Produktionserstattung bei der Verwendung von bestimmten Erzeugnissen in der chemischen Industrie - Zu Unrecht gezahlte Gemeinschaftsbeihilfen - Erstattung - Grundsatz des Vertrauensschutzes
Leitsatz
1. Die Kombinierte Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1719/2005 der Kommission vom geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein Erzeugnis, das aus Lysinsulfat und Verunreinigungen aus dem Herstellungsprozess besteht, als Zubereitung von der zur Fütterung verwendeten Art in Position 2309 einzureihen ist.
2. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens die nationalen Zollbehörden zum einen zu Unrecht gezahlte Produktionserstattungen zurückfordern, die der Hersteller für die Herstellung von Lysinsulfat bereits erhalten hat, und zum anderen die Auszahlung von Produktionserstattungen für dieses Erzeugnis verweigern, die sie dem Hersteller zugesagt hatten.
Instanzenzug: Vestre Landsret (Dänemark) - ,
Entscheidungsgründe:
1Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Positionen 2309, 2922 und 3824 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1719/2005 der Kommission vom 27. Oktober 2005 (ABl. L 286, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: KN) sowie die unionsrechtlichen Grundsätze, die für die Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beträge gelten.
2Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Agroferm A/S (im Folgenden: Agroferm) und dem Ministerium for Fødevarer, Landbrug og Fiskeri (Ministerium für Lebensmittel, Landwirtschaft und Fischerei, im Folgenden: Ministerium) über die Rückzahlung von Erstattungen für die Herstellung von Lysinsulfat, die Agroferm zu Unrecht gezahlt worden sein sollen.
Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
3Das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS) wurde durch den Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens - jetzt Weltzollorganisation - erarbeitet und durch das Internationale Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren eingeführt, das am in Brüssel geschlossen und mit dem dazugehörenden Änderungsprotokoll vom durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom (ABl. L 198, S. 1) im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genehmigt wurde.
4Nach den Erläuterungen zu Kapitel 29 des HS bezieht sich der Begriff "Verunreinigungen" ausschließlich auf Stoffe, deren Vorhandensein in der bestimmten chemischen Verbindung sich ausschließlich aus dem Herstellungsprozess ergibt. Diese Stoffe sind nach diesen Erläuterungen nicht als erlaubte Verunreinigungen anzusehen, wenn sie absichtlich in dem Erzeugnis belassen wurden, um es für bestimmte Verwendungszwecke geeigneter zu machen als für seinen allgemeinen Gebrauch.
5In den Erläuterungen zu Position 2309 des HS heißt es, dass zu dieser Position Zubereitungen gehören, die dazu bestimmt sind, beim Herstellen von "Alleinfuttermitteln" oder "Ergänzungsfuttern" verwendet zu werden. Diese Zubereitungen sind, allgemein gesagt, komplexe Zusammenstellungen, die eine Anzahl von Stoffen (auch Additive genannt) enthalten, deren Art und Mischungsanteile entsprechend den erwünschten tierischen Erzeugnissen festgelegt werden. Diese Stoffe, zu denen die Aminosäuren gehören, begünstigen insbesondere die Verdauung und, allgemein gesagt, die Verwertung des Futters durch das Tier und erhalten dessen Gesundheitszustand.
Unionsrecht
Zolltarifliche Einreihung
6Die KN beruht auf dem HS. Teil II der KN enthält eine Einreihung der Waren in Abschnitten, Kapiteln, Positionen und Unterpositionen.
7Kapitel 23 der KN trägt die Überschrift "Rückstände und Abfälle der Lebensmittelindustrie; zubereitetes Futter". Gemäß Anmerkung 1 zu diesem Kapitel gehören zu Position 2309 der KN auch "Erzeugnisse der zur Fütterung verwendeten Art, anderweit weder genannt noch inbegriffen, die aus der Verarbeitung von pflanzlichen oder tierischen Stoffen stammen und die durch die Verarbeitung die wesentlichen Merkmale der Ausgangsstoffe verloren haben. Dies gilt nicht für pflanzliche Abfälle, pflanzliche Rückstände und Nebenerzeugnisse aus dieser Verarbeitung." Position 2309 der KN trägt die Überschrift "Zubereitungen von der zur Fütterung verwendeten Art".
8Kapitel 29 der KN trägt die Überschrift "Organische chemische Erzeugnisse". Anmerkung 1 Buchst. a und b zu diesem Kapitel lautet:
"Zu Kapitel 29 gehören, soweit nichts anderes bestimmt ist, nur:
a) isolierte chemisch einheitliche organische Verbindungen, auch wenn sie Verunreinigungen enthalten;
b) Isomerengemische der gleichen organischen Verbindung (auch wenn sie Verunreinigungen enthalten), ausgenommen Isomerengemische (andere als Stereoisomere) gesättigter oder ungesättigter acyclischer Kohlenwasserstoffe (Kapitel 27)".
9Position 2922 der KN trägt die Überschrift "Amine mit Sauerstoff-Funktionen".
10Kapitel 38 der KN trägt die Überschrift "Verschiedene Erzeugnisse der chemischen Industrie". Position 3824 der KN betrifft "[z]ubereitete Bindemittel für Gießereiformen oder -kerne; chemische Erzeugnisse und Zubereitungen der chemischen Industrie oder verwandter Industrien (einschließlich Mischungen von Naturprodukten), anderweit weder genannt noch inbegriffen".
Produktionserstattungen
- Verordnung (EG) Nr. 1260/2001
11Art. 7 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1260/2001 des Rates vom über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker (ABl. L 178, S. 1) bestimmt:
"Es wird beschlossen, für die in Artikel 1 Absatz 1 Buchstaben a) und f) genannten Erzeugnisse und für die in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe d) genannten Sirupe sowie für chemisch reine Fruktose (Lävulose) des KN-Codes 1702 50 00 als Zwischenerzeugnis Produktionserstattungen zu gewähren, soweit diese Produkte sich in einer der Situationen gemäß Artikel 23 Absatz 2 [EG] befinden und zur Herstellung bestimmter Erzeugnisse der chemischen Industrie verwendet werden.
..."
- Verordnung (EG) Nr. 1265/2001
12In Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1265/2001 der Kommission vom mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1260/2001 über die Gewährung der Produktionserstattung bei der Verwendung von bestimmten Erzeugnissen des Zuckersektors in der chemischen Industrie (ABl. L 178, S. 63) heißt es:
"(1) Als 'Grunderzeugnisse' zum Zwecke der vorliegenden Verordnung gelten:
a) Erzeugnisse gemäß Artikel 1 Absatz 1 Buchstaben a) und f) der Verordnung ... Nr. 1260/2001 und
b) die Zuckersirupe gemäß Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe d) der Verordnung ... Nr. 1260/2001 mit den KN-Codes ex 1702 60 95 und ex 1702 90 99 und einer Reinheit von mindestens 85 %,
die für die Herstellung der in Anhang I der vorliegenden Verordnung aufgeführten Erzeugnisse der chemischen Industrie verwendet werden.
..."
13Art. 2 der Verordnung Nr. 1265/2001 bestimmt:
"(1) Die Produktionserstattung wird von dem Mitgliedstaat gewährt, auf dessen Gebiet die Verarbeitung der Grunderzeugnisse erfolgt.
(2) Der Mitgliedstaat darf die Erstattung nur gewähren, wenn die Zollkontrolle oder eine entsprechende Sicherheit bietende Verwaltungskontrolle gewährleistet, dass die Verwendung der Grunderzeugnisse dem in dem Antrag gemäß Artikel 3 genannten Bestimmungszweck entspricht."
14In Art. 10 der Verordnung Nr. 1265/2001 heißt es:
"(1) Der Antrag auf einen Produktionserstattungsbescheid ist schriftlich bei der zuständigen Stelle des Mitgliedstaats zu stellen, in dem das Grunderzeugnis verarbeitet werden soll.
Der Antrag enthält:
...
c) die Tarifstelle und die Bezeichnung des chemischen Erzeugnisses, für dessen Herstellung das Grunderzeugnis verwendet werden soll,
...
(3) Für die Anwendung von Absatz 2
...
b) ist die Gewährung der Produktionserstattung von der vorausgehenden Zulassung des Verarbeiters durch den Mitgliedstaat abhängig, auf dessen Gebiet dieser das Zwischenerzeugnis in ein in Anhang I genanntes chemisches Erzeugnis zu verarbeiten hat.
Die in Unterabsatz 2 genannten Zulassungen werden von dem betreffenden Mitgliedstaat gewährt, wenn ihm der Beteiligte alle Hilfestellungen zu den notwendigen Kontrollen zusichert.
..."
15Aus Anhang I der Verordnung Nr. 1265/2001 ergibt sich, dass für die Herstellung der unter Kapitel 29 (organische chemische Erzeugnisse) und Kapitel 38 (verschiedene Erzeugnisse der chemischen Industrie) der KN fallenden Erzeugnisse Produktionserstattungen gewährt werden.
Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik
16Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1258/1999 des Rates vom über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik bestimmte:
"(1) Die Mitgliedstaaten treffen gemäß ihren Rechts- und Verwaltungsvorschriften die erforderlichen Maßnahmen, um
a) sich zu vergewissern, dass die durch den Fonds finanzierten Maßnahmen tatsächlich und ordnungsgemäß durchgeführt worden sind,
b) Unregelmäßigkeiten zu verhindern und zu verfolgen,
c) die infolge von Unregelmäßigkeiten oder Versäumnissen abgeflossenen Beträge wiedereinzuziehen.
Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die zu diesem Zweck getroffenen Maßnahmen, insbesondere den Stand der Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, mit.
(2) Erfolgt keine vollständige Wiedereinziehung, so trägt die Gemeinschaft die finanziellen Folgen der Unregelmäßigkeiten oder Versäumnisse; dies gilt nicht für Unregelmäßigkeiten oder Versäumnisse, die den Verwaltungen oder Einrichtungen der Mitgliedstaaten anzulasten sind.
Die wiedereingezogenen Beträge fließen den zugelassenen Zahlstellen zu, die sie von den durch den Fonds finanzierten Ausgaben abziehen. Die Zinsen für wiedereingezogene oder zu spät entrichtete Beträge fließen dem Fonds zu.
..."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
17Agroferm ist ein dänisches Unternehmen, das bis Juni 2006 in einer Produktionsstätte in Esbjerg (Dänemark) Lysinsulfat herstellte. Die aus Lysin bestehenden Erzeugnisse werden aus Zucker hergestellt, der das Grunderzeugnis ist.
18Am 19. Mai 2004 beantragte Agroferm bei den dänischen Zollbehörden eine vorherige Zulassung, um Erstattungen für die Herstellung von Lysinsulfat erhalten zu können. In dem Antrag legte das Unternehmen dar, dass es sich bei dem herzustellenden Erzeugnis um Lysinsulfat handele, das in Position 2922 der KN einzureihen sei. Nachdem die dänischen Zollbehörden diesem Antrag stattgegeben hatten, erhielt Agroferm regelmäßig Produktionserstattungen entsprechend den für die Herstellung von Lysinsulfat verwendeten Zuckermengen.
19Im Anschluss an Analysen, die von Force Technology durchgeführt wurden, einem Privatunternehmen, das im Auftrag der dänischen Zollbehörden Proben von Erzeugnissen für die Zwecke ihrer Tarifierung analysiert, wurde vorgeschlagen, das von Agroferm hergestellte Erzeugnis in Kapitel 23 der KN und nicht in Kapitel 29 der KN einzureihen. In einem Gutachten vom wies Force Technology darauf hin, dass die analysierte Probe durch Fermentierung gewonnen worden sei und das betreffende Erzeugnis Lysinsulfat und Nebenerzeugnisse aus der Fermentierung enthalte. Dieses Unternehmen führte aus, dass ein Erzeugnis, das lediglich zu 66 % rein sei (Prozentsatz an Lysinsulfat in der Trockenmasse), nicht in Kapitel 29 der KN eingereiht werden könne.
20Der von den dänischen Zollbehörden befasste Ausschuss für den Zollkodex stellte fest, dass bei der Entscheidung über den zulässigen Verunreinigungsgrad und über die Einreihung chemischer Produkte eine einzelfallbezogene Vorgehensweise angebracht sei und dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zubereitung in Kapitel 23 der KN und nicht in Kapitel 29 der KN eingereiht werden sollte.
21Mit Bescheid vom teilte das Direktorat for FødevareErhverv (Behörde für das Lebensmittelgewerbe, im Folgenden: Direktorat) Agroferm mit, dass nach Befassung der Europäischen Kommission und des Ausschusses für den Zollkodex nunmehr geklärt sei, dass die von ihr hergestellten Erzeugnisse nicht als Lysinprodukte im Sinne der Position 2922 der KN einzureihen seien und dass sie deshalb keinen Anspruch auf Produktionserstattungen habe.
22Am 22. November 2006 entschied das Direktorat, dass Agroferm insgesamt ca. 86,6 Mio. DKK, was den erhaltenen Produktionserstattungen im Zeitraum von August 2004 bis März 2006 entspreche, zuzüglich Zinsen zurückzuzahlen habe; über diesen Betrag streiten die Parteien des Ausgangsverfahrens.
23Am 18. Dezember 2006 legte Agroferm beim Ministerium Widerspruch gegen die Bescheide des Direktorats ein. In seiner Entscheidung vom folgte das Ministerium den Bescheiden des Direktorats in allen Punkten und vertrat die Ansicht, dass Agroferm nicht gutgläubig gewesen sei, als sie die Produktionserstattungen beantragt habe.
24Am 23. September 2009 erhob Agroferm Klage beim Ret i Esbjerg (Amtsgericht Esbjerg), das die Sache auf übereinstimmenden Antrag der Parteien mit Beschluss vom 4. November 2009 an das Vestre Landsret verwies, weil es sich bei dem Ausgangsrechtsstreit insoweit um eine Grundsatzangelegenheit im Sinne des dänischen Zivilprozessrechts handele, als es um die Auslegung von Fragen zum Unionsrecht gehe und ein Vorabentscheidungsersuchen in Betracht gezogen werde.
25Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Gehört ein Produkt, das auf der Basis von Zucker durch Fermentierung mit Hilfe des Corynebacterium glutamicum hergestellt wird und - wie in Anlage 1 zum Vorlagebeschluss näher ausgeführt - zu ca. 65 % aus Lysinsulfat und darüber hinaus aus Verunreinigungen aus dem Herstellungsprozess (nicht umgewandeltes Ausgangsmaterial, im Herstellungsprozess verwendete Reagenzien und Nebenprodukte) besteht, zu Position 2309, Position 2922 oder Position 3824 der KN?
Ist es in diesem Zusammenhang von Bedeutung, ob die Verunreinigungen absichtlich im Produkt belassen wurden, um es besonders geeignet für die Futterherstellung zu machen oder diese Eignung zu verbessern, oder ob die Verunreinigungen belassen wurden, weil eine Entfernung nicht erforderlich oder zweckmäßig ist? Nach welchen Leitlinien ist dies gegebenenfalls zu beurteilen?
Ist es für die Beantwortung von Bedeutung, dass es möglich ist, andere lysinhaltige Produkte, wie z. B. "reines" Lysin (≥98 %) und Lysin-HCl-Produkte, herzustellen, die einen höheren Lysingehalt haben als das beschriebene Lysinsulfatprodukt, und ist es in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass der Gehalt an Lysinsulfat und Verunreinigungen in dem beschriebenen Lysinsulfatprodukt dem von Lysinsulfatprodukten anderer Hersteller entspricht? Nach welchen Leitlinien ist dies gegebenenfalls zu beurteilen?
2. Wenn davon auszugehen ist, dass die Produktion gemäß dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit nicht unter die Produktionserstattungsregelung fiel, verstößt es dann gegen das Unionsrecht, wenn die nationalen Behörden im Hinblick auf nationale Rechtssicherheitsgrundsätze und den Grundsatz des Vertrauensschutzes es in einem Verfahren wie dem vorliegenden unterlassen, Erstattungsbeträge zurückzufordern, die der Hersteller in gutem Glauben erhalten hat?
3. Wenn davon auszugehen ist, dass die Produktion gemäß dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit nicht in den Anwendungsbereich der Produktionserstattungsregelung fiel, verstößt es dann gegen das Unionsrecht, wenn die nationalen Behörden im Hinblick auf nationale Rechtssicherheitsgrundsätze und den Grundsatz des Vertrauensschutzes in einem Verfahren wie dem vorliegenden befristete Zusagen (Erstattungsbescheinigungen) erfüllen, die der Hersteller in gutem Glauben erhalten hat?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
26Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Erzeugnis wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, das aus Lysinsulfat und Verunreinigungen aus dem Herstellungsprozess besteht, zu Position 2309, Position 2922 oder Position 3824 der KN gehört.
27Nach ständiger Rechtsprechung ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. u. a. Urteile vom , Weber, 40/88, Slg. 1989, 1395, Randnr. 13, vom , Olicom, C-142/06, Slg. 2007, I-6675, Randnr. 16, und vom , Pacific World und FDD International, C-215/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 28).
28Dabei ist zu beachten, dass die Erläuterungen zum HS wichtige Hilfsmittel sind, um eine einheitliche Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs zu gewährleisten, und deshalb als wertvolle Erkenntnismittel für die Auslegung des Tarifs angesehen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Siemens Nixdorf, C-11/93, Slg. 1994, I-1945, Randnr. 12, vom , Kawasaki Motors Europe, C-15/05, Slg. 2006, I-3657, Randnr. 36, und Pacific World und FDD International, Randnr. 29).
29Was erstens Position 2922 der KN betrifft, sieht Anmerkung 1 Buchst. a zu Kapitel 29 der KN vor, dass zu Kapitel 29 nur isolierte chemisch einheitliche organische Verbindungen gehören, auch wenn sie Verunreinigungen enthalten.
30Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass es sich bei dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Lysinsulfatprodukt um eine chemisch einheitliche organische Verbindung handelte, die ca. 65 % Lysinsulfat und 35 % Zellmasse aus dem angewandten Herstellungsprozess der Fermentierung enthielt. Nach Angaben des vorlegenden Gerichts wurde diese Zellmasse, die biologisch hochwertige Nährstoffe enthielt, absichtlich in diesem Erzeugnis belassen, um dessen Eignung zur Verwendung als Additiv in Futtermitteln zu verbessern und zu verhindern, dass das Lysinsulfat Feuchtigkeit aufnimmt.
31Daher stellt sich die Frage, ob diese Zellmasse als zu den Verunreinigungen gehörend angesehen werden kann, deren Vorhandensein nach Anmerkung 1 Buchst. a zu Kapitel 29 der KN die Einreihung in die Positionen dieses Kapitels nicht in Frage stellt.
32Insofern ist festzustellen, dass nach dieser Anmerkung 1 zu Kapitel 29 der KN das Vorhandensein von Verunreinigungen zwar zulässig ist, dass diese jedoch zwangsläufig Rückstände sein müssen, damit sie sich nicht auf die "Isoliertheit" der fraglichen organischen Verbindung auswirken. Wie die Generalanwältin in Nr. 31 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, liegt der Grund für diese Toleranz nämlich darin, dass ein Reinheitsgrad von 100 % in aller Regel technisch nicht erreichbar ist.
33Außerdem ergibt sich aus Anmerkung 1 Buchst. f und g zu Kapitel 29 der KN, dass die Positionen dieses Kapitels insbesondere die Erzeugnisse gemäß Anmerkung 1 Buchst. a umfassen können, denen verschiedene Stoffe zugesetzt worden sind, sei es, weil sie zur Erhaltung oder zum Transport der Erzeugnisse notwendig sind, sei es, weil sie das Erkennen der Erzeugnisse erleichtern, sei es schließlich aus Sicherheitsgründen, vorausgesetzt, dass diese Zusätze das Erzeugnis nicht für bestimmte Verwendungszwecke geeigneter machen als für den allgemeinen Gebrauch.
34Wenn gemäß Anmerkung 1 Buchst. f und g zu diesem Kapitel 29 das Zusetzen anderer Stoffe zu den Erzeugnissen, die in dieses Kapitel eingereiht werden können, bestimmten genauen Anforderungen insbesondere im Hinblick auf die Sicherheit und die Identifizierung genügen muss und dabei gleichzeitig der allgemeine Gebrauch des betreffenden Erzeugnisses beibehalten werden muss, dann gilt dies erst recht für die Verunreinigungen, die in Anmerkung 1 Buchst. a zu demselben Kapitel genannt sind.
35Enthält ein Erzeugnis nämlich Verunreinigungen aus dem Herstellungsprozess, die es für bestimmte Verwendungszwecke, die sich von seinem allgemeinen Gebrauch unterscheiden, geeignet machen, kann ein solches Erzeugnis nicht als "isoliert" im Sinne von Anmerkung 1 Buchst. a zu Kapitel 29 der KN angesehen werden, da solche Verunreinigungen für seine Verwendung bestimmend sind.
36Dies ergibt sich im Übrigen auch aus den in Randnr. 4 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Erläuterungen zu Kapitel 29 des HS.
37Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Verunreinigungen nach der Fermentierung in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnis belassen wurden, um es für einen bestimmten Verwendungszweck, nämlich als Additiv für Alleinfuttermittel mit einer Reihe biologisch hochwertiger Nährstoffe, geeigneter zu machen als für den allgemeinen Gebrauch.
38Daraus folgt, dass ein Lysinsulfatprodukt wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht in Position 2922 der KN eingereiht werden konnte.
39Position 2309 der KN betrifft "Zubereitungen von der zur Fütterung verwendeten Art". Nach Anmerkung 1 zu Kapitel 23 der KN gehören zu dieser Position auch Erzeugnisse der zur Fütterung verwendeten Art, anderweit weder genannt noch inbegriffen, die aus der Verarbeitung von pflanzlichen oder tierischen Stoffen stammen und die durch die Verarbeitung die wesentlichen Merkmale der Ausgangsstoffe verloren haben. Dies gilt nicht für pflanzliche Abfälle, pflanzliche Rückstände und Nebenerzeugnisse aus dieser Verarbeitung.
40Ferner geht aus den in Randnr. 5 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Erläuterungen zu Position 2309 des HS hervor, dass diese Position insbesondere Additive betrifft, deren Art und Mischungsanteile entsprechend den erwünschten tierischen Erzeugnissen festgelegt werden und zu denen die Aminosäuren gehören.
41In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Verwendungszweck des Erzeugnisses ein objektives Tarifierungskriterium sein kann, sofern er dem Erzeugnis innewohnt; ob Letzteres zutrifft, muss sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften des Erzeugnisses beurteilen lassen (vgl. Urteile vom , RUMA, C-183/06, Slg. 2007, I-1559, Randnr. 36, Olicom, Randnr. 18, und vom , Roeckl Sporthandschuhe, C-123/09, Slg. 2010, I-4065, Randnr. 28).
42Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch hervor, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Lysinsulfatprodukt als Additiv dazu bestimmt war, beim Herstellen von Futtermitteln verwendet zu werden. Es bestand aus einer Reihe von Stoffen, darunter auch Aminosäuren, die für die Ernährung von Tieren von Vorteil sind.
43Somit war ein solches Erzeugnis aufgrund seiner objektiven Merkmale und insbesondere aufgrund der absichtlich darin belassenen Bestandteile der sich aus dem Herstellungsprozess ergebenden Zellmasse dazu bestimmt, als Additiv beim Herstellen von Futtermitteln verwendet zu werden. Daraus folgt, dass dieses Erzeugnis die Voraussetzungen für eine Einreihung in Position 2309 der KN erfüllte.
44In Bezug auf Position 3824 der KN genügt der Hinweis, dass sie eine Auffangposition ist, die nur zur Anwendung kommt, wenn das betreffende Erzeugnis in keine andere Position eingereiht werden kann. Da ein solcher Fall hier nicht vorliegt, ist die Einschlägigkeit dieser Position nicht zu prüfen.
45Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass die KN dahin auszulegen ist, dass ein Erzeugnis, das aus Lysinsulfat und aus Verunreinigungen aus dem Herstellungsprozess besteht, als Zubereitung von der zur Fütterung verwendeten Art in Position 2309 einzureihen ist.
Zur zweiten und zur dritten Frage
46Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht dem entgegensteht, dass die nationalen Zollbehörden im Hinblick auf die nach nationalem Recht zu beachtenden Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zum einen zu Unrecht gezahlte Produktionserstattungen zurückfordern, die der Hersteller für die Herstellung von Lysinsulfat in gutem Glauben erhalten hat, und zum anderen die Auszahlung von Produktionserstattungen für dieses Erzeugnis verweigern, die sie dem Hersteller zugesagt hatten.
47Vorab ist an die ständige Rechtsprechung zu erinnern, nach der es nicht als dem Unionsrecht zuwiderlaufend angesehen werden kann, wenn das nationale Recht im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten und der Rückforderung von zu Unrecht gewährten öffentlichen Geldleistungen neben dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung auch die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit berücksichtigt, die Bestandteil der Unionsrechtsordnung sind. Diese Grundsätze gelten in besonderem Maße bei einer Regelung, die finanzielle Konsequenzen haben kann (vgl. Urteil vom , Vereniging Nationaal Overlegorgaan Sociale Werkvoorziening u. a., C-383/06 bis C-385/06, Slg. 2008, I-1561, Randnr. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).
48Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1265/2001, auf deren Grundlage Agroferm Produktionserstattungen für das Lysinsulfat gewährt wurden, die Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1260/2001 festlegt, in der die gemeinsame Marktorganisation für Zucker im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik geregelt ist.
49Die Rückzahlung der von der Union auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1265/2001 zu Unrecht gezahlten Beträge hat daher ihre Rechtsgrundlage in den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1258/1999 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (vgl. entsprechend zur Rückforderung von im Rahmen der Strukturfonds zu Unrecht gezahlten Zuschüssen, Urteil Vereniging Nationaal Overlegorgaan Sociale Werkvoorziening u. a., Randnr. 39).
50Insbesondere begründet Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 1258/1999 für die Mitgliedstaaten eine Verpflichtung, die infolge von Unregelmäßigkeiten oder Versäumnissen abgeflossenen Beträge wiedereinzuziehen, ohne dass es einer Ermächtigung durch nationales Recht bedarf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Deutsche Milchkontor u. a., 205/82 bis 215/82, Slg. 1983, 2633, Randnr. 22).
51In diesem Zusammenhang hat die Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nach den Regeln des Unionsrechts zu erfolgen (vgl. entsprechend Urteil Vereniging Nationaal Overlegorgaan Sociale Werkvoorziening u. a., Randnr. 53).
52Hierzu ist festzustellen, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht gegen eine klare unionsrechtliche Bestimmung angeführt werden kann und dass das unionsrechtswidrige Verhalten einer für die Anwendung des Unionsrechts zuständigen nationalen Behörde kein berechtigtes Vertrauen eines Wirtschaftsteilnehmers darauf begründen kann, in den Genuss einer unionsrechtswidrigen Behandlung zu kommen (vgl. Urteile vom , Lageder u. a., C-31/91 bis C-44/91, Slg. 1993, I-1761, Randnr. 35, vom , Emsland-Stärke, C-94/05, Slg. 2006, I-2619, Randnr. 31, und vom , Sony Supply Chain Solutions [Europe], C-153/10, Slg. 2011, I-2775, Randnr. 47).
53Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1265/2001 schließt aber als "Grunderzeugnisse", für die die Produktionserstattung gewährt wird, insbesondere den Zucker mit ein, der für die Herstellung der in Anhang I dieser Verordnung aufgeführten Erzeugnisse der chemischen Industrie verwendet wird. In diesem Anhang werden ausdrücklich die unter die Kapitel 29 und 38 der KN fallenden Erzeugnisse genannt. Zudem geht aus Art. 10 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 1265/2001 hervor, dass der Antrag auf Produktionserstattung die Tarifstelle und die Bezeichnung des chemischen Erzeugnisses enthalten muss, für dessen Herstellung das Grunderzeugnis verwendet werden soll.
54Insofern kann, wie die Generalanwältin in Nr. 63 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, das Vertrauen eines Wirtschaftsteilnehmers im Hinblick auf die Gewährung einer Produktionserstattung nur geschützt sein, wenn das von ihm hergestellte Produkt der Position bzw. dem Kapitel der KN zuzuordnen ist, die bzw. das im Erstattungsbescheid angegeben ist.
55Wie aus der Antwort auf die erste Frage hervorgeht, hätte im vorliegenden Fall das in Rede stehende Erzeugnis tatsächlich in Position 2309 der KN eingereiht werden müssen und nicht - wie vom Wirtschaftsteilnehmer, der die Produktionserstattungen erhalten hat, zu Unrecht erklärt - in Position 2922 der KN.
56Daher standen die Produktionserstattungen für dieses Erzeugnis im Widerspruch zum Unionsrecht. Infolgedessen ist festzustellen, dass die dänischen Zollbehörden bei dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer unabhängig von seinem guten Glauben kein berechtigtes Vertrauen darauf begründen konnten, in den Genuss einer unionsrechtswidrigen Behandlung zu kommen. Dies gilt auch dann, wenn zum einen diese Erstattungen auf der Grundlage einer von diesen Behörden erteilten vorherigen Zulassung gewährt worden sein sollten, und zum anderen diese Behörden weitere Erstattungen zugesagt haben sollten, bevor ihnen der vom Wirtschaftsteilnehmer in seiner Erklärung begangene Fehler offengelegt wird.
57Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes dahin auszulegen ist, dass er dem nicht entgegensteht, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens die nationalen Zollbehörden zum einen zu Unrecht gezahlte Produktionserstattungen zurückfordern, die der Hersteller für die Herstellung von Lysinsulfat bereits erhalten hat, und zum anderen die Auszahlung von Produktionserstattungen für dieses Erzeugnis verweigern, die sie dem Hersteller zugesagt hatten.
Kosten
58Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
1. Die Kombinierte Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1719/2005 der Kommission vom geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein Erzeugnis, das aus Lysinsulfat und Verunreinigungen aus dem Herstellungsprozess besteht, als Zubereitung von der zur Fütterung verwendeten Art in Position 2309 einzureihen ist.
2. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens die nationalen Zollbehörden zum einen zu Unrecht gezahlte Produktionserstattungen zurückfordern, die der Hersteller für die Herstellung von Lysinsulfat bereits erhalten hat, und zum anderen die Auszahlung von Produktionserstattungen für dieses Erzeugnis verweigern, die sie dem Hersteller zugesagt hatten.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
VAAAE-41172