Gültigkeit eines Agrar-Ursprungserzeugnisses im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Kontingentzollsatzes
Gesetze: ZK Art. 112 Abs. 3, ZK Art. 214 Abs. 1, ZK Art. 220 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) überführte im März 2006 eine Partie Pilzkonserven aus China im Anschreibeverfahren aus dem Zolllager in den freien Verkehr, wobei sie den Präferenzcode 120 (Zollkontingent) angab und der Abgabenberechnung den Kontingentzollsatz von 23 % zugrunde legte.
2 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt —HZA—) erhob mit Einfuhrabgabenbescheid vom den auf die Einfuhrsendung entfallenden Zoll gemäß dem Drittlandszollsatz mit der Begründung nach, das für die Waren ausgestellte Ursprungszeugnis vom Februar 2002 sei im Zeitpunkt ihrer Überführung in den freien Verkehr nicht mehr gültig gewesen.
3 Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Nach Art. 14 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1864/2004 (VO Nr. 1864/2004) der Kommission vom zur Eröffnung und Verwaltung von Zollkontingenten für aus Drittländern eingeführte Pilzkonserven (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 325/30) i.V.m. Art. 56 Abs. 4 der Zollkodex-Durchführungsverordnung (ZKDVO) betrage die Gültigkeit eines Ursprungszeugnisses zehn Monate ab dem Datum seiner Ausstellung. Diese Frist der Gültigkeit für das im Streitfall für Pilzkonserven aus China vorzulegende Ursprungszeugnis sei im Zeitpunkt der Überführung der Waren in den freien Verkehr im Wege der Anschreibung bereits abgelaufen gewesen. Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex (ZK) stehe der Nacherhebung der Einfuhrabgaben nicht entgegen. Die Erhebung der Einfuhrabgaben nach dem ermäßigten Kontingentzollsatz beruhe nicht auf einem sog. „aktiven Irrtum” des HZA, weil es die Angaben der Klägerin im Anschreibeverfahren ungeprüft der Abgabenfestsetzung zugrunde gelegt habe. Insoweit ergebe sich auch nichts anderes aus dem Umstand, dass es beim HZA im Hinblick auf Einfuhrabfertigungen dieser Art eine langjährige Verwaltungspraxis gegeben habe, die Voraussetzungen für die Anwendung des Kontingentzollsatzes als gegeben anzusehen, wenn das für die Inanspruchnahme des Kontingents vorgelegte Ursprungszeugnis im Zeitpunkt der Überführung in das Zolllagerverfahren gültig gewesen sei. Die im Anschreibeverfahren gemachten Angaben der Klägerin seien hinsichtlich der Anwendung des Art. 56 Abs. 4 ZKDVO unvollständig gewesen. Die nach dieser Vorschrift erforderliche Berechnung der Gültigkeitsdauer des Ursprungszeugnisses setze zwingend die Angabe des Datums voraus, an dem das Ursprungszeugnis ausgestellt worden sei. Dieses Datum sei jedoch weder auf dem Anschreibungsformular angegeben worden noch sonst ersichtlich gewesen.
4 Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, welche sie auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) stützt. Die Klägerin hält es zum einen für klärungsbedürftig, ob der Zollanmelder seiner Pflicht zur Vorlage eines gültigen Ursprungszeugnisses genügt, wenn er dieses bei der Überführung der Waren in das Zolllagerverfahren vorlegt, oder ob das Ursprungszeugnis auch noch bei der späteren Überführung in den freien Verkehr gültig sein muss. Außerdem sei das FG insoweit von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sowie des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen, als es zwar einerseits angenommen habe, eine langjährige unrichtige Abfertigungspraxis könne einen Irrtum i.S. des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK begründen, andererseits jedoch den Vertrauensschutz eingeschränkt habe, indem es alle für die Anwendung der betreffenden zollrechtlichen Regelung erforderlichen Angaben in der Anschreibung und damit auch Angaben zum Ausstellungsdatum des Ursprungszeugnisses für erforderlich gehalten habe.
5 II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
6 1. Grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist einer Rechtsfrage beizumessen, wenn ihre Beantwortung in dem angestrebten Revisionsverfahren aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. , BFHE 198, 316, BStBl II 2002, 581, m.w.N.).
7 In gleicher Weise hängt der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO davon ab, ob eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu einer bestimmten Rechtsfrage aus Gründen der Rechtsklarheit oder der Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse liegt (, BFH/NV 2003, 197).
8 Soweit die Beschwerde die Frage stellt, ob ein Zollanmelder seiner Pflicht zur Vorlage eines gültigen Ursprungszeugnisses genügt, wenn er die Waren zur Zeit der Gültigkeit des Ursprungszeugnisses zum Zolllagerverfahren anmeldet und sie anschließend, ggf. nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Ursprungszeugnisses, durch Anschreibung in den freien Verkehr überführt, bezeichnet sie jedoch keine Rechtsfrage, deren Klärung aus Gründen der Rechtsklarheit oder der Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse liegt. Diese Frage bedarf keiner Klärung, weil sie sich nur so beantworten lässt, wie es das FG getan hat.
9 Nach Art. 214 Abs. 1 ZK wird die Höhe des Einfuhrabgabenbetrags grundsätzlich anhand der Bemessungsgrundlagen bestimmt, die für diese Ware zum Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld gelten. Zu diesen Bemessungsgrundlagen gehören die Beschaffenheit der Ware, ihre Menge, ihr Zollwert sowie der Zollsatz (Witte, Zollkodex, 5. Aufl., Art. 214 Rz 1). Der das Zolllagerverfahren betreffende Art. 112 Abs. 3 Unterabs. 1 ZK, auf den sich die Beschwerde beruft, sieht nur insoweit eine Ausnahme von diesem Grundsatz vor, als es um die Beschaffenheit der Ware, ihren Zollwert und ihre Menge geht, nicht jedoch hinsichtlich des Zollsatzes; für diesen ist immer der Zeitpunkt der Zollschuldentstehung maßgeblich (Witte, a.a.O., Art. 112 Rz 19).
10 Die vorliegend streitige Frage, ob für eingeführte Pilzkonserven aus China ein gemäß Art. 14 Abs. 2 VO Nr. 1864/2004 i.V.m. Art. 56 Abs. 4 ZKDVO gültiges Ursprungszeugnis vorgelegt worden ist, betrifft aber die Höhe des Zollsatzes, nämlich ob die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Kontingentzollsatzes vorliegen oder der Drittlandszollsatz zugrunde zu legen ist. Das Ursprungszeugnis muss daher noch in dem Zeitpunkt gültig sein, in dem die Zollschuld durch Überführung der Ware in den freien Verkehr entsteht. Ob das Gleiche —was zwischen den Beteiligten streitig ist— bereits aus dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 2 VO Nr. 1864/2004 folgt, kann offenbleiben.
11 2. Soweit das FG entschieden hat, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben sei nicht gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK abzusehen, liegt auch nicht der geltend gemachte Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in Gestalt der Divergenz vor.
12 Nach der vom EuGH in ständiger Rechtsprechung verwendeten Zusammenfassung der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift hat die Zollbehörde von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung von Einfuhrabgaben abzusehen, wenn drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: die Nichterhebung muss auf einem Irrtum der zuständigen Behörden beruhen, es muss sich um einen Irrtum handeln, der für einen gutgläubigen Abgabenschuldner nicht erkennbar war, und dieser muss alle geltenden Vorschriften über seine Zollanmeldung eingehalten haben (vgl. —Biegi Nahrungsmittel, Commonfood—, Slg. 2005, I-1751, m.w.N.).
13 Das FG hat zwar im Streitfall die Versagung des Vertrauensschutzes gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK in erster Linie auf das Fehlen eines sog. aktiven Irrtums des HZA gestützt, hat aber daneben auch die Auffassung vertreten, die Klägerin habe nicht alle geltenden Vorschriften über ihre Zollanmeldung eingehalten. Hat aber damit das FG seine Entscheidung kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, muss ein Zulassungsgrund bezüglich jeder dieser Begründungen vorliegen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 28). Hieran fehlt es im Streitfall. Indem das FG-Urteil die Vorschriften über die Zollanmeldung als nicht eingehalten angesehen hat, weicht es von Entscheidungen des EuGH oder des BFH nicht ab. Auch klärungsbedürftige Rechtsfragen folgen daraus nicht.
14 Soweit Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK für ein Absehen von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben auch fordert, dass der Zollschuldner alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat, genügt er dieser Forderung auch bei gegenüber den zuständigen Behörden angegebenen unrichtigen oder unvollständigen Daten, sofern er diese in gutem Glauben abgegeben hat und vernünftigerweise nur diese Daten kennen oder sich beschaffen konnte ( —Hewlett Packard—, Slg. 1993, I-1839, Rz 29; vom C-348/89 —Mecanarte—, Slg. 1991, I-3277, Rz 29, und vom C-153/94 und C-204/94 —Faroe Seafood—, Slg. 1996, I-2465, Rz 109).
15 Es ist nicht erkennbar, dass das FG im Streitfall seiner Entscheidung einen hiervon abweichenden Rechtssatz zugrunde gelegt hat, zumal es sich insoweit ausdrücklich auf das EuGH-Urteil in Slg. 1993, I-1839 stützt. Vielmehr hat das FG lediglich geurteilt, die Klägerin hätte im Zeitpunkt der Überführung der Waren in den freien Verkehr das Datum des Ursprungszeugnisses auf dem Anschreibungsformular angeben müssen. Damit hat das FG (jedenfalls sinngemäß) entschieden, bei der Überführung der Waren in den freien Verkehr im Wege des Anschreibeverfahrens hätte vernünftigerweise erkannt werden können, dass die Angabe des Datums des Ursprungszeugnisses auf dem Anschreibungsformular erforderlich gewesen sei, um den der Abgabenberechnung zugrunde gelegten Kontingentzollsatz zu rechtfertigen.
16 Wenn die Beschwerde demgegenüber einwendet, das FG habe insoweit zu hohe Anforderungen gestellt, weil die Klägerin in Anbetracht der bisherigen Abfertigungspraxis keine Veranlassung gehabt habe, das Datum des Ursprungszeugnisses bei der Überführung der Ware in den freien Verkehr anzugeben, wendet sie sich gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG, was jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen kann, weil damit kein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargelegt wird.
17 Bei dem angefochtenen FG-Urteil handelt es sich um eine durch die besonderen Umstände des Einzelfalls begründete Entscheidung. Das FG ist, ohne von Rechtssätzen des EuGH oder BFH abzuweichen, zu der Auffassung gelangt, die nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK vorauszusetzende Einhaltung aller geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung erfordere bei Inanspruchnahme des Kontingentzollsatzes die Angabe des Datums des Ursprungszeugnisses im Anschreibungsformular, und zwar auch vor dem Hintergrund der im Streitfall zu berücksichtigenden früheren Verwaltungspraxis, der zufolge die in den freien Verkehr übergeführten Waren auf das Kontingent angerechnet wurden, sofern das Ursprungszeugnis bei der vorangegangenen Überführung in das Zolllager gültig gewesen war. Rechtsfragen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, ergeben sich aus dieser vom FG vertretenen Auffassung nicht, zumal nicht erkennbar ist, dass die auf den Besonderheiten des Streitfalls beruhenden, zwischen den Beteiligten streitigen Fragen für zukünftige Fälle von Bedeutung sein könnten. Die Abfertigung von Pilzkonserven chinesischen Ursprungs zum Kontingentzollsatz erfordert seit Februar 2008 nicht mehr die Vorlage eines Agrar-Ursprungszeugnisses. Die vorstehend beschriebene frühere Verwaltungspraxis im Bereich des HZA, die zu dem vorliegenden Rechtsstreit geführt hat, besteht nicht mehr.
18 Ungeachtet eines somit nicht vorliegenden Grundes für die Zulassung der Revision spricht für die vom FG vertretene Auffassung, dass die Vorlage eines gültigen Ursprungszeugnisses vor Erschöpfung des Zollkontingents (Art. 56 Abs. 4, Art. 256 Abs. 2 ZKDVO) zwingende Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Zollkontingents ist. Deshalb ist es nicht fernliegend, von einem Zollanmelder zu verlangen, bei der für die Entstehung der Zollschuld maßgebenden Überführung der Waren in den freien Verkehr im Wege des Anschreibeverfahrens in jedem Fall das die Einfuhrwaren betreffende Ursprungszeugnis mit Datum anzugeben, selbst wenn er irrtümlich meint, seiner Vorlagepflicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt genügt zu haben.
19 3. Es bedarf nach alledem keiner Entscheidung, ob die seitens der Beschwerde bezeichneten Fragen überhaupt klärungsfähig sind. Diese Fragen gehen von der Behauptung der Klägerin aus, das Agrar-Ursprungszeugnis sei bei der Anmeldung der Waren zum Zolllagerverfahren vorgelegt worden. Demgegenüber hat aber das FG —auch wenn es auf diese Tatsachenfrage für seine Entscheidung nicht ankam— ausgeführt, die Vorlage des Ursprungszeugnisses im Zeitpunkt der Überführung der Waren in das Zolllager habe nicht geklärt werden können.
Fundstelle(n):
KAAAE-19923