BGH Beschluss v. - XI ZR 441/11

Instanzenzug:

Gründe

I.

1 Der Kläger nimmt die beklagte Bank auf Rückabwicklung einer Beteiligung an der V. 3 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V 3) sowie der V. 4 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V 4) in Anspruch.

2 Der Kläger zeichnete nach vorheriger Beratung durch den Mitarbeiter S. der Beklagten am eine Beteiligung an V 3 im Nennwert von 50.000 € zuzüglich Agio in Höhe von 2.500 € sowie am eine Beteiligung an V 4 nebst Agio in Höhe von 100.000 € zuzüglich Agio in Höhe von 5.000 €, wobei ein Anteil in Höhe von 45,5% der Beteiligungssumme an V 4 durch ein endfälliges Darlehen der H. finanziert wurde.

3 Nach dem Inhalt der Verkaufsprospekte sollten 8,9% der jeweiligen Zeichnungssumme sowie das jeweilige Agio in Höhe von 5% zur Eigenkapitalvermittlung (V 3) bzw. Eigenkapitalvermittlung, Platzierungsgarantie und Finanzierungsvermittlung (V 4) durch die V. AG (im Folgenden: V. AG) verwendet werden. Die V. AG durfte ausweislich der Prospekte ihre Rechte und Pflichten aus der Vertriebsvereinbarung auf Dritte übertragen. Die Beklagte erhielt für den Vertrieb der Anteile Provisionen in Höhe von 8,25% (V 3) bzw. zwischen 8,45 und 8,72% (V 4) der jeweiligen Zeichnungssumme, ohne dass dies dem Kläger im Beratungsgespräch offengelegt wurde.

4 Der Kläger verlangt mit seiner Klage unter Berufung auf mehrere Aufklärungs- und Beratungsfehler die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals in Höhe von insgesamt 112.000 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligungen. Ferner begehrt er die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihn von allen wirtschaftlichen und steuerlichen Nachteilen im Zusammenhang mit dem Erwerb der Beteiligungen sowie von allen Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit dem zur Finanzierung der Beteiligung V 4 aufgenommenen Darlehen freizustellen. Weiter begehrt er die Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten mit der Rücknahme der Beteiligungen.

5 Die Klage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen und seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass zwischen den Parteien konkludent Beratungsverträge zustande gekommen seien, aufgrund derer die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Kläger darauf hinzuweisen, dass sie von der V. AG aufklärungspflichtige Rückvergütungen in Höhe von 8,25% bzw. 8,72% des jeweiligen Zeichnungskapitals erhalten habe. Diese Verpflichtung habe die Beklagte schuldhaft verletzt. Auch aus den Verkaufsprospekten gehe nicht wie erforderlich hervor, dass und in welcher Höhe gerade die Beklagte - und nicht die V. AG - Provisionen erhalten habe. Den vermuteten Schuldvorwurf habe die Beklagte nicht entkräften können. Insbesondere habe sich die Beklagte nicht in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum befunden. Für den Kläger streite die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, die die Beklagte nicht widerlegt habe. Der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, sich nach etwaigen Vergütungen der Beklagten zu erkundigen. Dies gelte auch, wenn, wie hier, dem Anleger aus einer vorherigen Beteiligung an einem anderen Medienfonds grundsätzlich bekannt gewesen sei, dass die Beklagte für ihr Engagement eine beachtliche Vergütung beziehe.

II.

6 Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 39/03, WM 2004, 1407, 1408 f. und vom - XI ZR 340/03, BGH-Report 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

7 1. Rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass zwischen den Parteien stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen ist, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet war, den Kläger über die von ihr vereinnahmten Rückvergütungen aufzuklären und dass eine ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers über diese Rückvergütungen weder mündlich noch durch die Übergabe von Informationsmaterial erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 15 ff. mwN). Auch hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde unangegriffen insoweit ein Verschulden der Beklagten bejaht (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 24 f. mwN).

8 2. Gleichfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht im Grundsatz davon ausgegangen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Kläger hätte die Beteiligungen auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütungen erworben.

9 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese "Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens" gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 27 ff. mwN; BVerfG, ZIP 2012, 164 Rn. 20).

10 3. Entgegen der Rechtsansicht der Nichtzulassungsbeschwerde bedurfte es auch keiner Erörterung durch das Berufungsgericht, ob von dieser Beweislastumkehr zugunsten des Klägers nur dann auszugehen ist, wenn diesem bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt, er sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Wie der erkennende Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und eingehend begründet hat, ist das Abstellen auf das Fehlen eines solchen Entscheidungskonfliktes mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr dafür, wie sich der Anleger bei gehöriger Aufklärung verhalten hätte, nicht zu vereinbaren, weshalb die Beweislastumkehr bereits bei - wie hier - feststehender Aufklärungspflichtverletzung eingreift (Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 30 ff. mwN).

11 4. Das angegriffene Urteil verletzt jedoch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.

12 a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 60, 247, 249; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; BVerfG, NJW-RR 2001, 1006, 1007). Die Vorschrift gebietet außerdem die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge, gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt (BVerfG, WM 2012, 492, 493 mwN). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 86, 133, 146; 96, 205, 216 f.; BVerfG, NJW 2000, 131; Senatsbeschluss vom - XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 8).

13 b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.

14 aa) Die Beklagte hat mit ihrem Schriftsatz vom vorgetragen, dass für den Kläger bei seinem Anlageentschluss allein die Steuerersparnis und allenfalls noch Renditechancen sowie das Sicherungskonzept der Schuldübernahme relevant, andere Aspekte jedoch bedeutungslos gewesen seien. Diese für seine Anlageentscheidung maßgeblichen Umstände habe er dem Mitarbeiter der Beklagten im Vertriebsgespräch mitgeteilt. Für diesen sei aufgrund der Offenlegung der Anlagemotive ersichtlich gewesen, dass der Anteil, den die Beklagte von den im Prospekt ausgewiesenen Vertriebsprovisionen erhalte, für die Anlageentscheidung des Klägers ohne Bedeutung gewesen sei. Außerdem sei dem Kläger bewusst gewesen, dass die Beklagte von ihm für die Anlageberatung kein Entgelt erhalten habe und deshalb eine Vergütung offenbar aus anderer Quelle beziehe. Zum Nachweis dieser Behauptungen hat sich die Beklagte auf das Zeugnis ihres Mitarbeiters S. sowie auf die Parteivernehmung des Klägers berufen.

15 bb) Dieser unter Beweis gestellte Vortrag der Beklagten zum Motiv des Klägers, sich an V 3 bzw. V 4 zu beteiligen, ist erheblich (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 52 ff.). Das Berufungsgericht hat sich weder damit befasst, noch sich mit der diesbezüglichen Zeugenaussage des Anlageberaters S. der Beklagten vor dem Landgericht auseinandergesetzt.

16 (1) Der Zeuge hat bekundet, dass es "das Ziel des Klägers bei der Anlage" gewesen sei, "in erster Linie Steuern sparen zu wollen", und "dass es eine vorläufige Steuerverlustzuweisung gab". Das Berufungsgericht hat diese Angaben des Zeugen jedoch ebenso wenig gewürdigt wie das Landgericht.

17 (2) Demgegenüber hat das Berufungsgericht im Hinblick auf das Urteil des OLG Frankfurt/Main vom (OLGR Frankfurt 2009, 828 ff.) lediglich die Frage erörtert, ob der Kläger verpflichtet war, sich nach etwaigen Vergütungen der Beklagten zu erkundigen. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. nur Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 17 mwN) nicht der Fall. Die Tatsache, dass ein Anleger nicht von sich aus dazu verpflichtet ist, nach möglichen Vergütungen der ihn beratenden Bank durch Dritte zu fragen, sagt jedoch nichts darüber aus, wie sich der Anleger im Falle einer ungefragten Offenlegung der vereinnahmten Rückvergütungen durch die Bank verhalten hätte. Indem das Berufungsgericht einerseits den Vortrag der Beklagten zum Nichteingreifen der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens völlig übergangen und sich andererseits nicht mit dem Beweisergebnis erster Instanz auseinandergesetzt hat, hat es verkannt, dass sich eine Partei - hier die Beklagte - die bei einer Beweisaufnahme zu Tage tretenden, ihr günstigen Umstände regelmäßig zumindest hilfsweise zu eigen macht (, NJW 1991, 1541, 1542 und Beschluss vom - VI ZR 325/08, NJW-RR 2010, 495 Rn. 5). Auch die Nichtberücksichtigung des für die Beklagte günstigen Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verletzt deren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (, NJW-RR 2010, 495 Rn. 6) und lässt sich nach den Umständen des Falles ebenso wie die unterbliebene Parteivernehmung des Klägers nur damit erklären, dass das Berufungsgericht dieses Vorbringen der Beklagten bei seiner Entscheidung überhaupt nicht erwogen hat.

18 6. Die unterlassene Würdigung der Angaben des Zeugen vor dem Landgericht sowie die gleichfalls vom Berufungsgericht nicht in Erwägung gezogene Parteivernehmung des Klägers verletzen den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfGE 7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 89, 381, 392 f.). Die Gehörsverletzung führt nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Zulassung der Revision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (, BGHZ 154, 288, 296 f.), und rechtfertigt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache.

19 7. Das Berufungsgericht wird die oben genannten Beweise - soweit nicht bereits erfolgt - zu erheben und zusammen mit den vorgetragenen Indizien (Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 42 ff.) zu würdigen haben. Gegebenenfalls wird es sich auch mit den vom Kläger behaupteten weiteren Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen durch unrichtige Angaben des Anlageberaters der Beklagten über die Verwendung der Anlagegelder sowie über Kapitalgarantien verschiedener Banken auseinanderzusetzen haben (vgl. Senatsbeschluss vom - XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 13 ff.; Henning, WM 2012, 153 ff.).

Fundstelle(n):
OAAAE-27462