Berechtigtes Feststellungsinteresse; Zuständigkeit für die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten eines FG-Urteils
Leitsatz
1. Wird der angefochtene Verwaltungsakt während des Klageverfahrens wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben, entfällt nach der Rechtsprechung des BVerwG das berechtigte Interesse an einem Feststellungsausspruch nach § 113 Abs. 1 Satz 4 der VwGO selbst dann, wenn sich die Ansicht der Behörde zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht aus den Gründen des Bescheids, sondern lediglich aus einem Aktenvermerk ergibt. Es besteht auch kein Anspruch darauf, dass die Aufhebung auf einen bestimmten Rechtswidrigkeitsgrund gestützt wird. Dies gilt auch für die Fortsetzungsfeststellungsklage im finanzgerichtlichen Verfahren.
2. Haben sich im Verlauf eines Klageverfahrens gegen eine Verfügung zur Aussetzung der Vollziehung mehrere einander ablösende Aussetzungsverfügungen erledigt, besteht ein berechtigtes Interesse an einem Feststellungsausspruch i.S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO nur im Hinblick auf die zuletzt ergangene Aussetzungsverfügung.
3. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der vorangegangenen Aussetzungsanordnungen kann sowohl im Rahmen des Zinsfestsetzungs- als auch des Zinsverzichtsverfahrens eigenständig überprüft werden, ohne dass es eines vorangehenden entsprechenden formellen Ausspruchs des FG in einem gegen die Anordnungen gerichteten Klageverfahren bedarf.
Gesetze: AO § 234, AO § 237, AO § 361, FGO § 68, FGO § 107, FGO § 110 Abs. 1, FGO § 40 Abs. 2, AO § 365 Abs. 3
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 A. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, wurde für das Streitjahr (2000) mit Körperschaftsteuerbescheid vom im Wesentlichen erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung veranlagt.
2 Im Anschluss an eine Betriebsprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) am für das Streitjahr einen geänderten Bescheid über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Feststellungen gemäß § 47 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (KStG 1999), mit dem die Körperschaftsteuer auf . €, die Zinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) auf . € und der Solidaritätszuschlag auf . € festgesetzt wurden. Insgesamt ergab sich eine —von der Klägerin fristgerecht geleistete— Nachzahlung in Höhe von . €.
3 Der hiergegen erhobene Einspruch richtet sich gegen verschiedene Prüfungsfeststellungen, die u.a. Fragen der Aktivierung sowie der Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) betrafen. Während des Einspruchsverfahrens hat das FA am die Vollziehung des angefochtenen Bescheids hinsichtlich aller Nachforderungsbeträge ab dem Zeitpunkt ihrer Fälligkeit () aufgehoben und die Beträge am erstattet.
4 Aufgrund verschiedener Unterredungen der Beteiligten erging am eine Verfügung zur Aussetzung der Vollziehung (AdV) über insgesamt . €. Der Bescheid trat an die Stelle der Verfügung vom . Im Begründungsteil erläuterte das FA, dass die AdV keinen Antrag voraussetze und auch aufgrund haushaltsmäßiger Erwägungen ausgesprochen werden könne, ohne dass die Voraussetzungen des § 361 Abs. 2 Satz 2 AO (ernstliche Zweifel, unbillige Härte) vorliegen müssten. Im Übrigen wies das FA darauf hin, dass die Klägerin gegen die bilanzsteuerrechtlichen Auffassungen der Betriebsprüfung (betreffend Aktivierungen und RAP) mit ihrem Einspruch stichhaltige Argumente vorgetragen habe, welche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der ergangenen Bescheide rechtfertigten. Hiernach seien nur noch die Beträge von der Vollziehung ausgesetzt, die sich auf die im Einspruchsverfahren strittigen Punkte bezögen.
5 Gegen die Verfügung vom hat die Klägerin am Einspruch eingelegt und geltend gemacht, die ihr aufgedrängte AdV sei rechtswidrig. Im Zuge der Verhandlungen über die strittigen Sachverhalts- und Rechtsfragen erklärte die Klägerin, dass sie im Falle eines für sie erfolgreichen Einspruchs in der Hauptsache die Anwendung des § 28 Abs. 4 KStG 1999 mit der Folge akzeptieren würde, hiernach die Gewinnausschüttungen dem EK 02 (§ 30 Abs. 2 Nr. 2 KStG 1999) zu belasten wären und sich demnach eine Steuererstattung in Höhe von insgesamt nur noch . € ergäbe. Der unter der Bedingung des Verzichts auf Aussetzungszinsen unterbreitete Einigungsvorschlag wurde vom FA nicht aufgegriffen. Jedoch hat das FA nach Klärung einzelner Streitpunkte mit weiterem Bescheid vom die Höhe der AdV auf . € reduziert.
6 Der Einspruch gegen die AdV wurde mit Bescheid vom zurückgewiesen. Das FA ließ offen, ob die Klägerin beschwert und damit einspruchsbefugt sei. Der Einspruch sei jedenfalls unbegründet. Bezüglich der RAP bestünden unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin Zweifel an der Ansicht des FA. Zwar würde nach Abschn. 78 Abs. 5 der Körperschaftsteuer-Richtlinien 1995 selbst bei einem Erfolg des Einspruchs gegen den Körperschaftsteuerbescheid 2000 die durch § 28 Abs. 4 KStG 1999 bestimmte Reihenfolge der für die Ausschüttungen verwendeten Teile des Eigenkapitals dazu führen, dass die festzusetzende Körperschaftsteuer 2000 nahezu unverändert bliebe; nach dem Senatsbeschluss vom I B 182/02 (BFH/NV 2004, 815) bestünden jedoch ernstliche Zweifel, ob bereits aufgrund der Ausstellung einer Steuerbescheinigung nach § 44 KStG 1999 die in § 28 Abs. 4 KStG 1999 angeordnete Verwendungsreihenfolge (Belastung des EK 02) greife.
7 Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin zunächst, die ergangenen Verfügungen über die Aufhebung und Aussetzung der Vollziehung in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben. Aufgrund weiterer Teileinigungen hat das FA mit Bescheid vom den insgesamt ausgesetzten Betrag auf . € reduziert. Mit Verfügung vom erklärte das FA die AdV für beendet und erläuterte in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) hierzu u.a., dass die zwischen den Beteiligten während des gesamten Rechtsstreites diskutierte Frage zur Anwendung des § 28 Abs. 4 KStG 1999 durch das Senatsurteil vom I R 56/05 (BFHE 224, 44) im Sinne der Ansicht der Finanzverwaltung geklärt worden sei. Nachdem dies erst zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung erkannt worden sei, habe die AdV ohne jedes Zögern aufgehoben werden müssen.
8 Dem Antrag der Klägerin, nach § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügungen über die Aufhebung und Aussetzung der Vollziehung festzustellen, hat das FG im Wesentlichen entsprochen (, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 105): Der Feststellungsantrag sei zwar bezüglich der mit Bescheid vom angeordneten Aufhebung der Vollziehung unzulässig, weil die Klägerin insoweit kein Vorverfahren (Einspruchsverfahren) durchgeführt habe (§ 44 FGO). Auch fehle es an einem anzuerkennenden Feststellungsinteresse i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO, da von diesem Bescheid mit Rücksicht auf die am verfügte AdV keine belastenden Rechtswirkungen mehr ausgegangen sei. Im Hinblick auf diese Verfügungen und die nachfolgenden Aussetzungsbescheide sei der Feststellungsantrag jedoch zulässig und begründet. Das Vorliegen rechtlicher Zweifel sei in der Einspruchsentscheidung nicht hinreichend substantiiert. Dies könne jedoch offenbleiben, da jedenfalls nach dem eigenen Vorbringen des FA zum Zeitpunkt der Aussetzungsverfügung vom solche Zweifel nicht mehr vorgelegen hätten. Unabhängig hiervon seien die Aussetzungsverfügungen aber auch deshalb rechtswidrig, weil sie der Klägerin aufgezwungen worden seien und damit dem Zweck des § 361 AO, der dem Individualrechtsschutz dienen wolle, widersprochen hätten.
9 Mit seiner vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10 Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
11 B. Die Revision ist begründet. Das Urteil der Vorinstanz ist aufzuheben und die Klage als unzulässig abzuweisen.
12 I. Das angefochtene Urteil ist gemäß § 107 FGO wegen offenbarer Unrichtigkeit zu korrigieren.
13 Das FG hat die Zulässigkeit der zunächst erhobenen Anfechtungsklage im Hinblick darauf bejaht, dass einer Aussetzungsverfügung Tatbestandswirkung für die Zinsfestsetzung gemäß § 237 AO zukomme und ein Erlass der Zinsen nur im Falle einer Ermessensreduktion auf Null erstritten werden könne. Die sich hieran anschließende Aussage, dass von einer AdV „zumindest erhebliche finanzielle Risiken (ausgehen), die es angezeigt erscheinen lassen, von einer fehlenden Rechtsverletzung…auszugehen” (letzter Satz des vorletzten Absatzes vor Abschn. II.2. der Entscheidungsgründe), ist weder mit der Rechtsansicht des FG noch mit der Gedankenführung des Urteils vereinbar. Sie beruht —wie die an dem Urteil beteiligten Berufsrichter nach Anhängigkeit des Revisionsverfahrens schriftlich erklärt haben— auf einem offensichtlichen Fehler des Inhalts, dass in dem wiedergegebenen Satz das Wort „angezeigt” durch das Wort „ausgeschlossen” zu ersetzen ist. Die Zuständigkeit für diese Urteilberichtigung ist auf das Revisionsgericht übergegangen (, BFH/NV 2004, 1265; Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 107 Rz 6, m.w.N.).
14 II. Das FG hat zwar die Rechtswidrigkeit der erstmals mit Bescheid des FA vom verfügten und später mit weiteren Bescheiden vom und vom reduzierten AdV ausgesprochen, die Klage gegen die mit Verfügung vom angeordnete Aufhebung der Vollziehung jedoch als unzulässig angesehen. Da es sich hierbei um einen —gegenüber den Aussetzungsverfügungen— selbständigen Streitgegenstand handelt und sich die Revisionsbegründung des FA zweifelsfrei nur gegen den Feststellungsausspruch der Vorinstanz richtet, sind auch nur die genannten Aussetzungsanordnungen Gegenstand des Revisionsverfahrens (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 6 f.).
15 III. Dem FG ist darin zuzustimmen, dass die zunächst erhobene Anfechtungsklage zulässig war (siehe nachfolgend zu 2.); sie wurde allerdings nicht gegen den Aussetzungsbescheid vom , sondern gegen den im Zuge des Einspruchsverfahrens geänderten und dann durch die Einspruchsentscheidung bestätigten Aussetzungsbescheid vom erhoben (siehe nachfolgend zu 1.). Dem FG ist ferner darin beizupflichten, dass die während des Klageverfahrens ergangene Aussetzungsanordnung vom nach § 68 FGO zum Gegenstand der Klage geworden ist und sich dieser Bescheid durch die Aufhebungsverfügung vom erledigt hat (siehe nachfolgend zu 3.). Gleichwohl ist —entgegen der Würdigung der Vorinstanz— ein gerichtlicher Feststellungsausspruch des Inhalts, dass die Aussetzungsverfügungen rechtswidrig waren, mangels eines berechtigten Interesses i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ausgeschlossen (siehe nachfolgend zu 4.) und die Klage deshalb als unzulässig abzuweisen (vgl. zu Letzterem Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 100 FGO Rz 172, m.w.N.).
16 1. Soweit das vorinstanzliche Urteil dahin zu verstehen sein sollte, dass Gegenstand der Anfechtungsklage der Bescheid vom gewesen sei, mit dem Steuern und Zinsen in Höhe von . € ausgesetzt worden sind, könnte der Senat dem nicht folgen. Hierbei bliebe unberücksichtigt, dass im Verlauf des Einspruchsverfahrens der Betrag der ausgesetzten Steuern und Zinsen mit Bescheid vom auf . € verringert worden ist. Nur dieser Bescheid war Gegenstand der Einspruchsentscheidung und wurde von der Klägerin mit dem Ziel seiner Aufhebung angefochten (sog. Anfechtungsklage; § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
17 a) Der Einspruchsgegenstand wird nach § 365 Abs. 3 Satz 1 AO sowohl im Falle der Ersetzung des angefochtenen Verwaltungsakts als auch dann ausgewechselt, wenn der Verwaltungsakt geändert wird. Dabei sind die Begriffe des Änderns und Ersetzens —entsprechend den für § 68 FGO geltenden Auslegungsgrundsätzen— mit Rücksicht auf den Zweck des § 365 Abs. 3 AO, der verhindern will, dass der Einspruchsführer gegen seinen Willen aus dem Einspruchsverfahren gedrängt wird, weit auszulegen (Birkenfeld in HHSp, § 365 AO Rz 3, 158). Sie umfassen in aller Regel auch den Sachverhalt, dass ein Steuerbescheid oder sonstiger Verwaltungsakt (hier: Verfügung zur AdV) nur betragsmäßig geändert wird (allgemeine Meinung; siehe z.B. Gräber/von Groll, a.a.O., § 68 Rz 61; Schallmoser in HHSp, § 68 FGO Rz 50). Demgemäß ist auch im Streitfall der Bescheid vom zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden mit der weiteren Folge, dass —solange dieser Bescheid Bestand hatte— eine Anfechtungsklage gegen die zunächst ergangene und nunmehr in ihrer Rechtswirkung suspendierte Aussetzungsverfügung vom ausgeschlossen war (vgl. , BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231; Birkenfeld in HHSp, § 361 AO Rz 158).
18 b) Soweit der BFH hiervon die Teilrücknahme gemäß § 130 Abs. 1 AO abgrenzt und hieraus in Fällen der Minderung von Haftungsbescheiden ableitet, dass der ursprünglich erlassene Bescheid im Umfang des herabgesetzten Haftungsbetrags fortbesteht (siehe z.B. , BFHE 181, 107, BStBl II 1997, 79), bedarf dies vorliegend keiner Erörterung (siehe dazu Gräber/von Groll, a.a.O., § 68 Rz 61; Schallmoser in HHSp, § 68 FGO Rz 50). Denn auch nach dieser Rechtsprechung ist von einer Änderung bzw. Ersetzung des Verwaltungsakts (i.S. von § 68 FGO a.F.) auszugehen, wenn das FA die Haftungssumme neu berechnet und der Haftungsinanspruchnahme andere (neue) Ermessenserwägungen zugrunde legt (, BFH/NV 2002, 1276; Urteil in BFHE 181, 107, BStBl II 1997, 79, jeweils m.w.N.). Auch im Streitfall kann hiernach nicht fraglich sein, dass der Bescheid vom —entsprechend seiner Begründung— „an die Stelle der Verfügung…vom (getreten)” ist. Mit ihm wurde nicht nur die Höhe der AdV neu berechnet, sondern vor allem dargelegt, dass der nunmehr ausgesetzte Betrag auf den nach Ansicht des FA am bestehenden Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung beruhe; auch wurden hierbei die Erörterungen im Einspruchsverfahren und die bis dahin erzielten Teileinigungen berücksichtigt.
19 2. Beizupflichten ist dem FG darin, dass die ursprüngliche Anfechtungsklage gegen die Aussetzungsverfügung vom zulässig war. Insbesondere konnte die Klägerin durch die Verfügung in ihren Rechten verletzt und damit i.S. von § 40 Abs. 2 FGO beschwert sein. Zwar war der Bescheid insofern begünstigend, als er das FA hinderte, im Umfang des ausgesetzten Betrags die angefochtenen Verwaltungsakte zu vollstrecken (§ 251 Abs. 1 Satz 1 AO). Eine Beschwer ist jedoch auch dann zu bejahen, wenn der nach seinem Regelungsgehalt (Verfügungssatz) begünstigende Verwaltungsakt für weitere Verfahren Bindungswirkung entfaltet und sich hieraus ein Nachteil für den Steuerpflichtigen ergeben kann (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 40 Rz 88; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 40 FGO Rz 58 f., jeweils m.w.N.). Hiervon ist im Streitfall auszugehen, da nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO dann, wenn der Einspruch oder die Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung ausgesetzt worden ist, für jeden vollen Monat mit einhalb Prozent zu verzinsen ist und für die hiernach gebotene Zinsfestsetzung (§ 239 Abs. 1 Satz 1, erster Halbsatz AO i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 AO) grundsätzlich auch einem rechtswidrigen Aussetzungsbescheid Bindungswirkung zukommt (sog. Tatbestandswirkung; vgl. , BFHE 235, 107, BStBl II 2012, 219). Demnach ist —worauf der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom I R 43/06 (BFHE 219, 13, BStBl II 2008, 134, zu II.1.f) hingewiesen hat —dem Steuerpflichtigen zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes —GG—) die Möglichkeit einzuräumen, diese Bindungswirkung im Wege einer Anfechtungsklage zu beseitigen.
20 3. Zutreffend hat die Vorinstanz ferner angenommen, dass der während des Klageverfahrens ergangene weitere Änderungsbescheid vom , mit dem der ausgesetzte Betrag abermals auf nunmehr . € gemindert wurde, als neuer Gegenstand des Klageverfahrens an die Stelle der zunächst angefochtenen Verfügung vom getreten ist (§ 68 Satz 1 FGO) und sich dieser Änderungsbescheid (vom ) durch die —gleichfalls während des Klageverfahrens wirksam gewordene— Aufhebungsverfügung vom i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 124 Abs. 2 AO erledigt hat. Wie der erkennende Senat mit Urteil in BFHE 219, 13, BStBl II 2008, 134 erläutert hat, ergibt sich die Erledigung allein daraus, dass der Regelungsgehalt einer Aussetzungsverfügung, der darin besteht, dass die angefochtenen Bescheide nicht mehr vollstreckt werden können, mit der Aufhebungsverfügung endet, und deshalb auch der Umstand, dass der Zinsanspruch gemäß § 237 AO an die in der Vergangenheit gewährte AdV anknüpft (Tatbestandswirkung), die Erledigung nicht hindert. Demnach hat sich nicht nur die (zuletzt) geänderte Aussetzungsverfügung vom durch den Aufhebungsbescheid erledigt; vielmehr hatten auch alle —im Zuge des Gesamtverfahrens (Einspruchs- und Klageverfahren) ergangenen— geänderten Aussetzungsbescheide die Erledigung der jeweils vorangegangenen Aussetzungsverfügung zur Folge.
21 4. Die Klägerin hat dies nicht verkannt und deshalb ihren Klageantrag dahin umgestellt, dass das FG nicht die Aufhebung der angefochtenen Aussetzungsverfügungen, sondern deren Rechtswidrigkeit feststellen soll. Der Antrag ist jedoch unzulässig, weil die Klägerin i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO kein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Zwar kann sich —worauf der Senat in seinem Urteil in BFHE 219, 13, BStBl II 2008, 134 hingewiesen hat— ein solches Interesse in einem bereits eingeleiteten Klageverfahren mit Rücksicht darauf ergeben, dass auch ein Feststellungsausspruch zwischen den Beteiligten Bindungswirkung entfalten kann und hierdurch die Rechtsposition des Betroffenen in einem Zinsfestsetzungsverfahren gemäß § 237 AO verbessert würde. Gleichwohl ist unter den Voraussetzungen des Streitfalls eine andere Beurteilung geboten.
22 a) Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut und dem Regelungszusammenhang des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist die Prüfung des berechtigten Interesses auf den angefochtenen Verwaltungsakt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu beziehen. Wird —wie im Streitfall— ein Änderungsbescheid zum Gegenstand des Klageverfahrens (hier: Bescheid vom ), so ist nur dieser Bescheid —nicht hingegen die suspendierte (geänderte) Verfügung— Gegenstand der Anfechtungsklage (siehe oben zu B.III.1.a; BFH-Beschluss in BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231) und deshalb im Falle seiner Erledigung (hier: Aufhebungsverfügung vom ) grundsätzlich nur zu prüfen, ob der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, dass dieser Bescheid rechtswidrig war (, BFHE 169, 117, BStBl II 1993, 120; vom XI R 3/09, BFH/NV 2010, 1450).
23 Vorliegend ist dies deshalb zu verneinen, weil das FA den Änderungsbescheid vom wegen Rechtswidrigkeit mit Verfügung vom aufgehoben hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) entfällt damit das berechtigte Interesse an einem Feststellungsausspruch nach § 113 Abs. 1 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) selbst dann, wenn sich die Ansicht der Behörde zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht aus den Gründen des Bescheids, sondern lediglich aus einem Aktenvermerk ergibt (, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht —NVwZ— 1985, 266); auch hat der Kläger keinen Anspruch darauf, dass die Aufhebung auf einen bestimmten Rechtswidrigkeitsgrund gestützt wird (BVerwG-Beschlüsse vom 1 WB 4/07, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts —Buchholz— 450.1 § 17 WBO Nr. 69; vom 8 C 9/95, 8 PKH 10/95, Buchholz 310 § 113 VwGO Nr 280; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 18. Aufl., § 113 Rz 133, 144). Nichts anderes kann für die Fortsetzungsfeststellungsklage im finanzgerichtlichen Verfahren nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO gelten (Lange in HHSp, § 100 FGO Rz 179).
24 Hiernach ist auch für das anhängige Verfahren nicht erkennbar, welches berechtigte Interesse die Klägerin haben könnte, dass das FG die Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheids vom feststellt. Das FA hat die Aufhebungsverfügung vom zwar nicht begründet; es hat aber nicht nur in dem dieser Verfügung beigegebenen und an das FG adressierten Begleitschreiben, sondern vor allem in der mündlichen Verhandlung sowohl ausweislich des Protokolls als auch nach den Feststellungen der Vorinstanz vorgetragen, dass jedenfalls mit der Veröffentlichung des zu § 28 Abs. 4 KStG 1999 ergangenen Senatsurteils in BFHE 224, 44, das am in die Website des BFH aufgenommen worden ist, keine ernstlichen Zweifel mehr an der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Steuer- und Zinsbescheide bestanden haben. Dies kann bei vernünftiger Betrachtung (siehe zu diesem Maßstab , 8 PKH 10/95, a.a.O.) nur heißen, dass das FA selbst davon ausgegangen ist, dass die Aussetzungsverfügung vom nicht mehr hätte ergehen dürfen und deshalb rechtswidrig war. Anhaltspunkte dafür, dass das FA in einem Zinsfestsetzungsverfahren von dieser Auffassung abrücken würde, hat die Klägerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (vgl. dazu Gräber/von Groll, a.a.O., § 100 Rz 53) weder vorgetragen (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) noch sind solche Umstände vom FG festgestellt worden. Gleichfalls hat die Klägerin im vorinstanzlichen Verfahren nicht substantiiert vorgetragen noch ist für den Senat ersichtlich, inwiefern die Entscheidung des FA über einen Verzicht auf die ab Bekanntgabe des Änderungsbescheids vom entstandenen Aussetzungszinsen davon abhängig sein könnte, ob das FA diese Verfügung wegen fehlender rechtlicher Zweifel oder zudem auch deshalb als rechtswidrig erachtet, weil —wie von der Klägerin geltend gemacht— die Aussetzungsverfügungen gegen ihren Willen ergangen sind.
25 b) Entgegen der Ansicht des FG ist ein berechtigtes Interesse an einem Feststellungsausspruch i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO auch im Hinblick auf die zunächst angefochtene Aussetzungsverfügung vom zu verneinen.
26 aa) Wie erläutert hat sich diese Verfügung durch den geänderten Aussetzungsbescheid vom erledigt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH schließt dies regelmäßig ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Bescheids aus (BFH-Urteile in BFHE 169, 117, BStBl II 1993, 120; in BFH/NV 2010, 1450). Tragend hierfür ist, dass der Änderungsbescheid nach § 68 FGO zum Gegenstand des Anfechtungsverfahrens nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO geworden ist und im Falle der Erledigung dieses Bescheids kein Grund dafür ersichtlich ist, den Umfang der gerichtlichen Entscheidung auf bereits zuvor durch den Änderungsbescheid suspendierte Verwaltungsakte (hier: Bescheid vom ) auszudehnen. Demgemäß kann ein Feststellungsausspruch bezüglich solcher Bescheide nur unter engen Voraussetzungen in Betracht kommen. In der Rechtsprechung wird insoweit nicht nur auf den Fall hingewiesen, dass der erledigte Bescheid nach wie vor Grundlage einer noch bestehenden Pfändung ist; genannt wird darüber hinaus auch die Konstellation, dass sich bei der Beurteilung eines Steuervorauszahlungsbescheids Rechtsfragen stellen, die im Rahmen der Entscheidung über den Jahressteuerbescheid nicht geklärt werden können und an deren Klärung der Kläger ein berechtigtes Interesse hat (vgl. die vorgenannten BFH-Urteile; Lange in HHSp, § 100 FGO Rz 178).
27 bb) Im Streitfall kann offenbleiben, ob Letzterem uneingeschränkt zu folgen ist. Ebenso kann offenbleiben, ob dann, wenn sich im Verlauf des Klageverfahrens mehrere einander ablösende Verwaltungsakte erledigen, der Feststellungsausspruch nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO auf sämtliche Verwaltungsakte erstreckt werden kann. Hierauf ist im anhängigen Verfahren deshalb nicht einzugehen, weil die Frage des berechtigten Interesses i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO auch unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie zu beurteilen ist (vgl. allgemein z.B. Senatsurteil in BFHE 219, 13, BStBl II 2008, 134; Gräber/von Groll, a.a.O., § 100 Rz 60, jeweils m.w.N.). Demnach ist anerkannt, dass sowohl umfangreiche Maßnahmen zur Sachverhaltsermittlung (siehe z.B. , BVerwGE 106, 295) als auch der mit der Ausarbeitung eines umstrittenen und schwierigen Rechtsproblems verbundene Aufwand jedenfalls dann der Annahme eines berechtigten Interesses entgegenstehen, wenn es (erstens) offen ist, ob die aufgeworfene Rechtsfrage in dem Folgeprozess überhaupt entscheidungserheblich sein wird, (zweitens) über diese Rechtsfrage in einem Folgeprozess entschieden werden kann (d.h. der Rechtsschutz des Klägers nicht verkürzt wird) und (drittens) der Feststellungsausspruch nicht zur Klärung durch das sachnähere Fachgericht führen würde (, NVwZ 1991, 570).
28 cc) Im Streitfall kann hiernach nicht angenommen werden, dass die Klägerin ein berechtigtes Interesse i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aussetzungsverfügung vom hat; die Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Verfügung muss vielmehr einem etwaigen Zinsfestsetzungsverfahren vorbehalten bleiben (vgl. Senatsurteil in BFHE 219, 13, BStBl II 2008, 134).
29 aaa) Abgesehen davon, dass —wie auch vom FG angenommen— nach dem bisherigen Vortrag der Beteiligten nicht beurteilt werden kann, ob, in welcher Höhe und für welche Zeiträume ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der ergangenen Steuer- und Zinsbescheide bestehen bzw. bestanden haben, hat der BFH bisher über die Frage, ob die Finanzbehörden bei Vorliegen solcher Zweifel an der Steuer- und Zinsfestsetzung befugt sind, die AdV auch ohne Antrag des Steuerpflichtigen anzuordnen, noch nicht entschieden; sie wird auch in der Literatur nicht einheitlich beantwortet (z.B. Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 361 AO Rz 5, m.w.N.). Hinzu kommt, dass das Hauptsacheverfahren noch nicht abgeschlossen und sich —weder nach dem Sachstand zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem FG noch nach den Erörterungen im Revisionsverfahren— eine hinreichend sichere Aussage dazu treffen lässt, ob und in welcher Höhe im Streitfall Aussetzungszinsen gegen die Klägerin festgesetzt werden.
30 bbb) Ferner erfordert der Anspruch der Klägerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) keinen gerichtlichen Feststellungsausspruch zur Rechtswidrigkeit der Aussetzungsanordnung vom ; er wird vielmehr —in gleichem Maße— dadurch gesichert, dass in dem gegen eine Zinsfestsetzung (§ 237 AO) gerichteten Einspruchs- und Klageverfahren die Rechtmäßigkeit der der Klägerin aufgedrängten Vollziehungsaussetzung in vollem Umfang zu überprüfen wäre und —sollte sich im Rahmen dieser Prüfung die Rechtswidrigkeit der Aussetzungsverfügung ergeben— hierin nicht nur eine bei der Ermessensentscheidung des FA über einen Zinsverzicht (§ 237 Abs. 4 i.V.m. § 234 Abs. 2 AO) zu berücksichtigende Vorfrage (so bisher Senatsurteil in BFHE 219, 13, BStBl II 2008, 134), sondern auch ein Umstand zu sehen wäre, der das FA in der Sache dazu verpflichten würde, von einer die Klägerin belastenden Zinserhebung abzusehen. Zwar wird —aufgrund der sog. Tatbestandswirkung— die Höhe der nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO festzusetzenden Aussetzungszinsen grundsätzlich nicht nur durch rechtmäßige, sondern auch durch rechtswidrige Aussetzungsbescheide bestimmt (, BFH/NV 2008, 339; vom XI R 24/98, BFHE 187, 400, BStBl II 1999, 201). Die Tatbestandswirkung entfällt jedoch, wenn die Aussetzungsanordnung angefochten und —sei es vom FA, sei es vom FG— vor Eintritt ihrer Bestandskraft (grundlegend , BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4, juris Rz 15) aufgehoben wird. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Aussetzungsanordnung kann dann sowohl im Rahmen des Zinsfestsetzungs- als auch des Zinsverzichtsverfahrens eigenständig überprüft werden, ohne dass es eines vorangehenden entsprechenden formellen Ausspruchs des FG in einem gegen die Anordnung gerichteten Klageverfahren bedarf.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
HFR 2013 S. 142 Nr. 2
RAAAE-20462