BAG Urteil v. - 1 AZR 565/11

Instanzenzug: ArbG Herford Az: 2 Ca 1114/10 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 8 Sa 94/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Annahmeverzugsansprüche während eines Arbeitskampfes.

2Die nicht tarifgebundene Beklagte beschäftigt etwa 45 Arbeitnehmer. Ende März 2010 forderte die tarifzuständige Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) sie zur Aufnahme von Tarifverhandlungen über den Abschluss eines Haustarifvertrags auf. Am wurde eine Tarifkommission gewählt und zeitgleich die Durchführung einer Betriebsratswahl vorbereitet. Am Folgetag kündigte die Beklagte dem Kläger und weiteren Mitgliedern der Tarifkommission ordentlich zum und stellte ihn von der Arbeit frei. Am erteilte sie dem Kläger ein Hausverbot.

3Der Bundesvorstand der IG BAU genehmigte am die Durchführung einer Urabstimmung im Betrieb der Beklagten und die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen. Am folgenden Tag teilte sie der Beklagten mit, 95,5 % der organisierten Beschäftigten hätten sich für einen Streik ausgesprochen. Sie forderte die Beklagte deshalb auf, ihr bis 10:00 Uhr schriftlich mitzuteilen, dass sie Tarifgespräche anbiete, ansonsten beginne um 10:01 Uhr ein unbefristeter Streik. Nachdem diese die gesetzte Frist verstreichen ließ, rief die IG Bau die Belegschaft der Beklagten zum Streik auf.

4Mit Schreiben vom , das dem Kläger am zuging, kündigte die Beklagte dem Kläger sowie weiteren Arbeitnehmern fristlos. Die hiergegen sowie gegen die zuvor erklärte ordentliche Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklagen hatten, ebenso wie die der anderen gekündigten Beschäftigten Erfolg. Das Arbeitsgericht stellte durch Urteil vom die Unwirksamkeit sämtlicher Kündigungen fest. Der Streik wurde daraufhin - ohne Tarifabschluss - beendet.

5Mit seiner Klage hat der Kläger Annahmeverzugsvergütung für die Zeit vom bis zum verlangt. Er hat gemeint, er habe sich nach der fristlosen Kündigung nicht mehr rechtswirksam am Streik beteiligen, sondern nur noch mit den Streikenden solidarisch erklären können. Er hätte allerdings auch dann gestreikt, wenn er nicht außerordentlich gekündigt worden wäre.

Der Kläger hat beantragt,

7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag weiter.

Gründe

9Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Kläger zu Recht zurückgewiesen.

10I. Der Kläger hat nach § 615 Satz 1 iVm. § 611 Abs. 1 BGB keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Vergütung wegen Annahmeverzugs.

111. Aufgrund der rechtskräftig festgestellten Unwirksamkeit der gegenüber dem Kläger erklärten Kündigungen steht fest, dass zwischen den Parteien im streitgegenständlichen Zeitraum vom bis zum ein Arbeitsverhältnis bestand.

122. Die Beklagte kam durch den Ausspruch der unwirksamen außerordentlichen Kündigung vom an sich in Annahmeverzug. Da in der Kündigung zugleich die Erklärung der Beklagten lag, sie werde die Leistung nicht annehmen, bedurfte es keines Angebots des Klägers, §§ 295, 296 Satz 1 BGB (st. Rspr., zuletzt  - Rn. 12, NZA 2012, 971).

133. Dem Anspruch auf Verzugslohn nach § 615 Satz 1 iVm. § 611 BGB steht jedoch entgegen, dass der Kläger in der Zeit, für die er Annahmeverzugsvergütung verlangt, nicht leistungswillig iSd. § 297 BGB war.

14a) Nach dieser Bestimmung kommt der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Neben der (tatsächlichen oder rechtlichen) Leistungsfähigkeit umfasst § 297 BGB auch die nicht ausdrücklich genannte Leistungswilligkeit. Dies folgt schon daraus, dass ein leistungsunwilliger Arbeitnehmer sich selbst außerstande setzt, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die objektive Leistungsfähigkeit und der subjektive Leistungswille sind von dem Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzungen, die während des gesamten Verzugszeitraums vorliegen müssen ( - Rn. 16, NZA 2012, 858).

15b) Danach war der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht leistungswillig. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 559 Abs. 2 ZPO) hat er sich in der Zeit vom bis zum an dem von der IG BAU geführten Streik beteiligt, indem er sich ua. mit einer Streikweste als Streikposten vor dem Betrieb der Beklagten aufgestellt hat. Er hat sich zudem durch die Veröffentlichung von Texten und Redebeiträgen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Streik betätigt und hierdurch seine fehlende Arbeitsbereitschaft unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Denn Streik ist definitionsgemäß die kollektive Vorenthaltung der geschuldeten Arbeitsleistung, um durch die daraus resultierenden wirtschaftlich schädlichen Folgen Druck auf die Arbeitgeberseite dahin auszuüben, in eine gewünschte tarifvertragliche Regelung einzuwilligen ( - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 115, 247). Wer streikt, ist deshalb nicht leistungswillig iSd. § 297 BGB.

164. Soweit der Kläger die Auffassung vertreten hat, er sei nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung durch die Beklagte nicht mehr deren Arbeitnehmer gewesen und habe deshalb nicht im Rechtssinne streiken können, verkennt er die Folgen des aus seiner Sicht erfolgreichen Kündigungsschutzprozesses. Das Arbeitsverhältnis hat nach der dort getroffenen Feststellung des Arbeitsgerichts durch die jeweiligen Kündigungen nicht geendet, sondern im streitgegenständlichen Zeitraum fortbestanden. Hätte dagegen - wie der Kläger meint - in der Zeit vom bis zum kein Arbeitsverhältnis bestanden, stünde ihm ohnehin kein Anspruch auf Verzugslohn zu, da § 615 BGB nur den vertraglichen Vergütungsanspruch aufrechterhält ( - Rn. 13, BAGE 126, 198). Überdies hat ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil lediglich feststellende und nicht rechtsgestaltende Wirkung (KR/Friedrich 9. Aufl. § 4 KSchG Rn. 17 mwN); es wird also hierdurch nicht rückwirkend für die Zeit nach dem Kündigungstermin bis zur Rechtskraft des Urteils im Kündigungsschutzprozess ein Arbeitsverhältnis geschaffen, sondern nur dessen Fortbestehen festgestellt.

175. Aus der vom Kläger zur Begründung seiner Rechtsauffassung angeführten Senatsentscheidung vom (- 1 AZR 133/04 - BAGE 115, 247) folgt kein anderes Ergebnis. In jenem Fall hatte sich ein Arbeitnehmer, bevor er an einer Streikkundgebung teilnahm, in zulässiger Weise aus dem betrieblichen Zeiterfassungssystem abgemeldet. Dies führte dazu, dass für diese Zeitdauer dem Arbeitszeitkonto auch keine Zeitgutschrift zugeführt wurde. Der Arbeitnehmer befand sich daher während der Teilnahme an der Streikkundgebung in Freizeit und konnte deshalb durch die Streikteilnahme keine Arbeitspflichten aufheben. Hier hat sich der Kläger nicht in seiner Freizeit an einem Streik beteiligt, sondern zu einer Zeit, während derer er nach objektiver Rechtslage zur Erbringung einer Arbeitsleistung verpflichtet gewesen wäre.

18II. Die Versagung der Annahmeverzugsvergütung begegnet keinen arbeitskampfrechtlichen Bedenken.

191. Die Koalitionsbetätigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) des einzelnen Arbeitnehmers wird hierdurch nicht verletzt. Dieser kann durch tatsächlich gezeigte oder doch wenigstens erklärte Solidarität den Druck eines Streiks verstärken, indem er diesem hierdurch öffentliche Aufmerksamkeit verleiht (vgl.  - zu II 7 der Gründe, BAGE 67, 50).

202. Entgegen der Auffassung des Klägers wird die Kampfparität nicht dadurch beeinträchtigt, dass ein außerordentlich gekündigter und damit nicht beschäftigter Arbeitnehmer keinen satzungsrechtlichen Anspruch gegenüber der kampfführenden Gewerkschaft auf Streikbeihilfe hat, sondern nur eine geringere und zudem zurückzuzahlende Solidaritätsunterstützung verlangen kann. Hierbei handelt es sich um eine gewerkschaftsinterne Regelung, die für die Beurteilung der Kampfparität unerheblich ist.

3. Schließlich führte es zu Wertungswidersprüchen, wenn der unwirksam gekündigte Arbeitnehmer während der aktiven Streikteilnahme Annahmeverzugsvergütung verlangen könnte, während seine nicht gekündigten, streikenden Kollegen keinen Entgeltanspruch haben (dazu  - Rn. 13, BAGE 115, 247). Beide Personengruppen befinden sich in der gleichen Situation, da sie nach objektiver Rechtslage in einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis an einem Arbeitskampf teilnehmen. Da der ungekündigte Arbeitnehmer durch die Teilnahme an einem Streik die gegenseitigen Hauptpflichten aufhebt und deshalb für die Zeit der Streikteilnahme seinen Vergütungsanspruch verliert, kann für den unwirksam gekündigten nichts anderes gelten.

Fundstelle(n):
HAAAE-22042