BGH Urteil v. - V ZR 240/11

Grundstückskauf in der ehemaligen DDR: Wiederaufleben des Übereignungsanspruchs des Käufers nach Wegfall des Versagungstatbestandes fehlender Genehmigungsfähigkeit im wiedervereinigten Deutschland

Leitsatz

Ist der Verkäufer eines in der DDR belegenen Grundstücks von seiner Eigentumsverschaffungspflicht frei geworden, weil die Auflassung nach der Grundstücksverkehrsordnung nicht genehmigungsfähig war, kann der Käufer die Übereignung des Grundstücks nach dem Wegfall des Versagungstatbestandes auch dann nicht verlangen, wenn dieses mangels bekannter Erben des Verkäufers gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG in den Entschädigungsfonds des Bundes abzuführen ist (Fortführung von Senat, Urteil vom , V ZR 171/92, WM 1994, 1250 und Urteil vom , V ZR 268/97, VIZ 1998, 581).

Gesetze: § 275 aF BGB, § 2 GrdstVV vom , § 5 Abs 2 GrdstVV vom , § 10 Abs 1 Nr 7 EntschG, § 15 GBBerG

Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 4 U 195/10vorgehend Az: 3 O 53/10

Tatbestand

1Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin von W.          . Sie behauptet, dieser habe durch notariellen Vertrag vom für 22.000 Reichsmark in Brandenburg belegene Grundstücke von dem Eigentümer gekauft. Zu einer Umschreibung des Eigentums an den Grundstücken ist es nicht gekommen. Der Eigentümer ist 1945 gestorben; seine Erben sind unbekannt.

2Bis Juli 1952 nutzte der im Westteil Berlins wohnende W.      die Grundstücke zu Erholungszwecken. Danach wurden sie durch den Rat der Gemeinde B.      verwaltet und die Mieteinnahmen auf ein für W. eingerichtetes Sperrkonto eingezahlt. 1982 gewährte das Landesausgleichsamt Berlin ihm wegen der „Wegnahme“ der Grundstücke eine Entschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz.

3Der Beklagte ist nach § 11b VermG zum gesetzlichen Vertreter des Eigentümers der Grundstücke bestellt worden. Die Klägerin verlangt von ihm, die Grundstücke an sie aufzulassen und ihre Eintragung in das Grundbuch zu bewilligen, hilfsweise Zug um Zug gegen Zahlung des in Euro umgerechneten Kaufpreises von 22.000 Reichsmark.

4Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

I.

5Das Berufungsgericht meint, auch wenn davon ausgegangen werde, dass die Grundstücke 1940 an den Rechtsvorgänger der Klägerin verkauft worden seien, könne die Klägerin die Übertragung des Eigentums nicht verlangen. Die unbekannten Erben des Verkäufers seien von der Übereignungsverpflichtung gemäß § 275 BGB aF frei geworden, weil die Leistung mit dem Inkrafttreten der Grundstücksverkehrsverordnung der DDR im Jahr 1963 unmöglich geworden sei. Die danach erforderliche Genehmigung der Auflassung wäre im Hinblick auf den Wohnsitz von W.         im Westteil Berlins nicht zu erlangen gewesen. Bei der Befreiung von der Leistungspflicht bleibe es auch nach dem Wegfall des Leistungshindernisses. Dass die Erben des Verkäufers unbekannt seien und das Grundstück nach erfolglosem Abschluss des Aufgebotsverfahrens nach dem Entschädigungsgesetz an die Bundesrepublik Deutschland falle, führe - auch unter dem Gesichtspunkt Wiedergutmachung von Teilungsunrecht - zu keiner anderen Beurteilung.

II.

6Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

71. Das Berufungsgericht geht zutreffend von der Rechtsprechung des Senats aus, nach der ein Veräußerer von seiner Eigentumsverschaffungspflicht gemäß der damals in der DDR noch geltenden Bestimmung des § 275 BGB aF freigeworden ist, wenn aufgrund des Inkrafttretens der Verordnung über den Verkehr mit Grundstücken vom (GBl DDR II, S. 159; nachfolgend: GVVO aF) mit der Auflassung des verkauften Grundstücks auf absehbare Zeit nicht mehr zu rechnen war (Urteil vom - V ZR 171/92, WM 1994, 1250; Urteil vom - V ZR 268/97, VIZ 1998, 581, 582; ebenso , WM 2005, 1232, 1233).

8So liegt es hier. Nach § 2 der Verordnung in der damals geltenden Fassung bedurfte die - noch ausstehende - Auflassung der Grundstücke, die der Rechtsvorgänger der Klägerin 1940 gekauft haben soll, einer behördlichen Genehmigung; denn diese Bestimmung fand auch auf Rechtsvorgänge Anwendung, die bis zu dem Inkrafttreten der Verordnung noch nicht entschieden waren (§ 20 GVVO aF). Eine Genehmigung war jedoch wegen der zwingenden Versagungsgründe nach § 5 Abs. 2 Buchst. c und f GVVO aF nicht zu erlangen, weil W.          als Einwohner West-Berlins „die ordnungsgemäße Verwaltung und volkswirtschaftlich erforderliche Nutzung des Grundstücks nicht gewährleistet“ hätte und durch den Erwerb daher „gesellschaftliche Interessen“ verletzt worden wären. Damit war den Erben des 1945 verstorbenen Verkäufers die Erfüllung ihrer Pflicht zur Eigentumsverschaffung aus einem Umstand, den keine Vertragspartei zu vertreten hatte, nachträglich unmöglich geworden. Dass die Erben sich zuvor in Verzug befunden hätten und daher gemäß § 287 Satz 2 BGB auch für eine durch Zufall eintretende Unmöglichkeit der Leistung verantwortlich gewesen wären, zeigt die Revision nicht auf.

92. a) Die vertragliche Verpflichtung der Erben ist mit dem Wegfall des Leistungshindernisses im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands nicht wieder aufgelebt. Ist der Schuldner gemäß § 275 BGB aF von seiner Leistungspflicht frei geworden, bleibt es hierbei auch dann, wenn die Leistung infolge einer unerwarteten Entwicklung wieder möglich wird. Denn die Frage, ob ein Leistungshindernis zu einer dauernden Unmöglichkeit führt, ist nach dem Zeitpunkt des Eintritts des Hindernisses zu beurteilen (, BGHZ 83, 197, 200; , WM 2005, 1232, 1233). Der Annahme, es liege ein der dauernden Unmöglichkeit gleichzustellendes Leistungshindernis vor, liegt die Wertung zugrunde, dass es den Vertragsparteien nicht zumutbar ist, bis zu dem - nicht absehbaren - Wegfall des Hindernisses an das Rechtsgeschäft gebunden zu bleiben. Bei den daraus folgenden Konsequenzen - der Befreiung von den Leistungspflichten - muss es im Interesse der Dispositionsfreiheit der Beteiligten grundsätzlich auch dann bleiben, wenn das Leistungshindernis überraschend wegfällt (vgl. MünchKomm-BGB/Emmerich, 4. Aufl., Band 2, § 275 (aF) Rn. 41).

10b) In Ausnahmefällen kann der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zwar die Verpflichtung der Vertragspartner zu einem Neuabschluss des Rechtsgeschäfts begründen (vgl. RGZ 158, 321, 331 f.). Das Berufungsgericht nimmt aber ohne Rechtsfehler an, dass der Klägerin ein solcher Anspruch nicht zusteht. Ein Anspruch auf Neuabschluss des Rechtsgeschäfts kommt nur in Betracht, wenn das Leistungshindernis zu einem Zeitpunkt entfallen ist, zu dem sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht maßgeblich verändert haben, und wenn es beiden Vertragspartnern auch im Übrigen zuzumuten ist, zu ihrer ursprünglichen Disposition über den Kaufgegenstand zurückzukehren. Diese Voraussetzungen sind hier schon deshalb nicht gegeben, weil sich die wirtschaftlichen Verhältnisse und damit auch die Grundstückspreise von dem Erlass der Grundstücksverkehrsverordnung im Jahr 1963 bis zu der Aufhebung der hier maßgeblichen Versagungstatbestände durch den Einigungsvertrag grundlegend verändert haben.

113. Entgegen der Auffassung der Revision ist es dem Beklagten auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiedergutmachung von Teilungsunrecht verwehrt, sich auf das Erlöschen der Leistungspflicht des Verkäufers zu berufen. Dabei kann zugunsten der Revision unterstellt werden, dass die - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nur einjährige Aufgebotsfrist des § 15 Abs. 3 Satz 1 GBBerG (i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 1 EntschG) bereits abgelaufen und das Grundstück daher an den Entschädigungsfonds (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EntschG) abzuführen ist.

12Nach der im Einigungsvertrag enthaltenen Regelung des Art. 232 § 1 EGBGB bleibt für die Schuldverhältnisse, die vor dem entstanden sind, das bisherige Recht des Beitrittsgebiets maßgebend. Das gilt auch für Fragen der Genehmigungsbedürftigkeit und -fähigkeit von Rechtsgeschäften (Senat, Urteil vom - V ZR 171/92, WM 1994, 1250, 1251). Verfassungsrechtlich ist dies unbedenklich. Der Bundesgesetzgeber war im Rahmen der Schaffung der Voraussetzungen für den Beitritt nach Art. 23 Satz 2 GG befugt, an die in der DDR bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen anzuknüpfen (vgl. BVerfG, ZOV 1992, 382, 384; Senat, Urteil vom - V ZR 287/92, WM 1994, 1263, 1264). Das gilt auch, soweit Rechtvorschriften der DDR zu einem Rechtsverlust geführt haben, der unter der Geltung bundesdeutschen Rechts nicht eingetreten wäre. Ob und inwieweit hierfür eine Wiedergutmachung gewährt wird, bestimmt sich allein nach dem zur Bereinigung von DDR-Unrecht geschaffenen Sonderrecht (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 89/07, NJW-RR 2008, 1045 Rn. 8). Sieht dieses - wie für Rechtsverluste aufgrund von § 5 Abs. 2 Buchst. c und f GVVO - keinen Ausgleich vor, sind die Gerichte nicht berufen, einen solchen durch Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben oder im Rahmen der Ausfüllung anderer allgemeiner Rechtsbegriffe zu schaffen.

13Etwas anderes gilt hier nicht deshalb, weil das Grundstück, auf den sich der Übereignungsanspruch des Rechtsvorgängers der Klägerin bezog, an den Entschädigungsfonds abzuführen sein dürfte und deshalb ohne Nachteil für einen Dritten auf die Klägerin übertragen werden könnte. Andernfalls ergäbe sich nämlich eine zufällige und damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende ungleiche Behandlung im Übrigen gleichgelagerter Sachverhalte. Während Käufer von Grundstücken, deren Eigentümer im Aufgebotsverfahren nicht zu ermitteln sind, das Eigentum erwerben könnten, bliebe es für alle übrigen von den genannten Versagungsgründen der GVVO betroffenen Käufer bei dem Erlöschen ihres Übereignungsanspruchs. Zu einer solchen, dem Gesetzgeber verbotenen Ungleichbehandlung (vgl. BVerfGE 102, 254, 299) darf auch die Rechtsanwendung durch die Gerichte nicht führen.

144. Schließlich kann die Klägerin nichts daraus herleiten, dass das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen sie über die Einleitung des Aufgebotsverfahrens nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG informiert und ihr Gelegenheit gegeben hat, etwaige erbrechtliche Ansprüche anzumelden. Die Aufforderung erweckt in keiner Weise den Anschein, dass das Grundstück nach Ablauf der Aufgebotsfrist an die Klägerin fallen wird, und bietet deshalb keinen Anknüpfungspunkt für den von der Revision erhobenen Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens.

III.

15Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger                          Lemke                          Schmidt-Räntsch

               Brückner                        Weinland

Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 3096 Nr. 42
WM 2013 S. 533 Nr. 11
OAAAE-13883