BGH Urteil v. - IX ZR 191/12

Insolvenz des Vertragshändlers: Wirksamkeit der Aufrechnung mit Insolvenzforderungen des Unternehmers gegen den Ausgleichsanspruch des Schuldners nach der Kündigung des Vertragshändlervertrags

Leitsatz

Kündigt der Unternehmer den Vertragshändlervertrag, weil der Vertragshändler die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt hat, ist die nach der Eröffnung erklärte Aufrechnung mit Insolvenzforderungen gegen den Ausgleichsanspruch bei Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen insolvenzrechtlich unwirksam.

Gesetze: § 94 InsO, § 96 Abs 1 Nr 3 InsO, § 130 Abs 1 S 1 Nr 2 InsO, § 89b HGB

Instanzenzug: OLG Braunschweig Az: 2 U 132/11vorgehend LG Braunschweig Az: 21 O 390/11

Tatbestand

1Der Kläger ist Verwalter in dem am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M.        GmbH & Co. KG (Schuldnerin). Die Schuldnerin war Vertragshändlerin der Beklagten. Nachdem sie am die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen beantragt hatte, kündigte die Beklagte am den Vertragshändlervertrag. Am machte der Kläger den Anspruch auf angemessenen Ausgleich analog § 89b HGB geltend. Grund und Höhe dieses Anspruchs von 128.998,46 € (brutto) stehen außer Streit. Die Beklagte erklärte die Aufrechnung mit vor der Eröffnung entstandenen, ebenfalls nach Grund und Höhe unstreitigen Gegenansprüchen aus dem Vertragsverhältnis in Höhe von insgesamt 83.054,94 €; den Restbetrag von 45.943,52 € zahlte sie an den Kläger.

2Der Kläger hält die Aufrechnung für insolvenzrechtlich unwirksam. Er hat Zahlung der 83.054,94 € zur Insolvenzmasse verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Berücksichtigung eines Abzugs von 2.975 € für den Erlös aus der Veräußerung der Kundenkartei zur Zahlung von 80.079,94 € nebst Zinsen und Kosten verurteilt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.

Gründe

3Die Revision bleibt ohne Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat ausgeführt (vgl. ZIP 2012, 1872 mit krit. Anm. Krüger, EWiR 2012, 737): Die Aufrechnung sei nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 iVm § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO insolvenzrechtlich unwirksam, weil der Beklagten der Insolvenzantrag im Zeitpunkt der Kündigung des Vertragshändlervertrages bekannt gewesen sei. Gegenstand der Anfechtung sei die Herstellung der Aufrechnungslage. Die Gläubigerbenachteiligung folge daraus, dass der Ausgleichsanspruch nicht mehr für die Gesamtheit der Gläubiger zur Verfügung stehe. Dass der Ausgleichsanspruch ohne die Kündigung nicht entstanden wäre, sei nicht von Belang; eine Vorteilsausgleichung finde grundsätzlich nicht statt. Rechtsfolge der Anfechtbarkeit sei die Unwirksamkeit der Aufrechnung und damit der Fortbestand des andernfalls durch die Aufrechnung erloschenen Ausgleichsanspruchs.

II.

5Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand. Nach Grund und Höhe steht der Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Ausgleichs analog § 89b HGB außer Streit. Die von der Beklagten erklärten Aufrechnungen sind gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO insolvenzrechtlich unwirksam.

61. Die Beklagte hat die Aufrechnungslage durch die fristlose Kündigung des Vertragshändlervertrages am herbeigeführt. Sie wusste dabei von dem am gestellten Insolvenzantrag. Die Kündigung stellte eine Rechtshandlung im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO dar. Unter einer Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff InsO ist jedes von einem Willen getragene Handeln zu verstehen, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann (, WM 2004, 666, 667; vom - IX ZR 102/03, BGHZ 170, 196 Rn. 10; vom - IX ZR 86/08, NZI 2009, 644 Rn. 21). Darauf, ob die rechtliche Wirkung auf dem Willen des Handelnden beruht oder - wie hier - kraft Gesetzes eintritt (§ 89b HGB in entsprechender Anwendung; vgl. hierzu , ZIP 2010, 2350 Rn. 24), kommt es entgegen der Ansicht der Revision nicht an. Die Kündigung hatte eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger zur Folge, weil sie zu der Möglichkeit der Aufrechnung führte, welche den Ausgleichsanspruch der Gesamtheit der Gläubiger entzog.

72. Entgegen der Ansicht der Revision ist eine Gläubigerbenachteiligung nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Ausgleichsanspruch, gegen den die Beklagte aufgerechnet hat, erst durch die angefochtene Rechtshandlung - die Kündigung - entstanden und fällig geworden ist (vgl. hierzu , ZIP 1997, 1839, 1844). Dass die Rechtshandlung, welche die Aufrechnungslage herbeiführt, der Masse auch Vorteile verschafft, steht einer Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen. Eine Saldierung der Vor- und Nachteile findet im Insolvenzverfahren grundsätzlich nicht statt; eine Vorteilsausgleichung nach schadensersatzrechtlichen Grundsätzen ist im Insolvenzanfechtungsrecht grundsätzlich nicht zulässig. Vielmehr ist der Eintritt der Gläubigerbenachteiligung isoliert in Bezug auf die konkret bewirkte Minderung des Aktivvermögens oder der Vermehrung der Passiva des Schuldners zu beurteilen (vgl. , NZI 2009, 644 Rn. 26 f; vom - IX ZR 146/11, ZIP 2012, 1183 Rn. 30 ff).

83. Die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit ergreift nur die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Herstellung der Aufrechnungslage, nicht jedoch das Grundgeschäft (hier: die Kündigung). Nach § 143 Abs. 1 InsO ist (nur) dasjenige zur Insolvenzmasse zurückzugewähren, was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben worden ist, also der eingetretene Erfolg als solcher. Besteht die objektive Gläubigerbenachteiligung nur in einer einzelnen, abtrennbaren Wirkung einer einheitlichen Rechtshandlung, darf deren Rückgewähr nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass die Handlung auch sonstige, für sich nicht anfechtbare Folgen ausgelöst habe. Einen Rechtsgrundsatz, dass mehrere Wirkungen einer Rechtshandlung nur ganz oder gar nicht anfechtbar seien, gibt es im Insolvenzrecht nicht (, BGHZ 147, 233, 236; vom , aaO Rn. 32; vom - IX ZR 104/09, NZI 2010, 414 Rn. 10).

94. Vergeblich wendet die Revision schließlich ein, dass der Ausgleichsanspruch gemäß oder entsprechend § 89b HGB schon bei Abschluss des Händlervertrages in seinem Kern angelegt sei, so dass gemäß §§ 94, 95 InsO mit Insolvenzforderungen gegen ihn aufgerechnet werden könne, ohne dass § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO eingreife.

10Im vorliegenden Fall geht es um einen vor der Eröffnung entstandenen und fällig gewordenen Ausgleichsanspruch. Bei ihm ist die sonst nach § 94 InsO mögliche Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam.

11Der behauptete Wertungswiderspruch zu § 95 InsO besteht nicht, weil die Beklagte auch dann nicht mit ihren Insolvenzforderungen gegen den Ausgleichsanspruch aufrechnen könnte, wenn sie den Vertragshändlervertrag erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt hätte. Die Vorschrift des § 95 Abs. 1 InsO, nach welcher ein Insolvenzgläubiger auch mit einer im Zeitpunkt der Eröffnung aufschiebend bedingten oder noch nicht fälligen Forderung aufrechnen kann, sobald die Aufrechnungsvoraussetzungen eingetreten sind, erfasst zwar auch Fälle, in denen eine gesetzliche Voraussetzung für das Entstehen der Forderung fehlt. Voraussetzung ist dann aber, dass die Forderung in ihrem rechtlichen Kern aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder vertraglicher Vereinbarungen bereits gesichert ist und fällig wird, ohne dass es einer weiteren Rechtshandlung bedarf (, BGHZ 160, 1, 4; vom - IX ZR 217/07, ZIP 2009, 380 Rn. 32; MünchKomm-InsO/Brandes, 2. Aufl., § 95 Rn. 10; HK-InsO/Kayser, 6. Aufl., § 95 Rn. 15; anders noch , BGHZ 155, 87, 93 f zu § 15 KO: es sei unerheblich, dass ein Rückzahlungsanspruch erst nach Ausübung des Rücktrittsrechts entstehe). Diese Voraussetzungen sind in der Insolvenz des Handelsvertreters oder Vertragshändlers nicht erfüllt. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO besteht der Handelsvertreter- oder Vertragshändlervertrag mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort (OLG Düsseldorf NZI 2010, 105 f; MünchKomm-HGB/von Hoyningen-Huene, 3. Aufl., § 89b Rn. 40; Emde/Kelm, ZVI 2004, 382; Stumpf/Ströbl, MDR 2004, 1209, 1211; Wagner/Wexler-Uhlich, BB 2010, 2454, 2455; dies., BB 2011, 519, 520; vgl. zum umgekehrten Fall der Insolvenz des Geschäftsherrn, die gem. §§ 116, 115 InsO, früher § 23 KO, zum Erlöschen des Auftragsverhältnisses führt, , ZIP 2003, 216, 217). Auch nach der Eröffnung hätte der Vertrag folglich gekündigt werden müssen, damit der Ausgleichsanspruch entsteht und fällig wird. Die Voraussetzungen des § 95 InsO wären auch in dieser Fallgestaltung nicht erfüllt gewesen.

125. Soweit der Senat im Beschluss vom (IX ZR 223/05, nv, Rn. 2) die Kündigung eines Vertragshändlervertrages nicht für insolvenzrechtlich anfechtbar gehalten hat, hält er an dieser Ansicht nicht mehr fest.

Vill                        Raebel                           Lohmann

             Pape                         Möhring

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 1409 Nr. 24
BB 2013 S. 2001 Nr. 34
DB 2013 S. 1357 Nr. 24
DB 2013 S. 6 Nr. 24
DStR 2013 S. 12 Nr. 27
NJW-RR 2013 S. 1142 Nr. 18
WM 2013 S. 1132 Nr. 24
ZIP 2013 S. 1180 Nr. 24
ZIP 2013 S. 5 Nr. 23
EAAAE-36935