BGH Urteil v. - III ZR 70/12

Aufklärungspflichtenverletzung des Anlageberaters oder -vermittlers: Widerlegung der Vermutung der Ursächlichkeit eines Prospektfehlers für die Anlageentscheidung

Gesetze: § 280 Abs 1 BGB

Instanzenzug: Az: 5 U 531/11vorgehend LG Erfurt Az: 9 O 1088/10

Tatbestand

1Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung. Auf dessen Empfehlung zeichnete sie im April 2004 eine von einer Treuhandkommanditistin gehaltene Beteiligung an der M.                             AG & Co. KG (künftig: M.   ). Die Klägerin verpflichtete sich, 10.000 € nebst Agio sowie zusätzlich über 15 Jahre hinweg monatliche Raten von 262,50 € zu zahlen. Über das Vermögen der M.   wurde im Jahr 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet.

2Die Klägerin macht geltend, über die Risiken und Nachteile der Anlage nicht aufgeklärt worden zu sein. Zudem sei der Emissionsprospekt, den sie allerdings erst nach der Zeichnung der Anlage erhalten habe, fehlerhaft.

3Das Landgericht hat die auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 14.437,50 € und zum Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten sowie auf Feststellung der Verpflichtung des Beklagten zur Freistellung von künftigen wirtschaftlichen Nachteilen aus der Beteiligung gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Gründe

4Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

5Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil beruht aber inhaltlich nicht auf der Säumnis des Beklagten, sondern auf der Berücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstands (vgl. z.B. Senatsurteil vom - III ZR 44/06, NJW-RR 2007, 621 Rn. 6; , BGHZ 37, 79, 81 ff).

6Der Rechtsstreit ist nicht gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen. Aus der vom Senat beigezogenen Insolvenzakte des Amtsgerichts E.    ergibt sich, dass zwar über das Vermögen des Beklagten ein Insolvenzverfahren eröffnet war. Das Verfahren wurde jedoch, nachdem die Schlussverteilung vollzogen war, am gemäß § 200 Abs. 1 InsO aufgehoben. Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens lässt die Voraussetzung des § 240 Satz 1 ZPO entfallen (z.B. MünchKommZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 240 Rn. 23; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 240 Rn. 15), da der Insolvenzverwalter die Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis verliert (z.B. , NJW 1973, 1198, 1199) und der Schuldner sie wiedererlangt. Die mit Beschluss vom angeordnete, möglicherweise noch nicht abgeschlossene Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) von 1.642,74 € hat ebenfalls nicht zur Verfahrensunterbrechung gemäß § 240 ZPO geführt. Im Fall der Nachtragsverteilung gehen die Verfügungs- und damit die Prozessführungsbefugnis lediglich hinsichtlich des betreffenden Vermögensgegenstands auf den Insolvenzverwalter über (vgl. , BGHZ 83, 102, 103; MünchKommInsO/Hintzen, 2. Aufl., § 200 Rn. 40; Uhlenbruck in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, InsO, 13. Aufl., § 200 Rn. 15 mwN; siehe auch RG, Urteil vom 17. September 1891 - Rep. IV. 136/91, RGZ 28, 68, 70 f), so dass die Unterbrechungswirkung des § 240 ZPO nur in Verfahren eintritt, die den von der Nachtragsverteilung erfassten Vermögensbestandteil zum Gegenstand haben. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

I.

7Das Berufungsgericht hat in dem vor Erlass des angefochtenen Beschlusses gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO gegebenen Hinweis auf das erstinstanzliche Urteil und dessen Begründung vollinhaltlich Bezug genommen. Das Landgericht hat ausgeführt, zwischen den Parteien sei ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen. Der Klägerin sei aber nicht der Beweis für ihre Behauptung gelungen, dass sie unrichtig beraten worden sei. Aus den Bekundungen eines der vernommenen Zeugen habe sich ergeben, dass eine Risikoaufklärung anhand des Prospekts stattgefunden habe. Soweit die Klägerin darauf abstelle, der Emissionsprospekt sei fehlerhaft, sei nicht ersichtlich, dass dies kausal für ihre Beitrittserklärung geworden sei. Nach ihrem eigenen Vortrag habe sie die Unterlage erst deutlich nach Unterzeichnung der Beitrittserklärung erhalten. Auch der Ehemann der Klägerin habe als Zeuge ausgesagt, weder er noch die Klägerin hätten den Prospekt vor oder kurz nach der Beitrittserklärung gelesen. Vielmehr sei dies erst ein oder zwei Jahre später erfolgt.

II.

8Diese Erwägungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstands und der hierzu getroffenen Feststellungen ist ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten gemäß § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung von Pflichten aus einem Anlageberatungsvertrag nicht auszuschließen.

91. Die Würdigung der Vorinstanzen, der Beklagte sei der Klägerin gegenüber zu einer ordnungsgemäßen Beratung über die von ihm empfohlene Anlage verpflichtet gewesen, nimmt die Revision als ihr günstig hin und ist auch rechtlich nicht zu beanstanden.

102. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die vom Berufungsgericht gebilligte Annahme des Landgerichts, etwaige Fehler des Emissionsprospekts könnten nicht ursächlich für die Anlageentscheidung der Klägerin geworden sein.

11a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspricht es der Lebenserfahrung, dass ein Prospektfehler für die Anlageentscheidung ursächlich geworden ist (z.B. Senatsbeschlüsse vom - III ZR 168/08, juris Rn. 5 und vom - III ZR 119/07, juris Rn. 2; , BeckRS 2010, 05639 Rn. 23 m. umfangr. w. N. und vom - II ZR 21/06, ZIP 2008, 412 Rn. 16; vgl. auch Senatsurteil vom - III ZR 20/05, NJW-RR 2006, 685 Rn. 22 mwN). Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Davon ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn der Prospekt bei dem konkreten Vertragsschluss keine Verwendung gefunden hat ( und vom jew. aaO). Widerlegt ist die Vermutung indessen nicht schon, wenn der Anleger den Prospekt nicht ausgehändigt erhalten und gelesen hat. Verwendung findet der Prospekt nämlich schon dann, wenn er den Anlagevermittlern oder -beratern als Arbeitsgrundlage für ihre Beratungsgespräche dient (, juris Rn. 14 und vom - III ZR 290/07, juris Rn. 18; , WM 2012, 646 Rn. 28; vom aaO und vom aaO Rn. 17). Dies gilt, wie sich aus der Senatsentscheidung vom (aaO) sowie aus dem oben erwähnten Urteil des VI. Zivilsenats (aaO) ergibt, nicht nur für die eigentliche Prospekthaftung, sondern auch bei der Verletzung von Aufklärungspflichten eines Anlageberaters oder -vermittlers. Erfolgt die Beratung des Anlegers auf der Basis einer solchen Unterlage, fließen etwaige Fehler des Prospekts in den Inhalt des Gesprächs mit dem Anleger ein und können so für dessen Entscheidung für die empfohlene Investition ursächlich werden. Einen solchen Sachverhalt hat das Berufungsgericht, das die Feststellungen des Landgerichts übernommen hat, seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Danach hat es aufgrund der Aussage des Zeugen M.    unterstellt, dass der Beklagte die Klägerin anhand des Emissionsprospekts über die Anlage beraten hat. Dementsprechend können sich Fehler des Prospekts auf die Entscheidung der Klägerin zugunsten der Beteiligung an der M.   ausgewirkt haben.

12b) Hiernach hätten die Vorinstanzen die Klage nicht ohne Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen den Beklagten (siehe zur Haftung von Anlageberatern und -vermittlern im Zusammenhang mit Prospektfehlern insbesondere , juris Rn. 14 und vom - III ZR 17/08, WM 2009, 739 Rn. 12 f) abweisen dürfen.

133. Da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1, 3 ZPO).

Schlick                            Herrmann                                Hucke

                Tombrink                               Remmert

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
GAAAE-28911