BGH Beschluss v. - V ZB 176/12

Instanzenzug:

Gründe

I.

1 Das Landgericht hat den Beklagten mit am zugestelltem Urteil zur Herausgabe eines Bildes innerhalb von vier Wochen und für den Fall der Versäumung dieser Frist zur Zahlung von 10.900 € nebst Zinsen verurteilt. Am Tag der Zustellung hat der Beklagte Berufung eingelegt und "der Begründung des Rechtsmittels vorangehend" Akteneinsicht beantragt. Die Akten sind dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am zur Einsicht übersandt und von diesem am zurückgesandt worden. Nach einem Hinweis auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat der Beklagtenvertreter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung dieser Frist beantragt. Diese hat das Berufungsgericht abgelehnt und die Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde, mit der er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist erreichen möchte.

II.

2 Das Rechtsmittel ist unzulässig.

3 1. Die Rechtsbeschwerde ist zwar statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Zulässig ist sie aber nur, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO; , BGHZ 155, 21, 22). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

4 2. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht.

5 a) Im Ansatz zutreffend geht der Beklagte davon aus, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts auch erfordert (dazu: Senat, Beschlüsse vom - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227, vom - V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217 und vom - V ZB 193/10, ZWE 2011, 174, 175), wenn das Berufungsgericht der unterlegenen Partei den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschwert (vgl. dazu: BVerfGE 40, 88, 91; 67, 208, 212 f.; BVerfG NJW 1996, 2857; 2000, 1636; 2001, 1566; NJW-RR 2001, 1076; Senat, Beschluss vom - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368).

6 b) Eine solche unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu der an sich gegebenen Berufung kann auch darin liegen, dass das Berufungsgericht die an die Wiedereinsetzungsvoraussetzungen zu stellenden Anforderungen - auch unter Berücksichtigung der aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden verfassungsrechtlichen Vorgaben (dazu Senat, Beschluss vom - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227) - überspannt (Senat, Beschluss vom - V ZB 170/09, WuM 2010, 592, 593 Rn. 3). So liegt es hier aber nicht.

7 aa) Nach Ansicht des Berufungsgerichts kann dem Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, weil die Versäumung der Frist nicht unverschuldet war. Der Beklagte habe mit der Berufung nur die Übersendung der Akten, nicht auch die Verlängerung der Begründungsfrist beantragt. Er habe einen solchen Antrag aber vorsorglich stellen müssen und nicht davon ausgehen dürfen, dass er sich auf die verzögerte Bescheidung seines Akteneinsichtsantrags würde berufen dürfen. Dass ihm die Akten tatsächlich nicht zur Verfügung gestanden hätten, rechtfertige die Wiedereinsetzung nicht, weil er die tatsächlich erhobenen Einwände gegen das Berufungsurteil auch ohne Einsicht in die Akten habe vortragen können.

8 bb) Das trifft jedenfalls im entscheidenden Punkt zu und überspannt die Anforderungen an die Wiedereinsetzung nicht.

9 (1) Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat keinen förmlichen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestellt. Ein solcher Antrag lässt sich auch nicht mittelbar seiner Berufungsschrift entnehmen. Darin hat er nur Akteneinsicht beantragt und den Antrag damit begründet, dass er sie zur Vorbereitung der Berufungsbegründung benötige. Dass, aus welchem Grund und in welchem Umfang er damit auch eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist anstrebt, ist diesem Schriftsatz nicht andeutungsweise zu entnehmen.

10 (2) Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hätte einen solchen Antrag aber stellen müssen. Er durfte das Ausbleiben der Gerichtsakten nicht einfach hinnehmen. Er hätte sich in angemessener Zeit nach Stellung des Antrags, jedenfalls rechtzeitig vor Ablauf der Begründungsfrist nach dem Fortgang der Sache erkundigen (Senat, Beschluss vom - V ZB 50/09, NJW-RR 2009, 1429 für unterlassene Benennung des beizuordnenden Rechtsanwalts durch Naturalpartei) und prüfen müssen, welche Auswirkungen das Ausbleiben der Akten auf den Lauf der Begründungsfrist hatte. Dabei hätte sich ergeben, dass das Ausbleiben der Gerichtsakten zwar einen nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO erheblichen Grund zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auch ohne Einvernehmen des Gegners darstellen konnte (vgl. , NJW-RR 2000, 947, 948), die Verlängerung aber nicht ohne weiteres Zutun des Beklagten eintrat, sondern nur auf seinen Antrag und mit Bewilligung des Gerichts. Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte des Beklagten das anders sehen wollte, musste er angesichts des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift Zweifel an der Richtigkeit seiner Ansicht haben und vorsorglich einen Antrag auf Fristverlängerung stellen. Das war ihm ohne weiteres zumutbar, weil an die Begründung des ersten Antrags auf Fristverlängerung keine hohen Anforderungen zu stellen sind und weil er mit dessen positiver Bescheidung hätte rechnen dürfen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 42/10, NJW-RR 2011, 285 Rn. 8 mwN).

11 (3) Die Fristversäumung war auch nicht deshalb unverschuldet, weil dem Prozessbevollmächtigten bei Ablauf der Berufungsbegründungsfrist die Akten tatsächlich nicht zur Verfügung gestanden haben.

12 (a) Zweifelhaft ist zwar, ob sich das, wie das Berufungsgericht meint, daraus ableiten lässt, dass der Beklagte die später vorgetragenen Einwände gegen das Berufungsurteil auch ohne Einsicht in die Akten hätte vortragen können. Welche Einwände der Rechtsmittelführer gegen das angefochtene Urteil vortragen will, soll nämlich gerade auf Grund des Ergebnisses der beantragten Einsicht in die Gerichtsakten entschieden werden. Auf diese Frage kommt es hier aber nicht an.

13 (b) Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht nicht darauf, dass dem Beklagten die Gerichtsakten nicht zur Verfügung standen. Hierauf beruhen würde die Fristversäumung im Berufungsverfahren ähnlich wie im Nichtzulassungsbeschwerde- und im Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof nur, wenn die Partei dem Ablauf der Frist nicht (mehr) mit einem Antrag auf Fristverlängerung begegnen könnte (dazu: , NJW-RR 2005, 143, 144). Diese Möglichkeit bestand hier aber. Der Beklagte konnte ohne Weiteres Fristverlängerung beantragen und - wie ausgeführt - auch damit rechnen, dass sie bewilligt würde. Die Versäumung der Frist beruht darauf, dass er den Antrag nicht gestellt hat.

14 3. Deshalb muss die von dem Beklagten als grundsätzlich bedeutsam angesehene Frage nicht entschieden werden, ob der Berufungsführer so lange als an der fristgemäßen Einreichung der Rechtsmittelschrift gehindert anzusehen ist, wie ihm die Prozessakten trotz eines rechtzeitigen Antrags nicht zur Verfügung stehen. Die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist danach auch nicht zur Fortbildung des Rechts erforderlich.

III.

15 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
AAAAE-31608