BFH Beschluss v. - IX B 14/12

Ermittlung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG

Leitsatz

1. Es ist ernstlich zweifelhaft i.S. des § 69 FGO, ob es sich bei den gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG im Rahmen der Ermittlung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften zu berücksichtigenden Abschreibungs- bzw. Absetzungsbeträgen - ggf. anteilig - um (typisierte) "Wertzuwächse" i.S. der Rechtsprechung des BVerfG handelt und der Steuerpflichtige zudem darauf vertrauen durfte, diese - ggf. anteilig - steuerfrei vereinnahmen zu können.
2. Zweifelhaft ist auch, auf welcher Rechtsgrundlage die in Ziff. II. 1 des , 2010/1015920 (BStBl 2011 I S. 14) vorgegebene Vereinfachungsregelungen beruht, welche eine lineare Wertentwicklung der veräußerten Wirtschaftsgüter des Privatvermögens unterstellt.

Gesetze: EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, EStG § 23 Abs. 3, FGO § 69 Abs. 2, FGO § 69 Abs. 3

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Antragsteller erwarb 1996 ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück, das er 2004 wieder veräußerte. Im Rahmen der vom Antragsteller erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wurden für das Objekt Sonderabschreibungen sowie Absetzungen für Abnutzung (AfA) berücksichtigt.

2 Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2004) ermittelte der Antragsteller einen rechnerischen Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 91.596 €, der sich aus einem gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG gebildeten negativen Saldo in Höhe von ./. 739 € —bestehend aus Veräußerungspreis abzüglich Anschaffungs-, Anschaffungsneben-, nachträglichen Herstellungs- und Veräußerungskosten— einerseits sowie den nach § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG gegenläufig (d.h. anschaffungskostenmindernd) zu berücksichtigenden Beträgen —Sonderabschreibungen sowie AfA— andererseits zusammensetzt. Die Antragsteller vertreten insoweit die Auffassung, die in Anspruch genommenen Sonderabschreibungen sowie die AfA seien den einzelnen Veranlagungszeiträumen, in denen sie sich steuerlich ausgewirkt haben, zuzuordnen und dort wie „Wertzuwächse” zu berücksichtigen. Die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) am entstandenen Wertzuwächse (in Form von Sonderabschreibungen bzw. AfA) könnten mit Blick auf die Entscheidung des , 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 (BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76) steuerlich nicht erfasst werden. Im Ergebnis dürften von dem rechnerischen Gewinn in Höhe von 91.596 € daher nur 14.753 € —dieser Betrag entspreche der im Zeitraum vom bis zur Veräußerung der Immobilie in Anspruch genommenen AfA— besteuert werden, während ein „Wertzuwachs” in Höhe von 76.843 € —entsprechend den vom Zeitpunkt der Anschaffung bis zum in Anspruch genommenen Sonderabschreibungen und AfA— dem Antragsteller steuerfrei verbleiben müsse.

3 Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) ermittelte die Einkünfte des Antragstellers aus privaten Veräußerungsgeschäften im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom (in der Fassung durch die Einspruchsentscheidung vom ) nach der in Ziff. II. 1 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom IV C 1-S 2256/07/10001:006, 2010/1015920 (BStBl I 2011, 14) vorgegebenen Vereinfachungsregelung, welche eine lineare Wertentwicklung der Immobilie unterstellt, mit 62.451 €.

4 Das Finanzgericht (FG) gab einem Antrag der Antragsteller auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids vom statt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des FA.

5 II. Die Beschwerde des FA ist unbegründet. Das FG hat den angefochtenen Einkommensteuerbescheid im Ergebnis zu Recht von der Vollziehung ausgesetzt.

6 1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 und Satz 7 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aufgehoben werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Das ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Fall, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts gewichtige Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (vgl. z.B. , BFH/NV 2010, 409, m.w.N.).

7 2. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids.

8 Unentschieden ist zunächst die Rechtsfrage, ob es sich bei den gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG im Rahmen der Ermittlung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften zu berücksichtigenden Abschreibungs- bzw. Absetzungsbeträgen —ggf. anteilig— um (typisierte) „Wertzuwächse” im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG handelt und der Antragsteller zudem darauf vertrauen durfte, diese —ggf. anteilig— steuerfrei vereinnahmen zu können. Im Hauptsacheverfahren wird zudem die Rechtsgrundlage zu klären sein, auf der das BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 14 eine lineare Wertentwicklung der veräußerten Wirtschaftsgüter des Privatvermögens unterstellt (vgl. hierzu auch Senatsbeschluss vom IX B 146/11, Deutsches Steuerrecht 2012, 599, Der Betrieb 2012, 719, zur gleich gelagerten Problematik im , 2010/1006836, BStBl I 2011, 16, betreffend § 17 EStG).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 1130 Nr. 7
KÖSDI 2012 S. 18046 Nr. 9
ZAAAE-09994