BGH Urteil v. - VI ZR 37/11

Schadenersatz bei Beschädigung von Versorgungsleitungen: Auslagenpauschale für Aufwendungen des Geschädigten

Leitsatz

Zur Schätzung einer Auslagenpauschale für Aufwendungen des Geschädigten.

Gesetze: § 249 Abs 2 S 1 BGB, § 287 ZPO

Instanzenzug: LG Darmstadt Az: 21 S 143/10vorgehend AG Michelstadt Az: 1 C 225/10 (03)

Tatbestand

1Die Klägerin betreibt Strom- und Gasnetze im Bereich Südhessen/Ried/Odenwald. Die Beklagte, ein Bauunternehmen, beschädigte bei Tiefbauarbeiten in der Zeit vom bis sechs Stromkabel und eine Gasleitung der Klägerin. Die Haftung der Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit. Die Schadensfälle wurden von ihrem Haftpflichtversicherer mit Ausnahme der von der Klägerin jeweils verlangten Kostenpauschale von 25 € reguliert. Der Anspruch auf Zahlung dieser Beträge nebst Zinsen ist Gegenstand des Rechtsstreits. Das Amtsgericht hat der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben. Die zugelassene Berufung der Beklagten führte zur vollumfänglichen Klageabweisung. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

2Die Beklagte macht geltend, ihr Haftpflichtversicherer habe die Klageforderung einschließlich Zinsen inzwischen aus wirtschaftlichen Erwägungen bezahlt.

Gründe

I.

3Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die im Zusammenhang mit der Regulierung von Verkehrsunfallschäden entwickelte Praxis der Erstattung einer Auslagenpauschale sei auf Fälle der Beschädigung von Strom- und Gasleitungen nicht zu übertragen. Die Auslagenpauschale solle Telefon-, Porto- und Fahrtkosten abgelten. Dass derartige Kosten bei der Abwicklung von Leitungsschäden regelmäßig in erheblicher Höhe anfielen, sei nicht anzunehmen. Der Geschädigte in Verkehrsunfallsachen sei in den meisten Fällen als Privatperson mit der Abwicklung von Schadensfällen nicht vertraut. Zudem müsse er im Allgemeinen mit zahlreichen Beteiligten brieflich oder telefonisch Kontakt aufnehmen, nämlich mit dem eigenen Versicherer, dem Unfallgegner, dessen Haftpflichtversicherer, einem Sachverständigen sowie der Reparaturwerkstatt. Demgegenüber erfolge die Abwicklung im vorliegenden Fall durch ein großes Unternehmen, bei dem solche Schadensfälle häufig seien. Die Abläufe der Schadensermittlung und -abwicklung seien eingespielt und weitgehend automatisiert. Der dafür erforderliche Aufwand und die dabei entstehenden Aufwendungen seien regelmäßig geringer als bei der Abwicklung von Verkehrsunfallschäden.

II.

4Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

51. Der erkennende Senat hat nicht zu prüfen, ob die Klage im Hinblick auf die von der Beklagten im Revisionsrechtszug geltend gemachte Zahlung unbegründet sein könnte. Das Revisionsgericht überprüft die Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht gemäß § 559 Abs. 1 ZPO grundsätzlich allein auf der Grundlage des zweitinstanzlichen Parteivorbringens. Neu vorgetragene Tatsachen sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie unstreitig sind und für die Entscheidung materiellrechtlich Bedeutung haben, sofern schützenswerte Belange der Gegenpartei nicht entgegenstehen (st. Rspr., zu § 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F. vgl. , BGHZ 139, 214, 220 ff. mwN). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

62. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der Klage allerdings nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, es sei nicht wahrscheinlich, dass die Schadensabwicklung im Streitfall erhebliche Kosten verursacht habe, weil sie durch ein großes Unternehmen erfolgt sei, bei dem die Abläufe eingespielt und automatisiert seien.

7Die Klägerin begehrt mit den von ihr geltend gemachten Auslagenpauschalen Ersatz für Aufwendungen, die ihr dadurch entstünden, dass sich ein Mitarbeiter vor Ort begebe, ein Unternehmen mit der Reparatur beauftragt werde, der Schädiger - gegebenenfalls durch Anfragen bei Behörden - ermittelt werden müsse und oft Kontakt zu seinem Haftpflichtversicherer aufgenommen werde. Auch wenn ein Unternehmen, das häufig mit der Abwicklung von im Wesentlichen gleich gelagerten Schadensfällen konfrontiert ist, aufgrund der routinemäßigen Bearbeitung und der Verwendung geeigneter Formulare in der Lage sein mag, die Schadensabwicklung rationeller und kostengünstiger zu gestalten, als dies einer damit nicht vertrauten Privatperson möglich ist (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 98/75, BGHZ 66, 112, 117), so bedeutet dies nicht, dass durch die im Rahmen der Schadensabwicklung erforderlichen Maßnahmen, insbesondere die dabei anfallende Kommunikation, ersatzpflichtige Kosten in nennenswertem Umfang nicht entstünden.

83. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Auslagenpauschalen gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht zustehe, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung jedoch im Ergebnis stand.

9a) Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr., vgl. , BGHZ 181, 242 Rn. 10; vom - VI ZR 142/10, VersR 2001, 1026 Rn. 7 und vom - VI ZR 40/10, zVb Rn. 6, jeweils mwN). Für die Schadensschätzung nach dieser Vorschrift benötigt der Richter als Ausgangssituation aber greifbare Tatsachen, die der Geschädigte im Regelfall im Einzelnen darlegen und beweisen muss. Eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens, auch in Form der Schätzung eines "Mindestschadens", lässt § 287 ZPO grundsätzlich nicht zu (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 138/03, VersR 2004, 874, 875 mwN).

10b) Im Streitfall sind keine für eine Schadensschätzung zureichenden Anknüpfungstatsachen festgestellt. Dass das Berufungsgericht insoweit entscheidungserheblichen Sachvortrag der Klägerin übergangen habe, zeigt die Revision nicht auf. Soweit sie auf schriftsätzliches Vorbringen zur Abwicklung von Leitungsschäden verweist, wird daraus nicht hinreichend deutlich, in welchem Maße die Schadensabwicklung regelmäßig eine Kommunikation erfordert. Ausschlaggebend hierfür ist nicht etwa die zeitliche Dauer der Schadensermittlung, denn für den eigenen Zeitaufwand kann der Geschädigte vom Schädiger grundsätzlich keinen Ersatz verlangen (Senatsurteil vom - VI ZR 98/75, aaO S. 114 f.). Welche Auslagen für Telefonate, Briefwechsel oder Fahrtkosten die Abwicklung von Leitungsschäden typischerweise erfordert, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.

11c) Soweit hinsichtlich solcher Kosten bei der Abwicklung von Verkehrsunfallschäden regelmäßig von näherem Vortrag abgesehen wird und die Rechtsprechung dem Geschädigten eine Auslagenpauschale zuerkennt, auch wenn Anknüpfungstatsachen hierfür im konkreten Einzelfall nicht dargetan sind, ist dies dem Umstand geschuldet, dass es sich bei der Regulierung von Verkehrsunfällen um ein Massengeschäft handelt (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 14/76, VersR 1978, 278, 280 und Senatsbeschluss vom - VI ZB 22/08, BGHZ 178, 338 Rn. 17), bei dem dem Gesichtspunkt der Praktikabilität besonderes Gewicht zukommt. Eine generelle Anerkennung einer solchen Pauschale für sämtliche Schadensfälle ohne nähere Darlegung der getätigten Aufwendungen - etwa auch im Rahmen der vertraglichen Haftung - gibt es in der Rechtsprechung nicht (vgl. I-15 U 44/05, juris Rn. 26 f.) und ist angesichts der unterschiedlichen Abläufe bei der jeweiligen Schadensabwicklung auch nicht gerechtfertigt (a.A.: Kannowski, VersR 2001, 555, 558). Nichts anderes gilt für Fälle der Beschädigung von Energieversorgungsanlagen, die insoweit keine Besonderheit darstellen (a.A.: Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 249 Rn. 79; Schulze, VersR 2003, 707 f.).

124. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Galke                                                  Wellner                                               Pauge

                            Stöhr                                                von Pentz

Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 2267 Nr. 31
EAAAE-10875