BAG Urteil v. - 9 AZR 760/11

Ersatzurlaub - Verzug des Arbeitgebers mit der Urlaubsgewährung - Erfüllungsverweigerung

Gesetze: § 275 Abs 1 BGB, § 275 Abs 4 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 280 Abs 3 BGB, § 283 S 1 BGB, § 286 Abs 2 Nr 3 BGB, § 287 S 2 BGB, § 249 Abs 1 BGB, § 7 Abs 3 S 1 BUrlG, § 362 Abs 1 BGB, § 615 S 2 BGB

Instanzenzug: ArbG Darmstadt Az: 3 Ca 401/09 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 16 Sa 406/10 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger begehrt von der Beklagten, ihm jeweils 30 Arbeitstage Ersatzurlaub für verfallenen Urlaub aus den Jahren 2006, 2007 und 2008 zu gewähren.

2Die Beklagte beschäftigt den Kläger als Gruppenleiter Qualitätsmanagement. Dieser hat Anspruch auf 30 Arbeitstage Jahresurlaub. Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum . Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage und machte in der Klageschrift vom seinen Urlaubsanspruch geltend. Der Kündigungsschutzklage wurde rechtskräftig stattgegeben. In der Folgezeit führten die Parteien mehrere Rechtsstreite, die jedenfalls bis zum nicht zu einer Beendigung oder Änderung ihrer Rechtsbeziehung führten. Die Beklagte gewährte dem Kläger in der Zeit vom bis zum keinen Urlaub.

3Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe Schadensersatz in Form von Ersatzurlaub zu leisten, weil sie sich seit Zustellung der Klageschrift mit der Urlaubsgewährung im Verzug befunden habe.

4Der Kläger hat zuletzt beantragt,

5Das Arbeitsgericht hat die Klage - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch auf Ersatzurlaub weiter.

6Mit Schreiben vom stellte die Beklagte den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Das Schreiben enthält ua. folgende Erklärung:

7Unter dem stellte die Beklagte den Kläger erneut mit dem Hinweis frei:

Gründe

8A. Die Revision des Klägers ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Beklagte ist gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Kläger 90 Arbeitstage Ersatzurlaub für verfallenen Urlaub aus den Jahren 2006 bis 2008 zu gewähren.

9I. Hat der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, wandelt sich der im Verzugszeitraum verfallene Urlaubsanspruch in einen auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch um (vgl.  - Rn. 11, BAGE 138, 58). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

10II. Der Urlaub des Klägers aus den Jahren 2006 bis 2008 verfiel nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG). Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Beklagte mit der Urlaubsgewährung im Verzug. Ohne dass es einer Mahnung bedurfte, trat der Verzug nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB ein, weil die Beklagte die Erfüllung des vom Kläger in seiner Klageschrift vom geltend gemachten Urlaubsanspruchs ernsthaft und endgültig verweigerte.

111. Die Beklagte war ungeachtet der zwischen den Parteien in den Jahren 2006 bis 2008 geführten Kündigungsschutzverfahren verpflichtet, dem Kläger Urlaub zu gewähren. Der Anspruch war erfüllbar. Der Arbeitgeber ist rechtlich nicht gehindert, einem Arbeitnehmer in einem nicht wirksam gekündigten und deshalb fortbestehenden Arbeitsverhältnis vorbehaltlos bezahlten Urlaub zu erteilen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Parteien einen Rechtsstreit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses führen.

122. An die Annahme, der Schuldner verweigere ernsthaft und endgültig die Erfüllung einer ihm obliegenden Leistung, sind in der Regel strenge Anforderungen zu stellen. Eine Erfüllungsverweigerung liegt vor, wenn der Schuldner unmissverständlich und eindeutig zum Ausdruck bringt, er werde seinen Vertragspflichten unter keinen Umständen nachkommen. Das ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn dieser sich beharrlich weigert, die Leistung zu erbringen. In diesem Fall entbehrt eine Mahnung ihres Sinnes, den Schuldner zu vertragsgerechtem Verhalten anzuhalten ( - Rn. 44).

13a) Der Kündigungserklärung eines Arbeitgebers kann deshalb nicht ohne Weiteres der Inhalt beigemessen werden, dieser werde die für die Erfüllung des Urlaubsanspruchs nötige Freistellung von der Arbeitspflicht verweigern, wenn der Arbeitnehmer den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend macht. Denn der Arbeitgeber hat regelmäßig ein wirtschaftliches Interesse daran, einem Arbeitnehmer auf dessen Wunsch Urlaub zu erteilen, um die Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen zu verhindern (vgl.  - Rn. 15; offengelassen von  - Rn. 45).

14b) Anders verhält es sich in aller Regel jedoch, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses streiten und der Arbeitnehmer den Arbeitgeber erfolglos aufgefordert hat, ihm während des Kündigungsrechtsstreits Urlaub zu gewähren. Stellt der Arbeitgeber nach einer von ihm erklärten Kündigung den Bestand des Arbeitsverhältnisses in Abrede und erteilt er trotz einer entsprechenden Aufforderung des Arbeitnehmers den verlangten Urlaub nicht, entbehrt eine Mahnung des Arbeitnehmers regelmäßig ihres Sinnes. Wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die dem entgegenstehen, darf der Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen, er werde ihm keinen Urlaub gewähren. Eine Mahnung erwiese sich in diesem Falle als eine bloße Förmelei.

15c) Daran gemessen durfte der Kläger nach seiner erfolglosen Aufforderung in der Klageschrift vom , ihm Urlaub zu gewähren, annehmen, die Beklagte beharre auf der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und werde sich weiterhin weigern, ihm während der im Klagezeitraum geführten Bestandsstreitigkeiten Urlaub zu gewähren. Besondere Umstände, die dieser Annahme entgegenstehen könnten, sind nicht festgestellt. Die Beklagte hat solche auch nicht behauptet.

163. Wird es dem Arbeitgeber während des Verzugs infolge der Befristung des Urlaubsanspruchs unmöglich, dem Arbeitnehmer Urlaub zu gewähren, richtet sich der Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis gemäß § 249 Abs. 1 BGB auf die Gewährung von Ersatzurlaub (vgl.  - zu II 3 der Gründe, BAGE 114, 313). Demzufolge hat die Beklagte dem Kläger jeweils 30 Arbeitstage Ersatzurlaub für verfallenen Urlaub aus den Jahren 2006, 2007 und 2008 und somit insgesamt 90 Ersatzurlaubstage zu gewähren.

17III. Mit der vom datierenden Freistellungserklärung hat die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Ersatzurlaub nicht erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Die Erfüllung eines Anspruchs auf Erholungsurlaub setzt voraus, dass der Arbeitnehmer durch eine sog. Freistellungserklärung des Arbeitgebers zu Erholungszwecken von seiner sonst bestehenden Arbeitspflicht befreit wird ( - Rn. 27). Diese Voraussetzungen erfüllt weder die Freistellungserklärung der Beklagten vom noch die Erklärung der Beklagten vom . Diese Erklärungen lassen nicht erkennen, an welchen Tagen die Beklagte den Kläger zum Zwecke der Gewährung von Erholungsurlaub und an welchen Tagen sie ihn zu anderen Zwecken von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freistellte. Diese Differenzierung ist von Bedeutung, weil die Freistellung des Klägers zu anderen Zwecken ausdrücklich unter Anrechnung auf den Zwischenverdienst (§ 615 Satz 2 BGB) erfolgte (vgl. hierzu  - zu II 2 b bb (2) der Gründe). Deshalb oblag es der Beklagten, den Urlaubszeitraum konkret festzulegen. Daran fehlt es.

18B. Die Beklagte hat gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen. Die Kosten der ersten und zweiten Instanz haben die Parteien entsprechend ihrem Obsiegen bzw. Unterliegen zu tragen (§ 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 2101 Nr. 35
BB 2014 S. 2039 Nr. 34
DB 2013 S. 2155 Nr. 38
DStR 2013 S. 12 Nr. 41
NJW 2013 S. 8 Nr. 40
TAAAE-42645