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BVerwG Beschluss v. - 8 AV 2/12

Zur Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses

Gesetze: § 83 S 1 VwGO, § 17a Abs 2 S 3 GVG

Instanzenzug: VG Frankfurt Az: 9 K 3854/12.F Beschluss

Gründe

I.

1Die Klägerin, ein Wertpapierhandelsunternehmen, hat nach erfolglosem Widerspruchsverfahren beim Verwaltungsgericht Berlin Klage gegen die Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (EdW) mit dem Begehren erhoben, den von der EdW erlassenen Beitragsbescheid vom über 316 527,24 € sowie den Widerspruchsbescheid der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vom aufzuheben, mit dem diese den im Ausgangsbescheid geforderten Betrag auf 312 722,67 € ermäßigt, eine Widerspruchsgebühr von 9 800 € festgesetzt und die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu 98,8 % der Klägerin und zu 1,2 % der EdW auferlegt hatte. Mit Bescheid vom hat die BaFin die Widerspruchsgebühr auf 7 000 € ermäßigt.

2Nachdem die Klägerin auf gerichtliche Anregung - unter Aufrechterhaltung ihres gegen den Beitragsbescheid der EdW vom gerichteten Begehrens - mit Schriftsatz vom ihre Klage gegen die Festsetzung der Widerspruchsgebühr nunmehr allein gegen die BaFin gerichtet hatte, hat das Verwaltungsgericht Berlin nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom das Klageverfahren gegen die BaFin über die Festsetzung der Widerspruchsgebühr im Widerspruchsbescheid vom in Gestalt des Abänderungsbescheides vom abgetrennt, sich dafür für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit insoweit an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main verwiesen. Dieses hat sich seinerseits mit Beschluss vom für örtlich unzuständig erklärt und zur Feststellung der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 53 VwGO das Bundesverwaltungsgericht angerufen.

II.

3Der Antrag ist unzulässig. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat eine nach § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a GVG nicht vorgesehene und damit rechtswidrige Entscheidung getroffen.

4Nach § 53 Abs. 3 VwGO hat u.a. auf Anrufung eines mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts das nächsthöhere Gericht oder das Bundesverwaltungsgericht das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit (nur) unter den in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 VwGO normierten Voraussetzungen zu bestimmen. Eine Entscheidung nach § 53 VwGO ist ausgeschlossen, wenn das zuständige Gericht feststeht oder sich ohne Anrufung des nächsthöheren oder des Bundesverwaltungsgerichts ermitteln lässt. § 53 VwGO durchbricht nicht die Regelung über den gesetzlichen Richter, sondern ergänzt sie für den Fall, dass das Prozessrecht keine oder keine widerspruchsfreie Zuweisung enthält. Es ist nicht der Sinn des § 53 VwGO, dem Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung von Zweifelsfragen, die sich aus der Auslegung von § 52 VwGO oder anderen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung ergeben, gleichsam in der Art einer Vorabentscheidung zuzuweisen (vgl. u.a. Beschlüsse vom - BVerwG 1 AV 1.06 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 30 m.w.N. und vom - BVerwG 2 AV 1.07 - juris m.w.N.).

5Für das allein auf die Festsetzung der Widerspruchsgebühr im Widerspruchsbescheid vom in Gestalt des Abänderungsbescheides vom bezogene und isoliert gegen die BaFin gerichtete Klagebegehren, auf das sich der Vorlagebeschluss ausschließlich bezieht, steht das örtlich zuständige Gericht bereits fest, so dass der Antrag auf Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts unzulässig ist.

6Das Verwaltungsgericht Berlin hat sich mit seinem Beschluss vom hinsichtlich des Verfahrens gegen die beklagte BaFin in Bezug auf deren Widerspruchsbescheid vom in Gestalt ihres Abänderungsbescheides vom betreffend die Widerspruchsgebühr für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main verwiesen. Dieser gemäß § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbare Beschluss ist für das Gericht, an das verwiesen worden ist, hinsichtlich der Zuständigkeit bindend (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat die durch den vorangegangenen Verweisungsbeschluss ausgelöste Bindungswirkung zu beachten, und zwar unabhängig davon, ob dieser Beschluss sachlich richtig gewesen ist (vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 9 A 1.93 - juris, vom - BVerwG 9 A 2.93 - und vom - BVerwG 9 AV 1.94 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 13).

7Ob eine Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn Streit über die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entsteht (vgl. BVerwG 11 ER 400.93 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 21), bedarf aus Anlass der vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung. Eine Durchbrechung der Bindungswirkung ist allenfalls bei "extremen Verstößen" denkbar (vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 6 ER 403.75 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 10, vom - BVerwG 7 A 4.92 - DÖV 1993, 388 = Buchholz 407.3 VerkPBG Nr. 3, vom a.a.O. und vom a.a.O. m.w.N.; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 53 Rn. 11). Solche liegen hier nicht vor.

8Das örtlich zuständige Verwaltungsgericht bestimmt sich bei Anfechtungsklagen gegen den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde oder einer bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts gemäß § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO nach deren Sitz. Die Klägerin hat im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 44 VwGO) Anfechtungsklagen sowohl gegen die im Bescheid der EdW vom in der Gestalt von Ziffer 1 des Widerspruchsbescheides der BaFin getroffene Sachregelung (Beitragsfestsetzung) als auch - mit gesonderter gebührenrechtlicher Begründung - gegen die in Ziffer 4 des genannten Widerspruchsbescheides der BaFin in der Gestalt des Änderungsbescheides vom festgesetzte Widerspruchsgebühr erhoben. Das Verwaltungsgericht Berlin hat angenommen, dass sich das örtlich zuständige Gericht für die Anfechtungsklage gegen die Widerspruchsgebühr unabhängig von der Anfechtungsklage gegen die Sachregelung bestimme, und deshalb insoweit das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main als das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk die BaFin ihren Sitz hat, für zuständig angesehen. Eine willkürliche Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 VwGO (vgl. dazu u.a. Kraft, in: Eyermann, a.a.O. § 53 Rn. 11 m.w.N.) kann darin nicht gesehen werden.

9Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main meint zwar sinngemäß, das Verwaltungsgericht Berlin habe die Anfechtungsklage gegen die Widerspruchsgebühr von derjenigen gegen die Sachregelung nicht trennen dürfen, weil diese für jene vorgreiflich sei. Ob dem zu folgen wäre, stehe dahin, keinesfalls ergäbe sich hieraus eine willkürliche Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter oder ein sonstiger "extremer Verstoß" gegen die geltenden Zuständigkeitsvorschriften. Richtig ist, dass die Anfechtungsklage gegen die Sachregelung insofern vorgreiflich ist, als bei deren Erfolg die Festsetzung der Widerspruchsgebühr ohne Rücksicht auf die von der Klägerin zusätzlich erhobenen gebührenrechtlichen Einwände keinen Bestand haben könnte. Dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main ist aber unbenommen, diesem Umstand dadurch Rechnung zu tragen, dass es das bei ihm anhängige Verfahren bis zur Entscheidung über die Klage gegen die Sachregelung aussetzt (§ 94 VwGO).

Fundstelle(n):
SAAAE-41523