Sachverständigenentschädigung: Einverständnis der Parteien mit abweichend von der gesetzlichen Regelung zu bemessenden Vergütung; Zustimmung nur einer Partei - Sachverständigenentschädigung VI
Leitsatz
Sachverständigenentschädigung VI
1. Die Parteien können sich auch nach Heranziehung eines Sachverständigen mit einer abweichend von der gesetzlichen Regelung zu bemessenden Vergütung wirksam einverstanden erklären, wenn ein ausreichender Betrag für die sich daraus ergebende Vergütung an die Staatskasse gezahlt ist.
2. Insoweit genügt die Erklärung nur einer Partei, soweit sie sich auf den Stundensatz nach § 9 JVEG bezieht und das Gericht zustimmt, wobei über die Zustimmung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist und hierbei insbesondere auch die Interessen der kostentragungspflichtigen Partei zu berücksichtigen sind.
Gesetze: § 9 JVEG, § 13 Abs 1 JVEG, § 13 Abs 2 JVEG
Instanzenzug: Az: X ZR 137/09 Beschlussvorgehend Az: X ZR 137/09 Beschlussvorgehend Az: 5 Ni 72/09
Gründe
1I. Der gerichtliche Sachverständige hat sein schriftliches Gutachten zunächst pauschal mit 26.180 € einschließlich Mehrwertsteuer abgerechnet und später seinen Vergütungsvorschlag dahin spezifiziert, dass er zur Erstellung des Gutachtens 165 Stunden aufgewendet habe, die er mit 130 € ansetze. Mit Einverständnis auch der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom als Abschlag und Bruttomindestbetrag einen Betrag von 15.000 € festgesetzt, der an den gerichtlichen Sachverständigen ausgezahlt worden ist.
2Für die Vorbereitung des wegen Klagerücknahme kurzfristig aufgehobenen Verhandlungstermins vom hat der gerichtliche Sachverständige 26 Stunden angesetzt und dafür 4.165 € einschließlich weiterer Aufwendungen und Mehrwertsteuer abgerechnet. Die Klägerin hat den Vergütungsvorschlägen des Sachverständigen zugestimmt, während die Beklagte diesen widersprochen hat.
3Die Beklagte hat Auslagenvorschüsse in Höhe von 20.000 € und von 7.500 € an die Staatskasse gezahlt. Die Klägerin hat nach Klagerücknahme und Erklärung ihrer Zustimmung zu den Vergütungsvorschlägen des Sachverständigen weitere 2.815 € überwiesen.
4II. Der geltend gemachte Vergütungsanspruch ist gerechtfertigt.
51. Vom Gutachten des im Patentnichtigkeitsverfahren beauftragten Sachverständigen wird eine eingehende Auseinandersetzung mit der geschützten Erfindung und dem Stand der Technik erwartet, was voraussetzt, dass der Sachverständige sich mit der Aufbereitung des Streitstoffs in den Gerichtsakten vertraut gemacht und sich in den entgegengehaltenen Stand der Technik und die regelmäßig typisch patentrechtliche Diktion entgegengehaltener Schriften eingearbeitet hat. Die Arbeitsweise bleibt dabei dem gerichtlichen Sachverständigen grundsätzlich selbst überlassen; dem anrechnungsfähigen Zeitaufwand ist lediglich dadurch eine Obergrenze gesetzt, dass ein gerichtlicher Sachverständiger fachliche Kompetenz gerade auf dem technischen Gebiet besitzt und besitzen muss, auf das sich die Begutachtung bezieht und für das er seine Kompetenz aufgrund der entsprechenden Anfrage des Senats vor der Beauftragung mit dem Gutachten bestätigt hat. Deshalb muss zwischen Fachkunde und zeitlichem Aufwand eine plausible Proportionalität gewahrt sein ( Rn. 5 ff.; Beschluss vom - X ZR 159/05, GRUR-RR 2009, 120 Rn. 4; Beschluss vom - X ZR 7/09 Rn. 4).
62. Das Berufungsverfahren stellt sich hinsichtlich des Prüfungsumfangs als überdurchschnittlich dar. Das in englischer Sprache erteilte Streitpatent betrifft ein Synchronisationsverfahren für Mobilfunktelefone in einem mehrere Feststationen und Mobilfunktelefone umfassenden zellularen, digitalen Mobilfunktelefonnetz, das nach dem GSM-Verfahren arbeitet. Es umfasst dreizehn Patentansprüche. Die Klägerin hat das Streitpatent insgesamt angegriffen. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Die Beklagte hat das Streitpatent in der Berufungsinstanz mit dem Hauptantrag in der erteilten Fassung und hilfsweise in der Fassung von neun Hilfsanträgen verteidigt. Die Klägerin hat den Gegenstand des Streitpatents in den Fassungen des Haupt- und der Hilfsanträge der Beklagten für nicht patentfähig angesehen. Die Prozessakten sind, ebenso wie die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze und Gutachten von Parteisachverständigen, sehr detailliert und umfangreich.
7Das rechtfertigt die von dem gerichtlichen Sachverständigen für die Erstellung des schriftlichen Gutachtens angesetzte Stundenzahl von 165. Der vorliegende Fall hebt sich insoweit von Verfahren mit durchschnittlichem Prüfungsumfang ab, in denen der Senat einen Aufwand von mehr als 150 Stunden nicht mehr als angemessen angesehen hat (vgl. Rn. 5; Beschluss vom - X ZR 84/05 Rn. 8; Beschluss vom - X ZR 116/08 Rn. 6). Angemessen sind darüber hinaus die 26 Stunden, die der gerichtliche Sachverständige für die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung seiner Rechnung zu Grunde legt.
8Der Senat ordnet die Tätigkeit des gerichtlichen Sachverständigen im vorliegenden Patentnichtigkeitsverfahren nach billigem Ermessen der Honorargruppe 10 zu (vgl. , GRUR 2007, 175 - Sachverständigenentschädigung IV; Beschluss vom - X ZR 75/05 Rn. 4; Beschluss vom - X ZR 84/05 Rn. 9; Beschluss vom - X ZR 139/07 Rn. 4). Hieraus folgt ein gesetzlicher Stundensatz von 95 €.
9Dieser Satz kann, nachdem die vom Sachverständigen begehrte Überschreitung des Honorarsatzes weniger als 50 vom Hundert beträgt, eine Partei ihr Einverständnis erklärt hat, die andere Partei gehört wurde und der einbezahlte Vorschuss hierfür ausreicht (vgl. BGH, aaO - Sachverständigenentschädigung IV; Rn. 5), mit Zustimmung des Gerichts auf den vom Sachverständigen erbetenen Satz von 130 € nebst Mehrwertsteuer erhöht werden (§ 13 Abs. 1 und 2 JVEG).
10Dem steht nicht entgegen, dass das Einverständnis der Partei und die Zustimmung des Gerichts erst nach Heranziehung des Sachverständigen erfolgt sind (, unter 2, JurBüro 2011, 490; Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, Gerichtskostengesetz, 2. Aufl., 2009, § 13 JVEG Rn. 7; anderer Ansicht: I-10 W 102/10; Bleutge, JVEG, 4. Aufl., 2008, § 13 Rn. 5; Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl., 2011, § 13 Rn. 13.8; Schneider, JVEG, 2007, § 13 Rn. 31; Zimmermann, JVEG, 2005, § 13 Rn. 11 ff.; vgl. zur Rechtsprechung betreffend die Vorgängervorschrift des § 7 Abs. 2 ZSEG etwa: OLG Düsseldorf, JurBüro 1989, 259; OLG Stuttgart, JurBüro 1972, 658). Zwar soll nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 JVEG die Heranziehung des gerichtlichen Sachverständigen unter Gewährung einer bestimmten oder abweichend von der gesetzlichen Regelung zu bemessenden Vergütung, mit der sich die Parteien einverstanden erklärt haben, erst erfolgen, wenn von diesen zuvor ein entsprechender Betrag an die Staatskasse gezahlt worden ist. Das mit dieser Regelung geschützte fiskalische Interesse, sich gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen nicht ohne Vorschuss der Parteien in Höhe der besonderen Vergütung zu verpflichten, bleibt aber auch bei einem späteren Einverständnis der Parteien gewahrt, wenn die besondere Vergütung durch zuvor erfolgte Zahlung an die Staatskasse gedeckt ist, so dass bei am Sinn und Zweck von § 13 Abs. 1 JVEG orientierter Auslegung auch eine solche Konstellation von der Vorschrift erfasst wird.
11Diese Erwägungen gelten entsprechend für den in § 13 Abs. 2 JVEG geregelten Fall, dass nur eine Partei ihr Einverständnis zu einer besonderen Vergütung des Sachverständigen erklärt und das Gericht zustimmt. Auch das hier hinzutretende Interesse der kostentragungspflichtigen Partei, keinem unberechenbaren Kostenrisiko ausgesetzt zu sein, erfordert es nicht, dass das Einverständnis der einen Partei und die gerichtliche Zustimmung allein vor der Heranziehung des Sachverständigen gegeben bzw. erteilt werden können. Vielmehr wird diesem Interesse in § 13 Abs. 2 JVEG dadurch Rechnung getragen, dass die Zustimmung nur erteilt werden soll, wenn das Eineinhalbfache des nach § 9 oder § 11 JVEG zulässigen Honorars nicht überschritten wird, und das Gericht über die Zustimmung erst nach Anhörung der Parteien und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden und dabei auch die Interessen der kostentragungspflichtigen Partei zu berücksichtigen hat. Dazu gehört im vorliegenden Fall auch, dass nicht die Klägerin als nach der Rücknahme der Nichtigkeitsklage primär kostentragungspflichtige Partei mit dem Stundensatz des Sachverständigen nicht einverstanden ist, sondern die Beklagte.
12Dem Honorar sind von den Parteien nicht in Zweifel gezogene Aufwendungen für Ablichtungen und andere Aufwendungen in der vom Sachverständigen geltend gemachten Höhe hinzuzurechnen.
Meier-Beck Grabinski Bacher
Hoffmann Deichfuß
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
NJW-RR 2013 S. 1403 Nr. 22
VAAAE-39838