BFH Beschluss v. - VI B 100/12

Verfahrensmangel bei Sachverhaltsunterstellung

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 96 Abs. 1 Nr. 1

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Das FG hat bei seiner Überzeugungsbildung gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen.

2 1. Das FG hat bei seiner Überzeugungsbildung nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt vor, wenn Tatsachen nicht berücksichtigt werden, die nach Aktenlage klar feststehen (, BFH/NV 2012, 970), oder wenn es bei seiner Überzeugungsbildung von einer Sachverhaltsunterstellung ausgeht, die nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen getragen wird (, BFH/NV 1996, 554; , juris).

3 2. Das FG ist in der Vorentscheidung davon ausgegangen, dass der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) die für ihn bestimmte, aber in den Briefkasten einer anderen Behörde eingeworfene Post so behandelt hätte, als sei sie von vorneherein in den zutreffenden Briefkasten eingeworfen worden. Dies geschehe insbesondere dadurch, dass die Post aus der gegen 6 Uhr erfolgenden Frühleerung immer mit dem Eingangsstempel des vorhergehenden letzten Arbeitstags versehen werde, und zwar ungeachtet der Frage, in welchen Briefkasten die Post eingeworfen worden sei. Das FA habe dementsprechend vorgetragen, dass es die am in den Briefkasten der anderen Behörde eingelegte, an das FA gerichtete Post als rechtzeitig eingegangen betrachtet habe (Bl. 10, 11 der Vorentscheidung).

4 Im Gegensatz zu den Ausführungen in den Urteilsgründen (Bl. 10 der Urteilsgründe) ergibt sich dies jedoch nicht aus der von den Zeugen geschilderten Praxis. So sagte der Zeuge X zur Praxis beim FA aus, dass die in die Briefkästen des FA eingeworfene Post, die bei der Zwischenleerung am 1. Januar vorgefunden werde, den Eingangsstempel für den letzten Arbeitstag des Jahres erhalte. Der Zeuge Z (andere Behörde) sagte aus, die in den Briefkasten der anderen Behörde eingeworfene Post, die dort am 4. Januar vorgefunden werde, bekomme den Eingangsstempel vom 30. Dezember. Post, die an das FA gerichtet sei, werde zu der dortigen Poststelle gebracht und dort mit dem entsprechenden Stempelaufdruck versehen. Was mit der beim FA abgelieferten Post im Einzelnen passiere, könne er indes nicht sagen. Hieraus ergibt sich, dass die Annahme des FG, durch die andere Behörde beim FA abgelieferte Post erhalte dort den Eingangsstempel des letzten Arbeitstages, nicht von den Zeugenaussagen gedeckt ist. Vielmehr dürfte es sich hierbei um eine von der Praxis der Behandlung der jeweils eigenen Post durch das FA bzw. die andere Behörde abgeleitete Vermutung handeln.

5 3. Der Senat hält es für sachgerecht, das angefochtene Urteil gemäß § 116 Abs. 6 FGO wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 951 Nr. 6
FAAAE-33235