NWB Nr. 30 vom Seite 2433

„Umsatzsteuerliche Organschaft: Plädoyer für ein Wahlrecht”

Klaus Korn | Steuerberater | Köln

Die unter der Herrschaft des umsatzsteuerlichen Bruttoallphasensystems kodifizierte gesetzliche Organschaftsregelung ist ungeachtet der erheblich veränderten Bedeutung unverändert in das Mehrwertsteuersystem übernommen worden. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG blieb seit unverändert und wird durch das Unionsrecht als „Kannbestimmung” toleriert. Nach Art. 11 MwStSystRL „kann jeder Mitgliedstaat in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln”. In der jüngeren Rechtsprechung sind indes überraschend zahlreiche Unsicherheiten und Unklarheiten zutage getreten (vgl. z. B. Widmann, UR 2012 S. 417, 428; Buttgereit/Schulte, UR 2010 S. 605; Jacobs, NWB 2010 S. 2524). Die Finanzverwaltung will deshalb die Anweisungen in Abschn. 2.8 UStAE weiter präzisieren. Die zu einem diesbezüglichen Entwurf vorliegenden Stellungnahmen der Berufs- und Wirtschaftsverbände zeigen allerdings, dass es auf der Grundlage der derzeitigen gesetzlichen Regelung schwierig sein wird, die Rechtsunsicherheiten zu überwinden.

Deshalb ist der Vorschlag der Steuerberaterkammer vom nachdrücklich zu begrüßen, das Gesetz zu präzisieren und darüber hinaus als optionale Regelung für die Unternehmer auszugestalten, die sie beanspruchen wollen (wie dies in vielen Mitgliedstaaten der EU geschehen ist). Für die meisten (vorsteuerabzugsberechtigten) Unternehmen bewirkt die Organschaft keine Steuervorteile. Interessant ist die Organschaft hauptsächlich für mehrstufige Unternehmensgruppen, die umsatzsteuerfrei Umsätze tätigen und ohne Organschaft systemfremde Steuerkumulierungen erleiden. Die „zwingende” Organschaft ist aber oft nachteilig, weil sie die Haftungsbeschränkung von Kapitalgesellschaften aushöhlt und dazu führen kann, dass Gesellschafter die gesamte Umsatzsteuer einer Kapitalgesellschaft oder ganzer Unternehmensgruppen persönlich unbeschränkt schulden. Diese Ungereimtheit entsteht z. B., wenn ein beherrschender und geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH ein Grundstück erwirbt und es der Gesellschaft für ihre betrieblichen Zwecke vermietet. Er mutiert dadurch zum umsatzsteuerlichen Organträger, der die Umsatzsteuer der GmbH schuldet (vgl. z. B. Abschn. 2.8 Abs. 6b UStAE, m. w. N.). Gerät diese etwa in Insolvenz, trägt er das gesamte Umsatzsteuerrisiko und muss z. B. für die Vorsteuerberichtigungen nach § 17 UStG der insolventen GmbH einstehen, die vor Ende der Organschaft Leistungen anderer Unternehmer unter Geltendmachung des Vorsteuerabzugs bezogen hat, diese Leistungen aber nicht bezahlen kann (vgl. dazu z. B. Kußmaul/Ruiner/Pfeifer, Ubg 2012 S. 239; Korn, KÖSDI 2009 S. 16693, 16698).

Es wird die Meinung vertreten, schon die geltende Regelung sei als Wahlrecht aufzufassen (vgl. z. B. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 Anm. 641 ff.; Straub, UR 2009 S. 344; NWB IAAAC-80590). Der BFH hat diese Gesetzesauslegung jedoch nicht mitgetragen (Urteil vom - XI R 74/07, BStBl 2009 II S. 256). Deshalb ist eine Gesetzesänderung sinnvoll und geboten.

Klaus Korn

Fundstelle(n):
NWB 2012 Seite 2433
NWB SAAAE-13325