BFH Beschluss v. - V B 59/11

Erledigungserklärung in einem unzulässigen Rechtsmittelverfahren; Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses für einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Gesetze: FGO § 69, FGO § 139, AO § 251, FGO § 138 Abs. 1, InsO § 21 Abs. 2 Nr. 2, InsO § 80, ZVG § 30d Abs. 4

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Die D-AG beantragte beim Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt —FA—) erfolglos die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Umsatzsteuer- Vorauszahlungsbescheide für August 2008 bis Mai 2009. Gegenstand des Aussetzungsverfahrens vor dem Finanzgericht (FG) waren die Umsatzsteuer-Jahresbescheide für 2008 und 2009 vom und vom . Das FG gab dem Aussetzungsantrag mit Beschluss vom statt. Hiergegen legte das FA am Beschwerde ein.

2 Bereits mit Beschluss vom hatte das Amtsgericht U den Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 der Insolvenzordnung (InsO) angeordnet, dass Verfügungen über die Gegenstände des Vermögens der D-AG nur noch mit Zustimmung des Antragstellers wirksam sind. Darüber hinaus untersagte das Amtsgericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO Maßnahmen der Zwangsvollstreckung einschließlich der Vollziehung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind und ordnete die Einstellung bereits begonnener Maßnahmen an.

3 Über das Vermögen der D-AG wurde am das Insolvenzverfahren eröffnet und der Antragsteller zum Insolvenzverwalter bestellt. Im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärte das FA den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

4 Der Antragsteller nahm den Rechtsstreit auf und erklärte ihn auf entsprechende Anfrage des Gerichts gleichfalls für erledigt, allerdings „nur für den Fall der Zulässigkeit der Beschwerde”, an der es im Streitfall fehle, da die „Insolvenz…spätestens ab Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters…zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses” geführt habe.

5 II. Auf die beiderseitige Erledigungserklärung des FA ist die Erledigung des Rechtsstreits festzustellen und der Beschluss des FG für gegenstandslos zu erklären.

6 1. Das FG hat im Rubrum seines Beschlusses als Streitgegenstand „Umsatzsteuer für die Monate August bis Dezember 2008 und Januar bis Mai 2009” bezeichnet, obwohl während des finanzgerichtlichen Verfahrens am der Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2008 und am der Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2009 erging und das FG —wie sich aus dem Tenor und den Gründen des Beschlusses ergibt— über diese Bescheide sowie mit Rücksicht darauf, dass die Rechtswirkungen der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide hinsichtlich des Entstehens der Säumniszuschläge bestehen bleiben, auch über deren Rechtmäßigkeit entschieden hat. Eine im Beschwerdeverfahren grundsätzlich mögliche Berichtigung des Rubrums des finanzgerichtlichen Urteils (vgl. hierzu Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom V B 99/09, BFH/NV 2010, 911; vom VII B 105/06, BFH/NV 2007, 1902) bedarf es jedoch nicht, weil die Vorentscheidung insgesamt aufgehoben wird (vgl. , BFH/NV 2012, 1285; vom X R 11/03, BFH/NV 2004, 1389).

7 2. Im Streitfall liegen beiderseitige Erledigungserklärungen vor, die grundsätzlich zur Beendigung der Rechtshängigkeit führen.

8 Der Umstand, dass der Antragsteller seine Erklärung unter dem Vorbehalt der Zulässigkeit der Beschwerde des FA gestellt hat, steht der Wirksamkeit seiner Erledigungserklärung nicht entgegen. Zwar muss die Erledigungserklärung als eine Prozessbewirkungshandlung (z.B. , BFH/NV 1997, 307; , BFHE 141, 211, BStBl II 1984, 697) wie jede Prozesshandlung klar, eindeutig und vorbehaltlos vorgenommen werden (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 307; , BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425). Erklärt jedoch im Rechtsmittelverfahren ein Beteiligter den Rechtsstreit in der Hauptsache für den Fall der Zulässigkeit des Rechtsmittels für erledigt, führt dies nicht zur Wirkungslosigkeit der Erledigungserklärung, denn diese Einschränkung gibt nur die Rechtslage wieder.

9 Anders als im Klageverfahren, in dem unabhängig von der Zulässigkeit der Klage der Rechtsstreit in der Hauptsache wirksam für erledigt erklärt werden kann (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom III B 10/91, BFHE 165, 17, BStBl II 1991, 846; vom IV R 131/73, BFHE 113, 175, BStBl II 1974, 749), kann in einem Rechtsmittelverfahren, in dem das eingelegte Rechtsmittel unstatthaft und unzulässig war, zwar das unzulässige Rechtsmittel selbst (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFHE 165, 17, BStBl II 1991, 846; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 138 Rz 10), nicht aber der Rechtsstreit selbst in der Hauptsache wirksam für erledigt erklärt werden. Denn war das Rechtsmittel nicht zulässig, so fehlt dem Rechtsmittelgericht von vornherein die Möglichkeit, sachlich auf den Antrag des Rechtsmittelführers einzugehen (z.B. BFH-Beschlüsse vom V B 20/89, BFH/NV 1991, 54; vom I R 78/83, BFHE 143, 8, BStBl II 1985, 258 für die beiderseitige Erledigungserklärung; , BFHE 122, 443, BStBl II 1977, 697, und , BFHE 143, 414, BStBl II 1985, 469 für die einseitige Erledigungserklärung). Deshalb sind Erledigungserklärungen, die in einem unstatthaften und unzulässigen Rechtsmittelverfahren in Bezug auf den Rechtsstreit selbst abgegeben werden, wirkungslos (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom I R 56/99, BFH/NV 2000, 1211; vom VII B 84/99, BFH/NV 2000, 571; vom VIII R 12/92, BFH/NV 1998, 721; in BFH/NV 1991, 54, jeweils m.w.N.). Erklärt deshalb im Rechtsmittelverfahren ein Beteiligter den Rechtsstreit in der Hauptsache unter der Voraussetzung für erledigt, dass das Rechtsmittel zulässig sei —wie im Streitfall der Antragsteller—, steht dieser Vorbehalt der Wirksamkeit seiner Prozesshandlung nicht entgegen, da er nur die Rechtslage wiedergibt, wonach eine wirksame Erledigungserklärung im Rechtsmittelverfahren dessen Zulässigkeit voraussetzt.

10 3. Entgegen der Auffassung des Antragstellers war die Beschwerde bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig.

11 a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf AdV erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. z.B. , BFHE 114, 164, BStBl II 1975, 208, unter 2., und vom IV R 131/74, BFHE 128, 322, BStBl II 1979, 780, unter 1.c; BFH-Beschlüsse vom I S 5/00, BFH/NV 2001, 314, unter II.1., und vom XI S 32/01, BFH/NV 2002, 940, unter II.1., alle zur Eröffnung des Konkursverfahrens). Maßgeblich ist hierfür, dass Verwaltungsakte zwar gemäß § 251 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) vollstreckt werden können, die Vorschriften der InsO jedoch nach § 251 Abs. 2 Satz 1 AO unberührt bleiben. Hieraus folgt, dass das FA ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Steueransprüche, die als Insolvenzforderungen i.S. von § 38 InsO anzusehen sind, als Insolvenzgläubiger gemäß § 87 InsO nur noch nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen kann. Eine Zwangsvollstreckung ist nach § 89 Abs. 1 InsO unzulässig.

12 b) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht bereits durch seine Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) bei gleichzeitiger Untersagung der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO) entfallen.

13 Die Bestellung eines vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt lässt das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen, da die Vollstreckungsmöglichkeiten hierdurch nicht eingeschränkt werden.

14 Auch die Untersagung der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen führt nicht zu einem Fortfall des Rechtsschutzbedürfnisses. Denn die Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO lässt das Recht auf Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unberührt, wie sich auch ausdrücklich aus § 30d Abs. 4 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung ergibt. Ist vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein vorläufiger Verwalter bestellt, ist danach auf dessen Antrag die Zwangsversteigerung einstweilen einzustellen, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die einstweilige Einstellung zur Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlich ist. Für eine derartige Einstellung bestehen im Streitfall ebenso wenig Anhaltspunkte wie für die Annahme, dass die D-AG über keinerlei unbewegliches Vermögen verfügte. Im Hinblick auf die somit für das FA weiterhin gegebene Möglichkeit zur Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen bestand daher das Rechtsschutzbedürfnis fort und ist erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens während des vorliegenden Beschwerdeverfahrens entfallen.

15 4. Das Gericht braucht im Rahmen der Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache wegen beiderseitiger Erledigungserklärungen nicht schwierige Rechtsfragen zu klären. Wenn sich infolgedessen der mutmaßliche Ausgang des Rechtsstreits nicht hinreichend sicher erkennen lässt, entspricht in der Regel die Kostenteilung billigem Ermessen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom IX B 157/90, juris; vom VII R 152/83, BFH/NV 1986, 575, und vom IX R 56/81, BFH/NV 1086, 354).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
ZAAAE-19918