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Thüringer FG Urteil v. - 3 K 465/10

Gesetze: EStG § 74 Abs. 1 S. 1, EStG § 74 Abs. 1 S. 3, EStG § 74 Abs. 1 S. 4, EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, EStG § 32 Abs. 4 S. 2, BGB § 1601, BGB § 1602, BGB § 1603, BGB § 1610 Abs. 2, SGB XII § 94 Abs. 2, SGB XII § 82 Abs. 1 S. 2, AO § 5, FGO § 102

Bei Zahlung von Sozialleistungen des Sozialleistungsträgers für ein behindertes, volljähriges, in den Haushalt der Eltern eingegliedertes Kind grundsätzlich keine Abzweigung des Kindergelds aufgrund einer typisierenden Vermutung von finanziellen Unterhaltsleistungen der Eltern mindestens in Höhe des Kindergelds

Leitsatz

1. Eine Abzweigung des Kindergelds an den Sozialleistungsträger, der für ein behindertes Kind Sozialleistungen erbringt, setzt voraus, dass der Kindergeldberechtigte zivilrechtlich zum Unterhalt verpflichtet ist, aber keinen Unterhalt leisten will, keinen Unterhalt leisten kann oder als Unterhalt nur einen geringeren Betrag als das Kindergeld zu leisten braucht.

2. Entstehen dem Kindergeldberechtigten Aufwendungen für das volljährige behinderte Kind mindestens in Höhe des Kindergeldes, kommt eine Abzweigung an den Sozialleistungsträger nicht in Betracht. Bei der im Rahmen des Abzweigungsverfahrens zu treffenden Ermessensentscheidung der Familienkasse sind grundsätzlich sämtliche Unterhaltsaufwendungen der Eltern zur Deckung des Lebensbedarfes des Kindes im Sinne von § 1610 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen. Als Grenze für eine Berücksichtigung von Aufwendungen des Kindergeldberechtigten im Rahmen der Abzweigungsentscheidung kann daher nicht auf das sozialhilferechtliche Existenzminimum abgestellt werden, sondern auf den an den Lebensverhältnissen der Eltern orientierten unterhaltsrechtlichen Lebensbedarf des Kindes i. S. d. § 1610 Abs. 2 BGB (Anschluss an ).

3. Leben volljährige behinderte Kinder mit den Eltern in einem gemeinsamen Haushalt, sind die kindergeldanspruchsberechtigten Eltern nicht verpflichtet, zur Vermeidung einer Abzweigung ihre Unterhaltsaufwendungen nachzuweisen, etwa indem sie akribisch eine Art „Haushaltsbuch” führen oder in ähnlicher Weise nachvollziehbar glaubhaft machen, ob und ggf. in welcher Höhe sie aus welchen Einkünften Aufwendungen für den Unterhalt der Kinder tätigen. Auch eine unter Umständen rechtlich nicht leicht zutreffende Zuordnung der Aufwendungen nach den einzelnen sozialhilferechtlichen Rubriken ist nicht erforderlich (Anschluss an ; gegen ).

4. Sind volljährige behinderte Kinder in den Haushalt ihrer Eltern aufgenommen und sind sie außerstande, sich selbst zu unterhalten, so ist grundsätzlich ohne Einzelnachweis typisierend davon auszugehen, dass die Eltern finanziell mindestens in Höhe des Kindergeldes mit Unterhaltsleistungen belastet sind. Auch das Finanzgericht ist nicht gehalten, im Rahmen seiner Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhaltes von Amts wegen zur Beurteilung eines Abzweigungsantrags eine umfassende, aufwändige und tief in die Privatsphäre der Kindergeldberechtigten reichende Ausforschung der im Einzelfall tatsächlich erbrachten finanziellen Unterhaltsleistungen für das volljährige Kind vorzunehmen.

Fundstelle(n):
WAAAE-10198

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Thüringer FG, Urteil v. 23.11.2011 - 3 K 465/10

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