BAG Urteil v. - 9 AZR 1/11

Urlaubsabgeltung - tarifliche Ausschlussfrist - keine Inhaltskontrolle bei Bezugnahme des Tarifvertrags in einem Formulararbeitsvertrag - Umfang des Schadens bei Leistung zur Abwendung der Vollstreckung

Gesetze: § 7 Abs 4 BUrlG, § 307 Abs 1 BGB, § 307 Abs 3 BGB, § 310 Abs 4 BGB, § 4 Abs 1 TVG, § 717 Abs 2 ZPO, § 4 Abs 5 TVG

Instanzenzug: ArbG Freiburg (Breisgau) Az: 7 Ca 63/10 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 22 Sa 59/10 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten noch über die Abgeltung von jeweils 30 Urlaubstagen aus den Jahren 2007 und 2008 sowie von 20 Urlaubstagen aus dem Jahr 2009 auf der Grundlage eines Abgeltungsbetrags von 71,76 Euro brutto pro Urlaubstag.

Die Klägerin war vom bis zum auf der Grundlage eines arbeitgeberseitig vorformulierten Formulararbeitsvertrags vom beschäftigt, zuletzt als Fachverkäuferin zu einem Stundenlohn von 9,20 Euro brutto mit einer Wochenarbeitszeit von 39 Stunden. Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise:

In dem Manteltarifvertrag für das Bäckerhandwerk in Baden-Württemberg vom (MTV) heißt es ua.:

4Ab Herbst 2007 war die Klägerin durchgängig arbeitsunfähig krank. Sie bezog ab Oktober 2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, die zunächst bis zum befristet war und anschließend auf der Grundlage eines Bescheids vom als Dauerrente weitergewährt wurde. Mit Schreiben vom forderte die Klägerin die Beklagte ohne Erfolg auf, die ihr noch zustehende Urlaubsabgeltung für die Kalenderjahre 2007 und 2008 bis zum abzurechnen und auszuzahlen.

5Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, auch während der Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit und des Bezugs der Erwerbsminderungsrente seien Urlaubsansprüche entstanden, die nicht verfallen seien. Die Urlaubsregelung unterscheide nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem vereinbarten Mehrurlaub. Der mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstandene Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei nicht aufgrund der tariflichen Ausschlussfrist des MTV untergegangen.

Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Interesse - beantragt,

7Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, in der Zeit ihrer Erwerbsunfähigkeit habe die Klägerin keinen Urlaubsanspruch erworben, weil das Arbeitsverhältnis wegen des Bezugs einer Rente wegen voller Erwerbsminderung geruht habe. Eine Ansammlung von Urlaubsansprüchen über mehrere Jahre hinweg sei nicht gerechtfertigt. Im Übrigen habe die Klägerin die Ausschlussfrist des § 21 MTV nicht gewahrt.

8Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Interesse - mit Urteil vom stattgegeben. Mit Schreiben vom beantragte die Klägerin die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils. Das erstinstanzliche Urteil wurde beiden Parteien am zugestellt und die vollstreckbare Ausfertigung am erteilt. Am forderte die Klägerin die Beklagte per Fax zur Zahlung auf. Danach zahlte die Beklagte den titulierten Betrag.

Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz im Wege der Widerklage beantragt,

10Die Klägerin hat zu ihrem Antrag auf Abweisung der Widerklage die Ansicht vertreten, die Beklagte habe schon deshalb keinen Rückzahlungsanspruch, weil sie aus freien Stücken geleistet habe.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, die Klage insgesamt abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Die Klägerin verfolgt mit der Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils und die Abweisung der Widerklage.

Gründe

12Die Revision der Klägerin ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

13I. Soweit die Klägerin ihren Zahlungsantrag in der Revisionsinstanz erstmals darauf stützt, die Beklagte sei mit der Aushändigung einer Niederschrift der wesentlichen Vertragsbedingungen iSd. Nachweisgesetzes in Verzug gewesen und schulde der Klägerin daher Schadensersatz, ist die Revision unzulässig. Die Schadensersatzklage betrifft einen neuen Streitgegenstand. Der Sache nach handelt es sich um eine Klageerweiterung, die in der Revisionsinstanz grundsätzlich unzulässig ist, weil das Revisionsgericht an das Tatsachenvorbringen und die Feststellungen im Berufungsverfahren gebunden ist (§ 559 ZPO; vgl.  - Rn. 17 mwN, AP ZPO § 264 Nr. 9). Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zum geltend gemachten Schadensersatzanspruch sind nicht getroffen.

14II. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klage unbegründet und die Widerklage der Beklagten begründet ist.

151. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung aus § 7 Abs. 4 BUrlG, § 11 Ziff. 14 MTV. Einer Geltendmachung des Abgeltungsanspruchs steht jedenfalls § 21 Satz 2 MTV entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Geltendmachung von Ansprüchen nach Ablauf der sechswöchigen Ausschlussfrist des § 21 Satz 1 MTV ausgeschlossen.

16a) Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin fand die Regelung des § 21 MTV auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.

17aa) Zwar lässt sich die Geltung des MTV nicht aus dem TVG ableiten. Der für allgemeinverbindlich erklärte MTV war zum gekündigt worden (vgl.  - zu I 2 der Gründe, BAGE 108, 114). Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde nach diesem Zeitpunkt begründet, sodass sich das Arbeitsverhältnis nicht gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach dem MTV richtete. Die Nachwirkung von Tarifnormen erstreckt sich nicht auf ein Arbeitsverhältnis, das erst während des Nachwirkungszeitraums eines ursprünglich für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags begründet wird (st. Rspr., vgl.  - zu I 2 der Gründe, BAGE 109, 369).

18bb) Die Parteien haben die Anwendung der Ausschlussfrist des MTV jedoch vertraglich vereinbart. Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses im Nachwirkungszeitraum schließt es nicht aus, dass die Arbeitsvertragsparteien die abgelaufenen Tarifbestimmungen einzelvertraglich in Bezug nehmen ( - Rn. 32, 36, AP BGB § 305c Nr. 8 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 12; - 10 AZR 33/06 - Rn. 20, NZA 2007, 164). Dies entsprach dem Willen der Parteien. Ihr Vertrag regelt ausdrücklich, dass „bei tarifvertragslosem Zustand“ die Bestimmungen des alten Tarifvertrags bis zum Abschluss eines neuen als vereinbart gelten. Es ist dabei unerheblich, dass in dem von der Beklagten vorformulierten Formulararbeitsvertrag zweifach mit unterschiedlichem Wortlaut auf den Tarifvertrag Bezug genommen wurde.

19(1) Keine der beiden Bezugnahmeklauseln lässt sich im Hinblick auf ihren klaren Wortlaut so auslegen, dass die Bestimmungen des MTV und damit auch die Ausschlussfrist des § 21 MTV nicht in Bezug genommen werden. Für eine Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB, nach dem Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zulasten des Verwenders gehen, ist daher kein Raum.

20(2) Die Bezugnahmeklauseln in dem von der Beklagten vorformulierten Arbeitsvertrag sind auch nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Sinn des Transparenzgebots ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird ( - Rn. 14, BAGE 124, 259). Für die Annahme, eine Klausel verstoße gegen das Transparenzgebot, reicht es deshalb nicht aus, dass der Arbeitnehmer keine oder nur eine erschwerte Möglichkeit hat, die betreffende Regelung zu verstehen ( - Rn. 77, AP TVG § 1 Altersteilzeit Nr. 38 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 21). Erst in der Gefahr, dass der Arbeitnehmer wegen unklar abgefasster Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht erkennen kann, ob und wie er seine Rechte wahrnehmen kann, liegt die für die Rechtsfolge der Unwirksamkeit erforderliche unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 BGB( - Rn. 43, AP TzBfG § 9 Nr. 7 = EzA TzBfG § 9 Nr. 5; - 5 AZR 630/06 - Rn. 27, BAGE 122, 12).

21Die beiden Klauseln sind ausreichend klar und verständlich und in Bezug auf die Anwendbarkeit der tariflichen Vorschriften nicht widersprüchlich. Zwar enthält die den Vertrag einleitende Bezugnahme - anders als die zweite - keinen Vorbehalt dahin gehend, dass der Tarifvertrag nur insoweit zur Anwendung gelangen soll, als im Arbeitsvertrag nichts anderes vereinbart wurde. Dieser Vorbehalt ist jedoch grundsätzlich jeder arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel immanent, ohne dass er ausdrücklich vereinbart werden muss. Insofern haben beide Bezugnahmeklauseln den gleichen Inhalt. Der Arbeitsvertrag enthält weder eine Regelung, die dem Regelungsbereich des § 21 MTV entspricht, noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Parteien die Geltung von Ausschlussfristen für ihr Arbeitsverhältnis ausschließen wollten. Es bestand daher keine Gefahr, dass die Klägerin in der Annahme, die Verfallfristen sollten nicht gelten, von einer Geltendmachung von Ansprüchen abgesehen hat.

22b) Die Parteien konnten die Geltung einer sechswöchigen tariflichen Ausschlussfrist vereinbaren.

23aa) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Länge der Verfallfrist keiner Angemessenheitskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB zu unterziehen.

24(1) Nach dem Wortlaut des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB finden die §§ 305 bis 310 BGB auf Tarifverträge keine Anwendung. § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB enthält seinem Wortlaut nach keine Einschränkung dahin, dass dies nur für Tarifverträge gelten soll, die kraft Tarifbindung unmittelbar und zwingend gelten (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Der gesetzliche Gesamtzusammenhang spricht gleichfalls gegen eine Inhaltskontrolle einschlägiger tarifvertraglicher Regelungen, die im Arbeitsvertrag im Wege der Globalverweisung in Bezug genommen worden sind ( - Rn. 22, BAGE 123, 191). Nach § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB stehen Tarifverträge Rechtsvorschriften iSv. § 307 Abs. 3 BGB gleich. Mit der uneingeschränkten Verweisung auf den einschlägigen Tarifvertrag erlangen die tarifvertraglichen Bestimmungen bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern erst Geltung im Arbeitsverhältnis. Die Verweisung führt damit nicht zu einer Abweichung von Rechtsvorschriften iSv. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB, sondern zu deren Anwendbarkeit. Eine Inhaltskontrolle hat in diesem Fall nicht zu erfolgen, weil sie gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nur bei einer Abweichung von Rechtsvorschriften stattfindet (vgl.  - Rn. 50; - 6 AZR 442/03 - zu II 2 e der Gründe, BAGE 112, 64; ErfK/Preis 12. Aufl. §§ 305 - 310 BGB Rn. 13; HWK/Gotthardt 5. Aufl. § 307 BGB Rn. 14). Die Vermutung der Angemessenheit endet nicht mit der Kündigung des Tarifvertrags durch eine der Tarifvertragsparteien (aA wohl Thüsing/Lambrich NZA 2002, 1361, 1363). Das folgt schon daraus, dass das Gesetz bei tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien gemäß § 4 Abs. 5 TVG die Nachwirkung des gekündigten Tarifvertrags anordnet (vgl.  - zu 4 b der Gründe, BAGE 65, 359). Ordnet das Gesetz die Geltung des außer Kraft getretenen Tarifvertrags an (vgl.  - BAGE 27, 22), sind keine Gründe ersichtlich, die dagegen sprechen, eine solche Geltung auch ohne Angemessenheitsprüfung durch Formulararbeitsvertrag herbeiführen zu können. Ob etwas anderes gilt, wenn die Tarifvertragsparteien die Nachwirkung des Tarifvertrags ausgeschlossen haben (vgl. dazu  - zu I 1 b der Gründe, BAGE 53, 1), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.

25(2) Die Parteien haben eine Globalverweisung in diesem Sinne vereinbart. Es sollten nach dem Wortlaut des Vertrags die jeweils gültigen Bestimmungen des Manteltarifvertrags für das Bäckerhandwerk in Baden-Württemberg zur Anwendung kommen. Dabei wurde nicht nur auf bestimmte Regelungsgegenstände Bezug genommen. In der zweiten Bezugnahmeklausel werden in einem Klammerzusatz zwar bestimmte Regelungskomplexe ausdrücklich erwähnt. Aus den Begriffen „z. B.“ und „etc.“ ergibt sich jedoch, dass diese Aufzählung nur beispielhaft und gerade nicht abschließend ist. Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin folgt nicht allein aus der Formulierung „soweit vorstehend nichts anderes vereinbart wurde“, dass die Parteien nur eine Teilverweisung vereinbaren wollten. Die Klägerin hat keine Regelung des Arbeitsvertrags benannt, die dahin gehend auszulegen sei, dass durch sie eine vom Manteltarifvertrag abweichende Vereinbarung getroffen werden sollte. Es ist nicht ersichtlich, dass die der fraglichen Klausel vorangehenden Vereinbarungen der Parteien zu Arbeitspapieren, zum Direktionsrecht, zu Zulagen, Lohnabtretungen, Nebentätigkeiten und der Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen zulasten der Klägerin eine Regelung beinhalten, die dazu geeignet ist, die Angemessenheitsvermutung des Tarifvertrags infrage zu stellen. Vor diesem Hintergrund war nicht zu entscheiden, ob auch Teilverweisungen auf Tarifverträge zu einem Ausschluss der Angemessenheitsprüfung nach § 307 BGB führen (vgl. zum Meinungsstand:  - Rn. 29, AP BGB § 307 Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 310 Nr. 8; ErfK/Preis §§ 305 - 310 BGB Rn. 17 ff.; HWK/Gotthardt § 307 BGB Rn. 14).

26bb) Es kann dahinstehen, ob und ggf. inwieweit Tarifvertragsparteien beim Abschluss von Tarifverträgen an europäische Richtlinien iSd. Art. 288 AEUV gebunden sind. Die Ausschlussfristenregelung des § 21 MTV steht in Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom S. 9).

27(1) Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG gebietet nicht, dass eine Ausschlussfrist für den Urlaubsabgeltungsanspruch die Dauer des Bezugszeitraums des Urlaubsanspruchs deutlich übersteigt. Eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht ( - Rn. 22 ff., AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 93 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 20).

28(2) Die Ausschlussfrist schränkt die Effektivität der Durchsetzung des europarechtlich gewährleisteten Anspruchs auf Urlaubsabgeltung nicht unzulässig ein. Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren ( - [Bulicke] Rn. 25 mwN, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 16 = EzA AGG § 15 Nr. 8). Die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen ist grundsätzlich mit dem Erfordernis der Effektivität vereinbar, weil eine solche Festsetzung ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist. Die Prüfung der Angemessenheit ist Sache des nationalen Gerichts ( - [Bulicke] Rn. 36 mwN, 42, aaO). Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist daher nicht erforderlich (vgl.  - Rn. 38, NZA 2012, 1090).

29Eine Frist von sechs Wochen ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses erscheint nicht so kurz, dass es Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis endet, nicht gelingen kann, die Frist zur Geltendmachung ihrer Urlaubsabgeltungsansprüche zu wahren. Der Senat hat in seinem Urteil vom (- 9 AZR 399/10 - Rn. 27, AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 93 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 20) eine tarifliche Frist von zwei Monaten als ausreichend lang angesehen, weil der ausscheidende Arbeitnehmer grundsätzlich in der Lage ist, seine Ansprüche anhand des Bundesurlaubsgesetzes und der einschlägigen tariflichen Vorschriften selbst zu berechnen. Die Klägerin hat keine Umstände vorgetragen und es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass eine um etwas mehr als zwei Wochen kürzere Frist dazu führen würde, dass die Durchsetzung des Abgeltungsanspruchs übermäßig erschwert würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ausschlussfrist nach § 21 Satz 3 MTV gehemmt ist, solange ein Arbeitnehmer durch außerordentliche Störung seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht in der Lage ist, Ansprüche gemäß § 21 Satz 1 MTV geltend zu machen. Das Vorliegen einer solchen Störung hat die Klägerin nicht geltend gemacht.

30cc) Nach nationalem Recht spricht eine Vermutung dafür, dass die sechswöchige Verfallfrist des § 21 Satz 1 MTV angemessen ist. Als tarifliche Regelung unterliegt sie keiner Angemessenheitskontrolle durch die Gerichte (vgl.  - zu II 3 b cc der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 226 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 132; - 5 AZR 174/94 - zu III 1 der Gründe, BAGE 81, 5).

31c) Die Klägerin hat ihren Abgeltungsanspruch nicht rechtzeitig iSd. § 21 MTV schriftlich geltend gemacht.

32aa) Auf eine Geltendmachung in ihrem Kündigungsschreiben kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Zur Geltendmachung im Sinne tariflicher Ausschlussfristen gehört, die andere Seite zur Erfüllung des Anspruchs aufzufordern. Der Anspruchsinhaber muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er Inhaber einer bestimmten Forderung ist und auf deren Erfüllung besteht. Eine Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen setzt daher jedenfalls voraus, dass der Anspruch seinem Grunde nach hinreichend deutlich bezeichnet wird (vgl.  - zu II 1 a der Gründe mwN, AP BAT-O §§ 22, 23 Nr. 28; ErfK/Preis §§ 194 - 218 BGB Rn. 59). Wenn die Klägerin gemäß ihrem Vortrag im Revisionsverfahren die Beklagte im Kündigungsschreiben bat, das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß zum abzurechnen, machte sie damit keine Urlaubsabgeltungsansprüche im Sinne von § 21 Satz 1 MTV geltend. Unabhängig davon, dass nach dem Wortlaut nur eine Abrechnung (vgl. § 108 GewO) und keine Zahlung verlangt wurde, fehlt auch jeglicher Hinweis darauf, dass eine Abgeltung von Urlaub beansprucht wurde.

33bb) Ohne Rechtsfehler ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass auch durch das Schreiben der Klägerin vom die Ausschlussfrist des § 21 MTV nicht gewahrt wurde. Zu jenem Zeitpunkt war ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung noch nicht entstanden. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung entsteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ( - Rn. 22, NZA 2012, 750). Das Arbeitsverhältnis endete erst aufgrund der Eigenkündigung der Klägerin mit Ablauf des . Vor dem Entstehen des Abgeltungsanspruchs konnte die Klägerin diesen im Februar 2009 nicht iSd. § 21 MTV geltend machen, zumal damals der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht feststand.

34(1) Aus dem Wortlaut des § 21 Satz 1 MTV, auf den es für die Tarifauslegung zunächst ankommt, folgt zwar nicht ausdrücklich, dass eine Geltendmachung erst nach dem Entstehen des Anspruchs erfolgen kann. Diese Vorschrift legt nur fest, dass alle gegenseitigen Ansprüche innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Entstehen schriftlich geltend zu machen sind. Auch § 21 Satz 2 MTV regelt nur, dass „nach Ablauf“ dieser Frist eine Geltendmachung ausgeschlossen ist.

35(2) Aus dem Zweck der Ausschlussfrist ergibt sich jedoch, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen nach dem Vorbringen des Anspruchstellers bei der Geltendmachung grundsätzlich bereits vorliegen oder ihr Eintreten als sicher gelten muss, um die tarifliche Ausschlussfrist zu wahren. Ausschlussfristen bezwecken, dass sich der Anspruchsgegner auf die aus Sicht des Anspruchstellers noch offenen Forderungen rechtzeitig einstellt, Beweise sichert oder vorsorglich Rücklagen bilden kann (vgl.  - zu I 4 b der Gründe, BAGE 109, 100). Sie sollen zur raschen Klärung von Ansprüchen beitragen. Dieser Zweck kann nicht erfüllt werden, wenn Ansprüche vor ihrer Entstehung geltend gemacht werden und damit letztlich nur als möglich angekündigt werden (vgl.  - Rn. 35 mwN, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 79; - 6 AZR 5/08 - Rn. 14 mwN, AP BAT § 70 Nr. 39). Vor dem Entstehen eines Anspruchs ist regelmäßig ungewiss, ob, wann und in welchem Umfang der Schuldner überhaupt zur Zahlung verpflichtet sein wird. Dementsprechend setzt die tariflich wirksame Geltendmachung eines Anspruchs nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich den Bestand des Anspruchs voraus ( - aaO; vgl. - 6 AZR 5/08 - aaO; - 5 AZR 385/02 - zu III 1 a der Gründe, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 177; - 6 AZR 539/02 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 109, 100; ebenso Schaub/Treber ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 209 Rn. 56; Weyand Ausschlussfristen im Tarifrecht Kap. 6 Rn. 78).

36(3) Dies gilt im Hinblick auf die Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen jedenfalls dann, wenn Urlaubsabgeltung - wie hier - lange vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beansprucht wird und die Beendigung oder der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht sicher ist. In einem solchen Fall können weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Verlangens absehen, ob überhaupt Urlaubsabgeltungsansprüche entstehen und für wie viele Urlaubstage ggf. bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich noch ein Urlaubsabgeltungsanspruch in welcher Höhe entstehen wird. Aufgrund gesetzlicher oder tariflicher Verfallregelungen kann Urlaub zwischenzeitlich noch verfallen. Je nach dem Beendigungszeitpunkt kann dieser Kürzungsregelungen unterliegen (§ 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG). Die verfrühte Geltendmachung kann deshalb allenfalls punktuell den „Ist-Zustand“ der Urlaubshöhe zum Zeitpunkt der Geltendmachung abbilden, auf den es für den erst später entstehenden Urlaubsabgeltungsanspruch jedoch nicht ankommt. Soweit sie auf den noch ungewissen künftigen Beendigungszeitpunkt bezogen wird, geschieht sie „ins Blaue hinein“. Die Zulassung einer solchen „Vorratsgeltendmachung“ ohne erkennbaren Anlass in einer noch wandelbaren Situation würde nicht zur schnellen Klärung von Ansprüchen beitragen, sondern die Ausschlussfrist ins Leere laufen lassen.

372. Die Widerklage ist begründet. Die Beklagte hat gegenüber der Klägerin aus § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO einen Anspruch auf Rückzahlung von 5.740,80 Euro.

38a) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dass die Beklagte die Zahlung in Höhe von 5.740,80 Euro brutto zur Abwendung der Zwangsvollstreckung leistete, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Urteil des Arbeitsgerichts war gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG vorläufig vollstreckbar. Die Voraussetzungen einer Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung liegen vor.

39aa) Der Schuldner leistet „zur Abwendung der Vollstreckung“ und nicht freiwillig, wenn er sich damit einem gegen ihn ausgeübten „Vollstreckungsdruck“ beugt. Der vollstreckungsabwendende Zweck der Leistung kann sich aus den Umständen ergeben ( - zu II 1 a aa der Gründe mwN, AP ZPO § 717 Nr. 8 = EzA ZPO 2002 § 717 Nr. 2). Es genügt, wenn der Schuldner damit rechnen musste, dass die Vollstreckung demnächst beginnt ( - Rn. 25 mwN, AP ZPO § 717 Nr. 9). Nicht erforderlich ist, dass der Gläubiger bereits Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet hat. Wenn der Gläubiger alle Vollstreckungsvoraussetzungen herbeigeführt hat, trifft ihn nur dann keine Haftung nach § 717 Abs. 2 ZPO, wenn er gegenüber dem Schuldner deutlich macht, daraus keine Rechte herzuleiten (vgl.  Xa ZR 66/10 - Rn. 25, NJW-RR 2011, 338; Ulrici in BeckOK ZPO Stand § 717 Rn. 13.2).

40bb) Zwar hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt, dass die Klägerin ausdrücklich mit Vollstreckungsmaßnahmen drohte. Den genauen Inhalt der schriftlichen Zahlungsaufforderung hat das Landesarbeitsgericht nicht aufgeklärt. Die Klägerin war jedoch über das zum Betreiben des Erkenntnisverfahrens Erforderliche hinausgegangen und hatte eine Handlung vorgenommen, die der Durchsetzung des Titels diente, indem sie unmittelbar nach der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Titels eine Zahlungsaufforderung an die Beklagte sandte. Damit forderte sie erst, aber auch sofort zur Zahlung auf, nachdem die Voraussetzungen für die Vollstreckung des Urteils geschaffen waren. Die Klägerin hat nicht geltend gemacht, dass sie deutlich gemacht habe, trotz Vorliegens der Voraussetzungen keine Zwangsvollstreckung betreiben zu wollen. Das Verhalten der Klägerin konnte die Beklagte - auch ohne ausdrückliche Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen in der Zahlungsaufforderung - nur so verstehen, dass bei einer Nichtzahlung die Vollstreckung bevorstand. Dies hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen.

41b) Der im Rahmen von § 717 Abs. 2 ZPO ersatzfähige Schaden umfasst auch die unstreitig abgeführten Steuern und den Arbeitnehmeranteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. § 717 Abs. 2 ZPO gewährt einen materiellrechtlichen Anspruch auf Schadensersatz, nicht auf Herausgabe der Bereicherung. Er setzt daher nicht voraus, dass der Gläubiger durch die Vollstreckung etwas erlangt hat ( - zu II 1 b aa (1) der Gründe mwN, AP ZPO § 717 Nr. 8 = EzA ZPO 2002 § 717 Nr. 2). Für den Umfang des Schadensersatzanspruchs gelten die §§ 249 ff. BGB ( - Rn. 28 mwN, AP ZPO § 717 Nr. 9).

42aa) Der Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO umfasst bei einem zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Entgeltbetrag, wenn der Arbeitgeber - wie hier - zur Zahlung des Bruttobetrags verurteilt worden ist, die vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer gezahlte Lohnsteuer, den Solidaritätszuschlag und ggf. die Kirchensteuer (vgl.  - Rn. 30 mwN, AP ZPO § 717 Nr. 9).

43bb) Der Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO erstreckt sich auch auf den abgeführten Arbeitnehmeranteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (vgl.  - zu A V 2 a der Gründe;  - zu II 2 d dd der Gründe).

44(1) Der Arbeitgeber schuldet dem Arbeitnehmer den gesamten Bruttobetrag. Die arbeitsrechtliche Vergütungspflicht beinhaltet nicht nur die Nettoauszahlung, sondern umfasst auch die Leistungen, die nicht in einer unmittelbaren Auszahlung an den Arbeitnehmer bestehen ( - zu II 2 der Gründe mwN, AP SGB IV § 26 Nr. 1 = EzA BGB § 812 Nr. 7). Bei der Zwangsvollstreckung aus einem Zahlungsurteil kann dementsprechend der volle Betrag beigetrieben werden (vgl.  - zu II 1 c aa (1) der Gründe mwN, AP ZPO § 717 Nr. 8 = EzA ZPO 2002 § 717 Nr. 2). Im Moment der Leistung zur Abwendung der Zahlungsverpflichtung musste die Beklagte davon ausgehen, dass eine Zwangsvollstreckung nur abgewendet werden könne, wenn der Anteil des titulierten Bruttobetrags, der dem Arbeitnehmeranteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags entspricht, auch gezahlt werde. Insofern stellt auch die geleistete Zahlung einen Schaden im Sinne des § 717 Abs. 2 ZPO dar.

45(2) Die Beklagte kann die Rückzahlung des Geldbetrags verlangen und muss sich nicht auf die Abtretung eines Erstattungsanspruchs aus § 26 SGB IV, der mit dem Aufwand und dem Risiko (vgl. zB Verfallklausel, § 26 Abs. 2 SGB IV sowie § 26 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 SGB IV) einer Rückabwicklung verbunden ist, verweisen lassen. Im Rahmen des § 717 Abs. 2 ZPO ist nicht maßgeblich, ob und ggf. was die Klägerin erlangte (vgl. dazu  - zu II 3 der Gründe mwN, AP SGB IV § 26 Nr. 1 = EzA BGB § 812 Nr. 7), sondern der bei der Beklagten eingetretene Schaden. Dies ist der insgesamt gezahlte Betrag.

46cc) Der Schadensersatzanspruch entfällt nicht dadurch, dass die Beklagte ggf. gegenüber Dritten die Rückzahlung der abgeführten Beträge verlangen könnte. Aus dem Rechtsgedanken des § 255 BGB folgt, dass ein Schadensersatzanspruch nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass sich der Geschädigte wegen eines entstandenen Vermögensnachteils auch an einen Dritten halten kann ( - zu II 1 b bb der Gründe mwN, AP ZPO § 717 Nr. 8 = EzA ZPO 2002 § 717 Nr. 2).

47dd) Der Anspruch der Beklagten aus § 717 Abs. 2 ZPO ist auch nicht durch ein mitwirkendes Verschulden gemäß § 254 BGB gemindert oder ausgeschlossen. Der Einwand des Mitverschuldens ist nur zulässig, soweit es um den weiteren Vollstreckungsschaden (insbesondere Bürgschaftskosten, Zinsaufwendungen und -ausfälle) geht (vgl.  - Rn. 38 mit ausführlicher Begründung und mwN, AP ZPO § 717 Nr. 9). Der Einwand ist dagegen ausgeschlossen, soweit der Schuldner des vorläufig vollstreckbaren Titels - wie hier - nach § 717 Abs. 2 ZPO nur die Erstattung desjenigen verlangt, was der Vollstreckungsgläubiger durch die Vollstreckung oder aufgrund einer zu deren Abwendung erbrachten Leistung des Vollstreckungsschuldners erhalten hat (vgl.  - aaO).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 179 Nr. 4
BB 2013 S. 1977 Nr. 33
JAAAE-25699