StuB Nr. 13 vom Seite 1

Maßgeblichkeit vor dem Aus?

Dr. Patrick Velte | Universität Hamburg

Die ursprüngliche Intention des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) bestand trotz Aufhebung des umgekehrten Maßgeblichkeitsprinzips in einer Bewahrung der direkten Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz. Durch die „interpretationsoffene” Neuformulierung des § 5 Abs. 1 EStG post BilMoG hatte sich im Schrifttum eine mehrheitliche Auffassung herausgebildet, die eine Entkopplung der Handels- und Steuerbilanzpolitik umfasst. Diese Schwächung des deutschen Maßgeblichkeitsprinzips wurde durch das (siehe hierzu kritisch Velte/Sepetauz, StuB 2010 S. 523 ff.) zusätzlich vorangetrieben. In diesem Zusammenhang forderte das BMF eine deutliche Anhebung der steuerlichen Untergrenze der Herstellungskosten durch eine zwingende Einbeziehung der Kosten der allgemeinen Verwaltung, Aufwendungen für Sozialeinrichtungen des Betriebs, Aufwendungen für freiwillige Sozialleistungen sowie der Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung.

Da dieser Vollkostensatz im Widerspruch zu R 6.3 EStR 2008 stand, hatte das BMF in einem Änderungsschreiben vom eine temporale Aussetzung bis zur Änderung der EStR vorgenommen. Nunmehr hat die Finanzverwaltung einen Entwurf einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Einkommensteuer-Richtlinien 2008 (Einkommensteuer-Änderungsrichtlinien 2012 – EStÄR 2012) vorgelegt (vgl. Grützner ab S. 511 in dieser Ausgabe). In Übereinstimmung zum und in Abgrenzung zu R 6.3 EStR 2008 soll das bestehende Einbeziehungswahlrecht der vorstehend genannten allgemeinen Verwaltungs- und Sozialaufwendungen in ein steuerliches Gebot überführt werden. Insofern werden die handels- und steuerrechtlichen Herstellungskosten bei einer Nichtausübung der Wahlrechte nach § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB zwingend voneinander abweichen. Der Torso des Maßgeblichkeitsprinzips im Rahmen der Herstellungskostenermittlung bezieht sich künftig lediglich auf die herstellungsbezogenen Fremdkapitalzinsen nach § 255 Abs. 3 HGB als Bewertungshilfe.

In einer Gesamtschau ist die beabsichtigte Änderung der traditierten Bewertungspraxis im Rahmen der steuerlichen Ermittlung der Herstellungskosten abzulehnen. Wie bereits durch eine Vielzahl von kritischen Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht (vgl. u. a. Freidank/Velte, StuW 2010 S. 185 ff. und 356 ff.), lag die Zielsetzung des BilMoG in einer Angleichung der handels- und steuerrechtlichen Herstellungskosten unter Beibehaltung der direkten Maßgeblichkeit. Der Entwurf der EStÄR 2012 konterkariert diese Zielsetzung. Zudem ist analog zum der steuerliche Vollkostenansatz nicht argumentativ nachvollziehbar gestützt, da die BFH-Rechtsprechung (vgl. das Urteil vom ) die allgemeinen Verwaltungs- und Sozialgemeinkosten als Pflichtteilmenge der steuerrechtlichen Herstellungskosten ausdrücklich ausspart. Die Annahme, ein künftiges Einbeziehungsgebot erhöhe die Objektivierbarkeit der Herstellungskosten im Rahmen der Gewinnermittlung, ist vor dem Hintergrund der massiven Risiken einer willkürlichen Kostenzurechnung als kurzsichtig anzusehen. Daher stellt sich die berechtigte Kardinalfrage, ob der Gesetzgeber das vollends „ausgehöhlte” Maßgeblichkeitsprinzip nun aufgeben und sich der schwierigen Herausforderung stellen wird, ein eigenständiges Bilanzsteuerrecht zu konzipieren.

Patrick Velte

Fundstelle(n):
StuB 13/2012 Seite 1
NWB XAAAE-12843