BAG Urteil v. - 10 AZR 247/11

Jahressonderzuwendung 2009 - Auslegung des § 5 Ziff 12 TV Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung - Besitzstandsregelung

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 3 Ca 623 c/10 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Az: 3 Sa 469/10 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über den Anspruch auf eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2009.

2Der Kläger trat am in die Dienste der Beklagten. Er ist als Mitarbeiter im Archiv tätig und Mitglied der Gewerkschaft ver.di.

3Rechtsvorgängerin der Beklagten war die D S GmbH. Sie gehörte, wie auch die Beklagte, zum Konzern der D Holding AG (im Folgenden: Holding). Bis zum Jahr 2006 zahlten die zum Konzern gehörenden Unternehmen aufgrund unterschiedlicher tarifvertraglicher Regelungen Jahressonderzahlungen an ihre Arbeitnehmer. Diese Zahlungen waren nicht vom Betriebsergebnis abhängig.

4Die Gewerkschaften ver.di und NGG und die Holding regelten mit dem „Tarifvertrag über die Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung vom nebst Änderungstarifvertrag vom “ (TV-S) die Sonderzahlungen für die Zeit ab 2007 neu. Danach sollten die Arbeitnehmer für jedes Wirtschaftsjahr eine Sonderzahlung erhalten, deren Höhe sich nach der Entwicklung des Betriebsergebnisses (EBITDA) des Konzerns bestimmt. Für Gewerkschaftsmitglieder enthält der TV-S Sonderregelungen: In den Jahren 2007 und 2008 erhalten sie bei Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen eine höhere Sonderzahlung. Darüber hinaus erhalten sie in den Jahren 2007 bis 2009 Zahlungen auch dann, wenn nach der am Betriebsergebnis ausgerichteten Berechnungsweise an sich keine Zahlung zu leisten wäre.

Die tariflichen Regelungen haben ua. folgenden Wortlaut:

6Da sich die ursprüngliche tarifliche Regelung aufgrund der Entscheidung des Vierten Senats vom (- 4 AZR 491/08 - BAGE 132, 268) als formell unwirksam erwies, haben die Tarifvertragsparteien eine inhaltlich identische Regelung durch Tarifvertrag vom rückwirkend ab 2007 in Kraft gesetzt.

7Der Kläger erhielt für das Jahr 2009 keine Jahressonderzahlung.

8Er hat die Ansicht vertreten, die in § 5 Ziff. 12 TV-S garantierte Sonderzahlung setze nur voraus, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Fälligkeit der jeweiligen Jahressonderzahlung Gewerkschaftsmitglied sei.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Bei § 5 Ziff. 12 TV-S handele es sich um eine reine Besitzstandsregelung, die an eine Betriebszugehörigkeit am anknüpfe. Die gewählte Stichtagsregelung sei rechtlich nicht zu beanstanden.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.

Gründe

12Die zulässige Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Sonderzahlung für das Jahr 2009.

13I. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Ziff. 12 TV-S liegen nicht vor. Nach der Tarifvorschrift steht die Sonderzahlung nur Arbeitnehmern zu, die am im Konzern der Holding beschäftigt waren und spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt Gewerkschaftsmitglied waren. Das ergibt die Auslegung der Tarifregelung.

141. Schon der Wortlaut der tariflichen Regelung, von dem nach ständiger Rechtsprechung vorrangig auszugehen ist (zB  - Rn. 14, ZTR 2011, 491), legt die Begrenzung des Anspruchs auf die Arbeitnehmer nahe, die am Anspruch auf eine Sonderzahlung gegen eines der Konzernunternehmen hatten. Andernfalls wäre kaum erklärlich, dass die Zahlung „in Abhängigkeit zu der am jeweils gültigen tariflichen Regelung“ zu berechnen war. Eine zu einem bestimmten Zeitpunkt für den Arbeitnehmer „gültige Regelung“ kann es nur geben, wenn er an diesem Tag in einem Arbeitsverhältnis zu einem der Konzernunternehmen stand. Die von der Revision vertretene Auffassung, damit sei lediglich eine betriebliche Differenzierung gemeint, würde voraussetzen, dass es für die Betriebe oder Unternehmen einheitliche „jeweils gültige“ tarifliche Regelungen gab. Derartiges ist aber weder festgestellt noch naheliegend. § 5 Ziff. 12 TV-S nennt - im Unterschied zu § 1 TV-S - gerade nicht die verschiedenen Konzernunternehmen oder Betriebe, sondern die „jeweils gültigen“ Tarifverträge, von denen aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahmen durchaus mehrere in einem Betrieb oder Unternehmen gegolten haben dürften, wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat. Dabei umfasst der Geltungsbereich des TV-S die Arbeitnehmer von 17 Unternehmen, § 5 Ziff. 12 TV-S bezeichnet jedoch nur sieben Tarifverträge bzw. Fallgestaltungen, ohne eine Zuordnung vorzunehmen. Lediglich im Fall der „E-Klinik“ und in Bezug auf „Sonderzahlung nach Haustarif“ erwähnt § 5 Ziff. 12 TV-S unternehmensbezogene Regelungen; im Übrigen werden Flächentarifverträge aufgeführt.

152. Dieses Auslegungsergebnis findet seine Bestätigung im Sinn und Zweck und im Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung.

16a) Sinn des TV-S war, die Höhe der Sonderzahlungen nicht mehr nach festgelegten Beträgen oder Anteilen vom Monatsentgelt zu bestimmen, sondern ergebnisabhängig zu gestalten und konzernweit zu vereinheitlichen. Dies hätte allerdings die Folge haben können, dass bisher gezahlte Leistungen bei einem schlechten wirtschaftlichen Ergebnis für bereits beschäftigte Arbeitnehmer übergangslos entfallen wären. Dem haben die auf Arbeitnehmerseite tätigen Tarifvertragsparteien, ohne deren Mitwirkung eine Ablösung der bis zum geltenden unterschiedlichen tariflichen Regelungen nicht möglich gewesen wäre, insofern Rechnung getragen, als sie für zu diesem Zeitpunkt bereits beschäftigte Arbeitnehmer, die Gewerkschaftsmitglieder waren oder später wurden, in § 5 Ziff. 12 TV-S eine Sonderregelung geschaffen haben. Die Anknüpfung an die am gültige tarifliche Regelung macht dabei deutlich, dass es sich um eine Besitzstandssicherung handelt. Das konnte naturgemäß nur für Arbeitnehmer geschehen, die einen Besitzstand innehatten, der gewahrt werden konnte, also für Arbeitnehmer, die ohne Abschluss des Tarifvertrags einen Anspruch auf Sonderzahlung aus ihren bisherigen Verträgen ableiten konnten. Nur deshalb war es auch sinnvoll und folgerichtig, dass die Berechnung des Garantiebetrags in Vom-Hundert-Sätzen auf die bis zum zu leistende Sonderzahlung erfolgen sollte. Gleichzeitig stellt diese Regelung für das Jahr 2007 Beschäftigte besser, die bereits vor Abschluss des TV-S am in eine der tarifvertragschließenden Gewerkschaften eingetreten waren (§ 5 Ziff. 13 TV-S: Eintritt bis ). Für die Jahre 2008 und 2009 wurde darüber hinaus ein Anreiz für diese Beschäftigten geschaffen, noch in eine der Gewerkschaften einzutreten, um ebenfalls in den Genuss der Besitzstandssicherung zu kommen. Für diese Jahre genügte gemäß § 5 Ziff. 13 TV-S idF vom der Beitritt spätestens zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Sonderzahlung im April des Folgejahres.

17b) Daneben vereinbarten die Tarifvertragsparteien für die Jahre 2007 und 2008 eine vorübergehende Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern für den Fall, dass die wirtschaftlichen Vorgaben erreicht werden (§ 5 Ziff. 5 und Ziff. 8 TV-S). Insoweit knüpft die Tarifregelung nicht an einen früheren Besitzstand an, sondern differenziert lediglich in der Höhe der Leistung zwischen organisierten und nicht organisierten Beschäftigten. Die Regelung des § 5 Ziff. 13 TV-S hat deshalb auch für Arbeitnehmer Bedeutung, deren Arbeitsverhältnis erst nach dem begonnen hat.

18II. Diese Stichtagsregelung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

191. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Stichtagsregelungen mit ihrer notwendigen Pauschalierung aus Gründen der Praktikabilität grundsätzlich - ungeachtet der damit verbundenen Härten - zur Abgrenzung von begünstigten Personenkreisen gerechtfertigt, wenn sich die Wahl des Stichtags und Referenzzeitraums am gegebenen Sachverhalt orientiert und vertretbar erscheint. Die Tarifvertragsparteien dürfen generalisieren und typisieren. Sie können bestimmte in wesentlichen Elementen gleichgeartete Lebenssachverhalte normativ zusammenfassen und typisieren. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Normgeber darf sich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die von ihm vorgenommenen Verallgemeinerungen müssen allerdings auf eine möglichst breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen. Zudem müssen die Differenzierungsmerkmale im Normzweck angelegt sein und dürfen ihm nicht widersprechen. Die bei einer Typisierung entstehenden unvermeidlichen Ungerechtigkeiten und Härten in einzelnen, besonders gelagerten Fällen, in denen die Interessenlage von der von den Tarifvertragsparteien als typisch angenommenen abweicht, sind hinzunehmen, wenn sie nicht besonders schwer wiegen und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären ( - Rn. 22 mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Verkehrsgewerbe Nr. 19).

202. Diesen Anforderungen wird die hier getroffene Regelung gerecht. Ihr Zweck ist es, im Rahmen einer tariflichen Neustrukturierung einer Leistung den Besitzstand der Beschäftigten in einem gewissen Umfang zu sichern. Die Folgen der den Arbeitnehmern ggf. nachteiligen Regelungen sollen für diejenigen Gewerkschaftsmitglieder gemildert werden, die sich in der Vergangenheit auf die Zahlung einer nicht ergebnisabhängigen Sonderzahlung eingerichtet hatten. Dieser Zweck legte es nahe, eine Regelung nur für die (organisierten) Arbeitnehmer zu schaffen, die einen derartigen Besitzstand auch erworben hatten.

III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
CAAAE-14791