BGH Urteil v. - 3 StR 486/12

Verstoß gegen Weisungen der Führungsaufsicht: Anforderungen an die Bestimmtheit der Weisungen; Verbot der Kontaktaufnahme zu Kindern und Jugendlichen

Leitsatz

1. Die Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht setzt voraus, dass die Weisung eindeutig und so fest umrissen ist, wie dies vom Tatbestand einer Strafnorm zu verlangen ist.

2. Diesen Anforderungen genügen die Weisung, keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufzunehmen, sowie das Verbot, sich an Orten wie Kinderspielplätzen, Kindergärten, Schulen u.a. aufzuhalten, an denen sich üblicherweise Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren befinden.

3. Die Weisung, keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufzunehmen, untersagt es dem Verurteilten, aus eigenem Antrieb und aktiv einen unmittelbaren Kontakt zu einem Mitglied der genannten Personengruppe herzustellen.

Gesetze: § 68b Abs 1 S 1 Nr 2 StGB, § 68b Abs 1 S 1 Nr 3 StGB, § 68b Abs 1 S 2 StGB, § 145a S 1 StGB

Instanzenzug: LG Neubrandenburg Az: 8 KLs 81/10

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf, während der Führungsaufsicht gegen Weisungen verstoßen zu haben, aus Rechtsgründen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

2Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der Angeklagte mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern. Zuletzt wurde er wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes unter Einbeziehung einer Vorverurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dem lag zugrunde, dass der Angeklagte gegen den Widerstand eines zwölf Jahre alten Jungen an dessen Penis manipuliert und diesen in den Mund genommen hatte. Nachdem die Strafvollstreckung am erledigt war, stand der Angeklagte bis zum unter Führungsaufsicht. Der Beschluss über die Ausgestaltung der Führungsaufsicht enthielt u.a. die Weisungen, "keinerlei Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufzunehmen" und "sich nicht an Orten, wo sich üblicherweise Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren befinden - Kinderspielplätze, Kindergärten, Schulen u.a. - aufzuhalten". Im Sommer 2009 lernte der Angeklagte eine Frau mit einem damals fünfjährigen Sohn kennen, zu der er eine freundschaftliche Verbindung aufbaute. Inzwischen ist er mit ihr verlobt. Im Zeitraum von September 2009 bis zum kam es in mindestens 19 Fällen zu Kontakten zwischen dem Angeklagten und dem Sohn seiner Freundin, den er teilweise allein beaufsichtigte und mit dem er auch Spielplätze aufsuchte. Von der Aufnahme der Beziehung zu dieser Frau berichtete er nach "einiger Zeit" der Bewährungshelferin als Mitarbeiterin der Führungsaufsichtsstelle, die die Vollstreckungsleiterin unterrichtete. Maßnahmen im Rahmen der Führungsaufsicht wurden daraufhin nicht ergriffen.

3Die Strafkammer ist der Auffassung, eine Bestrafung des Angeklagten nach § 145a StGB komme nicht in Betracht, da die genannten Weisungen nicht hinreichend bestimmt seien und ihre Einhaltung dem Angeklagten nicht habe zugemutet werden können. Dies hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.

41. Ein in § 145a Satz 1 StGB mit Strafe bedrohter Verstoß gegen eine Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht liegt vor, wenn der Betroffene das ihm auferlegte Verhalten nicht oder nicht vollständig erfüllt und dadurch der Zweck der Maßregel gefährdet wird. Ein solcher Verstoß unterfällt aber nur dann dem objektiven Tatbestand, wenn die fragliche Weisung hinreichend bestimmt ist; denn im Rahmen des § 145a Satz 1 StGB wird das strafbare Verhalten wesentlich durch den Inhalt der Weisung festgelegt. Dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG ist deshalb nur dann Genüge getan, wenn die betreffende Weisung eindeutig und so fest umrissen ist, wie dies von dem Tatbestand einer Strafnorm zu verlangen ist. Dem Betroffenen muss mit der Weisung unmittelbar verdeutlicht werden, welches Tun oder Unterlassen von ihm erwartet wird, so dass er sein Verhalten danach ausrichten kann (vgl. , StV 2012, 481 zu Weisungen nach § 56c StGB; , NJW 2013, 710 f.; LK/Roggenbuck, StGB, 12. Aufl., § 145a Rn. 8; aus der obergerichtlichen Rechtsprechung vgl. etwa 5 St RR 52/09, NStZ 2010, 218 f.; OLG Oldenburg, Beschluss vom - 1 Ws 758/08, StV 2009, 542; III 3 Ws 393/10, NStZ-RR 2011, 141; OLG Dresden, Beschlüsse vom - 2 Ws 125/08, NStZ-RR 2008, 326 f.; vom - 2 Ws 509/09, StV 2010, 642 f.). Diesen Anforderungen an ihre Bestimmtheit werden die genannten Weisungen gerecht.

5a) Die Weisung, keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufzunehmen, hat ihre gesetzliche Grundlage in § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB. Dort ist ausdrücklich bestimmt, dass die verurteilte Person angewiesen werden kann, zu Personen einer bestimmten Gruppe, die ihr Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt aufzunehmen. Dies ist dahin zu verstehen, dass es dem Verurteilten untersagt ist, aus eigenem Antrieb und aktiv einen unmittelbaren Kontakt zu einem Mitglied der Personengruppe herzustellen (vgl. BR-Drucks. 256/06 S. 33 f.). Nichts anderes gilt für das Verständnis der hier vorliegenden, die Terminologie des Gesetzestextes insoweit wortgleich übernehmenden Weisung. Damit ist dieser das vom Angeklagten erwartete Verhalten ausreichend deutlich zu entnehmen (vgl. , NStZ-RR 2008, 277). Die ebenfalls in § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB vorgesehene Weisung, mit bestimmten Personen nicht zu verkehren, d.h. mit ihnen in Fortsetzung der Kontaktaufnahme umzugehen (vgl. , juris Rn. 15), ist in dem Beschluss über die Ausgestaltung der Führungsaufsicht nicht enthalten. Nach alldem folgt aus der hier erteilten Weisung ein Verbot des Umgangs mit Erwachsenen, die Kinder haben, oder des über diese vermittelten Verkehrs mit ihren Kindern entgegen der Auffassung der Strafkammer nicht.

6b) Auch das auf § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB gestützte Verbot, sich an Orten, an denen sich üblicherweise Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren befinden - Kinderspielplätze, Kindergärten, Schulen u.a. -, aufzuhalten, genügt den Bestimmtheitsanforderungen. Da eine enumerative Aufzählung aller denkbaren Orte, die der verurteilten Person Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, regelmäßig nicht möglich oder tunlich ist, muss es grundsätzlich ausreichen, solche Örtlichkeiten, deren Aufsuchen dem Angeklagten untersagt werden soll, ihrer Art nach zu bezeichnen (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 68b Rn. 4); denn andernfalls würde § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB weitgehend leerlaufen. Im vorliegenden Fall sind die betreffenden Orte durch die beispielhafte Aufzählung bestimmter Plätze zusätzlich eingegrenzt. Hierdurch wird ausreichend klar, dass lediglich solche Orte gemeint sind, an denen sich nach ihrer Zweckbestimmung Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren  typischerweise aufhalten. Der Angeklagte kann als Adressat der Weisung dieser deshalb mit genügender Sicherheit entnehmen, welche Örtlichkeiten er zu meiden hat (vgl. auch , NJW 2008, 2493; , NStZ-RR 2008, 277 f.; ).

72. Entgegen der Meinung des Landgerichts waren die erteilten Weisungen auch nicht gemäß § 68b Abs. 3 StGB deshalb unzulässig, weil ihre Einhaltung dem Angeklagten nicht zumutbar war. Dies ist etwa der Fall bei Weisungen, die gegen uneinschränkbare Grundrechte verstoßen oder sonst einen unzumutbaren Eingriff in die Lebensführung des Verurteilten enthalten (vgl.  Fischer aaO § 56c Rn. 2a f.; LK/Roggenbuck aaO § 145a Rn. 10). Bei den hier in Rede stehenden Beschränkungen für den Angeklagten, wie sie sich bei dem aufgezeigten, zutreffendem Verständnis des Inhalts der Weisungen ergeben, kommt dies ersichtlich nicht in Betracht (vgl. BVerfG aaO). Die dem entgegen stehenden Bedenken des Landgerichts, dem Angeklagten sei es bei Einhaltung der Weisungen nicht möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen, beruhen offensichtlich wesentlich auf der rechtsfehlerhaften Bestimmung des sachlichen Gehalts der Weisungen durch die Strafkammer, die diesen zu weitreichende Verbote entnommen hat.

83. Auf der rechtsfehlerhaften Bewertung der Weisungen durch die Strafkammer beruht das Urteil auch. Zwar legen die Feststellungen es nahe, dass der Angeklagte mit dem Sohn seiner Freundin nur mittelbar über sie in Kontakt gekommen ist und er mit diesem im Weiteren verkehrt hat. Allein dieses Verhalten war ihm durch die betreffenden Weisungen nicht untersagt. Auch dass er das Kind in Absprache mit der Mutter allein beaufsichtigt hat, stellt in diesem Zusammenhang nur einen von den Weisungen nicht untersagten Umgang mit dem Kind dar. Es ist gleichwohl nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreiem Verständnis der Weisung weitere Feststellungen hätte treffen können, die den Tatbestand des § 145a Satz 1 StGB erfüllen. So sind insbesondere die näheren Umstände der Spielplatzbesuche nicht dargetan. Der Senat kann somit auch nicht prüfen, ob die in diesem Zusammenhang unter Umständen gegebenen Weisungsverstöße geeignet waren, den Zweck der Maßregel zu gefährden. Die Sache bedarf deshalb insgesamt erneuter tatgerichtlicher Prüfung und Entscheidung.

Schäfer                       Pfister                        Hubert

                 Mayer                      Spaniol

Fundstelle(n):
NJW 2013 S. 1894 Nr. 26
GAAAE-34892