Anforderungen an Berufsqualifikation bei Heilbehandlungen
Leitsatz
Ein Podologe verfügt im Regelfall bereits dann über die erforderliche Berufsqualifikation zur Erbringung steuerfreier Heilbehandlungsleistungen gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, wenn er die staatliche Prüfung zum Podologen (§ 4 PodG) mit Erfolg abgelegt hat.
Gesetze: UStG 2005 § 4 Nr. 14 Buchst. aPodG §§ 1, 4MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. c
Instanzenzug: (EFG 2012, 1789) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
1 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine zum gegründete Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), an der Herr A und Frau B jeweils hälftig beteiligt waren. Die Klägerin betrieb eine mobile podologische Praxis. A ist ausgebildeter Podologe und hatte am die Prüfung nach § 4 des Podologengesetzes (PodG) bestanden. Die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Podologe wurde A erst am erteilt. B ist medizinische Fußpflegerin.
2 Die Klägerin ging davon aus, dass sie steuerfreie Umsätze ausführe, da die podologische Berufsausbildung des A dazu berechtige, im Rahmen der GbR auch für die von B durchgeführten Behandlungen die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) in Anspruch zu nehmen.
3 Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) davon aus, dass alle Leistungen der Klägerin steuerpflichtig seien. A habe im Jahr 2010 noch nicht über die zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigende Erlaubnis verfügt, die ihm erst am erteilt worden sei. B fehle als medizinische Fußpflegerin die erforderliche Berufsqualifikation. Das FA erließ entsprechend geänderte Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide 2010.
4 Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, den sie im Einspruchsverfahren nur für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2010 aufrechterhielt. Sie ging in Übereinstimmung mit dem FA davon aus, dass ihr Gesellschafter, Herr A, 75 % der Umsätze ausgeführt habe und machte geltend, dass ihre Leistungen in diesem Umfang steuerfrei seien. Mit Einspruchsentscheidung vom wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.
5 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Nach seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1789 veröffentlichten Urteil ist die erforderliche Berufsqualifikation bereits mit erfolgreicher Ablegung der staatlichen Prüfung zum Podologen nach § 4 Satz 2 PodG gegeben. Die Erlaubnis (§ 1 Abs. 1 Satz 1 PodG) sei für die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG nicht maßgeblich.
6 Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Für die steuerrechtliche Qualifizierung komme es auf die fachgerechte Berufsausübung und damit auf die Berechtigung zur Führung der jeweiligen Berufsbezeichnung an.
7 Während des Revisionsverfahrens erging am der Umsatzsteuerjahresbescheid 2010. Die Beteiligten haben mitgeteilt, dass sich der Streitstoff nicht verändert und sich lediglich der Streitwert erhöht habe und nunmehr ... € betrage.
8 Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9 Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Umsatzsteuerbescheid 2010 vom dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um ... € herabgesetzt wird.
II.
10 Die Revision des FA ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet.
11 1. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat (§ 127 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
12 Das FG hat über den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid Dezember 2010 vom entschieden. An dessen Stelle ist während des Revisionsverfahrens der Umsatzsteuerjahresbescheid für 2010 vom getreten, der nach § 68 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist (vgl. z.B. , BFHE 190, 67, BStBl II 2000, 454). Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos geworden und aufzuheben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 220, 269, BStBl II 2011, 21; vom XI R 79/07, BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311).
13 2. Die nicht spruchreife Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Zwar hat das FG zu Recht entschieden, dass der Gesellschafter der Klägerin, Herr A, im Streitjahr über die erforderliche Berufsqualifikation verfügte. Das FG hat aber keine Feststellungen zum Vorliegen einer Heilbehandlung getroffen.
14 a) Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG sind steuerfrei die „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden”. Diese Vorschrift beruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), nach der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden”, steuerfrei sind. § 4 Nr. 14 UStG ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung entsprechend dieser Bestimmung auszulegen (vgl. z.B. , BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679, unter II.1., und vom V R 47/09, BFHE 231, 326, BStBl II 2011, 195, unter II.1. zur gleichlautenden Bestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG).
15 Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin sind nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL nur steuerfrei, wenn sie von Personen erbracht werden, die die hierfür erforderlichen „beruflichen Befähigungsnachweise” (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union —EuGH— vom C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833, BFH/NV 2003, 30, Beilage 1 Rdnr. 27) und damit die erforderlichen „beruflichen Qualifikationen” besitzen, damit die Heilbehandlungen unter Berücksichtigung der beruflichen Ausbildung der Behandelnden eine ausreichende Qualität aufweisen ( und C-444/04, Solleveld u.a., Slg. 2006, I-3617, BFH/NV 2006, 299, Beilage 3 Rdnr. 37; BFH-Urteil in BFHE 231, 326, BStBl II 2011, 195, unter II.2.).
16 Auch für die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG kommt es unter Berücksichtigung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL darauf an, dass eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch einen Unternehmer erbracht wird, der über einen beruflichen Befähigungsnachweis und damit über die für die Leistungserbringung erforderliche Berufsqualifikation verfügt. Der Nachweis dieser Qualifikation kann sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats z.B. aus berufsrechtlichen Regelungen ergeben (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679, unter II.1.b, und vom V R 58/09, BFH/NV 2012, 1186, unter II.1.c).
17 b) Im Streitfall hat das FG zu Recht entschieden, dass der Gesellschafter der Klägerin über die für die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG erforderliche Berufsqualifikation verfügte.
18 aa) Bei der Beurteilung, ob bereits die erfolgreiche Ablegung der staatlichen Prüfung zum Podologen nach § 4 Satz 2 PodG oder erst die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung als Podologe nach § 1 Abs. 1 PodG i.V.m. § 2 Abs. 1 PodG zum Erwerb der für die Steuerfreiheit erforderlichen Berufsqualifikation führt, ist zu berücksichtigen, dass es der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbietet, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin sind dabei aber nur insoweit gleichartig, als sie für die Behandelten eine gleichwertige Qualität aufweisen (EuGH-Urteil Solleveld u.a. in Slg. 2006, I-3617, BFH/NV 2006, 299, Beilage 3 Rdnrn. 40 f.). Für die erforderliche Qualifikation kann dabei z.B. die Tätigkeit in einem rechtlichen Rahmen, unter der Kontrolle eines Medizinischen Dienstes und gemäß spezifisch festgelegter Bedingungen sprechen, deren Einhaltung durch die Eintragung in ein hierfür vorgesehenes Register bescheinigt wird (EuGH-Urteil Solleveld u.a. in Slg. 2006, I-3617, BFH/NV 2006, 299, Beilage 3 Rdnr. 46; BFH-Urteile in BFHE 231, 326, BStBl II 2011, 195, unter II.2., und in BFH/NV 2012, 1186, unter II.1.).
19 bb) Danach hat das FG nach den Verhältnissen des Streitfalls zu Recht entschieden, dass bereits die erfolgreiche Ablegung der staatlichen Prüfung nach § 4 Satz 2 PodG im Regelfall zu der erforderlichen Berufsqualifikation führt.
20 Bereits mit der erfolgreichen Ablegung der Prüfung wird im Regelfall eine dem Podologen qualitativ gleichwertige Tätigkeit ausgeübt. Hierfür spricht insbesondere, dass das PodG die Erbringung fußpflegerischer Leistungen nicht unter einen Genehmigungsvorbehalt stellt. Der Erlaubnisvorbehalt nach § 1 Abs. 1 PodG bezieht sich, wie das FG zutreffend entschieden hat, vielmehr nur auf das Führen einer Berufsbezeichnung. Verboten ist danach nur das Führen einer durch das PodG geschützten Berufsbezeichnung ohne entsprechende Erlaubnis, nicht aber die Leistungserbringung als solche (, SozR 4-2500 § 124 Nr. 2, unter 2.e). Der Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 PodG kommt daher nicht die Bedeutung zu, das Erbringen bestimmter Leistungen den Titelführungsberechtigten vorzubehalten. Der Erlaubnis schließt sich auch kein gesondertes Überwachungsverfahren nach dem PodG an, durch das sichergestellt wird, dass die Qualität der Leistung sichergestellt ist. Unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung zum Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der es verbietet, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln, ist daher davon auszugehen, dass die Leistungen eines Unternehmers, der die in § 4 PodG vorgesehene staatliche Prüfung bestanden hat, gleichartig zu den Leistungen sind, die ein Unternehmer erbringt, der nicht nur diese Prüfung bestanden hat, sondern darüber hinaus auf seinen Antrag auch die Erlaubnis erhalten hat, die Berufsbezeichnung Podologe zu führen.
21 cc) Für seine gegenteilige Auffassung kann sich das FA nicht auf das von ihm in Bezug genommene (BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621) berufen. Danach übt ein medizinischer Fußpfleger keinen dem Beruf des Heilpraktikers oder des Krankengymnasten ähnlichen Beruf i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes aus. Auf die einkommensteuerrechtliche Beurteilung kommt es indes im Hinblick auf die gebotene richtlinienkonforme Auslegung (s. oben II.2.) nicht an.
22 dd) Für die Steuerfreiheit der für die Klägerin durch Herrn A ausgeführten Leistungen reichte es im Übrigen aus, dass ihr Gesellschafter (Herr A) über die erforderliche Berufsqualifikation verfügte (vgl. , BFHE 219, 241, BStBl II 2008, 262, Leitsätze 1 und 2).
23 c) Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, da das FG keine Feststellungen zur Frage getroffen hat, ob und inwieweit die Leistungen der Klägerin als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin anzusehen sind. Hieran würde es z.B. für Leistungen auf vorwiegend kosmetischem Gebiet fehlen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BStBl 2014 II Seite 126
BB 2013 S. 853 Nr. 15
BFH/NV 2013 S. 880 Nr. 5
BFH/PR 2013 S. 198 Nr. 6
BStBl II 2014 S. 126 Nr. 3
DB 2013 S. 6 Nr. 14
DStR 2013 S. 10 Nr. 14
DStRE 2013 S. 670 Nr. 11
DStZ 2013 S. 326 Nr. 10
HFR 2013 S. 517 Nr. 6
KÖSDI 2013 S. 18363 Nr. 5
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2013 S. 1062
StB 2013 S. 141 Nr. 5
StBW 2013 S. 387 Nr. 9
StBW 2013 S. 451 Nr. 10
StuB-Bilanzreport Nr. 12/2013 S. 474
UR 2013 S. 381 Nr. 10
UStB 2013 S. 138 Nr. 5
UVR 2013 S. 259 Nr. 9
DAAAE-32900