaffen. Damit sollte allerdings nicht das System des Bewährungsaufstiegs für jene Beschäftigte „fortgeschrieben“ werden, denen erst nach dem Inkrafttreten des TVöD eine Tätigkeit übertragen wird, die nach den Tätigkeitsmerkmalen des BAT einen Bewährungsaufstieg ermöglicht hätte. Sinn und Zweck der Besitzstandsregelung würden verkannt, wenn man auch nach dem Überleitungszeitpunkt erfolgte Umgruppierungen unter Außerachtlassung des § 17 Abs. 5 Satz 1 TVöD noch von der Bestimmung des § 8 Abs. 3 TVÜ-Bund als erfasst ansähe.

24b) Danach kann sich die Klägerin für ihr Begehren nicht auf § 8 Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Bund stützen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts übte sie am keine Tätigkeit aus, die einen Bewährungsaufstieg in die VergGr. Vb, Fallgr. 1c BAT ermöglicht hätte. Soweit die Tätigkeit der Klägerin nach dem Vorbringen der Parteien entsprechend dem Schreiben vom ab dem das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. Vc, Fallgr. 1a BAT erfülle, reicht dies nicht aus.

25c) Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt die tarifliche Regelung des § 8 Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Bund nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie zum Überleitungszeitpunkt eine Eingruppierung in eine Vergütungs- und Fallgruppe voraussetzt, die einen Bewährungsaufstieg ermöglicht.

26aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Stichtagsregelungen „Typisierungen in der Zeit“. Sie sind Ausdruck einer pauschalisierenden Betrachtung, ohne die insbesondere eine Umstellung von Vergütungssystemen nicht durchführbar wäre. Solche Regelungen sind aus Gründen der Praktikabilität - ungeachtet damit eventuell verbundener Härten - zur Abgrenzung der begünstigten Personenkreise sachlich gerechtfertigt, wenn sich die Wahl des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientiert (vgl. nur  - Rn. 30; - 6 AZR 244/08 - Rn. 22; - 6 AZR 287/07 - Rn. 22, BAGE 129, 93; - 6 AZR 746/06 - Rn. 31, BAGE 122, 215). Insbesondere bei der Einführung einer neuen Entgeltordnung wie der des TVöD müssen die Tarifvertragsparteien notwendigerweise generalisieren, pauschalieren und typisieren, ohne dabei jeder Besonderheit gerecht werden zu können. Bei der Regelung von derartigen Massenerscheinungen liegen Randunschärfen in der Natur der Sache (ausf.  - Rn. 26, aaO). Angesichts der Komplexität und der Vielzahl der zu regelnden Fallgestaltungen war es nicht möglich, eine Entgeltstruktur zu schaffen, die keine Nachteile für einzelne Beschäftigte oder Beschäftigungsgruppen in der Vergütungsstruktur gegenüber dem bisherigen Recht mit sich brachte. Nur mit Kompromissen beider Tarifvertragsparteien war der Einstieg in eine neue Entgeltstruktur für den öffentlichen Dienst möglich ( - Rn. 21 f.).

27bb) Den Tarifvertragsparteien des TVöD war deshalb nicht durch Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt, eine Aussicht auf eine erst in der Zukunft anstehende Höhergruppierung (vgl.  - zu II 7 der Gründe) nur dann in die Besitzstandsregelungen des § 8 Abs. 3 TVÜ-Bund aufzunehmen, wenn die Bewährungszeit zum Überleitungszeitpunkt bereits begonnen hatte. Zugleich konnten sie, nachdem Bewährungsaufstiege im neuen Entgeltsystem des TVöD nicht mehr vorgesehen sind, ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG davon absehen, weitergehende Erwartungen zu schützen, die sich überhaupt erst aufgrund einer möglichen Änderung der auszuübenden Tätigkeit nach dem Überleitungszeitpunkt - vorliegend diejenige der Klägerin ab dem (s. oben II 2 b) - hätten ergeben können (s. auch  - Rn. 27; - 6 AZR 177/08 - Rn. 32).

28Hinzu kommt für den Beschäftigtenkreis, der in Anwendung des § 8 TVÜ-Bund höhergruppiert wird, dass die Berechnungsregelungen des § 6 Abs. 2 TVÜ-Bund, die verlängerten Stufenlaufzeiten und der Ausschluss der Stufen 5 und 6 der Entgeltgruppe 9 TVöD eingreifen (vgl. Anlage 2 TVÜ-Bund). Demgegenüber wird bei Beschäftigten, denen - wie der Klägerin - erst nach dem eine solche Tätigkeit übertragen wurde, das dann erworbene Erfahrungswissen jedenfalls bei der Stufenzuordnung berücksichtigt. Zudem haben die Tarifvertragsparteien unmittelbare vergütungsrechtliche Nachteile für die betroffenen Beschäftigten vermieden, indem sie durch §§ 5 bis 7 TVÜ-Bund sichergestellt haben, dass jeder Übergeleitete grundsätzlich zumindest sein bisheriges Entgelt weiter erhält.

29d) Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG kann bei der gebotenen typisierenden Betrachtung auch nicht deshalb angenommen werden, weil - wie die Revision meint - abhängig von den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 oder Abs. 3 TVÜ-Bund eine „identische Tätigkeit von Mitarbeitern bei demselben Arbeitgeber“ unterschiedlich nach der Entgeltgruppe 8 oder 9 TVöD vergütet werde. Ein solches Ergebnis lässt sich auch nicht aus den von der Klägerin herangezogenen Ausführungen des Sechsten Senats ( - Rn. 24) entnehmen.

30Die Klägerin zeigt schon eine vergütungsrechtlich „identische Tätigkeit“ der verschiedenen Beschäftigten nicht auf. Die Tarifvertragsparteien des TVÜ-Bund konnten in Anbetracht ihres weiten Gestaltungsspielraums, der ihnen bei der vergütungsrechtlichen Bewertung zukommt (zu den Maßstäben ausf.  - Rn. 31 f. mwN), berücksichtigen, dass die Beschäftigten, die bereits am eine Tätigkeit nach der VergGr. Vc, Fallgr. 1a BAT auszuüben hatten, im Verhältnis zu denjenigen, die - wie die Klägerin - erst später mit einer solchen betraut wurden, über eine längere Beschäftigungsdauer in dieser Vergütungs- und Fallgruppe verfügen und daher bei einer generalisierenden Betrachtung von einem höheren Erfahrungswissen in dieser auszuübenden Tätigkeit auszugehen ist. Dieses wird sie regelmäßig befähigen, ihre Arbeit besser zu verrichten (zu dessen Berücksichtigung bei der Entgeltfindung s. nur  - Rn. 26, 35 und - 6 AZR 526/09 - Rn. 35 ff., BAGE 137, 80).

31Darüber hinaus sind die Tarifvertragsparteien auch dann, wenn eine identische Tätigkeit vorliegen sollte, befugt, soziale Besitzstände und tatsächliche Aussichten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehen, durch tarifliche Besitzstandsregelungen zu schützen (s. nur  - Rn. 30; zum Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien in diesem Zusammenhang - 3 AZR 382/10 - Rn. 44).

32III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 2228 Nr. 37
TAAAE-43630